Zahlung von Krankengeld
Keine gesetzliche Nachweispflicht alle 14 Tage für fortbestehende Arbeitsunfähigkeit
Leistungsanordnung im einstweiligen Rechtsschutz
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragstellerin über den 22. April 2010 hinaus Anspruch auf die Zahlung von Krankengeld
hat.
Die Antragstellerin bezog seit September 2009 Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Nachdem sie sich den Mittelfußknochen
gebrochen hatte, war sie ab dem 04. Januar 2010 arbeitsunfähig. Die Antragsgegnerin zahlte der Antragstellerin auf ihren Antrag
ab dem 15. Februar 2010 Krankengeld bis einschließlich 22. April 2010.
Die von den behandelnden Ärzten der Antragstellerin ausgefüllten Bescheinigungen für die Krankengeldzahlung umfassten in aller
Regel Zeiträume von jeweils 14 Tagen, die Bescheinigung vom 11. Januar 2010 (Bl. 40 der Verwaltungsakten) galt für 22 Tage.
Nachdem die Antragsgegnerin die Zahlung von Krankengeld mit Bescheinigung vom 25. Februar 2010 bewilligt hatte, bat sie zur
weiteren Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit den behandelnden Arzt der Antragstellerin, Herrn Dr. G., mit Schreiben vom 25.
Februar 2010 um Übersendung eines CT-Berichtes an den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK). Dieser Bericht wurde am
31. März 2010 übersandt. Am 01. April 2010 gab die Gutachterin des MDK, Dr. H. folgende Stellungnahme ab:
"WVL mit MRT-Bef., AUF solange med. begründet. Wieso Reha-Antrag ausgehändigt? Hier liegt ø Indikation vor!"
Die Antragsgegnerin wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 19. April 2010 an Dr. Haase und bat um Übersendung des MRT-Berichts.
Dr. Haase stellte dann eine weitere Bescheinigung für die Krankengeldzahlung aus. Danach habe sich die Antragstellerin am
08. April 2010 zuletzt vorgestellt. Nächster Praxisbesuch sei am 30. April 2010, nach einem Termin im Nordstadt-Krankenhaus,
anschließend erfolge eine Besprechung aller Ergebnisse und Planung des weiteren Procedere. Auf Bl. 68 der Verwaltungsakten
findet sich dann eine weitere Bescheinigung für Krankengeldzahlung für die Zeit vom 30. April 2010 mit dem Hinweis, dass ein
Ende der Arbeitsunfähigkeit noch nicht absehbar sei, sie könne noch zwei Monate dauern und ein nächster Praxis-Besuch solle
am 28. Mai 2010 erfolgen.
Ob der MRT-Befund dem MDK vorgelegt worden ist, wie von der Gutachterin Dr. H. am 01. April 2010 angefordert, lässt sich der
Akte nicht entnehmen.
Mit Bescheid vom 08. August 2008 beendete die Antragsgegnerin den Krankengeldanspruch der Antragstellerin am 22. April 2010.
Zur Begründung führte sie aus, die Antragstellerin sei darauf hingewiesen worden, dass sie sich grundsätzlich spätestens am
14. Tag nach der letzten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, hier also am 22. April 2010, zwecks Feststellung weiterer Arbeitsunfähigkeit
beim behandelnden Arzt vorzustellen habe. Dies habe sie nicht getan. Damit liege ein weiterer Krankengeldanspruch nicht mehr
vor. Ein erneuter Krankengeldanspruch bestehe daher erst ab dem 01. Mai 2010. Einen Anspruch auf die Zahlung von Krankengeldzahlung
habe sie allerdings nicht mehr, weil zu diesem Zeitpunkt keine eigenständige Mitgliedschaft mehr bestanden habe, sondern die
Antragstellerin über die Familienversicherung des Ehemannes versichert sei.
Am 17. Mai 2010 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht (SG) Hannover den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel, vorläufig weiterhin Krankengeld zu erhalten. Zur
Begründung hat sie insbesondere ausgeführt, die von der Antragsgegnerin postulierte zwingende Verpflichtung, in einem 14-tägigen
Turnus ärztliche Bescheinigungen beizubringen, lasse sich aus dem Gesetz nicht herleiten. Der 4. Senat des Landessozialgerichts
(LSG) Niedersachsen-Bremen habe in seinem Beschluss vom 02. März 2009 - L 4 KR 28/09 B ER - festgestellt, dass eine derartige Obliegenheit mangels Rechtsgrundlage nicht bestehe.
Hier sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass die länger als 14 Tage erfolgte Krankschreibung durch den behandelnden Arzt
mit der Notwendigkeit begründet worden sei, eine MRT-Untersuchung durchführen zu lassen, deren Besprechung erst am 30. April
2010 habe erfolgen könne. Danach sei die weitere Behandlung festzulegen. Es habe daher unzweifelhaft Arbeitsunfähigkeit bestanden
und es sei nicht nachvollziehbar, welchen Grund die Antragstellerin gleichwohl gehabt haben solle, sich zusätzlich eine weitere
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen lassen zu müssen.
Die Antragsgegnerin hat an ihrer Auffassung festgehalten, die Antragstellerin sei verpflichtet gewesen, aufgrund des früher
gegebenen Hinweises spätestens 14 Tage nach dem 08. April 2010 eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen zu
lassen.
Mit Beschluss vom 11. Juni 2010 hat das SG Hannover den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es hat
zunächst darauf hingewiesen, dass in Anbetracht der geänderten Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen durch den Beschluss
vom 07. April 2010 - L 4 KR 109/10 B ER - bereits das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zweifelhaft sei. Zudem sei es der Antragstellerin zuzumuten, die Entscheidung
in der Hauptsache abzuwarten. Eine konkrete Gefährdung ihrer Existenz sei nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin könne
nachrangige Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem SGB II in Anspruch nehmen. Ein weiterer Nachweis der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin, die Anhaltspunkte für die
Annahme einer Existenzgefährdung liefern könnten, seien nicht vorgebracht worden.
Gegen den am 15. Juni 2010 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 16. Juni 2010 Beschwerde erhoben. Sie wiederholt
und vertieft ihren Vortrag aus dem erstinstanzlichen Verfahren. Der Verweis auf die Inanspruchnahme nachrangiger Versicherungsleistungen
nach dem SGB XII oder nach dem SGB II sei unzumutbar.
Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
1. den Beschluss des Sozialgerichts Hannover im Verfahren S 2 KR 717/08 ER aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig
ab Eingang der Rechtsschutzschrift in erster Instanz, für vorerst drei fortlaufende Monate, längstens bis zum Abschluss des
Widerspruchsverfahrens oder Wegfall der Leistungsberechtigung, Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren;
2. der Antragsgegnerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin beantragt schriftlich,
die Beschwerde und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass ein Anspruch der Antragstellerin nicht bestehe. Gerade für die Fälle, in denen der
Arzt nicht ausreichend klar darlege, für welchen zeitlichen Abschnitt Arbeitsunfähigkeit bescheinigt werden solle, habe sie
die 14-Tage-Regelung vorgesehen und die Beschwerdeführerin frühzeitig und deutlich darauf hingewiesen. Dies stelle eine sachgerechte
Regelung auch im vorliegenden Streitfall dar, indem der Arzt am 08. April 2010 nur eine letztlich nichtsagende Bescheinigung
des Inhalts, dass weitere Behandlungsbedürftigkeit bestehe, ausgestellt habe.
Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte
und die vorliegende Verwaltungsakte der Antragsgegnerin.
II. Die gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Beschwerde ist begründet. Die Antragstellerin hat in dem tenorierten Umfang Anspruch auf die vorläufige Zahlung
von Krankengeld.
Nach §
86 b Abs.
1 und Satz 2
SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht,
dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Es müssen ein Anordnungsgrund
und ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden (§
86 b SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung -
ZPO -).
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist hier ein Anordnungsanspruch gegeben. Nach
§
44 Abs.
1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) haben Versicherte u.a. Anspruch auf Krankengeld dann, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach § 46 Abs. 1 Nr.
2 entsteht ihr Anspruch auf Krankengeld von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit
folgt. Voraussetzung für den Anspruch auf Krankengeld ist somit lediglich, dass medizinisch eine Arbeitsunfähigkeit besteht
und der Versicherte diese Arbeitsunfähigkeit durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes nachweist.
Weitere Voraussetzungen für die Zahlung von Krankengeld stellt das Gesetz nicht auf. Das
SGB V enthält nach Auffassung des Senats auch keine Ermächtigungsgrundlage, die es den gesetzlichen Krankenversicherungen gestatten
würde, die Zahlung von Krankengeld von weiteren Bedingungen abhängig zu machen. Für die von der Antragsgegnerin vertretene
Auffassung, sie sei berechtigt, die Zahlung von Krankengeld über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus davon abhängig zu machen,
dass der Versicherte ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalles bei einer über 14 Tage hinausgehenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
des behandelnden Arztes spätestens am 14. Tag diesen aufzusuchen und sich eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe
ausstellen zu lassen, ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Ohne entsprechende Ermächtigung ist es untergesetzlichen Normgebern
jedoch verwehrt, die Anspruchsvoraussetzungen für eine Sozialleistung gegenüber der gesetzlichen Regelung zu verschärfen.
Sollte es bei der Antragsgegnerin eine Verwaltungsrichtlinie geben, die die (weitere) Zuzahlung von Krankengeld davon abhängig
macht, dass der Versicherte spätestens im Rhythmus von 14 Tagen einen Arzt aufsucht und sich eine weitere Arbeitsunfähigkeit
bescheinigen lässt, könnte diese Verwaltungsrichtlinie keinerlei Außenwirkung entfalten.
Zudem hatte die Antragsgegnerin wegen der hier vorliegenden Erkrankung bereits einmal ohne weiteres eine Krankschreibung über
22 Tage akzeptiert, so dass die Antragstellerin jedenfalls in diesem Fall davon ausgehen konnte, dass die Antragsgegnerin
dies auch weiterhin tun würde.
All dies spricht dafür, dass der angefochtene Bescheid über die Beendigung der Krankengeldzahlung, rechtswidrig sein dürfte.
Hinzu kommt, dass im vorliegenden Fall die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Einstellung des Krankengeldes tatsächlich gar
keine Zweifel an der weiter bestehenden Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin hatte. Sie hatte die Plausibilität der weiteren
Krankschreibung durch den behandelnden Arzt durch den MDK prüfen lassen. Dieser hatte in seiner Stellungnahme vom 01. April
2010 eine weitere Arbeitsunfähigkeit bis zur Vorlage eines MRT-Befundes bestätigt. Er hatte zugleich darauf hingewiesen, dass
weitere Maßnahmen, wie etwa eine Reha-Maßnahme, nicht indiziert seien. Diese Auffassung des MDK hat die Antragsgegnerin auch
offensichtlich akzeptiert und deswegen unter dem 19. April 2010 von dem behandelnden Arzt die Vorlage des MRT-Berichtes vom
21. April 2010 angefordert.
Auch die vom behandelnden Arzt Dr. G. ausgestellten Bescheinigung über die weitere Arbeitsunfähigkeit, in der die letzte Vorstellung
vom 08. April 2010 und die nächste am 30. April 2010 bescheinigt wurde, hat sie inhaltlich nicht hinterfragt. Wenn die Antragsgegnerin
wirklich Zweifel an einer weiterbestehenden Arbeitsunfähigkeit gehabt hätte, wäre es ihre Sache gewesen, sich nach der Stellungnahme
des MDK mit diesem auseinanderzusetzen bzw. dem behandelnden Arzt mitzuteilen, dass sie nicht weiter bereit sei, eine weitere
Krankschreibung zu akzeptieren. All dies ist nicht geschehen. Tatsächlich geht jedoch auch die Antragsgegnerin von einer weiterbestehenden
Arbeitsunfähigkeit aus und begründet die Weigerung, weiter Krankengeld zu zahlen, lediglich damit, die Antragstellerin habe
eine Obliegenheit verletzt, für deren Bestehen, wie oben dargelegt, jedoch keine gesetzliche Grundlage ersichtlich ist.
Nur ergänzend fällt im vorliegenden Fall auf, dass es bei der hier zu entscheidenden rechtlichen Problematik im Übrigen nicht
nur um die Zahlung von Krankengeld geht. Darüber hinaus hat die Antragstellerin nach Auffassung der Antragsgegnerin auch noch
ihren Status als Pflichtversicherte der gesetzlichen Krankenversicherung verloren. Zwar entstehen der Antragstellerin hier
keine weitergehenden finanziellen Nachteile, weil diese die Familienversicherung des Ehemannes in Anspruch nehmen kann. Handelte
es sich bei der betroffenen Versicherten jedoch etwa um eine alleinerziehende Mutter, der diese Möglichkeit nicht zur Verfügung
stünde, wäre diese gezwungen, die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung oder letztlich
die Möglichkeit der Versicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 a SGB V in Anspruch zu nehmen. Beide Möglichkeiten hätten dauerhaft erhebliche finanzielle Belastungen für eine Versicherte zur Folge.
Auch diese Überlegung zeigt, dass so schwerwiegende Rechtsfragen nicht durch eine ohne Ermächtigungsgrundlage erlassene schlichte
Verwaltungsrichtlinie eines Versicherungsträgers ausgelöst werden dürfen.
Unter Berücksichtigung all dessen ist daher vom Vorliegen eines Anordnungsanspruchs auszugehen.
Hinsichtlich des Anordnungsgrundes ist es so, dass dieser zwar grundsätzlich neben dem Anordnungsanspruch bestehen muss, jedoch
ist dieser Anordnungsgrund nicht völlig unabhängig vom Anordnungsanspruch zu sehen. Nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte
und auch des erkennenden Senats sind an einen Anordnungsgrund um so geringere Anforderungen zu stellen, je sicherer das Vorliegen
eines Anordnungsanspruchs und damit ein Erfolg im Hauptsacheverfahren ist. Im vorliegenden Fall spricht die weit überwiegende
Wahrscheinlichkeit dafür, dass der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin einer rechtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren
nicht standhalten wird. Demzufolge reichen aus Sicht des Senats die von der Antragstellerin geltend gemachten Nachteile aus,
um einen Anordnungsgrund anzunehmen.
Bei einer solchen Konstellation ist auch der Verweis der Versicherten auf die Inanspruchnahme von subsidiären Sozialleistungen
nach dem SGB II und dem SGB XII nicht zulässig. Zwar hat auch der Senat Versicherte bereits auf die Inanspruchnahme dieser Leistungen verwiesen, jedoch waren
dies Fälle, in denen ein Anordnungsanspruch ersichtlich nicht vorlag und alles dafür sprach, dass der Versicherte in einem
Hauptsacheverfahren keinen Erfolg haben würde. Der vorliegende Fall liegt, wie oben dargelegt, jedoch völlig anders.
Darüber hinaus entbindet ein möglicher Verweis auf die Inanspruchnahme subsidiärer Sozialleistungen das Gericht wegen des
geschilderten Zusammenhangs zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund in Fällen der vorliegenden Art ohnehin nicht von
einer sorgfältigen Prüfung des Anordnungsanspruchs.
Die Kostenentscheidung beruht auf die entsprechende Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG nicht anfechtbar.