Verbrauch von Einkommen; das während des Leistungsbezugs zugeflossen ist
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungsbescheides mit Wirkung ab dem 01.04.2007.
Der 1954 geborene und seit Januar 2004 dauernd getrennt lebende Kläger bezieht seit dem 22.01.1998 von der Bau Berufsgenossenschaft
eine Unfallrente; ab dem 01.07.2003 betrug diese monatlich 230,23 €. Seit dem 01.01.2005 erhält er von der Beklagten Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Zum 01.10.2004 mietete der Kläger ein Einfamilienhaus "A G M -" in K an. Die monatliche Miete belief sich auf 300,00 € zzgl.
einer Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von monatlich 50,00 €.
Mit Bescheid vom 21.06.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit
vom 01.07.2006 bis zum 31.12.2006. Im Juli 2006 betrugen die Leistungen 568,02 € und ab dem 01.08.2006 465,75 € monatlich.
Bei Antragstellung am 08.06.2006 hatte sich der Kläger unterschriftlich verpflichtet, der Beklagten künftige Änderungen (insbesondere
der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse) unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen.
Mit am 27.11.2006 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben teilte die A K mit, dass der Kläger noch einen Anspruch auf Krankengeld
für die Zeit vom 11.07.2002 bis zum 26.05.2003 in Höhe von 15.869,27 € habe und für den Kläger nach Abzug eines Erstattungsbetrages
der Agentur für Arbeit noch ein Auszahlungsbetrag von 7.319,45 € verbleibe. Der Betrag wurde auf Wunsch des Klägers auf das
Konto seiner Bekannten S H (H.-P.) überwiesen. Ihr schuldete der Kläger 2.500,00 €. H.-P. nahm nach Eingang des Geldes auf
ihrem Konto auf Anweisung des Klägers verschiedene Überweisungen für ihn vor. Grundlage der Zahlung der AOK war das Urteil
des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19.10.2006 (L 5 KR 29/05).
Am 21.12.2006 begehrte der Kläger die Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Das Antragsformular
war von ihm am 18.12.2006 ausgefüllt und unterschrieben worden. Zu den in Punkt V. und VI. des Antragsformulars geforderten
Angaben bzgl. "Änderungen in ihren Einkommensverhältnissen und/oder der Angehörigen in der Bedarfsgemeinschaft" bzw. "Änderungen
in ihren Vermögensverhältnissen und/oder der Angehörigen in der Bedarfsgemeinschaft" gab er an, dass insoweit keine Änderungen
eingetreten seien. Der Kläger versicherte unterschriftlich die Richtigkeit der gemachten Angaben.
Mit Bescheid vom 22.12.2006 bewilligte ihm die Beklagte daraufhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit
vom 01.01.20007 bis zum 28.02.2007 in Höhe von 270,04 € und vom 01.03.2007 bis zum 30.06.2007 in Höhe von 408,04 € monatlich.
Die Beklagte ging von einem Gesamtbedarf des Klägers in Höhe von 638,27 € aus (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten
für Unterkunft und Heizung in Höhe von 293,27 €) und rechnete als Einkommen des Klägers bis zum 28.02.2007 368,23 € (230,23
€ Rente und 138,00 € sonstiges Einkommen) und ab dem 01.03.2007 230,23 € an.
Am 31.01.2007 teilte die Bundesagentur für Arbeit der Beklagten mit, dass sie dem Kläger an diesem Tag Arbeitslosengeld in
Höhe eines Betrages von 2.786,86 € nachgezahlt habe. Der Kläger verfügte seinerzeit nicht über ein eigenes Konto und hatte
deshalb der Agentur für Arbeit die Bankverbindung von H.-P. mitgeteilt. Der Betrag wurde daraufhin an die Agentur für Arbeit
zurück überwiesen und dem Kläger wunschgemäß zwei Verrechnungsschecks in Höhe von 1.286,86 € und 1.500,00 € ausgestellt. Diese
löste der Kläger am 02.03.2007 ein. Nach Abzug einer Scheckgebühr in Höhe von jeweils 2,10 € wurden ihm 1.497,90 € und 1.284,76
€ gut geschrieben.
Mit Bescheid vom 07.03.2007 hob die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
wegen Wegfalls der Bedürftigkeit des Klägers gemäß den §§ 7 Abs. 1, 8, 9 SGB II und § 48 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit (i.V.m.) §
40 Abs.
1 SGB II und §
330 Abs.
3 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB III) ab dem 01.04.2007 auf. Der nicht begründete Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.05.2007).
Die Beklagte wies darauf hin, dass der Kläger im Dezember 2006 eine Nachzahlung von der AOK in Höhe von 7.319,45 € und im
Februar 2007 von der Agentur für Arbeit in Höhe von 2.786,68 € erhalten habe.
Mit Änderungsbescheid vom 10.05.2007 setzte die Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 01.01.2007 bis zum 28.02.2007 auf
monatlich 299,07 € und für den Monat März 2007 auf 437,07 € fest. Die Beklagte ging nun von einem Gesamtbedarf des Klägers
in Höhe von 667,30 € (Regelleistungen in Höhe von 345,00 € und Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 293,27 €) aus
und rechnete wie bereits im Bescheid vom 22.12.2006 als Einkommen des Klägers bis zum 28.02.2007 368,23 € (230,23 € Rente
und 138,00 € sonstiges Einkommen) und ab dem 01.03.2007 230,23 € an.
Gegen den Aufhebungsbescheid hat der Kläger am 12.06.2007 Klage beim Sozialgericht Koblenz (SG) erhoben.
Durch Urteil vom 04.06.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung, die die Beklagte zu Recht auf § 48 SGB X gestützt habe, sei nicht zu beanstanden. Der Kläger habe ein Einkommen in Höhe von rund 10.000,00 € erzielt, so dass - ausgehend
von einem Gesamtbedarf von 745,00 € monatlich - sein Lebensunterhalt für mehr als sechs Monate sichergestellt gewesen sei.
Gegen das ihm am 11.06.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.07.2007 Berufung eingelegt.
Er trägt im Wesentlichen ergänzend vor:
Weder das nachgezahlte Krankengeld noch das Arbeitslosengeld dürfe im Rahmen der Bedürftigkeit berücksichtigt werden. Die
AOK habe ihm zunächst rechtswidrig die Zahlung von Krankengeld ab dem 11.07.2002 verweigert. Der Beklagten dürfe hieraus kein
Vorteil erwachsen. Andernfalls würde er gegenüber den Versicherten, die rechtmäßig Krankengeld und Arbeitslosengeld erhalten
hätten, benachteiligt werden. Im Übrigen habe er das im Dezember 2006 erhaltene Krankengeld kurze Zeit später bereits ausgegeben,
um alte Schulden zu tilgen. Der gesamte Betrag von 7.319,45 € sei in den ersten drei bis vier Wochen verbraucht gewesen. Auf
den Tag genau könne er das aber nicht mehr sagen. Deshalb habe er im Fortzahlungsantrag vom 21.12.2006 die Krankengeldzahlung
auch nicht angegeben. Zu diesem Zeitpunkt habe er maximal noch über einen Betrag von vielleicht 200,00 € oder 300,00 € verfügt.
Auch das im März erhaltene Arbeitslosengeld habe er schnell verbraucht und damit ebenfalls Schulden beglichen. Im Januar habe
sein Auto repariert werden müssen. Die Reparatur habe ungefähr 1.000,00 € gekostet. Auch diesen Betrag habe er darlehensweise
von H.-P. erhalten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 04.06.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 07.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21.05.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an der getroffenen Entscheidung fest und weist noch einmal darauf hin, dass es unerheblich sei, ob die AOK und die
Agentur der Arbeit dem Kläger zunächst rechtswidrig die ihm schließlich nachgezahlten Leistungen vorenthalten hätten. Entscheidend
komme es insoweit nur darauf an, dass dem Kläger diese Zahlungen während des Leistungsbezugs zugeflossen seien und er mit
ihnen seinen Lebensunterhalt sicherstellen konnte.
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift
vom 27.04.2010 Bezug genommen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitsandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten
(Band I bis III) Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Im Ergebnis hat das SG zu Recht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 07.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 21.05.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte war berechtigt, ihren den Kläger
begünstigenden Bewilligungsbescheid vom 22.12.2006 mit Wirkung ab dem 01.04.2007 zurückzunehmen.
Die Aufhebungsentscheidung kann nicht auf § 48 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr.
1 SGB II und §
330 Abs.
3 Satz 1
SGB III gestützt werden. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) ist das Vorliegen einer wesentlichen Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf der Grundlage eines Vergleichs mit den tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des aufzuhebenden Verwaltungsakts
zu beurteilen (vgl. u. a. BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 32).
Vorliegend war der Bewilligungsbescheid vom 22.12.2006 von Beginn an rechtswidrig, so dass sich seine Rücknahme nach den in
§ 45 SGB X normierten Regeln richtet (vgl. zur Abgrenzung von § 45 SGB X zu § 48 SGB X: BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07).
Der Kläger hat im vorliegenden Fall mit dem Zufluss des Krankengeldes in Höhe von 7.319,45 € am 07.12.2006 Einkommen erzielt.
Das Krankengeld ist als Einnahme zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008, Az.: B 4 AS 70/07 R). Für die Berechnung der SGB II-Leistung ist es ohne Bedeutung, dass es sich bei dem Krankengeld um eine Entgelt- und Sozialleistung
handelt (BSG, aaO.). Dieses ist nach dem sog. Zuflussprinzip auch im Monat Dezember, spätestens aber im Januar 2007 zu berücksichtigen
(§ 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen
beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld - Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung- [Alg II-V] in der bis zum 31.12.2006 geltenden
Fassung vom 22.08.2005).
Unter Berücksichtigung des erhaltenen Krankengeldes in Höhe von 7.319,54 € hatte der Kläger keinen Anspruch auf Alg II. Er
war jedenfalls bei Bescheiderlass in der Zeit vom 01.01.2007 bis 30.06.2007 nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr.
2 SGB II. Mit dem erzielten Einkommen konnte er seinen Lebensunterhalt während dieses Zeitraums sichern. Selbst wenn zu Gunsten
des Klägers davon auszugehen wäre, dass sein monatlicher Bedarf 695,00 € (Regelleistung 345,00 € zuzüglich Kosten der Unterkunft
in maximaler Höhe von 350,00 €) betragen würde und die monatliche Unfallrente in Höhe von 230,23 € nicht als Einkommen anzurechnen
wäre, hätte er mit der Nachzahlung des Krankengeldes - also ohne Einbeziehung des ihm im März 2007 zugeflossenen Arbeitslosengeldes
in Höhe von 2.782,66 € - seinen Lebensunterhalt rund 10 Monate bestreiten können. Eine Verteilung des Einkommens auf diesen
Zeitraum ist gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 Alg II-V in der vom 01.01.2007 bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung vom 21.12.2006 zulässig
(vgl. BSG, Urteil vom 28.10.2009, B 14 AS 55/08 R).
Unerheblich ist, dass der Kläger das Krankengeld entsprechend seinem Vortrag spätestens Anfang Januar 2007 vollständig verbraucht
hatte. Dieser Umstand ist nicht zu berücksichtigen und führt nicht dazu, dass der Bescheid vom 22.12.2006, mit dem ihm die
Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.01.2007 bis zum 28.02.2007 in Höhe von 270,04 €
und vom 01.03.2007 bis zum 30.06.2007 in Höhe von 408,04 € monatlich bewilligt hatte, bei seinem Erlass rechtmäßig gewesen
ist. Die Lebensunterhaltssicherung durch eigene Mittel hat grundsätzlich der Schuldentilgung vorzugehen, so dass Einkommen
zu förderst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen ist (BSG, Urteile vom 16.12.2008,
B 4 AS 70/07 R und 30.09.2008, B 4 AS 29/07 R). § 3 Alg II-V in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung vom 22.08.2005 iVm § 11 Abs. 2 SGB II regelt abschließend, welche
Positionen vom Einkommen in Abzug zu bringen sind. Hierzu gehören Schulden nicht. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Hilfeempfänger
dadurch außerstande setzt, bestehende vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 21.6.2006, L 29 B 314/06). Aus der Subsidiarität der staatlichen Fürsorge folgt, dass diese erst dann eingreifen soll, wenn die Hilfebedürftigen ihnen
zur Verfügung stehende Mittel - für die Sicherung ihres Lebensunterhalts - verbraucht haben (vgl BSG, Urteil vom 15.04.2008
- B 14 AS 27/07 R). Dies hat zur Konsequenz, dass eine nach Antragstellung zugeflossene einmalige Einnahme rechtlich auch über den Zuflussmonat
und den Bewilligungszeitraum hinaus ungeachtet der Tatsache, dass der Hilfebedürftige das Einkommen für seine Schuldentilgung
verbraucht hat, zu berücksichtigendes Einkommen bleibt .
Ohne Belang ist es im Übrigen, dass die AOK dem Kläger erst nachträglich Krankengeld gezahlt hat, nachdem sie hierzu durch
das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz verurteilt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008, aaO.). Entscheidend ist nur,
dass der Kläger Einkommen zu einem Zeitpunkt erzielt hat, in dem er bedürftigkeitsabhängige Leistungen von der Beklagten begehrt
hat.
Die Beklagte ist nach § 45 Abs. 1 SGB X berechtigt gewesen, den Bewilligungsbescheid vom 22.12.2006 teilweise mit Wirkung für die Zukunft ab dem 01.04.2007 zurückzunehmen.
Nach Abs. 1 dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt, der rechtswidrig ist, nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter
den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen
werden. Eine Rücknahme darf nicht erfolgen, soweit der Begünstige auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein
Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition
getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB X u.a. nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in
wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Dies ist nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X der Fall, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden bzw. nicht beachtet wird, was in
jedem Fall einleuchten muss. Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit,
dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Kläger bei Antragstellung am 18.12.2006 zumindest grob fahrlässig nicht angegeben,
dass er zwei Wochen zuvor eine Krankengeldnachzahlung in Höhe von 7.319,54 € erhalten hat.
Der Kläger wäre zu dieser Mitteilung nach §
60 Abs.
1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) verpflichtet gewesen. Danach hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung
erheblich sind. Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen sind im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzung der
Hilfebedürftigkeit i.S.v. § 9 Abs. 1 SGB II für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich erheblich. Durch
die vorherigen Antragstellungen und die Hinweise in den Antragsformularen hat der Kläger Kenntnis davon erlangt, dass er jede
Änderung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beklagten anzeigen muss und der Erhalt einer Krankengeldnachzahlung
in dieser Höhe von der Beklagten als Änderung solcher Verhältnisse gewertet wird. Auf Grund der Würdigung der Persönlichkeit
des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger der Beklagten infolge
grober Fahrlässigkeit die Krankengeldzahlung nicht angegeben hat.
Entscheidend ist hier allein, dass der Kläger bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre in der Lage war, zu erkennen, dass
er den Zufluss von 7.319,45 € anzugeben hatte. Eine rechtliche Subsumtion hinsichtlich dieses Einkommenszuflusses war von
ihm nicht gefordert. Der Kläger hätte wissen müssen und können, dass er der Beklagten den Erhalt des Krankengeldes mitteilen
muss und zwar unabhängig davon, ob er dieses als Zufluss von Einkommen oder von Vermögen gewertet hat und unabhängig davon,
ob er bereits damals beabsichtigte, das erhaltene Geld vollständig für bestimmte Zwecke, nämlich zur Tilgung seiner Schulden,
zu verbrauchen oder ob er zu diesem Zeitpunkt den größten Teil bereits verbraucht hatte. Denn aus den Antragsformularen ergibt
sich eindeutig, dass sich die Mitteilungspflicht sowohl auf eine eingetretene Änderung in den Einkommensverhältnissen als
auch in den Vermögensverhältnissen erstreckt. Der Kläger war nach dem von ihm in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck
auch in der Lage, diese einfachen, unmissverständlichen und ohne Einschränkungen gemachten Hinweise zu verstehen.
Der teilweise aufgehobene Bewilligungsbescheid vom 21.12.2006 beruht auch im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auf den unzutreffenden Angaben des Klägers über seine Einkommensverhältnisse. Die Beklagte hätte dem Kläger Leistungen nicht
bewilligt, wäre ihr der Zufluss des Krankengeldes bekannt gewesen.
Unerheblich ist es insoweit, dass die Beklagte möglicherweise hätte wissen können, dass der Kläger die ihr mit Schreiben der
AOK vom 24.11.2006 angekündigte Nachzahlung bereits vor erneuter Leistungsbewilligung am 21.12.006 erhalten hat. Dem Kläger
obliegt eine eigene Mitteilungspflicht. Ein eventuelles Mitverschulden der Beklagten wäre nur dann zu berücksichtigen, wenn
die Beklagte bei ihrer Entscheidung, den Bewilligungsbescheid zurückzunehmen, Ermessen auszuüben hätte. Dies ist aber nach
§
40 Abs.
1 Nr.
1 SGB II i.V.m. §
330 Abs.
2 SGB III jedenfalls bei Bösgläubigkeit des Betroffenen nicht der Fall (vg. zum Ermessen bei Bösgläubigkeit: BSG, Urteil vom 05.09.2006,
B 7a AL 66/05 R sowie LSG Hamburg, Urteil vom 31.05.2007, L 5 AS 42/06).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Revisionszulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 oder 2
SGG liegen nicht vor.