Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
bei einem Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung
Gründe:
Mit Urteil vom 24.8.2010 hat das LSG Baden-Württemberg den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer
Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf
die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und Verfahrensfehler.
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung vom 7.12.2010 genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht,
weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des §
160 Abs
1 Nr
1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese
Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung
des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine derartige Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht
(§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
(3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung
der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufzeigen (zum Ganzen vgl BSG vom 25.9.2002 - SozR 3-1500 § 160a
Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht ansatzweise.
Die Klägerin meint, es sei von grundsätzlicher Bedeutung, "dass auch die Beurteilung quantitativer Einschränkungen auf nachvollziehbaren
Untersuchungsmethoden und Darlegungen beruhen muss". Zudem bedürfe es höchstrichterlicher Entscheidung, "welche Mindestanforderungen
an Diagnostik und Nachvollziehbarkeit zu stellen sind" und "inwieweit aus dem 'Privatleben' Rückschlüsse auf das 'Arbeitsleben'
zulässig sind und nach welchen Kriterien eine Anamnese zu erfolgen hat, um Willkürlichkeit zu vermeiden".
Damit hat die Klägerin keine grundsätzlichen Rechtsfragen gestellt, sondern angebliche Verstöße gegen §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) gerügt. Diese können aber nicht zum Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde gemacht
werden (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Es würde der Absicht des Gesetzgebers bei Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde zuwiderlaufen, wenn derartige Verstöße
als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung geltend gemacht werden könnten, um auf diese Weise eine Überprüfung des Berufungsurteils
hinsichtlich der Beweiswürdigung zu erreichen (BSG vom 17.12.1992 - 6 BKa 29/91 - Juris RdNr 7; BSG vom 5.2.1980 - 2 BU 31/79 - Juris RdNr 6).
2. Soweit die Klägerin vorträgt, die angefochtene Entscheidung des LSG weiche von der Entscheidung des BSG vom 9.4.2003 (B
5 RJ 36/02 R) ab, hat sie eine Divergenz nicht hinreichend bezeichnet.
Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung
liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt
hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die
Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung
der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf
der Abweichung beruht (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher
abstrakte Rechtssatz in der herangezogenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz
dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das BSG die oberstgerichtliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren
seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (stRspr, vgl zum Ganzen zB BSG vom 25.9.2002 - SozR 3-1500 § 160a Nr 34
S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung noch nicht einmal im Ansatz gerecht. Die Klägerin
versäumt es bereits, einander widersprechende abstrakte Rechtssätze aufzuzeigen.
3. Soweit die Klägerin rügt, das LSG habe zu Unrecht die in der mündlichen Verhandlung beantragte Anhörung des Sachverständigen
Dr. D. abgelehnt, macht sie sinngemäß eine Verletzung ihres Fragerechts nach §
116 Satz 2
SGG, §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §§
397,
402,
411 Abs
4 ZPO und damit ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) geltend. Sie versäumt es aber, den gerügten Verfahrensmangel hinreichend zu bezeichnen.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass unabhängig von der nach §
411 Abs
3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen
anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß §
116 Satz 2
SGG, §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §§
397,
402,
411 Abs
4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich
erachtet (vgl BSG vom 27.1.2007 - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7; BSG vom 24.8.2008 - SozR 4-1500 § 116 Nr 2 RdNr 5; Senatsbeschlüsse
vom 12.12.2006 - B 13 R 427/06 B - Juris RdNr 7; vom 27.8.2009 - B 13 R 185/09 B - Juris RdNr 15; vom 19.11.2009 - B 13 R 247/09 B - Juris RdNr 10; vgl auch BVerfG vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273; BGH vom 7.10.1997 - NJW 1998, 162, 163, jeweils mwN).
Dabei müssen die dem Sachverständigen zu stellenden Fragen nicht formuliert werden. Es reicht vielmehr aus, die erläuterungsbedürftigen
Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (vgl BSG vom 12.4.2000 - SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 5; BSG vom 27.11.2007 - SozR 4-1500
§ 116 Nr 1 RdNr 7), zB auf Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten hinzuweisen. Solche Einwendungen sind dem Gericht rechtzeitig
mitzuteilen (vgl §
411 Abs
4 ZPO). Eine Form für die Befragung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, sodass sie sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen
kann. Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztlich eine Gehörsrüge darstellt, müssen
zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen
zu erreichen (vgl allgemein zu dieser Voraussetzung: Senatsbeschluss vom 20.1.1998 - SozR 3-1500 § 160 Nr 22; vgl auch BSG
vom 19.3.1991 - BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6 f). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig
den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören und er schriftliche Fragen im
oben dargelegten Sinne angekündigt hat, die objektiv sachdienlich sind; liegen diese Voraussetzungen vor, muss das Gericht
dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt (vgl BSG vom 12.4.2005 - SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5). Dies gilt selbst
dann, wenn das Gutachten nach Auffassung des Gerichts ausreichend und überzeugend ist und es keiner Erläuterung bedarf (vgl
BVerfG vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273).
Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich nicht, dass die genannten Voraussetzungen für den von ihr sinngemäß gerügten Verfahrensfehler
der Verletzung des Fragerechts gegeben sind. Auch insoweit erfüllt sie die Bezeichnungspflicht nicht ansatzweise. So lässt
sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen, welche konkreten Punkte im Gutachten des Dr. D. aus Sicht der Klägerin noch
"erläuterungsbedürftig" und ob die beabsichtigten Fragen (und ggf welche) an den Sachverständigen sachdienlich waren.
Soweit die Klägerin schließlich rügt, das LSG habe in der mündlichen Verhandlung zu Unrecht die von ihr beantragte Vernehmung
des Orthopäden Dr. S. abgelehnt und damit sinngemäß eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) geltend gemacht, fehlen schlüssige Ausführungen dazu, warum das LSG - aus seiner materiell-rechtlichen Sicht - dem Antrag
ohne hinreichende Begründung iS von §
160 Abs
2 Nr
3 Teils 3
SGG nicht gefolgt ist (zu den besonderen Darlegungsvoraussetzungen einer Sachaufklärungsrüge s BSG vom 29.3.2007 - SozR 4-1500
§ 160 Nr 13 RdNr 11; BSG vom 19.11.2007 - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG vom 14.4.2009 - SozR 4-1500 § 160 Nr 18 RdNr
8). Ihre schlichte Behauptung, Dr. S. hätte "aus Erfahrung als Behandler nachvollziehbare Angaben zur quantitativen Leistungsfähigkeit
... machen können", weil sich "dies dem Gutachten von Dr. D. nicht entnehmen" ließe, reicht nicht aus. Die Klägerin zeigt
in der Beschwerdebegründung weder auf, welche Gesundheitsstörungen/Diagnosen von Dr. D. einerseits und Dr. S. andererseits
festgestellt worden sind, noch legt sie im Einzelnen dar, ob und inwieweit sich diese auf ihr sozialmedizinisches Leistungsvermögen
unterschiedlich auswirken. Sofern die Klägerin vorträgt, das Gutachten des Dr. D. enthalte "weder objektivierbare Untersuchungen
bezüglich der quantitativen Leistungsfähigkeit noch eine diesbezügliche nachvollziehbare Begründung im Zusammenhang mit den
Auswirkungen der diagnostizierten Erkrankungen hierauf", fehlt eine substantiierte Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens
und der darauf aufbauenden Argumentation des LSG. Dies wäre aber bereits deshalb erforderlich gewesen, weil sich das LSG nach
dem Vorbringen der Klägerin für seine Entscheidungsfindung ua auch auf dieses Gutachten gestützt hat. Die bloße Behauptung,
dass ein bereits vorliegendes Gutachten ungenügend (iS des §
412 Abs
1 ZPO) sei und das LSG sich deshalb (ausnahmsweise) zur weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt sehen müssen, ersetzt nicht die
dafür erforderliche schlüssige Begründung des Beschwerdeführers.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbs 2
SGG).
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und damit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbs 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.