Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Voraussetzungen zum Vorliegen einer Überraschungsentscheidung
Bisheriger Prozessverlauf
Gründe:
I
In dem der Beschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit hat das LSG mit Urteil vom 27.3.2018 einen Anspruch der Klägerin auf
Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen
§
160a Abs
2 S 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Dass die Klägerin das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen
(stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
In der Beschwerdebegründung vom 2.7.2018 wird der gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§
62 SGG; Art
103 Abs
1 GG) durch eine vermeintliche Überraschungsentscheidung nicht hinreichend bezeichnet. Wird - wie hier - eine Nichtzulassungsbeschwerde
darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung
erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen
kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht.
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung der Klägerin schon wegen einer fehlenden Darstellung des entscheidungserheblichen
Sachverhalts nicht. Sogar der Streitgegenstand wird darin allenfalls ungefähr kenntlich gemacht. Der Verfahrensmangel ist
jedoch nur dann formgerecht bezeichnet, wenn das Beschwerdegericht durch die Beschwerdebegründung in die Lage versetzt wird,
allein anhand dieser Begründung darüber zu befinden, ob die angegriffene Entscheidung des LSG auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel
beruhen kann. Es ist nicht Aufgabe des erkennenden Senats, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder dem angegriffenen
Urteil herauszusuchen (vgl BSG Beschluss vom 31.5.2017 - B 5 R 358/16 B - Juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 26.1.2018 - B 13 R 309/14 B - Juris RdNr 3 f).
Zudem hat die Klägerin eine Gehörsverletzung aufgrund einer Überraschungsentscheidung entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG nicht hinreichend schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Eine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor
einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche
Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht. Sie wird weder durch
den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus §
62 SGG bzw Art
103 Abs
1 GG noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§
106 Abs 1 bzw §
112 Abs
2 S 2
SGG) begründet. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung
(vgl BSG Beschluss vom 24.1.2018 - B 13 R 377/15 B - Juris RdNr 19; BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - Juris RdNr 44; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 590 mwN).
Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis
auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf
nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl zB BVerfG [Kammer] Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 - Juris RdNr 18 mwN). Die Rüge des Verfahrensmangels einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet,
wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen
Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt.
Daran fehlt es hier.
Die Klägerin macht nicht deutlich, welche Umstände mehr als eine gewisse Zuversicht in Hinblick auf eine ihr günstige Entscheidung
hätten begründen können. Der Einwand, das LSG sei nicht dem aktuellsten Gutachten gefolgt, reicht zur Darlegung einer Überraschungsentscheidung
ebenfalls nicht aus. Es besteht kein Verfahrensgrundsatz, aufgrund dessen die Klägerin hätte erwarten können, dass das Gericht
der Einschätzung des zuletzt angehörten Gutachters folgen muss (vgl BSG Beschluss vom 14.8.2018 - B 13 R 109/18 B - Juris RdNr 10).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.