Nichtigkeitsklage
Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts als absoluter Revisionsgrund
Konstitutive Wirkung einer Entscheidung
Rechtsfehlerhafte Entscheidung über ein Befangenheitsgesuch
Gründe:
I
Die Klägerin wendet sich mit einer Nichtigkeitsklage gegen das Urteil des SG Dresden vom 9.7.2012 (S 20 AS 1671/10). Das SG hat die Nichtigkeitsklage durch Gerichtsbescheid vom 16.10.2012, der Klägerin zugestellt am 19.10.2012 und bestätigt durch
das Urteil des LSG vom 6.1.2015, abgewiesen. Durch Beschluss vom 16.12.2014 hatte das LSG zuvor im Berufungsverfahren die
Bewilligung von PKH abgelehnt. Im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens gegen den bezeichneten Gerichtsbescheid hat die
Klägerin mit Schreiben vom 3.1.2015 (Samstag), eingegangen beim LSG per Fax am 4.1.2015 (Sonntag), ein Gesuch der Ablehnung
des kompletten Senats des LSG wegen der Besorgnis der Befangenheit gestellt, weil der Senat die mündliche Verhandlung auf
einen Zeitpunkt anberaumt hatte, bevor die Rechtsmittelfrist für eine Beschwerde zum BVerfG gegen den ablehnenden PKH-Beschluss
abgelaufen war. Das LSG hatte am 18.11.2014 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 6.1.2015 bestimmt. Das Ablehnungsgesuch
hat das LSG durch Beschluss vom 5.1.2015 als unzulässig verworfen und den ebenfalls am 4.1.2015 per Fax eingegangenen Antrag
auf Verlegung des Verhandlungstermins abgelehnt. Der Versuch des Gerichts, der Klägerin letzteres am 5.1.2015 per Fax mitzuteilen,
ist fehlgeschlagen. In der mündlichen Verhandlung hat das LSG die Verfahren zu den Aktenzeichen L 3 AS 1352/12, L 3 AS 1423/12, L 3 AS 139/13, L 3 AS 160/13 und L 3 AS 167/13 zur gemeinsamen Verhandlung verbunden und den weiteren Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Verfahren bis zur Entscheidung
des BVerfG abgelehnt. Zur Begründung des die Berufung zurückweisenden Urteils hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, der
Beschluss über das Ablehnungsgesuch sei dem Beklagten am 5.1.2015 bekanntgegeben worden und damit unabänderlich. Der Termin
zur mündlichen Verhandlung habe trotz des Verlegungsantrags der Klägerin durchgeführt werden können, da die Klägerin darauf
hingewiesen worden sei, dass auch in ihrer Abwesenheit verhandelt und entschieden werden könne. Zudem sei der Antrag durch
Entscheidung des Vorsitzenden vom 5.1.2015 abgelehnt worden. Das als Berufung vom LSG gewertete Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid
des SG vom 16.10.2012 sei unbegründet. Das SG habe die Nichtigkeitsklage gegen das Urteil vom 9.7.2012 zu Recht als unzulässig abgewiesen. Der Klägerin habe das Rechtsmittel
der Berufung zur Verfügung gestanden, dessen sie sich trotz Hinweises des SG nicht bedient habe. Auch seien keine Nichtigkeits-, Restitutions- oder Wiederaufnahmegründe ersichtlich.
Für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG beantragt die Klägerin
die Bewilligung von PKH sowie Beiordnung von Rechtsanwalt R (D).
II
Dem Antrag auf PKH kann nicht stattgegeben werden. Nach §
73a SGG iVm §
114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; das ist hier
nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§
73 Abs
4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin erfolgreich zu begründen.
Gemäß §
160 Abs
2 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung
des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht
wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist weder nach dem Vorbringen
der Klägerin noch aufgrund summarischer Prüfung des Streitstoffs und nach Sichtung der Gerichtsakten von SG sowie LSG ersichtlich.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) ist nicht zu erkennen. Sie ist nur dann anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die - über den Einzelfall hinaus
- aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist.
Derartige Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich hier nicht. Soweit die Klägerin auf die beigefügte Verfassungsbeschwerde
an das BVerfG Bezug nimmt, betrifft diese Herrn K und vermag daher keine im Rechtsstreit der Klägerin klärungsfähige Frage
aufzuwerfen.
Die Entscheidung des LSG weicht auch nicht von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG ab, weshalb eine Divergenzrüge keine Aussicht auf Erfolg verspricht (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG). Divergenz kommt ausschließlich in Betracht, wenn das LSG einen Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter in der
Lage sein könnte, derartige abweichende Rechtssätze, auf denen die Entscheidung beruht, zu benennen.
Schließlich ist nicht erkennbar, dass ein beim BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter einen Verfahrensmangel geltend machen könnte, auf dem die angefochtene Entscheidung
des LSG beruhen kann (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG).
Auf eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Senats des LSG iS des §
202 SGG iVm §
547 Nr 3
ZPO wegen der Besorgnis der Befangenheit der an der Entscheidung beteiligten Berufsrichter des Senats könnte ein Prozessbevollmächtigter
der Klägerin seine Beschwerde nicht stützen. Als absoluter Revisionsgrund kommt dies nur dann zum Tragen, wenn die mitwirkenden
Richter erfolgreich wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden sind (vgl BGH vom 5.12.1980 - V ZR 16/80 - juris RdNr
13 unter Hinweis auf §
579 Abs
1 Nr
1 und
3 ZPO). Insoweit ist die Entscheidung des Gerichts konstitutiv; erst die Entscheidung hierüber führt zum Ausschluss der Richter
von der Mitwirkung bei einer Entscheidung. Ob eine Besorgnis der Befangenheit zu bejahen ist, hängt von vielfältigen Wertungen
und damit von subjektiven Elementen ab. Daher bedarf die Entscheidung über die Befangenheit eines Richters eines Anstoßes
desjenigen, der sich durch die eine Besorgnis begründenden Vorgänge unmittelbar betroffen fühlt (vgl BGH vom 8.2.2001 - III ZR 45/00 - juris RdNr 8). Die Entscheidung über dieses Gesuch ist im Falle der Annahme von Missbräuchlichkeit von dem Senat des LSG,
dem die vom Gesuch betroffenen Richter angehören bzw ansonsten von einem anderen Senat desselben Gerichts und nicht vom BSG zu treffen (BSG vom 10.12.2010 - B 4 AS 97/10 B - RdNr 9). Insoweit wäre das BSG auch gehindert, in einem Revisionsverfahren über die Besorgnis der Befangenheit eines Richters der Vorinstanz zu befinden.
Das Revisionsgericht ist im Hinblick auf §
557 Abs
2 ZPO (iVm §
202 SGG) an Entscheidungen, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, gebunden, sofern sie unanfechtbar sind. Dies gilt grundsätzlich
auch für Entscheidungen der Vorinstanz, die ein Ablehnungsgesuch unter fehlerhafter Anwendung einfachen Rechts zurückgewiesen
haben (§§
60,
177 SGG; vgl hierzu entsprechend BVerfG vom 9.1.1971 - 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145, 164, juris RdNr 66 ff).
Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen kann bei einer rechtsfehlerhaften Entscheidung des LSG über das Befangenheitsgesuch ein
absoluter Revisionsgrund iS des §
202 SGG iVm §
547 Nr 1
ZPO angenommen werden. Insoweit kann auch die Mitwirkung eines von einem Befangenheitsgesuch erfolglos betroffenen Richters an
einem Urteil zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Spruchkörpers führen. Es ist hier allerdings nicht erkennbar,
dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter in der Lage sein könnte, einen derartigen Verfahrensfehler mit Erfolg zu begründen.
Denn ein solcher könnte nur dann angenommen werden, wenn der betreffende, die Besorgnis der Befangenheit verneinende Beschluss
der Vorinstanz Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 S 2
GG grundlegend verkannt haben sollte (vgl BSG vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3, SozR 4-1500 § 60 Nr 5, SozR 4-1500 § 160a Nr 20 RdNr 4). Dies ist der Fall, wenn die Zurückweisung
des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen manipulativen Erwägungen beruht, die für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten
Vorgangs bestimmend gewesen sind (vgl BSG vom 5.8.2003 - B 3 P 8/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 1 = SozR 4-1100 Art 101 Nr 1 = SozR 4-1500 § 60 Nr 1, RdNr 9 mwN), oder wenn die Zurückweisung des
Ablehnungsgesuchs darauf hindeutet, dass das Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 S 2
GG grundlegend verkannt hat (vgl BVerfG vom 10.7.1990 - 1 BvR 984/87, 1 BvR 985/87, BVerfGE 82, 286, 299). Das ist hier nicht der Fall, denn das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass unter Berücksichtigung des Vorbringens
der Klägerin zur Begründung des Ablehnungsgesuchs dieses offensichtlich dazu diene, das Verfahren zu verschleppen, insbesondere
die Durchführung des anberaumten Termins vom 6.1.2015 zu verhindern und dass die Ablehnung sämtlicher Richter des 3. Senats
substanzlos sei, weil sie einer konkreten Begründung entbehre.
Ein Prozessbevollmächtigter der Klägerin könnte auch nicht mit dem Vorbringen durchdringen, dass sie zum Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung noch keine Kenntnis von der aus ihrer Sicht negativen Bescheidung des Gesuchs über die Besorgnis der Befangenheit
gehabt habe, sodass sie in ihrem rechtlichen Gehör iS des Art
103 GG, §
62 SGG verletzt worden sei, weil am 6.1.2015 eine mündliche Verhandlung unter Beteiligung der abgelehnten Richter durchgeführt worden
sei. Ausweislich der Gerichtsakte ist dem LSG erst am Tag vor der mündlichen Verhandlung (Montag, den 5.1.2015) das Ablehnungsgesuch
zur Kenntnis gelangt. Die Klägerin hat es erst am Sonntag (den 4.1.2015) vor der für Dienstag, den 6.1.2015, anberaumten Verhandlung
per Fax an das Gericht übersandt. Das LSG hat sodann am 5.1.2015, also vor der anberaumten mündlichen Verhandlung darüber
durch Beschluss der Berufsrichter des 3. Senats befunden. Ausweislich der Gerichtsakte war die per einfachen Brief am selben
Tag erfolgte Übersendung vorab per Fax nur an den Beklagten, nicht jedoch an die Klägerin möglich. Die Faxübermittlung an
sie ist fehlgeschlagen. Die Klägerin konnte jedoch nicht darauf vertrauen, dass das LSG ihrem Befangenheitsgesuch, verknüpft
mit einem Verlegungsantrag, folgen würde. Es hätte hier der Klägerin oblegen, angesichts der Kurzfristigkeit des Gesuchs,
zudem an einem Sonntag beim Gericht eingegangen, mit nur einem weiteren Werktag vor der bereits im November 2014 für Dienstag,
den 6.1.2015 anberaumten Verhandlung sowie der Ablehnung der beantragten PKH durch Beschluss vom 16.12.2014 sich kundig zu
machen, ob ihr Gesuch und damit verbunden der Antrag auf Terminverlegung erfolgreich waren. Im Gegenzug zu den prozessualen
Fürsorgepflichten des Gerichts ist es Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer seinerseits
alles ihm Obliegende getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG vom 5.10.1998 - B 13 RJ 285/97 B - und 1.3.2004 - B 9 V 58/03 B - unveröffentlicht; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, Kommentar, 10. Aufl 2014, §
62 RdNr 11c).
Die beanstandete Verhandlung durch das LSG trotz des Verlegungs- bzw Vertagungsantrags bietet ebenfalls keinen Anhalt für
eine Gehörsverletzung. Denn erhebliche Gründe für die beantragte Verlegung bzw Vertagung der mündlichen Verhandlung (§
202 SGG iVm §
227 ZPO) sind nicht ersichtlich. Die Klägerin benennt insoweit die Aussetzung des Rechtsstreits zur Durchführung des Verfahrens der
Verfassungsbeschwerde gegen den ablehnenden PKH-Beschluss vom 16.12.2014 vor dem BVerfG. Insoweit gilt jedoch nichts anderes
als bereits zuvor zur Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs ausgeführt. Die Klägerin
konnte angesichts des von ihr letztlich erst einen Tag vor der anberaumten Verhandlung angebrachten Verlegungsantrags nicht
darauf vertrauen, dass das LSG ihrem Verlegungsantrag folgen würde, zumal sie lediglich Rechtsgründe für die Verlegung des
Termins angegeben hatte. Es wird auf die vorangegangenen Ausführungen verwiesen.