Keine Zuerkennung von Kindererziehungszeiten für beide Elternteile bei gemeinsamer Erziehung des Kindes
Keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen von Verfassungs wegen
Gründe:
Mit Urteil vom 10.1.2019 hat das Thüringer LSG einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der Zeit vom 27.6.2014 bis 26.8.2014
als Kindererziehungszeit und Berücksichtigungszeit verneint. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, dass die Zeit nach
den gesetzlichen Regelungen der Beigeladenen als Kindesmutter zuzuordnen sei. Eine gleichzeitige Feststellung dieser Zeit
auch zugunsten des Klägers als Kindesvater sei versicherungsrechtlich trotz der gemeinsamen Erziehung des Kindes durch beide
Elternteile nicht möglich.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen
der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung
erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger vertritt die Rechtsansicht, dass die Regelung, nach der die Kindererziehungszeiten nur einem Elternteil zugeordnet
würden, auch wenn beide Elternteile gemeinsam die elterliche Sorge wahrnähmen, gegen Art
3 GG verstoße, der eine gleichberechtigte Berücksichtigung der Elternerziehungszeiten grundsätzlich vorgebe, und auch Art
6 Abs
2 GG widerspreche. Nach dem Verständnis des Senats wirft der Kläger damit die Frage auf, ob §
56 Abs
2 S 2
SGB VI, nach dem die Erziehungszeit bei gemeinsamer Erziehung des Kindes durch mehrere Elternteile nur einem Elternteil zugeordnet
wird, mit Art
3 Abs
1 GG und Art
6 Abs
2 GG vereinbar sei.
Der Kläger hat allerdings deren Klärungsbedürftigkeit nicht schlüssig dargetan.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus
dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann
anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine
oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde
als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine höchstrichterliche
Entscheidung gefällt worden oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher
Bedeutung noch nicht beantwortet ist (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap
IX RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es. Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht mit den einschlägigen verfassungsrechtlichen Entscheidungen auseinander.
Soweit mit der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfassungsverstoß geltend gemacht wird, muss der Beschwerdeführer unter Auswertung
der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu der gerügten Verfassungsnorm und der ihr zugrunde liegenden Prinzipien und Grundsätze in substantieller Argumentation
darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Entsprechender substantiierter Vortrag fehlt
hier.
Insbesondere geht der Kläger nicht auf den Beschluss des BVerfG vom 7.2.2012 (1 BvL 14/07 - BVerfGE 130, 240 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1, Juris) ein. In dieser Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt, dass sich aus der in Art
6 Abs
1 und
2 GG normierten Schutz- und Förderpflicht zwar die Aufgabe des Staates ergebe, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern
durch geeignete wirtschaftliche Maßnahmen zu unterstützen und zu fördern. Konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen
ließen sich aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebot, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern zu unterstützen,
jedoch nicht herleiten (BVerfG aaO, Juris RdNr 38 mit Verweis auf BVerfGE 82, 60, 81 f; 87, 1, 36; 107, 205, 213; 110, 412, 445). Warum sich angesichts dieser Rechtsprechung aus Art
6 Abs
2 GG die Verpflichtung des Staates ergeben soll, beiden Elternteilen bei gemeinsamer Erziehung des Kindes einen Anspruch auf Zuerkennung
der Kindererziehungszeit in vollem Umfang einzuräumen, legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
Ebenso wenig geht der Kläger schlüssig auf die Rechtsprechung des BVerfG zu Art
3 Abs
1 GG ein. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG (vgl nur Beschluss vom 21.11.2001 - 1 BvL 19/93 ua - BVerfGE 104, 126 = SozR 3-8570 § 11 Nr 5, Juris RdNr 56), auf die die Beschwerdebegründung selbst hinweist, gebietet Art
3 Abs
1 GG, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt.
Der Gleichheitsgrundsatz will vielmehr ausschließen, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten
anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass
sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.
Der Kläger zeigt schon nicht auf, im Verhältnis zu welcher Gruppe von Normadressaten er anders behandelt wird. Die von ihm
sinngemäß benannte Gruppe der Kindesmütter erfährt durch §
56 Abs
2 S 2
SGB VI keine andere Behandlung als die der Kindesväter. Bestimmen die Eltern bei gemeinsamer Erziehung durch übereinstimmende Erklärung,
dass dem Kindesvater die Erziehungszeit zuzuordnen ist (§
56 Abs
2 S 3
SGB VI), erhält er die Zeit zuerkannt. Der Kindesmutter wird in diesem Fall nach der Regelung des §
56 Abs
2 S 2
SGB VI trotz geleisteter Erziehung keine Kindererziehungszeit zugeordnet, ebenso wie der Kindesvater trotz gemeinsamer Erziehung
keine Kindererziehungszeit erhält, wenn beide Elternteile übereinstimmend erklären, dass die Zeit der Kindesmutter zugeordnet
werden soll.
2. Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des
LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die
Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene
Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung
erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil
des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die
oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum
Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht gerecht.
Der Kläger rügt eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung von dem Urteil des BSG vom 10.10.2018 (B 13 R 20/15 R [richtig: B 13 R 20/16 R] - Juris RdNr 29, auch zu Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 56 Nr 9 vorgesehen), soweit dieses die Grundsätze des Gleichbehandlungsgebots aus Art
3 Abs
1 GG im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG darstellt.
Der Kläger hat bereits keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses dem genannten Urteil
des BSG widersprochen habe. Der Kläger sieht einen Widerspruch darin, dass in seinem Fall keine Rechts- und Sachgründe für eine unterschiedliche
Behandlung der Beigeladenen als Kindesmutter und ihm als Kindesvater im Hinblick auf die Zuordnung der Kindererziehungszeit
bestünden, weil beide das Kind gemeinsam erzogen hätten. Damit macht der Kläger lediglich geltend, das LSG habe die Grundsätze
des Gleichbehandlungsgebots falsch angewendet. Eine Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt jedoch nicht schon dann vor, wenn das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz vermeintlich falsch angewendet
hat. Die Bezeichnung einer Abweichung im Sinne der Norm setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das Berufungsgericht die
höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil in Frage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche
Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich missverstanden oder verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). Dass das LSG die vom BVerfG aufgestellten Grundsätze des Gleichbehandlungsgebots iS von Art
3 Abs
1 GG in Frage gestellt und abweichende eigene Maßstäbe entwickelt hat, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG.