Mehrlingszuschlag im Elterngeldrecht
Voraussetzungen für eine Stichtagsregelung
Sachlich vertretbarer Zeitpunkt
Gründe:
I
Die Kläger begehren in der Hauptsache höheres Elterngeld für ihre am 1.4.2015 geborenen Zwillinge. Die Beklagte gewährte der
Klägerin zu 1. für den 1. bis 3. Lebensmonat der Zwillinge Elterngeld in Höhe von 600 Euro und dem Kläger zu 2. für den 4.
bis 14. Lebensmonat der Zwillinge Elterngeld in Höhe von 1928,35 Euro, wobei jeweils ein Mehrlingszuschlag in Höhe von 300
Euro monatlich berücksichtigt wurde (Bescheide vom 4.6.2015 und 16.9.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.2.2016).
Das SG hat die Klagen auf höheres Elterngeld wegen der Zwillingsgeburt abgewiesen (Urteil vom 30.8.2017). Das LSG hat die Berufung
zurückgewiesen (Beschluss vom 29.10.2018). Die Beklagte habe das Elterngeld zutreffend berechnet. Unter Bezugnahme auf die
Entscheidungsgründe des SG hat es gegen die Bestimmung des § 1 Abs 1 S 2 BEEG iVm § 2a Abs 4 S 1 BEEG in der ab 1.1.2015 geltenden Fassung des Gesetzes vom 18.12.2014 (BGBl I 2325), wonach bei einer Zwillingsgeburt nur ein
Anspruch auf Elterngeld bestehe und sich das Elterngeld für das zweite Kind lediglich um den Mehrlingszuschlag von 300 Euro
monatlich erhöhe, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung haben die Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie machen ausschließlich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger ist unzulässig. Ihre Begründung vom 6.2.2019 genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen,
weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht ordnungsgemäß dargelegt worden ist (§
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des
Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch
nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher,
um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit
(Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog
Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 6.8.2018 - B 10 EG 5/18 B - Juris RdNr 4 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a. Die Kläger halten folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:
"Ist die Regelung des § 1 Abs. 1 S. 2 BEEG n. F. bei Mehrlingskinder(n), die vor dem 18. Dezember 2014 gezeugt waren und erst nach Änderung des Gesetzes durch das EGPlusG
vom 18. Dezember 2014 zur Welt kamen, unter Berücksichtigung von Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes anwendbar?"
Die Kläger haben die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellung nicht in gebotenem Maße dargetan.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich unmittelbar aus dem
Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen,
wenn das BSG oder das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen
ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam herausgestellten
Rechtsfrage geben. Deshalb muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und des BVerfG zu dem geltend gemachten Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch
keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen oder durch die schon vorliegenden Urteile die gestellte Frage von grundsätzlicher
Bedeutung noch nicht beantwortet ist (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 6.8.2018 - B 10 EG 5/18 B - Juris RdNr 6 mwN). Soweit mit der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verfassungsverstoß geltend gemacht wird, muss der Beschwerdeführer
unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu der gerügten Verfassungsnorm und der ihr zugrunde liegenden Prinzipien und Grundsätze in substantieller Argumentation
darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in
Frage stehenden, einfachgesetzlichen Norm aufgezeigt, die Sachgründe ihrer Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten
Regelung des
GG im Einzelnen dargetan werden. Es ist aufzuzeigen, dass der Gesetzgeber die gesetzlichen Grenzen seines weiten Gestaltungsspielraums
im Elterngeldrecht (s hierzu Senatsurteil vom 21.6.2016 - B 10 EG 8/15 R - BSGE 121, 222 = SozR 4-7837 § 2b Nr 1, RdNr 28; BVerfG [Kammer] Beschluss vom 9.11.2011 - 1 BvR 1853/11 - BVerfGK 19, 186, 189, 193) überschritten und in unzulässiger Weise verletzt hat (vgl BSG Beschluss vom 8.9.2016 - B 9 V 13/16 B - Juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - Juris RdNr 6). Entsprechender substantiierter Beschwerdevortrag fehlt jedoch.
Die Kläger rügen, dass sie bereits zum Zeitpunkt der Zeugung der Kinder eine "hinreichend geschützte Rechtsposition" inne
gehabt hätten und der Gesetzgeber deshalb verpflichtet gewesen wäre, eine daran anknüpfende Übergangsregelung einzuführen.
Sie versäumen es jedoch, sich mit dem Regelungsgehalt der "Übergangsvorschrift" (so die amtliche Überschrift) des § 27 Abs 1 S 1 BEEG in der ab 1.1.2015 geltenden Fassung in gebotenem Maße auseinanderzusetzen. Dort ist geregelt, dass die bisherige Rechtslage
(§ 1 BEEG in der bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung) weiterhin auf alle vor dem 1.1.2015 geborenen oder mit dem Ziel der Adoption
aufgenommenen Kinder anzuwenden ist. Hierzu gehören die am 1.4.2015 geborenen Zwillinge der Kläger nicht. Die Kläger weisen
selbst auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG hin, wonach der Gesetzgeber bei Gesetzesänderungen eine Stichtagsregelung
zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte einführen kann, obwohl jeder Stichtag unvermeidbar gewisse Härten mit sich bringt.
Voraussetzung hierfür ist, dass die Einführung eines Stichtags notwendig ist und dass sich die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen
Sachverhalt orientiert und damit sachlich vertretbar ist (stRspr; zB BVerfG [Kammer] Beschluss vom 20.4.2011 - 1 BvR 1811/08 - Juris RdNr 7 mwN). Die Kläger legen aber gerade vor dem Hintergrund der vorgenannten Entscheidung des BVerfG (zur Verfassungsmäßigkeit
des § 27 Abs 1 BEEG vom 5.12.2006, BGBl I 2748, der ebenfalls nur an das Geburtsdatum des Kindes anknüpfte) nicht hinreichend dar, aus welchem
Grund die in § 27 Abs 1 S 1 BEEG in der ab 1.1.2015 geltenden Fassung vorgenommene zeitliche und sachliche Anknüpfung des Leistungsanspruchs allein an dem
Tag der Geburt nicht (mehr) sachgerecht sein könnte. Nähere Ausführungen hierzu hätten sich schon deshalb aufgedrängt, weil
der Tag der Geburt in aller Regel mit dem Beginn der Lebens- und Erziehungsfähigkeit und des Betreuungsbedarfs eines Kindes
zusammenfällt (so BVerfG [Kammer] Beschluss vom 20.4.2011 aaO). Aus welchem Sachgrund insoweit dennoch maßgeblich auf den
von den Klägern favorisierten Zeitpunkt der Zeugung der Kinder abgestellt werden sollte, zeigen sie in Auseinandersetzung
mit dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Stichtagsregelung im Elterngeldrecht nicht auf.
b. Die Kläger messen zudem folgender Frage grundsätzliche Bedeutung bei:
"Haben Eltern bei einer Mehrlingsgeburt unter Berücksichtigung von Art.
6 GG sowie Art.
3 Abs.
1 GG Anspruch auf höheres Elterngeld, wenn jeweils beide Elternteile für die Betreuung der Kinder die Elternzeit in Anspruch nehmen
und so einen doppelten Einkommensausfall erleiden müssen?"
Der Senat braucht nicht zu erörtern, ob die Kläger die Klärungsbedürftigkeit der formulierten Fragestellung - wie die Beklagte
in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 11.3.2019 verneint - aufgezeigt haben. Denn sie haben deren Klärungsfähigkeit nicht dargetan.
Sie weisen in ihrer Beschwerdebegründung unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zum BEEG (BT-Drucks 16/1889 S 2 und BT-Drucks 16/2454 S 2) darauf hin, dass jeder betreuende Elternteil, der seine Erwerbstätigkeit
unterbricht oder reduziert, einen an seinem individuellen Einkommen orientierten Ausgleich für die finanziellen Einschränkungen
im ersten Lebensjahr des Kindes erhalten soll. Sie haben aber nicht dargelegt, dass die Klägerin zu 1. nach den für den Senat
bindenden Feststellungen des LSG (vgl §
163 SGG) - wie von der Frage unterstellt - überhaupt einen elterngeldrechtlich relevanten "Einkommensausfall" durch die Betreuung
der Kinder habe hinnehmen müssen. Vielmehr hat das Berufungsgericht insoweit festgestellt, dass die Klägerin zu 1. vorgeburtlich
keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Die Kläger tragen nicht vor, ob und inwieweit mangels Einkommenserzielung aus einer
Erwerbstätigkeit im Bemessungszeitraum vor der Geburt der Kinder bei der Klägerin zu 1. überhaupt ein "Einkommensausfall"
eingetreten sein kann, der konkret durch höheres Elterngeld in seiner Funktion als Einkommensersatzleistung (s hierzu BVerfG
[Kammer] Beschluss vom 9.11.2011 - 1 BvR 1853/11 - BVerfGK 19, 186, 191, 192) auszugleichen wäre. Nur dann aber kann der Senat beurteilen, ob sich für das beabsichtigte Revisionsverfahren
entscheidungserheblich die von den Klägern bezeichnete Frage anknüpfend an einen "doppelten Einkommensausfall" überhaupt stellen
kann.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
2. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.