Zulässigkeit der Anfechtungsklage gegen eine Aufrechnung im sozialgerichtlichen Verfahren; Erforderlichkeit der Ausübung von
Ermessen
Tatbestand:
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer von der Beklagten erklärten Aufrechnung.
Der am 1928 geborene Kläger steht seit November 1991 im Rentenbezug bei der Beklagten. Er erhielt auch Zuschüsse zu den Aufwendungen
für die Kranken- und Pflegeversicherung. Ausgehend von Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- bzw. sozialen Pflegeversicherung
seit dem 01.01.2000 forderte die Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 24.02.2003 die entsprechenden Pflichtbeiträge
für die Zeit vom 01.01.2000 bis 31.03.2003 in Höhe von insgesamt 3.972,54 EUR. Mit weiterem, ebenfalls bestandskräftig gewordenem
Bescheid vom 02.04.2003 hob sie für den selben Zeitraum die Bewilligung der Zuschüsse zu den Aufwendungen für die freiwillige
Kranken- bzw. Pflegeversicherung auf und forderte Erstattung überzahlter Zuschüsse in Höhe von 4.052,14 EUR. Nachdem sie auf
den Antrag des Klägers zunächst die Gesamtforderung in Höhe von 8.024,68 EUR wegen der damals vom Kläger geltend gemachten
wirtschaftlichen Schwierigkeiten bis zum 31.03.2007 "niedergeschlagen" hatte (Bescheid vom 01.03.2004), erklärte die Beklagte
nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 25.06.2007 und Wirkung ab 01.08.2007 die Aufrechnung mit monatlich 400,- EUR gegen
die Altersrente des Klägers (Zahlbetrag vor Aufrechnung damals 1.281,99 EUR). Die Auf- bzw. Verrechnung werde nach eingehender
Prüfung für angemessen gehalten. Die Einwände des Klägers könnten nicht berücksichtigt werden, weil aus ihnen der Eintritt
von Hilfebedürftigkeit herzuleiten sei. Die Deutsche Rentenversicherung Bund habe weder ihr Ermessen missbraucht noch die
gesetzlichen Bestimmungen über die Aufrechnung bzw. Verrechnung fehlerhaft angewandt. Den Widerspruch des Klägers, mit dem
er die Höhe seiner Mietzahlungen mit 621,34 EUR monatlich nachwies, wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23.08.2007 zurück.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund habe weder ihr Ermessen missbraucht noch die gesetzlichen Bestimmungen über die Aufrechnung
bzw. Verrechnung fehlerhaft angewandt.
Während des hiergegen am 07.09.2007 beim Sozialgericht Reutlingen eingeleiteten Klageverfahrens hat die Beklagte - nachdem
der Kläger eine Bestätigung der Stadt T. als Grundsicherungsträger über einen Bedarf nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
in Höhe von 79,77 EUR nachgewiesen hatte - mit Bescheid vom 12.10.2007 die "Auf- bzw. Verrechnung" in Abänderung des Bescheides
vom 25.06.2007 auf monatlich 320,- EUR ab 01.09.2007 reduziert.
Mit Gerichtsbescheid vom 23.04.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Aufrechnung lägen
vor, Ermessensfehler seien nicht erkennbar.
Gegen den ihm am 25.04.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26.05.2008 (Montag) Berufung eingelegt. Während
des Berufungsverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 26.05.2009 die "Auf- bzw. Verrechnung" in Abänderung des Bescheides
vom 12.10.2007 ab 01.07.2009 im Hinblick auf einen vom Grundsicherungsträger ermittelten höheren Bedarfssatz auf monatlich
209,24 EUR reduziert.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 23.04.2008 und den Bescheid vom 25.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23.08.2007 sowie den Bescheid vom 12.10.2007 und den Bescheid vom 26.05.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 26.05.2009 abzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz,
die Akten über das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Reutlingen (S 10 R 3524/07 ER) sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 25.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2007 sowie (§
96 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) der während des Klageverfahrens ergangene und den streitigen Bescheid durch Herabsetzung des Aufrechnungsbetrages mit
Wirkung ab dem 01.09.2007 von 400 EUR auf 320 EUR monatlich ändernde Bescheid vom 12.10.2007. Hierüber entscheidet der Senat
im Rahmen der vom Kläger eingelegten Berufung. Ebenfalls Gegenstand des Rechtsstreits geworden (§§
153 Abs.
1,
96 Abs.
1 SGG) ist der während des Berufungsverfahrens ergangene Bescheid vom 26.05.2009, der wiederum den streitgegenständlichen Bescheid
vom 12.10.2007 mit Wirkung ab dem 01.07.2009 geändert hat. Über diesen Bescheid entscheidet der Senat auf Klage. Es geht somit
um die Frage der Rechtmäßigkeit einer Aufrechnung in Höhe von monatlich 400 EUR für den Monat August 2007, in Höhe von 320
EUR ab dem 01.09.2007 und in Höhe von 209,24 EUR für die Zeit ab 01.07.2009.
Diese Berufung des Klägers sowie die Klage gegen den Bescheid vom 26.05.2009 ist zulässig und begründet. Denn die angefochtenen
Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Richtige Klageart ist die reine Anfechtungsklage. Denn die Beklagte hat hier in aller wünschenswerter Deutlichkeit durch Verwaltungsakt
gehandelt. Allein dies bestimmt die richtige Klageart. Insbesondere hängt das Vorliegen eines Verwaltungsaktes nicht von der
Befugnis der Behörde zu seinem Erlass (so auch und ausdrücklich Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 18.09.1997, 11 RAr 85/96 in SozR 3-4100 § 34 Nr. 4), sondern von der Handlungsweise und damit dem Willen der Behörde zur Nutzung dieser Handlungsform
und der diesbezüglichen Auslegung ab, sodass also - wie hier - schon durch die äußere Form (im vorliegenden Fall: Bezeichnung
als "Bescheid", Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung) und ggf. die gestalterische Wirkung (§
95 SGG) des Widerspruchsbescheides (vgl. nur BSG, aaO.: Durch den Widerspruchbescheid kann ein Akt zum Verwaltungsakt werden und
umgekehrt) eine Verwaltungsakt-Qualität anzunehmen ist.
Soweit der 4. Senat des BSG im Urteil vom 24.07.2003 (B 4 RA 60/02 R in SozR 4-1200 § 52 Nr. 1) das Vorliegen eines Verwaltungsaktes im Falle einer bescheidmäßig erklärten Verrechnung i.S.
§
52 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) - insoweit bestehen keine Unterschiede zur hier in Rede stehenden Aufrechnung nach §
51 SGB I - verneint und nur einen derartigen Anschein annimmt, ist dies mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme eines
Verwaltungsaktes nicht zu vereinbaren (Beschluss des 13. Senats des BSG vom 05.02.2009, B 13 R 31/08 R = Anfrage an den 4. Senat gemäß §
41 SGG): Nach § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist "Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles
auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist". Diese Kriterien
sind mit dem Bescheid vom 25.06.2007 erfüllt. Mit der Aufrechnungserklärung (Regelung) wird gegenüber dem Kläger (Einzelfall)
eine unmittelbare Rechtswirkung herbeigeführt, nämlich in Form des Erlöschens (§
389 Bürgerliches Gesetzbuch) seines Rentenzahlungsanspruches in diesem Umfang. Da der öffentlich-rechtliche und bereits bescheidmäßig von der Beklagten
geregelte Rentenanspruch des Klägers betroffen ist und §
51 SGB I eine Regelung des öffentlichen Rechts darstellt, handelt die Beklagte auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, und zwar einseitig
im Rahmen des hoheitlich ausgestalteten Sozialversicherungsverhältnisses zum Kläger und auf der Grundlage des §
51 SGB I.
Mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide steht dann fest, dass die aufgerechneten Beträge auf Grund der Rentenbewilligung
an den Kläger auszuzahlen sind. Entgegen der Rechtsauffassung des 4. Senats des BSG im genannten Urteil vom 24.07.2003 bleibt
die Aufrechnungserklärung durch die Aufhebung des Bescheides nicht unangetastet. Denn mit der Kassation eines Verwaltungsaktes
wird nicht nur gleichsam der Mantel der Verwaltungsakt-Qualität beseitigt, vielmehr wird die im Verwaltungsakt liegende Regelung
- hier die Aufrechnung - aufgehoben (vgl. z.B. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.06.1987, 8 C 21.86 in BVerwGE 78, 3, 6 letzter Absatz, wonach nur im Falle der Bejahung der Verwaltungsakt-Befugnis eine weitergehende materielle Prüfung stattfindet).
Dem entsprechend bedarf es einer Leistungsklage auf Auszahlung der Rente in Höhe der erklärten Aufrechnung nicht, diese wäre
unzulässig (a.A. BSG, aaO.).
Im Ergebnis ist der Bescheid vom 25.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2007 somit - formal wie inhaltlich
- als Verwaltungsakt zu qualifizieren. Nichts anderes gilt dann für den Bescheid vom 12.10.2007 und jenen vom 26.05.2009 über
die Herabsetzung des Aufrechnungsbetrages.
Die angefochtenen Bescheide sind nicht bereits deswegen - als so genannte "formelle Verwaltungsakte" - rechtswidrig und aufzuheben,
weil die durch sie ausgesprochene Aufrechnungserklärung nicht hätte als Verwaltungsakt ergehen dürfen (so aber BSG, aaO.).
Denn mit den streitigen Verwaltungsakten hat die Beklagte die richtige Handlungsform gewählt (so die ebenfalls bereits erwähnte
Entscheidung des 13. Senats des BSG vom 05.02.2009). Die Befugnis, die Aufrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären, ergibt
sich zum einen aus dem Umstand, dass §
51 SGB I eine Regelung des öffentlichen Rechts darstellt und die Aufrechnung hier gerade den öffentlich-rechtlichen, bescheidmäßig
von der Beklagten geregelten Rentenanspruch des Klägers betrifft. Zum anderen folgt aus § 24 Abs. 2 Nr. 7 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) über Ausnahmen von der Pflicht zur Anhörung vor Erlass eines Verwaltungsaktes bei Auf- bzw. Verrechnungen in bestimmter
Höhe, dass der Gesetzgeber in einer solchen Erklärung einen Verwaltungsakt sieht. Der Senat schließt sich damit der Rechtsauffassung
der Beklagten und vor allem des 13. Senats des BSG - auch hinsichtlich der Begründung - im Beschluss vom 05.02.2009 an (im
Ergebnis ebenso schon BSG, Urteil vom 10.12.2003, B 5 RJ 18/03 R in SozR 4-1200 § 52 Nr. 2, wenn dort zwar die Frage taktisch-formal als offen bleibend erklärt wird, zugleich aber die
dort bescheidmäßig erklärte Verrechnung unangetastet bleibt).
Die Prüfung der in §
51 SGB I geregelten Voraussetzungen erübrigt sich, weil sich die Bescheide jedenfalls als ermessensfehlerhaft erweisen.
Die Aufrechnung ist an das pflichtgemäße Ermessen des Leistungsträgers gebunden. Auch insoweit folgt der Senat der Rechtsauffassung
der Beklagten und dem bereits erwähnten Beschluss des BSG vom 05.02.2009 und nicht der Rechtsauffassung des BSG im genannten
Urteil vom 24.07.2003 (nur so genanntes Kompetenz-Kann). Für die Annahme, die Erklärung einer Aufrechnung erfordere die Ausübung
von Ermessen, spricht nicht nur die bereits dargelegte Verwaltungsakt-Qualität der Aufrechnungserklärung im Zusammenhang mit
der Verwendung des Wortes "kann" in §
51 Abs
1 Halbsatz 1, Abs
2 Halbsatz 1
SGB I, das üblicherweise auf Ermessen hindeutet, sondern auch das Bedürfnis, dem Leistungsträger mit der Einräumung von Ermessen
eine breite Handlungsmöglichkeit hinsichtlich des Ob und des Umfangs einer Aufrechnung zu ermöglichen, um so die Besonderheiten
des einzelnen Falles und insbesondere die wirtschaftliche Situation der Leistungsempfänger zu berücksichtigen, die regelmäßig
auf diese Leistungen existenziell angewiesen sind.
Das ihr somit eingeräumte Ermessen hat die Beklagte entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens einzuhalten (§
39 Abs
1 Satz 1
SGB I, §
54 Abs
2 Satz 2
SGG). Umgekehrt hat der Kläger einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§
39 Abs
1 Satz 2
SGB I). Mit diesen Anforderungen an das Ermessen korrespondiert § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X, wonach die Begründung eines schriftlichen Verwaltungsaktes, der eine Ermessensentscheidung zum Inhalt hat, "auch" die Gesichtspunkte
erkennen lassen muss, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Andernfalls wäre es dem Gericht
nicht möglich, die in §
54 Abs
2 Satz 2
SGG verlangte Überprüfung vorzunehmen. Ein ohne die gebotene Begründung ergangener schriftlicher Verwaltungsakt ist rechtswidrig
und verletzt den Betroffenen in seinem Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (BSG, Urteil vom 18.04.2000, B 2 U 19/99 R in SozR 3-2700 § 76 Nr. 2). Dies gilt auch dann, wenn die Verwaltung von dem ihr eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht
hat (BSG, aaO.).
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Beklagte bei Erlass der angefochtenen Bescheide überhaupt kein Ermessen ausgeübt
hat oder ihr betätigtes Ermessen in den angefochtenen Bescheiden lediglich nicht begründet hat, da in beiden Fällen dieselben
Rechtsfolgen der Anfechtung eintreten. Die Bescheide sind jedenfalls im Hinblick auf eine Ermessensausübung nicht hinreichend
begründet. Die Begründung einer solchen Entscheidung muss zunächst deutlich machen, dass die Beklagte überhaupt eine Ermessensentscheidung
getroffen hat (BSG, aaO., auch zum Nachfolgenden). Wie bei einer gebundenen Entscheidung (siehe § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X) müssen Ermessensentscheidungen die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe anführen, darüber hinaus ("auch") müssen
sie die Gründe für die darauf beruhende und somit erst daran anschließende Ausübung des Ermessens erkennen lassen. Formelhafte
Wendungen, etwa dass "keine Besonderheiten gegeben" seien oder "hinsichtlich der Umstände nichts Besonderes ersichtlich" bzw.
"nach pflichtgemäßem Ermessen geprüft worden" sei, reichen für die vorgeschriebene Begründung von Ermessensentscheidungen
häufig, jedenfalls wenn mehrere Handlungsalternativen in Betracht kommen, nicht aus, weil bei derartigen "Leerformeln" nicht
nachgeprüft werden kann, ob die Verwaltung von ihrem Ermessen überhaupt und ggf. in einer dem Zweck der ihr erteilten Ermächtigung
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Erforderlich ist vielmehr eine auf den Einzelfall eingehende Darlegung, dass und
welche Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen stattgefunden hat und welchen Erwägungen dabei die tragende Bedeutung
zugekommen ist, damit dem Betroffenen bzw. dem Gericht die Prüfung ermöglicht wird, ob die Ermessensausübung den gesetzlichen
Vorgaben entspricht. Daran mangelt es hier.
Die Ausführungen im Bescheid vom 25.06.2007 enthalten keinen eindeutigen Hinweis darauf, dass die Beklagte überhaupt von dem
ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht hat. Zwar wird im Eingang der Begründung ausgeführt, "die Auf- bzw. Verrechnung
wird nach eingehender Prüfung für angemessen gehalten". Die Ausführungen in diesem Bescheid lassen indes nicht erkennen, dass
und in welcher Weise hier das Für und Wider hinsichtlich des "Ob" oder gar hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung erwogen worden
wäre. Insbesondere fehlt eine Darstellung, welchen Inhalts die behauptete eingehende Prüfung gewesen sein soll. Vielmehr deutet
diese Pauschalität und vor allem die Nutzbarkeit dieser Textpassage nicht nur für die in Rede stehende Aufrechnung, sondern
auch für Verrechnungen auf einen Textbaustein hin, der gerade als für eine Vielzahl von Fällen gedachte Leerformel Verwendung
finden soll und vorliegend auch so verwendet wurde. Gleiches gilt für die im Nachfolgenden aufgestellte Behauptung, "die deutsche
Rentenversicherung Bund hat weder ihr Ermessen missbraucht noch die gesetzlichen Bestimmungen über die Aufrechnung bzw. Verrechnung
fehlerhaft angewandt", die sich ohnehin eher für den Beginn einer Darstellung über die Überprüfung bereits ausgeübten Ermessens
eignet und sich denn auch wortgleich im Widerspruchsbescheid findet.
Soweit im Bescheid vom 25.06.2007 aufgeführt wird, die Einwände des Klägers könnten nicht berücksichtigt werden, "weil aus
Ihnen der Eintritt von Hilfebedürftigkeit ... herzuleiten ist", ist dies unverständlich: Wenn Eintritt von Hilfebedürftigkeit
herzuleiten war - so der Wortlaut -, bleibt die Beklagte jede Erklärung schuldig, warum dann die Einwände nicht berücksichtigt
werden konnten, und zwar nicht im Rahmen des Ermessens, sondern weil insoweit nach §
51 Abs.
2 SGB I eine Aufrechnung ausgeschlossen ist. Sollte in der Textpassage - sinnverkehrend - das Wort "nicht" fehlen, sie also dahin
zu verstehen sein, Hilfebedürftigkeit sei nicht herzuleiten, deutet dies auf eine (unzutreffende) Rechtsauffassung der Beklagten
hin, wonach nur Einwände im Hinblick auf Hilfebedürftigkeit relevant seien. Damit würde verkannt, dass erst bei Nichteintritt
von Hilfebedürftigkeit eine Aufrechung überhaupt zulässig ist und erst dann - wenn diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen
vorliegen - Ermessen auszuüben ist. Im Ergebnis führt die so dokumentierte Fehlsicht der Beklagten dazu, dass sie mit dem
Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen einer Aufrechnung ohne weiteres zu der entsprechenden Aufrechnungserklärung gelangt.
Ermessen wird so gerade nicht ausgeübt.
Nichts anderes gilt für die von der Beklagten in dem Widerspruchsbescheid vom 23.08.2007 benutzte Wendung "die deutsche Rentenversicherung
Bund hat weder ihr Ermessen missbraucht noch die gesetzlichen Bestimmungen über die Aufrechnung bzw. Verrechnung fehlerhaft
angewandt". Auch hier ist nicht erkennbar, dass und auf Grund welcher den Einzelfall betreffenden Erwägungen hier Ermessen
betätigt worden wäre. Vielmehr bestätigt sich durch die Identität dieser Textpassage mit jener im Bescheid vom 25.06.2007
die Annahme einer textbausteinmäßig verwendeten Leerformel. Es ist somit noch nicht einmal erkennbar, dass die Beklagte das
Vorbringen des Klägers im Widerspruch überhaupt zur Kenntnis nahm. Dabei hätte aller Anlass bestanden, unter Berücksichtigung
dieses Vorbringens die behauptete Ermessensentscheidung ausführlich zu begründen. Immerhin handelt es sich bei der in Rede
stehenden Altersrente des Klägers um eine der Existenzsicherung dienende Sozialleistung und die vom Gesetzgeber aufgestellten
Tatbestandvoraussetzungen regeln lediglich die Obergrenze der zulässigen Antastbarkeit, sodass im Übrigen - eben weil Ermessen
auszuüben ist - die tatsächlichen Lebensumstände zu berücksichtigen sind. Dies hat die Beklagte nicht getan. Dabei hätte sie
in jedem Falle den Umstand in ihre Erwägungen einstellen müssen, dass der Kläger allein schon Mietkosten in Höhe von monatlich
621,34 EUR nachgewiesen hatte und ihm somit - ausgehend von der damals erklärten Aufrechnung mit einem Restzahlungsbetrag
von monatlich 881,99 EUR - nur 260,56 EUR monatlich zur Bestreitung seines übrigen Lebensunterhalts verblieben, dies im Alter
von nahezu 80 Jahren und mit einer im Pflegeheim lebenden Ehefrau.
Auch die nach §
96 Abs.
1 SGG zum Gegenstand des Klage- bzw. Berufungsverfahrens gewordenen Bescheide vom 12.10.2007 und 26.05.2009 führen zu keinem anderen
Ergebnis. Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte lediglich dem Umstand Rechnung getragen, dass der Kläger eine entsprechende
teilweise Hilfebedürftigkeit nachgewiesen hat. Ermessenserwägungen finden sich in diesen Bescheiden nicht, das Wort Ermessen
wird nicht einmal erwähnt. Schon deshalb sind diese Bescheide rechtswidrig. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass durch
die Berechnungen des Grundsicherungsträgers, denen die Beklagte mit den Bescheiden vom 12.10.2007 und 26.05.2009 Rechnung
getragen hat, die monatliche Mietschuld des Klägers berücksichtigt wurde. Zum einen wurde damit nur einem Aspekt, nicht aber
den gesamten Lebensumständen des Klägers Rechnung getragen, zum anderen hatte der Kläger bis zum Erlass dieser Bescheide weitere
Aufwendungen für seinen Lebensunterhalt dargelegt (vgl. nur die Aufstellung im Rahmen des Verfahrens S 10 R 3524/07 ER), die im Rahmen dieser weiteren Entscheidungen der Beklagten ohne Berücksichtigung geblieben sind und schließlich ist
- wie bereits dargelegt - ohnehin nicht erkennbar, dass überhaupt Ermessenserwägungen angestellt worden sind.
Die Voraussetzungen des § 35 Abs 2 SGB X, bei deren Vorliegen ausnahmsweise auf eine Begründung verzichtet werden kann, liegen nicht vor. Danach bedarf es einer Begründung
- außer in anderen, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen - nicht, soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt
bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder
auch ohne schriftliche Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist (Nr. 2 aaO.). Dem Kläger war zwar durch die erfolgte
Anhörung bekannt, dass die Beklagte in Höhe von 400 EUR die Aufrechnung beabsichtigte. Welche Umstände die Beklagte bewogen,
gerade mit einem Betrag in dieser Höhe aufzurechnen, ergibt sich weder aus dieser Anhörung noch aus sonstigen Umständen. Nichts
anderes gilt hinsichtlich der späteren Änderungsbescheide.
Ermöglicht somit die von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden gegebene "Begründung" weder dem Kläger noch dem Gericht
die Prüfung, ob und welche Erwägungen die Beklagte angestellt hat, genügen die Bescheide insoweit nicht dem gesetzlichen Begründungszwang.
Da die nicht ordnungsgemäße Begründung einer Ermessensentscheidung deren Rechtswidrigkeit bewirkt, sind die angefochtenen
Bescheide schon aus diesem Grunde aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision ist gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG zuzulassen, weil der Senat von der mehrmals erwähnten Entscheidung des 4. Senats des BSG abweicht.