Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Kein Rechtsschutzbedürfnis bei unmittelbarer Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ohne Antragstellung beim Leistungsträger
Gründe
1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig.
2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist aber unbegründet. Das Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem die Antragstellerin die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - wohl ab Antragstellung beim SG am 28. Mai 2019 - begehrt, zu Recht abgelehnt.
a) Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch),
das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere,
unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der
Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich
sind. Dabei haben sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache zu
orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13. April 2010 - 1 BvR 216/07 - juris Rdnr. 64; BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 - 1 BvR 1453/12 - juris Rdnr. 9). Eine Folgenabwägung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn eine Prüfung der materiellen Rechtslage nicht
möglich ist (BVerfG, Beschluss vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 - juris Rdnr. 20; Beschluss des Senats vom 31. Juli 2017 - L 7 SO 2557/17 ER-B - juris Rdnr. 21; Beschluss des Senats vom
22. Dezember 2017 - L 7 SO 4253/17 ER-B - juris Rdnr. 3; Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 - L 7 SO 4027/18 ER-B -
juris Rdnr. 19).
b) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig.
aa) Wie für jede Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes bedarf es eines Rechtsschutzbedürfnisses auch für einen zulässigen
Antrag nach §
86b Abs.
2 SGG (siehe statt vieler nur Landessozialgericht [LSG] Sachsen, Beschluss vom 17. Dezember 2015 - L 3 AS 710/15 B ER - juris Rdnr. 34 f.); dies ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2009 - 1 BvR 2442/09 - juris Rdnr. 3 - BVerfGK 16, 347 [348]). Der Antragsteller muss durch die erstrebte gerichtliche Entscheidung einen rechtlichen
oder tatsächlichen Vorteil erlangen können, den er ohne gerichtliche Hilfe nicht erlangen könnte (LSG Sachsen, Beschluss vom
17. Dezember 2015 - L 3 AS 710/15 B ER - juris Rdnr. 35 m.w.N.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
86b Rdnr. 7a). Das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses ist - wie alle Zulässigkeitsvoraussetzungen - von Amts wegen zu prüfen.
Am Rechtsschutzbedürfnis fehlt es grundsätzlich, wenn der Rechtsschutzsuchende sich nicht zuvor an die Behörde gewandt hat
(LSG Bayern, Beschluss vom 14. Juni 2016 - L 15 SB 97/16 B ER - juris Rdnr. 13; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Januar 2012 - L 12 AS 1773/11 B ER - juris Rdnr. 18; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. April 2018 - L 23 AY 6/18 B ER - juris Rdnr. 8; Keller in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
86b Rn. 26b; Krodel/Feldbaum, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 4. Aufl. 2016, Rdnr. 30; Meßling in Henning,
SGG, §
86b Rdnr. 143 [Dezember 2014]). Es obliegt dem Betroffenen, einen Antrag so rechtzeitig zu stellen, dass er bei Untätigkeit der
Behörde oder einer negativen Entscheidung dann in zulässiger Weise um gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen kann (LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 9. April 2018 - L 23 AY 6/18 B ER - juris Rdnr. 8; vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2009 - 1 BvR 2442/09 - juris Rdnr. 4 - BVerfGK 16, 347 [348]).
bb) Nach diesen Maßstäben fehlt es - wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat - für das Begehren der Antragstellerin schon deswegen am Rechtsschutzbedürfnis, weil sie unmittelbar
gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen hat, ohne sich zuvor an den Antragsgegner zu wenden. Ihr letzter aktenkundiger
Leistungsantrag beim Antragsgegner vom 31. März 2017 ist mit Bescheid vom 24. April 2017 beschieden worden; die Aufhebung
dieses Bescheides durch den Bescheid vom 2. Mai 2017 ist nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2017 bestandskräftig
geworden.
Die Antragstellerin muss deshalb zuerst beim Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen stellen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).