Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Förderung einer Beschäftigung im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte
Menschen
Kein Leistungsausschluss für spanische Staatsangehörige mit Behinderung
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin als spanische Staatsangehörige mit Behinderung auf Grund ihrer Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland von Leistungen der Sozialhilfe - hier Eingliederungshilfe (6. Kapitel SGB XII) in Form der Kostenübernahme für den Besuch des Arbeitsbereichs der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) - ausgeschlossen
ist.
Die im Jahr 1978 in Spanien geborene Klägerin ist spanische Staatsangehörige. Bei ihr besteht eine geistige Behinderung bei
frühkindlicher Hirnschädigung mit Makrozephalus und einem cerebralen Anfallsleiden. Bei ihr ist ein GdB von 100 sowie die
Merkzeichen G, H und B sowie der Pflegegrad 2 festgestellt.
Bereits 1978 zogen die Eltern der Klägerin mit ihr nach Deutschland. Dort besuchte sie von 1987 bis 1997 die M. Schule(Sonderschule)
und arbeitete von 1997 bis 2008 in der WfbM der Lebenshilfe O. e.V. Die Eltern zogen anlässlich ihres Ruhestandes gemeinsam
mit der Klägerin 2008 zurück nach Spanien. Die beiden Schwestern der Klägerin, beide spanische Staatsangehörige, blieben in
Deutschland. In Spanien war die Klägerin bis zuletzt in der Einrichtung M. in C. tätig, die mit einer WfbM vergleichbar ist.
Nach dem Tod der Eltern in Spanien (zuletzt der Vater am 11.2.2017) beschloss eine der beiden Schwestern, A. R. , die Klägerin
zu sich und ihrer Familie nach Deutschland zu holen. Seit 6.3.2017 lebt die Klägerin in der Familie ihrer Schwester A. R.
, die seit 25.7.2017 auch ihre gesetzliche Betreuerin ist.
Am 29.3.2017 schloss die Klägerin mit der ZAW gGmbH (Beigeladene, im Folgenden WfbM) einen Werkstattvertrag über die Beschäftigung
der Klägerin in der WfbM ab 3.4.2017 (Bl. 24 LSG-Akte). Hieraus entstehen monatliche Kosten in Höhe von ca. 1.500 EUR. Mit
Schreiben vom gleichen Datum beantragte die WfbM beim Beklagten Leistungen der Eingliederungshilfe für die Aufnahme der Klägerin
in den Arbeitsbereich der WfbM in B., wo die Klägerin seither vereinbarungsgemäß arbeitet. Zudem beantragte die Klägerin Leistungen
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beim Beklagten.
Mit Bescheiden vom 21.6.2017 lehnte der Beklagte beide Anträge ab. Zum Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe führte
er aus, die Klägerin sei zwar als Unionsbürgerin freizügigkeitsberechtigt, habe aber kein Daueraufenthaltsrecht. Ihr sei,
wie sich aus dem Grundsicherungsantrag ergebe, bei der Einreise im März 2017 bekannt gewesen, dass sie ihren Lebensunterhalt
nicht unabhängig von staatlichen Leistungen werde finanzieren können und bei Aufnahme einer Tätigkeit in einer WfbM auf Eingliederungshilfeleistungen
angewiesen sein werde. Ausländer, die eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, hätten keinen solchen Anspruch. Es könne
davon ausgegangen werden, dass eine Betreuung in Spanien weiterhin hätte sichergestellt werden können und nach einer Rückkehr
nach Spanien dort wieder möglich sei.
Gegen beide Bescheide legte die Klägerin Widerspruch ein, nahm den Widerspruch gegen die Ablehnung der Grundsicherung jedoch
mit Schreiben vom 19.7.2017 zurück. Hinsichtlich der Ablehnung der Eingliederungshilfe wies die Klägerin darauf hin, dass
Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber Ausländern im Ermessenswege erbracht werden könnten, soweit dies im Einzelfall
gerechtfertigt sei (§ 17 Abs. 2 SGB XII). Beim Hinzukommen besonderer Umstände, die es über den Bedarf hinaus gerechtfertigt erscheinen ließen, dass entgegen der
Regel des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII weitergehende Hilfen geleistet werden, sei es ermessensfehlerhaft, den Antrag auf Eingliederungshilfe abzulehnen. Besondere
Umstände seien etwa der aufenthaltsrechtliche Status des Ausländers, sein Alter, die familiäre Situation, die vorliegende
Behinderung, die Ursache für den Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit etc. Weiter trug die Klägerin vor, dass in Spanien
keine Verwandten leben würden, die sie hätten versorgen können. Wegen ihrer erheblichen geistigen Behinderung könne sie nicht
selbstständig leben. Es sei völlig ausgeschlossen gewesen, dass sie nach dem Tod des Vaters in Spanien hätte alleine wohnen
können. Auch eine Unterbringung in einem spanischen Pflegeheim sei ausgeschlossen, da keinerlei Verwandtschaft mehr in Spanien
vorhanden sei. Aus einem neu erstellten Pflegegutachten des MDK - vom 31.5.2017 als Anlage vorgelegt - ergebe sich, dass sie
auf ihre Schwester fixiert sei. Deshalb habe die Einreise nach Deutschland erfolgen müssen. Der Lebensunterhalt sei durch
einen Erbanteil von 1/3 am zuletzt mit den Eltern in Spanien bewohnten Hausanwesen gesichert (Bl. 37 VA).
Mit Widerspruchsbescheid vom 7.8.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 67 VA). Einen Anspruch auf Eingliederungshilfe
für behinderte Menschen hätten Ausländer in der Regel nicht. Diese Leistungen könnten aber im Ermessenswege (§ 17 Abs. 2 SGB XII) erbracht werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt sei (§ 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII). Für eine Rechtfertigung im Einzelfall genüge ein bestehender Bedarf allein nicht, deshalb müssten besondere Umstände hinzukommen,
die es darüber hinaus gerechtfertigt erscheinen ließen, dass entgegen der Regel des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII weitergehende Hilfen geleistet werden. Die Ausführungen der Klägerin zu ihren Lebensumständen in Spanien ließen es nicht
gerechtfertigt erscheinen, dass ihr entgegen der Regel des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII Eingliederungshilfe zu gewähren sei. Es sei nicht ersichtlich, was gegen die Unterbringung der Klägerin in einer betreuten
Wohnmöglichkeit in Spanien spreche. Dort könne sie bei Vorliegen der Sprachverarmung zumindest in ihrer Muttersprache kommunizieren.
Auch seien ihr die Betreuungspersonen in der Einrichtung in Spanien bereits bekannt. Die reine Fixierung der Klägerin auf
ihre Schwester, soweit diese tatsächlich gegeben sein sollte, rechtfertige nicht die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe
entgegen der Regel des § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Auch für Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII würden die Ausschlussgründe nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII (gemeint § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII) gelten. Für die ersten drei Monate des Aufenthalts sei ein Anspruch der Klägerin bereits nach § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII ausgeschlossen. Darüber hinaus sei die Gewährung von Leistungen vorliegend auch nach § 23 Abs. 3 Nr. 4 SGB XII ausgeschlossen, da sie eingereist sei um Sozialleistungen zu erlangen. Unmittelbar nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland habe die Klägerin Sozialhilfe in Form von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Eingliederungshilfe
in Form der Kostenübernahme für den Besuch des Arbeitsbereichs der Werkstatt für behinderte Menschen beantragt. Zwar sei der
Widerspruch gegen die Ablehnung der Grundsicherung zurückgenommen worden, da der Lebensunterhalt über einen Erbanteil gesichert
werden könne. Unbekannt sei jedoch, welchen Wert das Hausgrundstück in Spanien habe und ob daraus derzeit bereite Mittel zur
Deckung des Lebensunterhalts zur Verfügung stünden. Insoweit sei davon auszugehen, dass die Klägerin nicht über ausreichende
Mittel verfüge. Davon abgesehen habe die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung bereits mehrere Jahre in Spanien in einer WfbM-ähnlichen
Einrichtung gearbeitet. Ihr sei bewusst gewesen, dass sie in der Bundesrepublik Deutschland auf eine entsprechende Leistung
angewiesen sein werde. Die zügige Antragstellung zeige auch, dass sie von Anfang an eine entsprechende Leistung in Anspruch
nehmen wollte. Dementsprechend sei klargestellt, dass die Erlangung von Sozialhilfeleistungen neben den aufgeführten Motiven
von prägender Bedeutung für die Einreise nach Deutschland gewesen sei. Es sei ermessensgerecht, dass das Interesse der Klägerin
an der Leistungserbringung hinter dem allgemeinen Interesse daran, dass aus allgemeinen Steuermitteln finanzierte Sozialhilfeleistungen
nur an denjenigen erbracht werden, der auch einen Anspruch darauf habe, zurücktrete.
Dagegen hat die Klägerin am 22.9.2017 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erheben lassen und zur Begründung im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Eine Unterbringung
in einem spanischen Pflegeheim sei ausgeschlossen gewesen, da keinerlei Verwandtschaft mehr in Spanien vorhanden sei. Im Übrigen
seien die vorhandenen Plätze für eine stationäre Unterbringung in der Einrichtung besetzt gewesen ohne Aussicht auf ein Freiwerden.
Der Lebensmittelpunkt der Klägerin sei immer vom Aufenthalt der nächst stehenden Verwandten abhängig gewesen.
Der Beklagte hat an seiner Rechtsauffassung festgehalten und ergänzend ausgeführt, dass der Lebensmittelpunkt der Klägerin
in den letzten neun Jahren Spanien gewesen sei. Es sei unklar, wie da eine starke Fixierung auf die Schwester entstanden sein
solle. Beim zu erwartenden Tod der Eltern wäre eine Reservierung eines Platzes zur stationären Unterbringung in Spanien möglich
gewesen.
Die Schwester und Betreuerin der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 22.3.2018 mitgeteilt, dass die weitere Schwester
in A. lebt, die Klägerin Leistungen der Pflegeversicherung erhält und über ausreichende Mittel zum Leben verfüge.
Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 22.3.2018 unter Aufhebung des Bescheids vom 21.6.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 7.8.2017 verurteilt, der Klägerin Eingliederungshilfe im Arbeitsbereich der WfbM der ZAW gGmbH zu gewähren. Zur Begründung
hat es ausgeführt, es stehe fest, dass die Klägerin, wäre sie deutsche Staatsangehörige, aufgrund ihrer wesentlichen Behinderung
einen Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen zum Besuch des Arbeitsbereichs einer WfbM hätte. Die Klägerin sei als spanische
Staatsangehörige nicht von diesen Leistungen ausgeschlossen. Sie habe vielmehr aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens
(EFA) in direkter Verbindung mit §§ 19 Abs. 3, 53, 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, 75 Abs. 3 SGB XII in der bis zum 31.12.2017 gültigen Fassung bzw. §§
56,
58, 219
SGB IX in der aktuell gültigen Fassung Anspruch auf Eingliederungshilfe wie eine deutsche Staatsangehörige. In Art. 1 EFA habe sich
jeder der vertragschließenden Staaten verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen vertragschließenden Staaten, die sich
in irgend einem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende
Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen
der sozialen und Gesundheitsfürsorge ("Fürsorgeleistungen") zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden
Gesetzgebung vorgesehen sind. Die Bundesrepublik Deutschland und Spanien gehörten zu den vertragschließenden Staaten. Die
Leistungen der Eingliederungshilfe fielen unter den Begriff der Fürsorgeleistungen, ohne dass die Bundesregierung einen Vorbehalt
erklärt habe. Die Klägerin halte sich nach § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU erlaubt in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie
verfüge, wie sich aus der Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung nach deutschem Recht ergebe, über einen ausreichenden
Krankenversicherungsschutz und nach den Angaben der Schwester der Klägerin über ausreichende Existenzmittel. Auch nach § 36 Abs. 2 AufenthG erachte es das SG als ausgeschlossen, dass der aktuelle Aufenthalt der Klägerin in Deutschland als unerlaubt anzusehen sei und eine Ausweisung
der Klägerin erfolgen könne. Dies ergebe sich aus der Biografie der Klägerin mit einer vom ersten Lebensjahr bis in das Jahr
2008 vollständigen Integration in der Bundesrepublik Deutschland, einem letztlich behinderungsbedingten Aufenthalt der Klägerin
in Spanien von 2008 bis 2017 und einer ebenso letztlich behinderungsbedingten Rückkehr nach Deutschland. Die Umstände der
Einreise der Klägerin schlössen die Anwendung des EFA nicht aus. Der Ausschlussgrund des §§ 23 Abs. 3 Nr. 4 SGB XII gelte zwar entsprechend, die Klägerin sei im März 2017 jedoch nicht nach Deutschland eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen.
Eine so genannte "Um-zu-Einreise" setze einen finalen Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme
von Sozialhilfe voraus. Das Motiv, Sozialhilfe zu erlangen, müsse für den Ausländer so wichtig gewesen sein, dass er ansonsten
nicht eingereist wäre. Als vorrangiges anderes Motiv komme eine Gefährdung von Leib und Leben oder der Wille, mit den Eltern
zusammen zu leben, oder in die vertraute Heimat zurückzukehren in Betracht. Bei der Einreise der Klägerin sei es ihr in Kenntnis
des Umstandes, dass sie nach der Einreise auf Eingliederungshilfe angewiesen sein werde, vorrangig um den Wunsch gegangen,
bei der Schwester zu leben. Der Wunsch sei verständlich und die Bereitschaft der Schwester zur Aufnahme der Klägerin in den
eigenen Haushalt sei als Ausdruck der familiären Verantwortungsgemeinschaft anerkennungswürdig. Es erscheine nicht richtig,
die Klägerin auf die Inanspruchnahme einer betreuten Wohneinrichtung in Spanien ohne Bezug zu Familienangehörigen zu verweisen.
Schließlich lebe auch die zweite Schwester der Klägerin in Deutschland. Zudem kehre die Klägerin in ihre vertraute Heimat
zurück. Der mehrjährige Aufenthalt der Klägerin in Spanien sei allein dem damaligen Wunsch ihrer Eltern, den Ruhestand in
deren alter Heimat zu verbringen, geschuldet. Zur Überzeugung des SG wäre die Klägerin im März 2017 auch dann nach Deutschland eingereist, wenn der Bezug von Leistungen nach dem SGB XII tatsächlich nicht in Betracht gekommen wäre. Damit finde Art. 1 EFA Anwendung, was bedeute, dass § 23 SGB XII, der Einschränkungen für Ausländer bei der Anwendung des SGB XII regele, nicht angewendet werden dürfe.
Gegen das dem Beklagten am 5.4.2018 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil hat er am 23.4.2018 schriftlich beim Landessozialgericht
Baden-Württemberg Berufung eingelegt und seine bisher vertretene Auffassung vertieft. Der auf Grund der familiären Beziehung
geprägte beiderseitige Wunsch zusammenzuleben sei in keinster Weise infrage zu stellen. Dies sei aber nicht prägend für die
Einreise gewesen. Die Klägerin sei in einer Situation aktueller Hilfebedürftigkeit eingereist und sie habe auch keine Aussicht
darauf, unabhängig von Sozialhilfe in Deutschland zu leben, so dass ihr klar sein musste, dass sich ihr Wunsch nach einem
Leben in Deutschland bei ihrer Schwester nur unter Inanspruchnahme öffentlicher Fürsorgeleistungen verwirklichen lasse (Hinweis
auf OVG Berlin, FESVS 55,186; LSG Berlin Brandenburg L 23 SO 117/06). Insoweit sei vorliegend die Gewährung von Leistungen
nach § 23 Abs. 3 Nr. 4 SGB XII ausgeschlossen. Selbst wenn der prägende Einreisegrund der Rückzug zur Familie gewesen sei, sei eine Verurteilung zur Gewährung
von Eingliederungshilfeleistungen im Arbeitsbereich der WfbM rechtswidrig. Eine Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen
habe nämlich nicht stattgefunden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92). Es werde angeregt, die Bundesagentur für Arbeit als zuständigen Rehabilitationsträger beizuladen. Im Übrigen sei die Klägerin
nur deswegen freizügigkeitsberechtigt, weil sie mit der Beigeladenen vor der Kostenzusage einen Vertrag geschlossen habe.
Dadurch sei sie zur Pflichtversicherung bei der Kranken- und Pflegeversicherung gelangt. Insofern stelle der Vertrag quasi
einen Vertrag zulasten Dritter dar, da sie die Freizügigkeitsberechtigung aus der Leistung erlange, für die sie anschließend
Sozialhilfeleistungen beantragt habe. Außerdem dürfe die europarechtliche Wertung nicht außer Acht gelassen werden, wo klar
verankert sei, dass Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats
nicht unangemessen in Anspruch nehmen dürften (Hinweis auf EuGH, Urteil vom 21.12.2011 Ziolowski(richtig: Ziolkowski) und
Szeja(EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-424/10 und C-425/10 -, juris)). Dies ergebe sich aus dem Erwägungsgrund Nr. 10 und Art. 14 der Richtlinie 2004/38. Genau dies treffe auf den
vorliegenden Fall zu. Der Klägerin sei es aufgrund ihrer Vita klar gewesen, dass sie in Deutschland auf Sozialhilfeleistungen
angewiesen sein würde.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. März 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Klägerin hat noch eine Kopie des Werkstattvertrags sowie der Kostenvereinbarung
und hinsichtlich des Wertes der Erbschaft einen Katasterauszug aus dem Jahr 2017 zum Beleg des Gesamtwertes des Hausgrundstücks
mit 26.459,35 EUR sowie eine Kopie des Sparbuchs des Erblassers (Guthaben 1.153,63 EUR) vorgelegt. Der Senat hat die ZAW gGmbH
mit Beschluss vom 10.4.2019 zum Verfahren beigeladen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
Die gem. §§
143,
144 Abs.
1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§
151 Abs.
1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat den Beklagten zu Recht dazu verurteilt, der Klägerin Eingliederungshilfe zum Besuch der WfbM im Arbeitsbereich der Beigeladenen
zu gewähren.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 21.6.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2017, mit dem der Beklagte
die beantragten Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel des SGB XII für die Übernahme der Kosten für den Besuch der WfbM im Arbeitsbereich der Beigeladenen abgelehnt hat. Dagegen geht die Klägerin
zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage vor.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass der Bescheid des Beklagten vom 20.6.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2017 rechtswidrig
ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Ebenso zutreffend hat das SG den Beklagten zur Kostenübernahme für den Besuch der WfbM verurteilt. Dabei ist das SG im Ergebnis von den zutreffenden rechtlichen Erwägungen insbesondere im Hinblick auf die Anwendbarkeit und Erfüllung der
Voraussetzungen des Art. 1 EFA sowie der daraus folgenden Ableitung eines direkten Zugangs zu den Leistungen der Eingliederungshilfe
ausgegangen. Zu Recht hat das SG auch einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung von Eingliederungshilfe bejaht. Der Senat sieht deshalb zur Vermeidung
von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen
Entscheidung als unbegründet zurück (§
153 Abs.
2 SGG).
Ergänzend wird im Hinblick auf das Berufungsvorbringen Folgendes ausgeführt:
Die Klägerin ist entgegen der Rechtsansicht des Beklagten nicht von Leistungen nach dem SGB XII durch § 23 SGB XII ausgeschlossen. Denn dieser Leistungsausschluss ist auf die Klägerin als Staatsangehörige eines Vertragsstaates des EFA vom
11.12.1953 (BGBl II 1956, 564) nicht anwendbar. Sie kann sich auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA berufen (zu § 7 SGB II vgl. BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R -, juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.6.2017 - L 15 SO 104/17 B ER -, juris).
Nach Art 1 des Abkommens, das unter anderem die Bundesrepublik Deutschland und Spanien, deren Staatsangehörige die Klägerin
ist, unterzeichnet haben, ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten,
die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende
Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen
der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen
sind. Art. 1 EFA schafft einen Gleichbehandlungsanspruch und erstreckt in seinem Anwendungsbereich den personellen Anwendungsbereich
der für deutsche Staatsangehörige geltenden Normen des deutschen Rechts auf den ausländischen Staatsangehörigen. Nach Anhang
I des Abkommens, geändert durch Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 19. Dezember 2011, gelten auch Leistungen des
SGB XII als Fürsorgeleistungen in diesem Sinne. Einen Vorbehalt hingegen, wie für Leistungen nach dem SGB II, hat die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich von Leistungen nach dem SGB XII nicht erklärt. Der Zugang zu Leistungen des SGB XII für Staatsangehörige von EFA-Signatarstaaten ist somit unter den Voraussetzungen des EFA ohne die für Ausländer geltenden
Ausschlusstatbestände des § 23 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 SGB XII gegeben (vgl. Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII 1. Überarbeitung, Rn. 74; Schlette in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 SGB XII, Rn. 51 jeweils m.w.N.). Daher sind erwerbsfähige Angehörige von EFA-Staaten zwar wegen des von Deutschland erklärten Vorbehalts
von Leistungen nach dem SGB II, nicht aber nach dem SGB XII ausgeschlossen, solange eine materielle Freizügigkeitsberechtigung besteht (Berlit, jurisPR-SozR 11/2016 Anm. 1). Rechtsfolge
des Art. 1 EFA ist also bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen, dass die Klägerin so zu stellen ist, als wäre sie deutsche
Staatsangehörige (vgl. BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris Rn. 21).
Die Anwendung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 1 EFA erfordert, dass sich die Klägerin erlaubt im Sinne des Art. 11 EFA in Deutschland aufgehalten hat bzw. aufhält (BSG, Urteil vom 9.8.2018 - B 14 AS 32/17 R - juris Rn. 34). Für den zur Anwendung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 1 EFA erforderlichen erlaubten Aufenthalt genügt
nicht die von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen zu unterscheidende generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer
(BSG, Urteil vom 9.8.2018 - B 14 AS 32/17 R - juris Rn. 35). Diese Vermutung beinhaltet keine "Erlaubnis" des Aufenthalts im Sinne des EFA, die den Zugang zur Inländergleichbehandlung
eröffnet und für die eine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes Aufenthaltsrecht erforderlich ist. Gleiches
gilt für das voraussetzungslose Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU in den ersten drei Monaten des Aufenthalts von EU-Ausländern, das als solches keine materielle Freizügigkeitsberechtigung
i.S. des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU und in diesem Sinne keine "Erlaubnis" des Aufenthalts i.S. des Art. 11 EFA zum Inhalt hat (BSG v. 9.8.2018 - B 14 AS 32/17 R - juris Rn. 35 m.w.N.; Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII 1. Überarbeitung, Rn. 85 1).
Die Klägerin hält sich jedoch aus anderen Gründen erlaubt in der Bundesrepublik im Sinne von Art 11 EFA auf. Zwar sieht Art.
11 EFA für den Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden vor, dass dieser so lange als erlaubt im
Sinne des Abkommens gilt, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften
des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, aufgrund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Ob
die Klägerin über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, ist nicht bekannt. Ausreichend ist jedoch, ob die Voraussetzungen für
ein mögliches Aufenthaltsrecht gegeben sind (vgl. BSG, Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris Rn. 13; Urteil vom 20.1.2016 B 14 AS 15/15 R -juris Rn. 30), also die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliegen und in entsprechender
Anwendung von Art. 11 (a) Satz 2 EFA die Erteilung einer solchen Erlaubnis lediglich in Folge einer Nachlässigkeit des Beteiligten
unterblieben ist (Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII 1. Überarbeitung, Rn. 47).
Aus dem früheren langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland kann die Klägerin allerdings kein Aufenthaltsrecht
mehr ableiten, da sie nach 9-jährigem Aufenthalt in Spanien ihr Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 7 FreizügG/EU verloren hatte und ein neues Daueraufenthaltsrecht vor Ablauf von 5-jährigem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland
noch nicht wiedererlangt hat.
Die Klägerin ist auch nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder
ihm nachziehen, haben das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel
verfügen. (§ 4 Satz 1 FreizügG/EU in der Fassung vom 21.1.2013). Bei gesteigertem Bedarf z.B. wegen Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit sind zusätzliche
Existenzmittel nachzuweisen, um sicherzustellen, dass die Inanspruchnahme der Sozialhilfe ausgeschlossen wird (vgl. BT-Drs.
15/42, S. 104; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. Oktober 2017 - 19 C 16.1719 -, Rn. 17, juris). Diese
Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, auch wenn sie zu ihrer Schwester, die als spanische Staatsangehörige Unionsbürgerin
ist, gezogen ist. Sie verfügt zwar über ausreichenden Krankenversicherungsschutz - sie ist durch ihre Tätigkeit in der WfbM
gem. §
5 Abs.
1 Nr.
7 SGB V krankenversicherungspflichtig und erhielte andernfalls keine Leistungen der Pflegeversicherung. Zudem gewährt ihr ihre Schwester,
A. R. , den Lebensunterhalt, nachdem sie keine Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung mehr begehrt.
Da sie jedoch Eingliederungshilfe für den Besuch der WfbM begehrt, ist davon auszugehen, dass sie nicht über ausreichende
Existenzmittel verfügt. § 4 Satz 1 FreizügigG/EU verlangt über ausreichenden Krankenversicherungsschutz hinaus, dass der Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt,
sodass er während seines Aufenthalts keine Sozialleistungen des Aufnahmemitgliedsstaats in Anspruch nehmen muss. Nach Art.
7 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/38/EG sind ausreichende Existenzmittel solche, die sicherstellen, dass der Freizügigkeitsberechtigte die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats
nicht in Anspruch nehmen muss. Existenzmittel sind alle gesetzlich zulässigen Einkommen und Vermögen in Geld oder Geldeswert
und sonstige eigene Mittel, insbesondere Unterhaltsleistungen von Familienangehörigen oder Dritten (vgl. Epe in GK-AufenthG, Stand: 7/2013, § 4 FreizügigG/EU, Rn. 20). Die Herkunft der Mittel, die zur Existenzsicherung genutzt werden, ist gleichgültig (vgl. EuGH, U.v. 19.10.2004
- Chen, C-200/02 - InfAuslR 2004, 413). Als grundsätzlich schädlich erweist sich - abgesehen von den in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG geregelten Ausnahmen - der Bezug von nicht auf einer Beitragsleistung beruhenden öffentlichen Mitteln, insbesondere Sozialhilfeleistungen
nach SGB XII. Die vollumfängliche Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen indiziert das Nichtvorhandensein ausreichender Existenzmittel
(Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. Oktober 2017 - 19 C 16.1719 -, Rn. 19, juris m.Hinweis auf Epe in GK-AufenthG, a.a.O., § 2 FreizügG, Rn. 20, 23).
Das Tatbestandsmerkmal "ausreichende Existenzmittel" in § 4 Satz 1 FreizügG/EU kann nicht mit dem Tatbestandsmerkmal des gesicherten Lebensunterhalts in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gleichgesetzt werden, sondern bedarf gemeinschaftsrechtlicher Auslegung. Freizügigkeitsrechtlich betrachtet verfügt derjenige
über ausreichende Existenzmittel, der während seines Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in
Anspruch nehmen muss, wie aus § 7 Abs. 1b Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie - folgt. Werden also vom Unionsbürger während des Aufenthalts tatsächlich keine Sozialhilfeleistungen
des Aufnahmemitgliedstaates in Anspruch genommen, so streitet zu seinen Gunsten die Vermutung des § 7 Abs. 1b Richtlinie 2004/38/EG dafür, dass er über ausreichende Existenzmittel verfügt (Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 7.8.2014 - 3 B 507/13 -, Rn. 13, juris). Nachdem die Klägerin für den Besuch der WfbM auf Eingliederungshilfe angewiesen ist, wie ihre Antragstellung
indiziert, verfügt sie nicht über ausreichende Existenzmittel i.S. von § 4 FreizügG.
Die Klägerin ist auch nicht als Arbeitnehmerin auf Grund ihrer Beschäftigung in der WfbM gem. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des "Arbeitnehmers" ist unionsrechtlich auszulegen. Er ist weit zu verstehen und nach
objektiven Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis in Ansehung der Rechte und Pflichten der betreffenden Personen
charakterisieren. Das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit
für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der bloße Umstand,
dass eine unselbständige Tätigkeit nur von kurzer Dauer ist, steht der Annahme der Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen.
Als Arbeitnehmer kann jedoch nur angesehen werden, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer
Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen.
Geboten ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses
betreffen (vgl. EuGH, Urteil vom 6.11.2003 - Ninni-Orasche, C-413/01 -, juris Rn. 23 ff., Urteil vom 4.2.2010 - Genc, C-14/09 -, juris Rn. 9 und 23 ff., Urteil vom 9.6.2014 - Saint-Prix, C-507/12 -, juris Rn. 33 ff.; BayVGH, Urteil vom 18.7.2017 - 10 B 17.339 -, juris Rn. 47). In Anlehnung an den Arbeitnehmerbegriff
sind Personen, die Ausbildungsverhältnisse, Praktika, Volontariate und ähnliches absolvieren, dann Arbeitnehmer, sofern sie
eine echte Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis ausüben (vgl. Tewocht in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, FreizügG/EU § 2, Rn. 23). Als Entgelt für die ausgeübte Beschäftigung reicht es aber nicht aus, wenn eine Person im Rahmen einer geförderten
Maßnahme zur Erhaltung, Wiederherstellung oder Förderung der Arbeitsfähigkeit eingesetzt wird (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt,
AuslR, 12. Aufl. 2018, FreizügG/EU, § 2 Rn. 55). In der Rechtssache Bettray hat der Europäische Gerichtshof entscheidend darauf abgestellt, dass die im Rahmen von
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ausgeübten Tätigkeiten nicht als tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeiten angesehen
werden könnten, da sie nur ein Mittel der Rehabilitation oder der Wiedereingliederung der Arbeitnehmer in das Arbeitsleben
darstellen (vgl. EuGH, Urteil vom 31.5.1989 - Bettray, C-344/87 -, juris). Gegenleistungen sind dann nicht als Arbeitsentgelt anzusehen, wenn sie im Rahmen von Maßnahmen gewährt werden,
die lediglich als Instrument zur Integration von Personen mit persönlichen Unzulänglichkeiten dienen, und die nicht das für
den Arbeitnehmerbegriff wesentliche Austauschverhältnis wiederspiegeln (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 2 Rn.
56; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. Oktober 2017 - 19 C 16.1719 -, Rn. 12 - 14, juris).
Die Klägerin erfüllt danach die Voraussetzungen aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU nicht. Sie geht keiner Erwerbstätigkeit nach und sie befindet oder befand sich nicht in einer Ausbildung im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Insbesondere begründet die ab 3.4.2017 aufgenommene Tätigkeit im Arbeitsbereich der WfbM keine Arbeitnehmerstellung, weil
die Klägerin damit keine reguläre Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausübt, wozu sie
auf Grund ihrer Behinderung auch nicht in der Lage ist (vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22. Mai 2017
- L 18 SO 89/17 B ER -, Rn. 30 - 31, juris). Dass die Klägerin keine Arbeitnehmerin im og Sinne ist, ergibt sich auch aus
§
138 Abs.
2 bzw. jetzt § 221
SGB IX. Das Arbeitsentgelt aus Grundbetrag und Steigerungsbetrag bemisst sich nicht an der Arbeitsleistung, sondern am wirtschaftlichen
Erfolg der Werkstatt für behinderte Menschen (vgl. Schramm in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB IX, 2. Aufl. 2015, §
138 SGB IX, Rn. 21); eine Gegenleistung als Vergütung für ihre Arbeit erhält die Klägerin in dem Sinne nicht (so SG Bayreuth, Beschluss
vom 15.3.2017 - S 4 SO 34/17 ER -, Rn. 50, juris). Dieses Verhältnis zwischen Klägerin und der WfbM kommt im Werkstattvertrag
zum Ausdruck, in dem von einem "arbeitnehmerähnlichen" Rechtsverhältnis (§ 13 Werkstättenverordnung - WVO), einem besonderen Rechtsverhältnis die Rede ist und deshalb kein Arbeitsvertrag, sondern ein Werkstattvertrag geschlossen
wurde (Bl. 25 LSG).
Die Klägerin ist auch nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 als Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Nachdem sie mit ihrer Schwester nicht in der auf- oder absteigenden Linie, sondern in der Seitenlinie
verwandt ist, erfüllt sie nicht die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU und unterfällt nicht der Definition als Familienangehörige in diesem Sinne (Dienelt in Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, 12.
Aufl., § 3 FreizügG/EU Rn. 20 ff.).
Die Klägerin kann sich jedoch auf ein Aufenthaltsrecht nach § 36 AufenthG berufen. Zwar ist grundsätzlich das FreizügG/EU ein abschließendes Spezialgesetz, das dem Aufenthaltsgesetz vorgeht (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG). Das Aufenthaltsgesetz ist nur anwendbar, soweit das FreizügG/EU es für anwendbar erklärt (Dienelt in Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, 12. Aufl., Vorbemerkung Rn. 35 und § 11 FreizügG/EU Rn. 3). Nach § 11 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU ist auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die nach § 2 Abs. 1 das Recht auf Einreise und Aufenthalt haben, unter anderem § 36 AufenthG - Nachzug der Eltern und sonstiger Familienangehöriger - anwendbar. Die Schwester der Klägerin, A. R. , ist unzweifelhaft
freizügigkeitsberechtigt, u.a. weil sie seit vielen Jahren in der Bundesrepublik lebt und über ein Daueraufenthaltsrecht nach
§ 4a FreizügG/EU verfügt sowie auch als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. Soweit die Voraussetzungen im Übrigen vorliegen, kann sie Familienangehörige nachziehen lassen. Nach § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es
zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Unter sonstige Familienangehörige sind nach dem AufenthG alle Mitglieder der Großfamilie außer den Ehegatten und den ledigen Kindern zu verstehen (Dienelt, aaO. § 36 AufenthG, Rn. 17), somit unterfällt auch die Klägerin als Schwester in der Seitenlinie dieser Norm.
Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges
Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in
zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall
relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet
werden (BVerwG, Urteil vom 30.7.2013 - 1 C 15/12 -, BVerwGE 147, 278-292, juris Rn. 12 m.w.N.). Hierbei sind wegen des Schutzes nach Art.
6 Abs.
1 und
2 GG bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise
im Bundesgebiet aufhalten, umfassend zu berücksichtigen (BVerwG aaO. juris Rn. 15). Die Klägerin kann auf Grund ihrer geistigen
Behinderung kein eigenständiges Leben führen und ist auf Hilfe angewiesen. Sie hat bis zum Tod des letzten Elternteils immer
im Familienverbund überwiegend im Bundesgebiet gelebt und war nur dem Wunsch der Eltern entsprechend 2008 mit ihnen nach Spanien
gegangen, damit die Eltern sich dort weiterhin um sie kümmern konnten. Nach dem Tod des letzten Elternteils gibt es in Spanien
keine verwandtschaftlichen Bindungen mehr, wo die Klägerin Aufnahme finden könnte. Beide Schwestern leben in Deutschland.
Zudem kehrt sie in ihre Heimat, wo sie vom ersten Lebensjahr an 30 Jahre verbracht hat, zurück. Ausweislich des MDK Gutachtens
vom 31.5.2017 besteht eine enge Bindung zur Schwester A. R. , an die sich die Klägerin klammert und die ihre Bezugsperson
ist. A. R. hingegen lebt mit ihrer Familie seit langem im Bundesgebiet. Sie und ihr Mann arbeiten hier, sodass eine enge Bindung
zur Bundesrepublik besteht. Daraus folgt, dass die der Klägerin geleistete Lebenshilfe auch nur zumutbar im Bundesgebiet erbracht
werden kann. Der Senat sieht hierdurch die Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Härte als erfüllt an. Damit hält sich
die Klägerin erlaubt im Bundesgebiet auf mit der Folge, dass sie hinsichtlich der Leistungen der Sozialhilfe wie eine Inländerin
zu behandeln ist und die Ausschlussgründe in § 23 SGB XII nicht anwendbar sind. Auch auf die Erlangung von Krankenversicherungsschutz erst durch den Abschluss des Werkstattvertrages,
den der Beklagte deshalb als "Vertrag zulasten Dritter ansieht" kommt es deshalb nicht an.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe für den Besuch der WfbM im Arbeitsbereich liegen vor. Rechtsgrundlage
sind §§ 19 Abs. 3, 53, 54 Abs. 1 SGB XII iVm §§
39,
41 Abs.
2 Nr.
2,
136 Abs.
1 SGB IX in der bis 31.12.2017 gültigen Fassung bzw. §§
56,
58, 219
SGB IX in der aktuell gültigen Fassung. Die geistig behinderte Klägerin erfüllt die Voraussetzungen, sie ist durch ihre Behinderung
wesentlich in der Fähigkeit eingeschränkt, an der Gesellschaft teilzuhaben. Es liegen auch die Voraussetzungen für den Besuch
der WfbM im Arbeitsbereich vor. Vorhandenes eigenes Vermögen muss sie insoweit gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und Satz 2 SGB XII nicht einsetzen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten musste die Klägerin vor der Aufnahme in den Arbeitsbereich nicht noch einmal den - durch
die Bundesagentur für Arbeit zu fördernden - Eingangsbereich und Berufsbildungsbereich der WfbM (§
40 bzw. ab 1.1.2018 §
57 SGB IX) durchlaufen. Eine Beiladung der BA war daher nicht erforderlich. Bei der Klägerin war nämlich nicht erneut zu prüfen, ob
die WfbM und welcher Bereich die geeignete Einrichtung für die Teilhabe am Arbeitsleben ist bzw. ihre Leistungsfähigkeit anzuheben,
um in den Arbeitsbereich zu gelangen. Insbesondere kann sich der Beklagte hierzu nicht auf die von ihm zitierte Entscheidung
des BSG vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92 - berufen. Die Sachverhalte sind gänzlich unterschiedlich und deshalb nicht zu vergleichen. In der zitierten Entscheidung
hatte der Kläger auf Grund der ersten Förderung den Übergang in den Arbeitsbereich nicht geschafft und zwischen der zweiten
Förderung im Eingangsbereich lag eine Pause von über 8 Jahren, in denen der dortige Kläger lediglich in einer Tagesförderstätte
betreut wurde. Es wurde davon ausgegangen, dass eine erneute Förderung im Eingangs- und Arbeitstrainingsbereich erforderlich
war, weil er auf die früher erworbenen Fähigkeiten für eine Tätigkeit im Arbeitsbereich nicht mehr zurückgreifen konnte (BSG aaO, juris Rn. 25). Bei der Klägerin verhält es sich vorliegend jedoch gänzlich anders. Sie arbeitet seit 1997 durchgehend
- zunächst in Deutschland bis 2008 und danach während des Aufenthalts in Spanien in der Einrichtung M.- in einer WfbM im Arbeitsbereich.
Zweifel an ihrer Eignung für den Arbeitsbereich bestehen daher nicht, zumal sich auch keine gravierenden nachteiligen gesundheitlichen
Veränderungen ergeben haben, die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin hätten. Wie der Geschäftsführer der
WfbM in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, leistet sie auch tatsächlich Arbeit von wirtschaftlichem Wert. Zweifel
an ihrer Werkstattfähigkeit, die ggf. erst noch trainiert werden müsste, oder der Geeignetheit der WfbM der Beigeladenen für
die Klägerin bestehen nicht. Von daher war die Klägerin sofort in den Arbeitsbereich zu übernehmen.
Auch ist der Werkstattvertrag zwischen der Klägerin und der Beigeladenen auch nicht deshalb nichtig, weil die Kostenzusage
des Rehabilitationsträgers nicht vor dem Abschluss des Vertrages vorlag. Zwar sieht §
137 SGB IX (in der Fassung bis 31.12.2017, jetzt § 220
SGB IX) als weitere Aufnahmevoraussetzung vor, dass die Leistungsgewährung durch einen Rehabilitationsträger gesichert ist. Die
früher vorgesehene Möglichkeit der Selbstzahlung ist entfallen (Schramm in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 220
SGB IX, Rn. 15). Das schließt jedoch für die WfbM nicht aus, auf eigenes Kostenrisiko ggf. auch Selbstzahler aufzunehmen. Hierauf
zielt die mit der Klägerin geschlossene Zusatzvereinbarung, nach der sie bei Ablehnung der Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger
selber die Kosten für die Betreuung in der WfbM schuldet. §
137 bzw. jetzt § 220
SGB IX begründet lediglich den Kontrahierungszwang für die WfbM im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen, schafft somit einen
Aufnahmeanspruch für den behinderten Menschen, jedoch keinen Ausschlussgrund.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe sind auch durchgehend seit dem Beginn der Tätigkeit am 3.4.2017
bis heute erfüllt. Anhaltspunkte für Zweifel daran liegen nicht vor.
Die Berufung der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.