Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob der Klägerin Pflegegeld zu gewähren ist.
Die Klägerin ist am 1950 geboren. Sie ist bei der Beklagten pflegeversichert. Sie leidet an degenerativen Wirbelsäulenveränderungen,
einem Diabetes mellitus Typ II, einer diabetischen Polyneuropathie und Retinopathie (Netzhautveränderung), Bluthochdruck,
kompensierter Niereninsuffizenz, koronarer Herzerkrankung. Im August 2012 hatte sie einen Herzinfarkt erlitten. Am 20. Februar
2013 erlitt sie eine subtrochantäre Fraktur (Bruch des Oberschenkelknochens) rechts und befand sich bis zum 22. März 2013
in stationärer Behandlung im S. F.-Hospital in W.. Sie lebt zusammen mit ihrem Sohn, der am 1976 geboren ist und seit 1. Januar
2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht sowie für den ein rechtlicher Betreuer ohne Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts
bestellt ist, in einer Ein-Zimmer-Wohnung.
Am 25. Juli 2013 beantragte die Klägerin Pflegegeld und Kombinationsleistungen. Sie gab an, durch ihren Sohn gepflegt zu werden.
Sie benötige Hilfe bei der Zahnpflege, beim Kämmen sowie beim Gehen in der Wohnung. Teilweise benötige sie auch Hilfe bei
der Teilwäsche, beim Duschen/Baden, beim Zuschneiden und Pürieren von Essen, beim Essen und Trinken sowie beim An- und Auskleiden
von Unter- und Oberkörper. Sie gehe zwei bis vier Mal am Tag mit gefährlichen Gegenständen um, esse verdorbene Lebensmittel
und trinke kochendes Wasser. Zwei bis sechs Mal am Tag würde sie Essensreste sammeln sowie Geld und andere Gegenstände verstecken.
Eine angemessene Körperpflege, Ernährung oder Fortbewegung sei innerhalb der Wohnung nicht mehr möglich. Es bestehe ein unangemessenes
Misstrauen/Reizbarkeit.
Pflegefachkraft L. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) stellte in ihrem Gutachten vom
7. August 2013 auf Grund einer Untersuchung der Klägerin am selben Tag einen grundpflegerischen Hilfebedarf von 16 Minuten
pro Tag fest. Als pflegebegründende Diagnosen lägen bei der Klägerin eine Mobilitätseinschränkung mit leichter Gangunsicherheit
nach subtrochantärer Femurfraktur im Februar 2013 sowie Schmerzen bei degenerativen Veränderungen im Wirbelsäulenbereich und
Adipositas vor. Die Klägerin benötige Hilfe bei der Ganzkörperwäsche (fünf Minuten pro Tag), beim Duschen (vier Minuten pro
Tag), beim An- und Entkleiden (sechs Minuten pro Tag) sowie beim Stehen (eine Minute pro Tag). Der Hilfebedarf für Hauswirtschaft
betrage 60 Minuten pro Tag im Wochendurchschnitt. Die Alltagskompetenz der Klägerin sei nicht im Sinne der Begutachtung von
Pflegebedürftigkeit eingeschränkt. Der ermittelte Hilfebedarf sei zum Teil als Sollpflege aufgenommen worden, da der Sohn
die Grundpflege nicht täglich sondern nur bei Bedarf unterstütze.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 8. August 2013 unter Hinweis auf das Gutachten des
MDK ab, weil ein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten pro Tag nicht vorliege. Mit weiterem Bescheid vom 8. August 2013
lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für zusätzliche Betreuungsleistungen ab, weil erhebliche Einschränkungen der Alltagskompetenz
der Klägerin nicht vorlägen.
Gegen den Bescheid vom 8. August 2013 "über die Absage für die Pflegestufe I" erhob die Klägerin am 13. August 2013 Widerspruch.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die schlechte finanzielle Lage ihres Sohnes verwiesen. Außerdem legte die Klägerin
ein Pflegetagebuch vor, nach dem etwa beim Waschen (tagsüber und nachts) täglich ein Pflegebedarf von 90 Minuten bestehe.
In einem Gutachten vom 11. September 2013 nach Aktenlage kam die Pflegefachkraft D. vom MDK zu dem Ergebnis, dass ein täglicher
Grundpflegehilfebedarf von 16 Minuten bestehe.
Der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. November
2013 zurück. Der für die Klägerin benötigte Pflegeaufwand erreiche nicht den geforderten Mindestzeitaufwand von mehr als 45
Minuten täglich für die Grundpflege. Die Klägerin sei damit nicht pflegebedürftig.
Mit ihrer am 6. Dezember 2013 beim Sozialgericht Ulm (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Der im Februar "2012" (richtig 2013) erlittene Beinbruch sei
zwar verheilt, aber sie könne immer noch nicht richtig gehen und sich nur mit Krücken fortbewegen. Sie sei körperlich stark
eingeschränkt. Ihr Sohn müsse für sie die Tabletten herrichten und den Haushalt für sie führen. Sie sei teilweise verwirrt
und hilflos. Ihr Gesundheitszustand sei schon seit längerem schlecht und werde sich wohl nicht mehr verbessern.
Vom 17. Dezember 2013 bis zum 3. Januar 2014 befand sich die Klägerin aufgrund ausgeprägter Dyspnoe, progredienten Beinödemen
und deutlicher Bauchumfangszunahme in stationärer Behandlung im U.-klinikum U. (Entlassbrief des Prof. Dr. S. vom 2. Januar
2014).
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegen.
Das SG bestellte Frau G.-K. von Amts wegen zur gerichtlichen Sachverständigen. Sie erstattete auf Grund eines Hausbesuches vom 17.
März 2014 unter dem 30. März 2014 ihr Gutachten. Sie kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin kein Hilfebedarf in den Bereichen
Körperpflege, Ernährung und Mobilität bestehe. Die hauswirtschaftliche Versorgung stehe im Vordergrund. Die Sachverständige
schilderte folgende Beobachtungen: Die Klägerin habe bereitwillig demonstriert, wie sie sich zu Bett lege, zudecke und das
Bett wieder verlasse. Das Ein- und Ausschwenken der Beine gelänge mühsam, aber ohne Hilfe. Das Ankleiden sei der Klägerin
ohne Hilfe selbst gelungen. Sie habe auch angegeben, dass sie sich ohne fremde Hilfe wasche. Dreimal wöchentlich dusche sie
im Stehen. Verlassen der Duschtasse, Abtrocknen einschließlich Rücken und Füßen sowie das Kämmen der Haare sei ohne Fremdhilfe
demonstriert worden. Die Zahnprothese habe sie mit einer Bürste und Zahnpasta gereinigt sowie nach einer Mundspülung eingesetzt.
Während des Hausbesuchs habe ein selbstständiger Toilettengang mit anschließender Händehygiene stattgefunden. Die Klägerin
habe auch erklärt, dass sie sich selbst Kaffee und Tee zubereite. Die Klägerin könne ohne Fremdhilfe vom Liegen und Sitzen
aufstehen. Die Unterarmgehstützen stelle sie stets griffbereit ab. Freies Stehen, z.B. auf der Waage, sei kurz möglich. Gehen
erfolge entweder an beiden Unterarmgehstützen, wenn etwas mit einer Hand zu tragen sei, mit einer Gehhilfe und für wenige
Schritte auch ausschließlich mit Festhalten an Möbeln. Treppensteigen übe die Klägerin nach eigenen Angaben täglich selbstständig.
Getränke könne die Klägerin selbst in ein Trinkgefäß gießen. Der Umgang mit Messer und Gabel sei uneingeschränkt möglich.
Bei dem Hausbesuch sei die Klägerin weder verwirrt noch hilflos gewesen.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. April 2014 ab. Der Antrag der Klägerin auf Leistungen der Pflegestufe sei vorrangig
auf Pflegegeld und nachrangig auf Kombinationsleistungen gerichtet. Insofern sei die Klage unbegründet. Die Klägerin habe
weder einen Anspruch auf Pflegegeld noch auf Kombinationsleistungen. Bei der Klägerin lägen die Voraussetzungen für die Gewährung
jedweder Leistungen nach der Pflegestufe I nicht vor. Das SG stützte sich dabei auf die Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen sowie auf die Gutachten des MDK. Das bloße Vorliegen
einer Erkrankung bedinge noch keinen Hilfebedarf.
Gegen den ihr am 2. Mai 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16. Mai 2014 Berufung eingelegt. Sie sei seit
dem 15. März 2013 auf fremde Hilfe angewiesen. Sie habe am Unfalltag viel Blut verloren. Am 17. April 2014 sei sie zudem mit
Atemnot und Blutverlust aus der Nase mit erhöhtem Blutdruck und wegen Verdachts auf Nierenversagen zunächst in das B.-krankenhaus
U. und am 13. Mai 2014 in die Kliniken des Landkreises H. eingeliefert worden. Vom 17. April 2014 bis zum 12. Mai 2014 sei
sie in ein künstliches Koma versetzt worden und würde seitdem unter Dialyse mit Beatmungsgerät künstlich am Leben erhalten.
Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 28. April 2014 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides
vom 8. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2013 zu verurteilen, ihr Pflegegeld nach mindestens
der Pflegestufe I für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis zum 17. Juni 2014 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die angegriffene Entscheidung des SG sowie die erstinstanzliche Akte.
Am 17. April 2014 ist die Klägerin in das B.-Krankenhaus Ulm stationär aufgenommen, wegen zunehmender Kreislaufinsuffizienz
intubiert und intensivmedizinisch behandelt worden. Wegen diabetischer Nephropathie ist dort die Indikation zur Hämofiltration
mittels Shaldon-Katheter gestellt worden. Bei der Anlage des Katheters ist es zu einer reanimationspflichtigen Asystolie ohne
Nachweis eines neurologischen Defizits in Folge der Reanimation gekommen. Die erneute Shaldon-Katheteranlage ist gelungen
und die Klägerin ist vom 24. April bis zum 13. Mai 2014 dialysiert worden. Aufgrund der langen künstlichen Beatmungspflicht
ist eine Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) vorgenommen worden. Am 13. Mai 2014 ist die Klägerin auf die Intensivstation des
Klinikum H. verlegt worden, von wo sie am 18. Juni 2014 in stabilem Allgemeinzustand entlassen worden ist (Arztbrief des Privatdozenten
Dr. S. vom 18. Juni 2014). Seitdem befindet sich die Klägerin wieder zu Hause.
Am 2. Mai 2014 hat die Klägerin erneut Leistungen der Pflegeversicherung und zwar Kombinationsleistungen, Leistungen zur teilstationären
Pflege sowie Leistungen zur vollstationären Pflege beantragt. Eine häusliche Pflege sei nicht möglich, weil mögliche Pflegepersonen
mit der Pflege überfordert seien.
Auf Grund einer erneuten Untersuchung vom 8. Juli 2014 hat Pflegefachkraft L. vom MDK am gleichen Tag ein weiteres Gutachten
gestellt. Aktuell würde die Klägerin drei Mal pro Woche zur Dialyse abgeholt und zurückgefahren. Als pflegebegründende Diagnosen
lägen eine Minderbelastbarkeit und Schwäche bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz, Zustand nach Reanimation und langem
Klinikaufenthalt verbunden mit Gangunsicherheit vor. Die Gutachterin stellte einen Zeitaufwand für die Grundpflege von 46
Minuten pro Tag sowie für die Hauswirtschaft im Wochendurchschnitt von 60 Minuten pro Tag fest. Die Klägerin benötige teilweise
Hilfe bei der Ganzkörperwäsche (18 Minuten), beim Kämmen (eine Minute), beim Stuhlgang (zwei Minuten), beim Richten der Bekleidung
(sieben Minuten), bei der mundgerechten Zubereitung des Essens (drei Minuten), beim An- und Entkleiden (neun Minuten) sowie
beim Gehen (sechs Minuten).
Die Beklagte hat der Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 9. Juli 2014 Pflegegeld der Pflegestufe I ab dem 18. Juni 2014 bis
zum 31. Dezember 2014 gewährt. Hiergegen hat die Klägerin am 18. Juli 2014 Widerspruch erhoben. Sie habe Anspruch auf Leistungen
nach Pflegestufe II. Pflegestufe I sei nicht ausreichend, um die gesamten Kosten und Ausgaben zu bewältigen. Sie hat ein ausgefülltes
Pflegetagebuch vorgelegt.
In einem Gutachten vom 6. Oktober 2014 ist Pflegefachkraft S. vom MDK zu dem Ergebnis gekommen, dass der Zeitaufwand für die
Grundpflege 71 Minuten pro Tag sowie für die Hauswirtschaft 60 Minuten pro Tag im Wochendurchschnitt betrage. Die Klägerin
benötige teilweise Hilfe bei der Ganzkörperwäsche (15 Minuten), beim Duschen (drei Minuten), beim Kämmen (eine Minute), beim
Stuhlgang (zwei Minuten), beim Richten der Bekleidung (sieben Minuten), beim Wechseln kleiner Vorlagen (drei Minuten), beim
Wechsel, Entleerung Urinbeutel/Toilettenstuhl (zwei Minuten), bei der mundgerechten Zubereitung des Essens (acht Minuten),
beim An- und Entkleiden (neun Minuten), beim Gehen (zwölf Minuten), beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (neun Minuten)
sowie beim An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen (acht Minuten).
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2014 hat die Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass weiterhin die Pflegestufe I vorliege. Die
Pflegeeinstufung sei unbefristet.
Der Senat hat Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. F. schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Er hat unter dem 26. Juli
2014 berichtet, die Klägerin befinde sich seit dem 13. Februar 2003 in seiner Behandlung. Er habe einen Diabetes mellitus
Typ II mit diabetischer Nephropathie, ein nephrotisches Syndrom, seit April 2014 eine hämodialysepflichtige Niereninsuffizienz,
ein diabetisches Fußsyndrom, eine diabetische Polyneuropathie und Retinopathie (Netzhautveränderung), ein metabolisches Syndrom,
eine koronare Herzerkrankung, eine arterielle Hypertonie, eine Hypothyreose und rezidivierende depressive Episoden diagnostiziert.
Die Gehfähigkeit der Klägerin über kurze Strecken im Wohnbereich habe sich seit Juli 2013 gebessert; sie könne wenige Meter
ohne Hilfsmittel zurücklegen. Seit Beginn der Dialyse im April 2014 habe sich die schwer einstellbare arterielle Hypertonie
ebenfalls gebessert, die zuletzt überwiegend normotone Werte aufgewiesen habe. Im Dezember 2013 sei es zu einer Verschlechterung
des Zustandes durch kardiale Dekompensation mit Klinikaufenthalt gekommen. Im Januar 2014 sei ein Eingriff in der Augenklinik
am Universitätsklinikum U. notwendig gewesen. Im April 2014 sei es zu zunehmender Niereninsuffizienz, prärenalem Nierenversagen
bei Blutungsanämie, Beginn einer Hämodialyse sowie Reanimation bei Asystolie am 24. April 2014, passagerer Tracheostomaanlage
sowie Langzeitbeatmung gekommen.
Der frühere Berichterstatter hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 9. Oktober 2014 erörtert. Zu den Einzelheiten wird
auf die Niederschrift der Sitzung Bezug genommen.
Vom 30. Dezember 2014 bis zum 21. Januar 2015 hat sich die Klägerin erneut in stationärer Behandlung im U.-klinikum U. befunden;
es ist insbesondere eine periphere arterielle Verschlusskrankheit Stadium IV links diagnostiziert worden und es ist eine Nachamputation
im Bereich des Großzehen links erfolgt (Arztbrief von Prof. Dr. O. vom 21. Januar 2015).
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen
Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die gemäß §
143 Sozialgerichtgesetz (
SGG) statthafte und gemäß §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da
die Klägerin Leistungen von mehr als € 750,00 begehrt (vgl. §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG).
2. Zulässiger Gegenstand des Verfahren des Verfahrens ist allein der Bescheid der Beklagten vom 8. August 2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2013. Die Bescheide vom 9. Juli 2014 und vom 8. Oktober 2014 sind nicht gemäß
§
153 Abs.
1 i.V.m. §
96 Abs.
1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden (dazu unter a), so dass streitgegenständlich nur der Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum
17. Juni 2014 ist (dazu unter b).
a) Gemäß §
96 Abs.
1 SGG wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides
ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Diese Norm gilt gemäß §
153 Abs.
1 SGG im Berufungsverfahren entsprechend. Durch die Neufassung des §
96 Abs.
1 SGG mit Wirkung zum 1. April 2008 wollte der Gesetzgeber der als teilweise extensiv erkannten Auslegung durch die Sozialgerichte
entgegentreten (Begründung des Gesetzentwurfes auf Bundestags-Drucksache 16/7716, S. 19). Auf die zu §
96 Abs.
1 SGG a.F. ergangene Rechtsprechung kann daher nicht mehr zurückgegriffen werden. Die bloße Einbeziehung eines neuen Verwaltungsaktes
in das anhängige Verfahren, nur weil der neue Verwaltungsakt mit dem anhängigen Streitgegenstand in irgendeinem tatsächlichen
oder rechtlichen Zusammenhang stand, soll nach der Neufassung nicht mehr möglich sein (Begründung des Gesetzentwurfes auf
Bundestags-Drucksache 16/7716, S. 19). Folgebescheide für spätere Zeiträume werden damit von der Einbeziehungsregelung des
§
96 Abs.
1 SGG nicht mehr erfasst (so sogar unter dem Regime des §
96 Abs.
1 SGG a.F. BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 9/06 R - in [...], R. 14 zum Arbeitslosengeld II). Maßgeblich für die Frage, ob ein früherer Verwaltungsakt abgeändert oder ersetzt
wird, ist ein Vergleich der jeweiligen Verfügungssätze (Becker, in: Roos/Wahrendorf [Hrsg.],
SGG, 2014, § 96 Rn. 29 m.w.N.; vgl. auch BSG, Urteil vom 23. Februar 2005 - B 6 KA 45/03 R - in [...], Rn. 17). Eine Änderung oder Ersetzung liegt nur vor, wenn in den im Verfügungssatz des Bescheides zum Ausdruck
kommenden Regelungsgehalt des ursprünglichen Bescheides eingegriffen wird (so BSG, Urteil vom 23. Februar 2005 - B 6 KA 45/03 R - in [...], Rn. 17 zu §
86 Abs.
1 SGG).
Mit Bescheid vom 8. August 2013 hat die Beklagte entschieden, dass "derzeit" keine Pflegestufe festgestellt werden könne.
Bei der Ablehnung von Leistungen handelt es sich nicht um einen Dauerverwaltungsakt. Um einen solchen handelt es sich nur,
wenn der Verwaltungsakt über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugt (BSG, Urteil vom 30. Januar 1985 - 1 RJ 2/84 - in [...], Rn. 14; Brandenburg, in: jurisPK-SGB X, 2013, § 48 Rn. 51). Daran fehlt es, wenn lediglich die Gewährung einer Leistung abgelehnt wird, weil mit der Ablehnung eines Antrages
die Rechtslage nur einmalig gestaltet und das Bestehen eines Leistungsverhältnisses gerade verneint wird (BSG, Urteil vom 30. Januar 1985 - 1 RJ 2/84 - in [...], Rn. 16; Brandenburg, in: jurisPK-SGB X, 2013, § 48 Rn. 52). Dem steht nicht entgegen, dass im Falle einer gerichtlichen Entscheidung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt
der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist, denn dies betrifft nur die gerichtliche Entscheidungskompetenz, nicht aber
den Regelungsgehalt des Ausgangsverwaltungsaktes.
Mit Bescheid vom 9. Juli 2014 hat die Beklagte der Klägerin Pflegegeld ab dem 18. Juni 2014 gewährt. Damit wurde der Bescheid
vom 8. August 2013 weder abgeändert noch ersetzt, denn der Bescheid vom 8. August 2013 hatte für die Zeit ab dem 18. Juni
2014 keine Regelung getroffen (vgl. auch LSG Hamburg, Urteil vom 17. Dezember 2010 - L 1 P 3/10 - in [...], Rn. 20; LSG Bayern, Urteil vom 30. März 2011 - L 2 P 52/09 - in [...], Rn. 24).
Dem stehen die Ausführungen in den Urteilen des Senats vom 30. März 2012 (L 4 P 342/10 - in [...], Rn. 25), 6. Dezember 2012 (L 4 P 3548/10, nicht veröffentlicht) und 12. September 2014 (L 4 R 2221/13, nicht veröffentlicht) nicht entgegen. In den dort zu beurteilenden Konstellationen hat der Senat die Einbeziehung eines
weiteren Bescheides in das Verfahren nur deswegen bejaht, weil die Behörde die ursprüngliche Ablehnung von Leistungen in einem
späteren Bescheid für den gesamten zurückliegenden Zeitraum, also einschließlich des Zeitpunktes des ersten Bescheides, bestätigt
und nicht lediglich eine neue Entscheidung für einen anderen Zeitraum getroffen hatte.
b) Streitgegenständlich ist damit allein der Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 17. Juni 2014. Der Beginn des Zeitraums ergibt
sich unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin ihren Leistungsantrag am 25. Juli 2013 gestellt hat, aus §
33 Abs.
1 Satz 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI), nach dem Leistungen vom Beginn des Monats der Antragstellung an gewährt werden, wenn der Antrag später als einen Monat
nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit gestellt wird.
Der Ende des streitgegenständlichen Zeitraums resultiert daraus, dass die Beklagte seit dem 18. Juni 2014 Pflegegeld gewährt.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 8. August 2013 hat sich damit im Sinne des § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in sonstiger Weise erledigt (vgl. BSG, Urteil vom 2. Februar 2010 - B 8 SO 21/08 R - in [...], Rn. 9), ohne dass dieser gemäß (§
153 Abs.
1 i.V.m.) §
96 Abs.
1 SGG Gegenstand eines gegen den ersten Verwaltungsakt anhängigen Verfahrens würde (vgl. BSG, Urteil vom 2. Februar 2010 - B 8 SO 21/08 R - in [...], Rn. 9; Becker, in: Roos/Wahrendorf [Hrsg.],
SGG, 2014, §
96 Rn. 32 m.w.N.).
3. Die Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
26. November 2013 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis 17. Juni 2014 keinen Anspruch auf Pflegegeld.
Dessen Gewährung macht sie bei sachgerechter Auslegung ihres Begehrens geltend, denn ihr gesamter Vortrag ist dadurch geprägt,
dass sie ihre und ihres Sohns schlechte finanzielle Situation beklagt. Auch im Erörterungstermin hat die Klägerin vortragen
lassen, dass es ihr im Wesentlichen um eine Geldleistung ginge. Diesem Klageziel würde die Gewährung von Sachleistungen -
auch im Rahmen von Kombinationsleistungen - nicht gerecht, zumal nur um Leistungen für die Vergangenheit, in der Sachleistungen
nicht erbracht wurden, gestritten wird.
a) Nach §
37 Abs.
1 Satz 1
SGB XI können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach §
14 Abs.
1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig
wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in §
14 Abs.
4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§
15 SGB XI) der Hilfe bedürfen.
Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach §
15 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren
Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen
Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson
benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die
Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§
15 Abs.
1 Nr.
1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege
(§
14 Abs.
4 Nr.
1 SGB XI), der Ernährung (Nr.
2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden,
bei der Zahnpflege, beim Kämmen, Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten
Zubereiten und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem
An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn §
14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich
erbrachte Pflege ab (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - in [...], Rn. 12 ff.; Urteil des Senats vom 30. März 2012 - L 4 P 342/10 - in [...], Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 - L 4 P 5324/11 - in [...], Rn. 26). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die
Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem
SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch
um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 7/97 R - in [...], Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 - B 3 P 7/03 R - in [...], Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 - B 3 P 26/05 B - in [...], Rn. 8; Urteil des Senats vom 30. März 2012 - L 4 P 342/10 - in [...], Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 - L 4 P 5324/11 - in [...], Rn. 26). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft.
Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und
auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R - in [...], Rn. 20 m.w.N.).
b) aa) In der Zeit vom 1. Juli 2013 bis jedenfalls zum 16. April 2014 war die Klägerin nicht pflegebedürftig. Zwar hatte sie
im Februar 2013 einen Bruch des rechten Oberschenkelknochens erlitten, der zu einer Gehbeeinträchtigung führt. Außerdem litt
sie an degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, einem Diabetes mellitus Typ II mit diabetischer Nephropathie, nephrotischem
Syndrom, diabetischem Fußsyndrom, diabetischer Polyneuropathie und Retinopathie (Netzhautveränderung), metabolischem Syndrom,
koronarer Herzerkrankung, arterieller Hypertonie, Hypothyreose und rezidivierenden depressiven Episoden, was der Senat der
schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des Dr. F. entnimmt.
Hieraus resultierten aber keine funktionellen Einschränkungen, die einen Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege zur Folge
hatten. Aufgrund des vom SG eingeholten Sachverständigengutachtens der gerichtlichen Sachverständigen G.-K. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass
die Klägerin weder bei der Körperpflege noch der Ernährung oder der Mobilität Hilfebedarf hatte. Die Klägerin war ohne fremde
Hilfe in der Lage, sich ins Bett zu legen, sich zuzudecken und das Bett wieder zu verlassen, sich an- und auszukleiden, sich
zu duschen, Unter- und Oberkörper abzutrocknen, das Haar zu kämmen, vom Liegen und Stehen aufzustehen, zumindest mit Unterarmstützen
zu gehen, kurz frei zu stehen, sich Getränke zuzubereiten und zu trinken sowie mit Messer und Gabeln umzugehen. Anlass zu
Zweifeln an der Validität der Ausführungen der Sachverständigen hat der Senat nicht. Auch die Klägerin ist den Ausführungen
nicht konkret entgegentreten. Das vorgelegte Pflegetagebuch gibt zur Überzeugung des Senats den Pflegebedarf nicht korrekt
wider. Die Annahme etwa, dass für das Waschen ein Pflegebedarf von täglich 90 Minuten bestehe, ist abwegig.
Etwas anderes folgt auch nicht aus den im Verwaltungs- und Vorverfahren eingeholten Gutachten der Pflegefachkräfte L. und
D.. Zwar geht die Pflegefachkraft L. in ihren Gutachten von einem Hilfebedarf der Klägerin bei der Ganzkörperwäsche, dem Duschen,
dem An- und Entkleiden sowie dem Transfer von insgesamt 16 Minuten aus. Ein Grundpflegebedarf von mindestens 46 Minuten pro
Tag wird damit aber plausibel mit Abstand nicht erreicht. Das Gutachten der Pflegefachkraft D. erfolgte nur nach Aktenlage
und bestätigte lediglich die Feststellungen des Vorgutachtens.
bb) Auch für die Zeit vom 17. April 2014 bis zum 17. Juni 2014 hat die Klägerin keinen Anspruch auf Pflegegeld. Die gesundheitliche
Situation der Klägerin und ihre Grundpflegehilfebedarf änderten sich zwar nach dem 17. April 2014, was sich aus dem Arztbrief
des Privatdozenten Dr. S. vom 18. Juni 2014 ergibt. Insbesondere ist die Klägerin seither dialysepflichtig. Der Senat kann
aber offen lassen, ob, ggf. wann und in welchem Umfang die Klägerin zwischen dem 17. April 2014 und dem 17. Juni 2014 pflegebedürftig
im Sinne des §
14 Abs.
1 SGB XI gewesen ist. Denn einem Leistungsanspruch steht jedenfalls der Umstand entgegen, dass sich die Klägerin in diesem Zeitraum
in stationärer Krankenhausbehandlung befunden hat.
Das Ruhen des Leistungsanspruchs während des stationären Krankenhausaufenthalts folgt aus §
34 Abs.
2 Satz 1
SGB XI. Danach ruht der Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege unter anderem für die Dauer des stationären Aufenthaltes in
einer Einrichtung im Sinne des §
71 Abs.
4 SGB XI; zu diesen Einrichtungen zählen auch Krankenhäuser. Zwar ist Pflegegeld nach §
37 SGB XI oder anteiliges Pflegegeld nach §
38 SGB XI in den ersten vier Wochen einer vollstationären Krankenhausbehandlung weiter zu zahlen (§
34 Abs.
2 Satz 2
SGB XI); bereits die gesetzliche Formulierung "weiter zu zahlen" macht jedoch deutlich, dass hierfür bereits vor dem Krankenhausaufenthalt
Leistungen erbracht worden sein müssen (zutreffend LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 1. März 2013 - L 10 P 5/12 - in [...], Rn. 27; Padé, in: jurisPK-
SGB XI, §
34 Rn. 35.1). Daran fehlt es hier.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. §
160 Abs.
2 SGG) nicht vorliegen.