Anspruch auf Versorgung nach Häftlingshilfegesetz; psychische Störungen aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Haft in der ehemaligen DDR
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Versorgung nach dem Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen
außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingshilfegesetz - HHG -) i. V. m. dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG -).
Der 1950 geborene Kläger hat in der ehemaligen DDR etwa bis zu seinem 8. Lebensjahr bei seiner Mutter gelebt, der jedoch dann
das Sorgerecht entzogen wurde und die er nach deren (erneuter) Republikflucht in den Westen Deutschlands am 07. Juni 1960
zunächst nicht mehr gesehen hat. In der Folgezeit hat der Kläger teilweise bei seiner Stief-Großmutter und immer wieder in
verschiedenen Heimen gelebt, so etwa ab dem 02. November 1963 im Spezialkinderheim S und später im Jugendwerkhof F. Nach der
Heimentlassung 1968 und aus Anlass der Wehrerfassung, bei welcher sich der Kläger bedroht fühlte, versuchte er über die Tschechoslowakei
zu fliehen, wobei er am 03. August 1968 an der Grenze aufgegriffen wurde. Bis zu seiner Auslieferung nach Westberlin am 03.
Dezember 1969 war er daraufhin in verschiedenen Gefängnissen in der ehemaligen DDR inhaftiert. Mit Bescheinigung des Senators
für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 25. Januar 1971 nach § 10 Abs. 4 HHG wurde dem Kläger bestätigt, dass es sich hierbei um politischen Gewahrsam im Sinne des § 1 Abs. 1 und 4 HHG gehandelt habe.
Mit einem am 21. Juni 2002 beim Beklagten eingegangenen Antrag machte der Kläger einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach
dem HHG wegen seiner Inhaftierung in der Zeit vom 03. August 1968 bis 03. Dezember 1969 geltend. Im Antrag führte er aus, neben jeglicher
Art von Psychoterror während der Haft - hier habe er u. a. neun Monate Einzelhaft erdulden müssen - auch Belastungen in den
Heimen in Form von Kinder-Schwerstarbeit ausgesetzt gewesen zu sein. Der Beklagte versuchte, die den Kläger betreffenden Vollzugsakten
beizuziehen; diesbezüglich übersandte letztlich das Bundesarchiv Kopien der Karteikarten aus der Zentralen Gefangenenkartei
des Ministeriums des Innern der ehemaligen DDR, weitere Unterlagen die Haftzeit betreffend konnten nicht gefunden werden.
Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR teilte mit Schreiben vom 09. Mai
2003 mit, dass sich aus den ihr vorliegenden Unterlagen keine Hinweise auf eine Zusammenarbeit des Klägers mit dem Ministerium
für Staatssicherheit der ehemaligen DDR ergeben haben. Der Beklagte ermittelte ferner medizinisch durch Einholung von Befundberichten
der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. J vom 14. September 2002 und des psychologischen Psychotherapeuten Dipl.-Psych.
W vom 03. Oktober 2002. Der Kläger übersandte verschiedene Arztbriefe mit Untersuchungsergebnissen, insbesondere über die
Behandlung seiner Wirbelsäulenerkrankung, sowie Bescheide und Kurzgutachten für die ehemalige Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte (BfA) aus Anlass eines Antrages auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Der Beklagte zog ferner einen
Reha-Entlassungsbericht der H-Klinik I über einen zu Lasten der ehemaligen Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin durchgeführten
stationären Aufenthalt vom 21. Juni bis 09. August 2005 bei. Die Kliniken im T-Werk übersandten einen Entlassungsbericht über
die in der Zeit vom 04. bis 16. April 2002 durchgeführte stationäre Behandlung. Weiter holte der Beklagte ein Gutachten des
Arztes für Chirurgie Dr. O vom 15. Januar/2. Februar 2004 ein, der ausführte, dass bezüglich der beim Kläger bestehenden Veränderungen
der Wirbelsäule mit HWS- und LWS-Syndrom die Bezeichnung und Bewertung einer Schädigungsfolge nach dem HHG entfalle, da der Kläger während seiner Haftzeit wesentliche Verletzungen des Skelettsystems nicht erlitten habe, posttraumatische
Veränderungen fänden sich in den Röntgenaufnahmen nicht, es handele sich vielmehr um degenerative Veränderungen aufgrund biologischen
Verschleißes.
Der Beklagte holte sodann ein Gutachten der Ärztin für Psychiatrie S ein, die unter dem 22. September 2004 ausführte, als
Schädigungsfolge zur Anerkennung gelegentlich auftretende spezifische Albträume im Sinne einer Verschlimmerung zu empfehlen,
die mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit "MdE" (nunmehr "Grad der Schädigungsfolgen - GdS") von 10 v. H. zu bewerten
seien. Darüber hinaus sollte die Anerkennung eines seelischen Leidens ausschließlich im SB-Bereich (Schwerbehindertenbereich)
erfolgen. Da das seelische Leiden ausgeprägt sei und mit einer erheblichen Beeinträchtigung der sozialen Erlebens- und Gestaltungsfähigkeit
einhergehe, sei von einer schweren Störung, ähnlich einer Zwangsstörung, auszugehen, für die ein Grad der Behinderung (GdB)
von 50 zur Anerkennung empfohlen werde.
Zu der durch Eigenanamnese erfragten Lebensgeschichte des Klägers führte sie folgendes aus: Der Kläger sei nichtehelich geboren
und habe seinen Vater nie kennen gelernt. Nach Stasiunterlagen habe seine Mutter mit ihm illegal die DDR verlassen und in
einem Flüchtlingslager bei L gelebt, wo er bereits als kleiner Junge für die Essenszubereitung, das Beheizen des Raumes und
die Versorgung des Stiefvaters mit Alkohol habe sorgen müssen. Selbst kleinste Verfehlungen oder Ungeschicklichkeiten seien
mit Schlägen geahndet worden. Nachdem die Mutter die Aggressivität des Stiefvaters ihm gegenüber erkannt hatte, habe sie sich
von dem Mann getrennt und sei nach Berlin-Ost zu ihrer eigenen (Stief-)Mutter geflüchtet. Von dort sei sie allerdings von
einem Tag zum anderen verschwunden, man habe sie wohl abgeholt, die Gründe hierfür habe er nie erfahren. Er sei schließlich
in ein Spezialheim für schwererziehbare Jugendliche gebracht worden, wo er viel bestraft worden sei. Er habe schwere Arbeiten
verrichten müssen und häufig Strafen und Schläge erhalten. Am schlimmsten sei es gewesen, mit nackten Füßen auf dem kalten
Boden vor dem Schlafzimmer stehen zu müssen, obwohl er müde gewesen sei und schlafen wollte. Insgesamt habe, auch bei der
Essenszuteilung, eine Art Raubtierprinzip geherrscht, das noch bewusst gefördert worden sei. Er habe seinerzeit schnell begriffen,
dass es vorteilhaft sei, sich höflich und nett zu verhalten, habe jedoch nicht immer seine Wut und Angriffslust zähmen können.
Zwischen seinem 8. und 9. Lebensjahr sei er zufällig seiner Mutter begegnet, die ihn an die Hand genommen und mit ihm nach
Westberlin gefahren sei. Nach ca. 4 bis 5 Wochen habe ihn die Großmutter, ohne die Mutter hiervon in Kenntnis zu setzen, wieder
nach Ostberlin gebracht. Nach dieser Entführung und Rückführung sei er in einem Spezialheim untergebracht worden. 1963 habe
die Mutter nochmals versucht, ihn durch einen Schleuser in den Westen bringen zu lassen, der ihn dann sexuell missbraucht
habe. Er sei dabei festgenommen und schließlich in das geschlossene Heim nach S verbracht worden, wo er schwerste körperliche
Arbeiten hätte leisten müssen. Er habe mehrfach versucht zu fliehen, sei aber immer wieder erwischt worden. Strafen hätten
bei ihm keinen Effekt mehr gehabt. Er sei ständig aggressiv und angriffslustig gewesen. Das einzig Positive sei gewesen, dass
er der größte und kräftigste gewesen sei und andere vor ihm Angst gehabt hätten. Er habe selbst auch Angst gehabt, diese aber
nicht nach außen gezeigt, da die Äußerung von Schwäche noch schlimmere Folgen gehabt hätte. Er habe schon immer sehr oberflächlich
geschlafen und sei sofort wach gewesen. Er habe sich nie etwas sagen lassen und mit 15/16 Jahren begonnen, bei Strafen der
Erwachsenen zurückzuschlagen, gelegentlich habe er sich dann mit Erziehern geprügelt. Mit 15/16 Jahren sei er in ein offenes
Jugendheim am S verlegt worden, wo er "richtig ausgerastet" sei und sein gesamtes Umfeld demoliert habe. Er sei hierbei auch
gegenüber sich selbst aggressiv gewesen. Wegen seiner schlechten Lernerfolge sei er dann für die Dauer von fast 2 Jahren bis
Mai 1968 zu dem Aufenthalt im Jugendwerkhof F in der Nähe von L verurteilt worden. Es habe sich um ein eingezäuntes Gelände
mit Baracken gehandelt, wo er erneut habe Schwerstarbeit leisten müssen. Die Gruppe, in der er gearbeitet hatte, seien "wie
KZler" behandelt worden.
Nach seinem Fluchtversuch sei er festgenommen und in P in Isolierhaft genommen worden. Dorthin sei er mit dem Grotewohl-Express
transportiert worden. Er habe nicht gewusst, was auf ihn zukomme und sei mehrfach ohnmächtig geworden und mit dem Kopf aufgeschlagen;
vom Wachposten seien ihm Zähne ausgeschlagen worden. Er habe zunächst einige Zeit in Einzelhaft verbracht. Auch dort sei er
ein "Revoluzzer" gewesen. Er habe u. a. unter Haarausfall und Schwindel gelitten. Wegen seiner ständigen Aufbegehrereien habe
es verschärften Arrest gegeben, wobei er kaum Essen erhalten habe. Laut Stasiakten habe er wohl eine Haftpsychose entwickelt.
In der Einzelhaft habe er nicht gewusst, was er machen dürfe. Er habe zunächst auf einem Hocker gesessen, der ihm weggenommen
worden sei. Auf den Fußboden habe er sich nicht setzen dürfen. Dann sei ein Spitzel zu ihm in die Zelle gelegt worden, der
versucht habe, ihn auszuhorchen und mit dem er sich geprügelt habe. Die Untersuchungshaft in P habe ungefähr 8 Monate gedauert,
anschließend sei er zum Strafvollzug nach R verlegt worden. Sodann sei er ein paar Monate in C im Strafvollzug verblieben
und dort von Häftlingen, insbesondere von Kriminellen verprügelt worden. Die Zermürbung durch den Staatssicherheitsdienst
habe bewirkt, dass er sich nicht habe wehren können. Während der Haft sei nachts unentwegt Licht angeschaltet worden. Man
habe mit Schlüsseln gegen die Tür geklopft. Freigang habe es kaum gegeben. In K Stadt habe er die Zelle mit einem Fremdenlegionär
geteilt, der alles auseinander genommen habe, was es dort nur gegeben habe. Er habe dort sein letztes Stündlein schlagen gesehen
und geglaubt, dass er auch bald dran sei. Zur Übergabe an den Westen hätte er durch ein Spalier von widerlichen Männern in
Overalls schreiten müssen, die ihre Maschinenpistolen auf ihn gerichtet hatten, er sei dabei kollabiert.
Das Auffanglager in Ghabe sich für ihn als "Hölle" herausgestellt. Er sei mit der Freiheit nicht klargekommen und in der Folgezeit
zunächst ca. eineinhalb Jahre in Europa herumgereist. Er habe sich schließlich ein Architekturstudium erschlichen. In der
Folgezeit habe er ab 1978 regelmäßig gearbeitet, zuletzt als Bauleiter. Als ausgesprochen problematisch habe er die Maueröffnung
erfahren, wonach er mit den Bürgern der ehemaligen DDR erneut hätte zusammenarbeiten müssen, was ihn zutiefst belastet habe.
Verschlimmert habe sich die Situation durch eine 2003 genommene Akteneinsicht, bei der die Erinnerungen wieder aufgestiegen
seien. Am 03. Mai 2002 sei er ausgerastet und habe alle Mitmenschen, einschließlich seines Bauherrn, nur noch anschreien können.
Danach sei er vier Wochen lang in das T Werk gegangen, wo er sich jedoch nicht ernst genommen gefühlt habe.
Zum psychischen Befund führte die Gutachterin aus, dass der formale Gedankengang durch zwanghaft anmutendes Grübeln bestimmt
sei, kognitiv eingeengt auf die Erfahrung der Demütigung und der Suche nach der eigenen unklaren Identität. Bei Fragen nach
z. B. somatischen Erkrankungen habe der Kläger immer wieder mit der Schilderung von Heimerfahrungen reagiert. Eine Haftpsychose
sei anamnestisch genannt worden, hätte aber nicht beschrieben werden können. Ein Unrechtsbewusstsein für eigene Taten und
Straftaten hätte der Kläger nicht zu entwickeln vermocht, da er sich durchgängig als Opfer einer nicht vorhandenen Gerechtigkeit
betrachtet habe.
Im Rahmen der Beurteilung führte die Sachverständige aus, dass beim Kläger eine schwere emotionale Störung im Kindesalter
mit einer Störung des Sozialverhaltens vorgelegen habe, die sich in Affektstörungen, Störungen der Impulsivität, Schlafstörungen
und erheblichen Anpassungsproblemen gezeigt habe. Der Kläger sei in einem von zahlreichen Familiengeheimnissen gekennzeichneten
Milieu aufgewachsen, die Geheimnisse hätten sowohl die religiöse Herkunft als auch die familiären Beziehungen betroffen. In
der Familie habe der Kläger keinerlei Basis zur Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit erfahren können. In der Jugendzeit
hätten sich bereits Schlafstörungen und Albträume gezeigt. Er sei als Kind und Jugendlicher erheblicher Gewalt in der Familie,
vor allem aber durch die in den Heimen angewandten Erziehungsmethoden ausgesetzt und ausgeliefert gewesen. Auch die Zeit nach
der Haft im Übergangswohnheim G habe er als "Hölle" bezeichnet. Das schlimmste sei für den Kläger gewesen, dass er der Spionage
verdächtigt worden sei, da damit sein Traumberuf, nämlich als Polizist und Offizier der Bundeswehr zu arbeiten, nicht in Erfüllung
gegangen sei.
Zweifellos sei der Kläger in seiner Kindheit traumatisiert worden. Der Aufenthalt in diversen Heimen mit wiederholten Fluchtversuchen,
sexuellem Missbrauch und Zwangsarbeit ab dem 14. Lebensjahr sowie die Unterbringung im Jugendwerkhof F bei L hätten einen
schwer gestörten Menschen zurückgelassen, dessen Störung im Gefängnisaufenthalt lediglich vorübergehend verstärkt worden sei.
Es zeige sich ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen im Selbstbild und in den Affekten
sowie eine deutliche, nicht steuerbare Impulsivität. Insgesamt handele es sich um eine emotionale Persönlichkeitsstörung vom
impulsiven Typus, die bereits vor dem 15. Lebensjahr erkennbar gewesen sei und die schon in der Jugend und frühen Adoleszenz
mit Selbstbeschädigungen verbunden gewesen sei. Zusammenfassend sei die Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung
vom impulsiven Typ mit dissozialen und zwanghaften Anteilen und eine Dysthymie (zurzeit mittelschwer bis schwer) festzustellen.
Eine posttraumatische Belastungsstörung sei hingegen nicht festzustellen.
Möglicherweise habe der Gefängnisaufenthalt 1968 bis 1969 nach Drangsalierung in diversen Heimen über 9 Jahre und einem Aufenthalt
im Jugendwerkhof von 2 Jahren bei der schon in der Familie zuvor erlittenen Gewalt zu einer Symptomverschlimmerung der Persönlichkeitsstörung
geführt. Danach sei es zu zahlreichen Nachschäden im Arbeitsbereich gekommen. Da nach den Anhaltspunkten für die gutachterliche
Tätigkeit die Möglichkeit einer Beeinflussung nicht ausreiche, um einen kausalen Zusammenhang herzustellen, könne die Anerkennung
von anderen Folgen als den erwähnten Albträumen als Schädigungsfolge nicht empfohlen werden.
Mit Bescheid vom 06. Juli 2005 (in der Fassung der Berichtigungsverfügung vom 2. November 2005) hat der Beklagte daraufhin
als Schädigungsfolgen gelegentlich auftretende spezifische Albträume, verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne
des § 4 HHG anerkannt, die Gewährung einer Rente jedoch abgelehnt, da der Grad der durch die Schädigungsfolgen verursachten MdE weniger
als 25 v. H. betrage. Den hiergegen erhobenen Widerspruch hat der Beklagte nach Einholung von Stellungnahmen des Facharztes
für Neurologie und Psychiatrie Dr. D vom 14. September 2005 und vom 17. Oktober 2005 mit Widerspruchsbescheid vom 25. November
2005 zurückgewiesen.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 04. September 2006 unter Bezugnahme auf das Gutachten
der Frau S abgewiesen. Zwar mögen die anerkannten Albträume nur die "Spitze des Eisberges" der Symptome sein, die den Kläger
quälten, es seien jedoch die einzigen dauerhaft verbliebenen Schädigungsfolgen, welche im versorgungsrechtlichen Sinne medizinisch
objektivierbar und nachvollziehbar auf die Haft zurückgeführt werden könnten. Denn allein anerkennungsfähig als versorgungsrechtliche
Ursache seien die Folgen der menschenrechtswidrigen Haftumstände, nicht jedoch das weitere schwere Schicksal des Klägers vor
sowie nach der Haftzeit. Die schwere Kindheit des Klägers gehe insoweit nicht zu seinen Lasten, könne allerdings umgekehrt
auch nicht "zu seinen Gunsten" gewertet werden, da die geltend gemachten weiteren Schädigungsfolgen nicht fachmedizinisch
abgrenzbar auf die Haftumstände zurückgeführt werden könnten.
Gegen dieses ihm am 02. Dezember 2006 zugegangene Urteil richtet sich die am 29. Dezember 2006 eingegangene Berufung des Klägers.
Der Kläger trägt weiterhin vor, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Haft und den bei ihm bestehenden psychischen
Erkrankungen mit ausreichender Wahrscheinlichkeit gegeben sei. Erst infolge der Haft sei es zu den genannten umfangreichen
Beschwerden gekommen. Es gäbe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Albträume und Schlafstörungen bereits vor der Haftzeit 1968
bestanden hätten. Vielmehr könnten die Schädigungsfolgen auf die Haftumstände zurückgeführt werden. Die Ausführungen der Gutachterin
S seien in sich widersprüchlich und unvollständig. Auch würden die Angaben im Entlassungsbericht der Kliniken im T-Werk über
seine stationäre Behandlung vom 04. April bis 16. April 2002 nicht ausreichend gewürdigt, wo man ausgeführt habe, dass Spätfolgen
aus seinen traumatischen Hafterfahrungen resultierten. Auch sein behandelnder Neurologe und Psychiater Dr. L habe insoweit
eine posttraumatische Belastungsstörung bestätigt, ebenso sehe ihn der Diplom-Psychologe W mit Befundbericht vom 03. Oktober
2002 als "Stasi-Folteropfer".
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. September 2006 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 06. Juli 2005 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm nach dem Häftlingshilfegesetz in Verbindung mit dem BVG einen Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 v. H. zuzuerkennen sowie entsprechend Entschädigung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist auf eine weitere Stellungnahme der Gutachterin S vom 20. November 2007 zu den Einwänden des Klägers,
die erneut ausführte, dass der Kläger zweifellos an einer schweren psychischen Störung leide, die möglicherweise durch den
Gefängnisaufenthalt verschlimmert worden sei, ein kausaler Zusammenhang im Sinne einer Wahrscheinlichkeit sei insoweit jedoch
nicht feststellbar. Das extreme Misstrauen, die Verbitterung, die hohe innere Anspannung, das ständige Kontrollbedürfnis und
die Unfähigkeit, gelungene Bindungen aufzubauen, seien durch die langjährigen Heimaufenthalte mit andauernden Misshandlungen
und Demütigungen zu erklären, nicht aber durch den eineinhalbjährigen Haftaufenthalt. Der vom Kläger genannte Dr. L habe am
14. September 2002 zwar eine posttraumatische Belastungsstörung genannt, aber in seinem psychopathologischen Befund dessen
Kriterien nicht aufgeführt; vielmehr habe der Befund die ebenfalls aufgeführte Dysthymie und die emotional instabile Persönlichkeitsstörung
bestätigt. Die in der H-Klinik Z nach dem Aufenthalt vom 21. Juni 2005 bis 09. August 2005 gestellten Diagnose u. a. der Persönlichkeitsstörung
nach Extrembelastung könnte nur dann festgestellt werden, wenn zuvor die Persönlichkeit intakt gewesen sei. Die von Dr. B(Psychologin
am Zentrum für Folteropfer) beschriebenen sehr starken Beschwerden in den Bereichen Vermeidung, intrusives Erleben und Übererregung
als Ausdruck einer posttraumatischen Belastungsstörung seien als Symptome bereits vorher vorhanden gewesen und könnten deshalb
nicht durch die Haft verursacht worden sein. Der Beklagte verweist ferner sowohl auf Stellungnahmen der Fachärztin für Chirurgie
Dr. Tvom 17. Dezember 2008 und der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie W vom 30. Dezember 2008, auf die Bezug genommen
wird.
Das Gericht hat auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ein Gutachten des Psychologischen Psychotherapeuten Diplom-Psychologe T- Beratungsstelle Gegenwind, vom 12. November 2008
eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass beim Kläger eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, ICD
10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, 10. Revision) F 62.0, sowie eine rezidivierende
depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, F 33.1 bestehe, die mit großer Wahrscheinlichkeit im Sinne der erstmaligen
Entstehung ursächlich auf die Haftzeit zurückzuführen seien. Den repressiven Maßnahmen im Vorfeld der Haftzeit - Heimerziehung
mit Zwangsarbeit - komme eine untergeordnete Bedeutung zu und dies nur insofern, als durch ihren Einfluss eine eingeschränkte
Belastbarkeit des Klägers hervorgerufen worden sei, durch welche der Haft ein zusätzlicher hoher Belastungsgrad zu komme.
Die MdE (nunmehr GdS) betrage für die andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung 50 v. H. und für die komorbide
rezidivierende depressive Störung 10 v. H., zusammen 60 v. H. Diese Einschränkungen bestünden seit ca. 2003. Zuvor sei vermutlich
von einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen.
Bei dem Kläger stehe im Vordergrund eine Form der Chronifizierung mit misstrauisch, feindlicher Haltung der Welt gegenüber,
sozialem Rückzug, Gefühlen von Hoffnungslosigkeit, Resignation sowie Gefühlen von ständiger Bedrohung und Entfremdung, die
mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Haftzeit zurückzuführen sei. Die Haftzeit sei mit unterschiedlichen Extremen geeignet
gewesen, den Tatbestand einer massiven Traumatisierung nach der Definition der Posttraumatischen Belastungsstörung zu erfüllen.
Es sei zu sexuell motivierter Herabwürdigung, körperlichen Übergriffen, Zwangsbehandlungen mit Psychopharmaka und anderen
fragwürdigen medizinischen Eingriffen gekommen. Als besonders einschneidend sei die Isolationsfolter beschrieben worden, die
für ihn zu Nervenzusammenbrüchen ("Haftpsychose" - der Kläger habe diesen Ausdruck gewählt, um das Extreme auszudrücken) und
massiver Gewichtsabnahme mit andauernder Übelkeit sowie dem Gefühl des völligen Ausgeliefertseins geführt habe. Über längere
Zeit sei er über die Dauer seiner Inhaftierungszeit im Unklaren gelassen worden. In Bezug auf die Übergabe nach Westberlin
habe er deutlich gemacht, bei dieser Gelegenheit Todesangst gehabt zu haben, da er befürchten musste, erschossen zu werden.
Diese Haftzeit falle in Bezug auf das jugendliche Alter des Klägers stark ins Gewicht.
Den Ausführungen von Frau S könne nicht gefolgt werden. Das aufbegehrende Verhalten des Klägers sei als Reaktion auf ein äußerst
inhumanes Erziehungssystem zu sehen, also nicht als Ausdruck einer frühen Entwicklungsstörung, sondern als ein Versuch, sich
dem Einfluss der autoritären Jugendfürsorge zu entziehen; hierbei handele es sich nach seiner Auffassung um ein eher nachvollziehbares
Verhalten, welches für Resilienz spreche. Soweit Frau S von einer emotionalen Störung aufgrund der Heimerziehung ausgehe,
verzichte diese auf eine genauere diagnostische Einordnung der "emotionalen Störung", die beim Kläger vorgelegen haben soll.
Es sei unklar, welche Art von Entwicklungsstörung gemeint sei. In der Begründung zur Heimeinweisung vom Referat Jugendhilfe
vom 19. Oktober 1963 werde eine psychische Störung nach nervenärztlicher Untersuchung ausgeschlossen. Es sei lediglich auf
Verhaltensprobleme eingegangen worden, die ganz offensichtlich mit der zwangsweisen Trennung des Jungen von seiner Mutter
zu tun gehabt hätten. Der vom Kläger geschilderte leichte Schlaf sei eine Reaktion auf Übergriffe und Diebstähle in den Heimen.
Trotz schwieriger äußerer Umstände habe der Kläger konstante, wenn auch nicht konfliktfreie Beziehungen zu seiner Mutter und
seiner Stiefgroßmutter aufbauen können. Sein sehnlichster Wunsch seit der Zwangstrennung von seiner Mutter sei gewesen, zu
ihr in den Westen kommen zu dürfen. Soweit sich der Kläger selbst als impulsives aggressives und zorniges Kind geschildert
habe, welches immer versucht habe, eigene Ängste und Trauer nicht zu zeigen, um anderen keine Angriffsfläche zu bieten, und
das massive Anpassungsstörungen gezeigt habe, wies er darauf hin, dass der Kläger bereits mit etwa 8 Jahren einem extrem repressiven
Erziehungssystem ausgeliefert gewesen sei. Er sei von nahen Verwandten, seiner Mutter und seiner Stiefgroßmutter getrennt
worden. Wut und Aufbegehren vor dem Hintergrund einer Zwangssituation unter repressiven Bedingungen sollten nicht als psychische
Störung pathologisiert werden; ein Aufbegehren gegen die Unterdrückung in einer Diktatur sollte nicht mit Dissozialität verwechselt
werden. Eine Persönlichkeitsstörung mit Beginn in der Kindheit könne nicht nachgewiesen werden. Die von Frau S vermutete emotionale
instabile Persönlichkeitsstörung liege nicht vor. Die Gutachterin unterschlage in ihrer Einschätzung den Rahmen, in dem ein
bestimmtes Verhalten provoziert worden sei. Der Kläger habe sich trotz extremer Bedingungen in den Heimen als keineswegs nur
impulsiv handelnd erwiesen. Vielmehr habe er sich gegen äußerst bedrohliche äußere Einflüsse zur Wehr gesetzt. Positive Einflussnahme
habe er ebenfalls erkennen und sich dann entsprechend verhalten können. Die Beschreibung des Klägers, die sich im Übrigen
mit vielen veröffentlichten Einschätzungen über Spezialkinderheime und Jugendwerkhöfe deckten, beschrieben unhaltbare Zustände
in diesen Heimen, denen gegenüber sich der Kläger zur Wehr gesetzt bzw. sich durch Flucht zu entziehen versucht habe. Der
impulsive Typus, den Frau S im Kläger erkenne, werde im Übrigen charakterisiert durch "Ausbrüche von gewalttätigem und bedrohlichen
Verhalten" ..., "vor allem bei Kritik durch andere". Es gehe hier jedoch nicht um ein unangemessenes Verhalten auf Kritik,
sondern um eine stark fordernde und komplizierte Anpassungsleistung an ein extremes System, welches der Kläger psychisch überraschend
stabil überstanden habe. Die Resilienz des Klägers sei zu diesem Zeitpunkt also noch recht groß gewesen.
Das Gutachten der Frau S entbehre jeglicher testdiagnostischer Absicherungen und baue auf Spekulationen. Zur Diagnose der
Borderline-Persönlichkeitsstörung sei anzumerken, dass deren Kernsymptomatik, nämlich die emotionale Instabilität mit der
Neigung zu plötzlich auftretenden affektiven Dysregulationen in Form von Wutausbrüchen und depressiven Einbrüchen in vieler
Hinsicht mit der Symptomatik nach schweren und lang anhaltenden Traumatisierungen identisch sei. Auch die Aussage von Frau
Sim Hinblick auf die Diagnose der H-Klinik Z sei fehlerhaft. Frau S gehe davon aus, dass die Diagnose der andauernden Persönlichkeitsstörung
nach Extrembelastung nur dann in Betracht komme, wenn zuvor die Persönlichkeit intakt gewesen sei. Fachlich korrekt sei jedoch:
"Die Belastung muss vielmehr so extrem sein, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tiefgreifende
Auswirkung auf die Persönlichkeit als Erklärung nicht ausreicht."
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig und auch in der Sache begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung eines Grades
der Schädigungsfolgen infolge der von ihm in der ehemaligen DDR erlittenen rechtsstaatswidrigen Haft. Die Bescheide des Beklagten
und das erstinstanzliche Urteil sind rechtswidrig und waren daher abzuändern bzw. aufzuheben.
Nach § 4 Abs. 1 HHG erhält ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG Berechtigter, der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen
Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Nach § 4 Abs. 5 S. 1 HHG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Die Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen
einen ursächlichen Zusammenhang spricht, wobei lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs oder ein zeitlicher Zusammenhang
nicht genügen. Nach der im Versorgungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ist ferner zu beachten, dass nicht
jeder Umstand, der irgendwie zum Erfolg beigetragen hat, rechtlich beachtlich ist, sondern nur die Bedingungen, die unter
Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg diesen wesentlich herbeigeführt haben.
Vorliegend steht für den Senat fest, dass beim Kläger die während der rechtsstaatswidrig erlittenen Haftzeit in der ehemaligen
DDR erlittenen Schädigungen mit Wahrscheinlichkeit ursächlich für die bei ihm von beiden Gutachtern festgestellten psychischen
Störungen sind.
Insbesondere bei Krankheiten, die auf seelischen Einwirkungen beruhen, bestehen - anders als bei Verletzungsfolgen - regelmäßig
erhebliche Schwierigkeiten, den rechtlich nach den jeweiligen Entschädigungsgesetzen entscheidenden Vorgang - also das die
Entschädigungspflicht auslösende Ereignis - als die wesentliche medizinische Ursache festzustellen. Es verbleibt meistens
die Unsicherheit, ob nicht andere wesentlich mitwirkende Bedingungen für die Ausbildung einer seelischen Dauererkrankung vorhanden
sind. Dies bedeutet, dass im Regelfall zahlreiche Möglichkeiten des Ursachenzusammenhangs bestehen. Wenn jedoch ein Vorgang
nach den medizinischen Erkenntnissen - etwa fußend auf dem Erfahrungswissen der Ärzte - in signifikant erhöhtem Maße geeignet
ist, eine bestimmte Erkrankung hervorzurufen, liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass sich bei einem hiervon Betroffenen im
Einzelfall die Gefahr einer Schädigung auch tatsächlich verwirklicht hat; die Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit.
Feststellungen zur generellen Eignung bestimmter Belastungen als Auslöser von Schädigungsfolgen - fußend auf den Erfahrungen
der medizinischen Wissenschaft - wurden im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts in den Anhaltspunkten für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil II
SGB IX [AHP]) getroffen. Diese allgemeinen Festlegungen können, zumal die AHP sowohl für die Verwaltung als auch für die Gerichte
eine gewisse Bindungswirkung hatten, nicht durch Einzelfallgutachten widerlegt werden. Die AHP hatten zwar keine Normqualität,
wirkten in der Praxis jedoch wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit und hatten daher normähnlichen Charakter
und waren in ständiger Rechtsprechung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen. Sie haben damit unter Berücksichtigung der
herrschenden Leere in der medizinischen Wissenschaft eine verlässliche, der Gleichbehandlung dienende Grundlage für die Kausalitätsbeurteilung
im sozialen Entschädigungsrecht geschaffen (so insgesamt BSG, Urteil vom 12. Juni 2003, Aktenzeichen B 9 VG 1/02 R, SozR 4-3800 § 1 Nr. 3, m.w.N.). Etwas anderes folgt auch nicht aufgrund des zwischenzeitlichen Außerkrafttretens der AHP
aufgrund des Umstandes, dass diese zum 01. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember
2008 (VersMedV) ersetzt worden sind. Die Grundsätze zur Frage, wann von einer wesentlichen Verursachung eines Schadens durch
ein bestimmtes Geschehen ausgegangen werden kann, sind unverändert geblieben. Insbesondere ist zum Ursachenbegriff hier weiterhin
ausgeführt, dass Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ist,
die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu einem
Erfolg beigetragen, sind sie versorgungsrechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen (und wie Ursachen zu werten),
wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind; kommt einem der Umstände
gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung zu, ist dieser Umstand allein Ursache im Sinne des Versorgungsrechtes (Teil
C Nr. 1 b, S. 104 Anlage zur VersMedV). Außerdem behalten die Nr. 53 bis Nr. 143 der zuletzt einschlägigen AHP 2008, also
auch deren Nr. 71 (S. 205 AHP 2008) zu Folgen psychischer Traumen, auch nach In-Kraft-Treten der VersMedV weiterhin Gültigkeit
als antizipierte Sachverständigengutachten (Begründung zur VersMedV, Bundesrats-Drucksache 767/08 S. 4), als die sie nach
der bereits genannten ständigen BSG-Rechtsprechung schon zuvor anzusehen waren (vgl. BSG, Urteil vom 02. Oktober 2008, Aktenzeichen
B 9 VH 1/07 R, zitiert nach juris).
Zu den Folgen psychischer Traumen heißt es in Nr. 71 der AHP: "Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach
lang dauernden psychischen Belastungen (z. B. in Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatswidriger Haft in der DDR) als auch nach
relativ kurz dauernden Belastungen (z. B. bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt
und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Bei der Würdigung der Art und des Umfangs der Belastungen
ist also nicht nur zu beachten, was der Betroffene erlebt hat, sondern auch, wie sich die Belastungen bei ihm nach seiner
individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben." Bei dieser Aufzählung handelt es sich ausdrücklich
um Beispielsfälle, die den Schweregrad der psychischen Belastung zum Ausdruck bringen sollen. Begründen nun nach Maßgabe dieser
allgemeinen Erkenntnis im Einzelfall Tatsachen einen derartigen Kausalzusammenhang, so ist eine bestärkte Kausalität - eine
bestärkte Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs - gegeben, die wiederum nur widerlegbar ist, wenn eine sichere
alternative Kausalität festgestellt wird. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn die psychische Erkrankung erst nach einer Latenzzeit
manifest in Erscheinung tritt (BSG, Urteil vom 12. Juni 2003, aaO.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht für den Senat fest, dass die Hafterlebnisse des Klägers jedenfalls wesentlich
mitursächlich die bei ihm bestehenden Störungen verursacht haben. Das Gericht schließt sich insoweit den Ausführungen des
vom Kläger nach §
109 SGG benannten Gutachters T- in dessen Gutachten vom 12. November 2008 an, welches dieser nach einer sorgfältigen Anamnese und
nach umfassender Auswertung des vorhandenen Aktenmaterials erstellt und überzeugend begründet hat. §
109 SGG, wonach auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden muss, berechtigt zwar seinem Wortlaut entsprechend
nur zur Benennung von Ärzten als Gutachter (vgl. ebenso etwa LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Mai 2005, Az. L 4 U 83/03, m. w. N.). Sofern jedoch auf Antrag des Klägers trotzdem ein anderer Sachverständiger - vorliegend ein Diplom-Psychologe
- gehört worden ist, bestehen keine Bedenken, das Gutachten dennoch zu verwerten. Denn das Gericht kann im Rahmen seiner Ermittlungen
von Amts wegen nach §
118 SGG in Verbindung mit §
404 Abs.
1 Zivilprozessordnung auch Personen als Sachverständige beauftragen, die keine Ärzte sind und ein umfassendes Verwertungsverbot kann dem §
109 SGG entsprechend dessen Intention, den Klägern besondere Rechte einzuräumen, nicht entnommen werden. Maßgebend sind insoweit
allein die Fachkompetenz und Eignung des Sachverständigen, bei deren Fehlen ein Mangel des Gutachtens vorläge. Diesbezüglich
bestanden aufgrund der Qualifikation des Gutachters T-L als Diplom-Psychologe jedoch keine Bedenken.
Der Gutachter hat zunächst einmal die Erlebnisse des Klägers während seiner Haft in der ehemaligen DDR im Einzelnen wiedergegeben,
woraus sich das Bild wiederkehrender schwerster Misshandlungen über einen lang dauernden Zeitraum ergab. Hierzu gehörten monatelange
Einzelhaft, gezielte Störungen des Schlaf-/Wachrhythmus, Schlafentzug, Schläge, "Fingerficken" durch Mitgefangene wie auch
durch Wachkommandos, das Erlebnis des Selbstmordes eines Mitgefangenen wie auch die Umstände der Haftentlassung, die dem entschädigungspflichtigen
Tatbestand noch zugerechnet werden müssen und wo sich der Kläger, der nicht wusste, was vor sich ging und in der Dunkelheit
lediglich das Knacken der Gewehrläufe hörte, unmittelbar in seinem Leben bedroht gefühlt hat, dies habe auf den Kläger in
seiner Inszenierung wie eine geplante Hinrichtung gewirkt. Weiter konnte der Kläger mit einer Haftentlassung nach "nur" einem
Jahr und vier Monaten nicht rechnen, da er zu einer Strafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden war und zudem,
wie er dem Gutachter T- berichtete, längere Zeit über die Dauer seiner Inhaftierungszeit sogar vollständig im Unklaren gelassen
worden war. All dies entspricht zweifelsfrei den in den AHP 2008 Nr. 71 genannten schwersten Belastungen, die geeignet sind,
psychische Traumen zu verursachen. Nachvollziehbar hat der Gutachter zudem darauf hingewiesen, dass der Kläger seinerzeit
mit 18 bis 19 Jahren noch sehr jung war und dass ihn diese Erlebnisse daher besonders beeinträchtigt haben. Aus der Traumaforschung
sei bekannt, dass gerade jugendliches Alter als erhöhter Risikofaktor für eine verstärkte Vulnerabilität gilt. Unter Hinweis
auf das Erleben umfassender Demütigung und Entsubjektivierung sowie dem Eindruck massiver körperlicher Bedrohung bis hin zu
Todesangst hat der Gutachter daher in jeder Hinsicht nachvollziehbar begründet, dass die vom Kläger geschilderten Haftbedingungen
geeignet gewesen seien, mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisreaktive posttraumatische Störungen hervorzurufen. In Auswertung
der beim Kläger konkret gefundenen Symptomatik hat der Gutachter sodann nachvollziehbar dargelegt, dass die beim Kläger sich
nach der Haft entwickelten Störungen bis hin zu den im Zeitpunkt der Begutachtung gefundenen massiven Einschränkungen mit
Wahrscheinlichkeit auf die Haft zurückzuführen sind. Diesen Feststellungen schließt sich das Gericht an.
Der Gutachterin S konnte hingegen ebenso wenig gefolgt werden wie den Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Das Sozialgericht
hat zunächst völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass allein anerkennungsfähig als versorgungsrechtliche Ursache die Folgen
der menschenrechtswidrigen Haftumstände, nicht jedoch das weitere schwere Schicksal des Klägers vor sowie nach der Haftzeit
seien. Soweit es allerdings ausführt, dass die festgestellten Schädigungsfolgen nicht "fachmedizinisch abgrenzbar" auf die
Haftumstände zurückgeführt werden könnten und daher eine Versorgung durch den Beklagten nicht in Betracht komme, kann dem
nicht gefolgt werden. Eine derartige fachmedizinische Abgrenzung ist weder notwendig noch möglich. Maßgeblich ist nach den
bereits genannten Grundsätzen lediglich, ob eine Bedingung wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt
"wesentlich" mitgewirkt hat. "Wesentlich" ist dabei nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig".
Sogar eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den
Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat (BSG, Urteil vom 30. Januar 2007,
Aktenzeichen B 2 U 8/06 R, USK 2007 - 17). Die Erlebnisse des Klägers während seiner Heimunterbringungen, auf welche die Gutachterin S für das von
ihr gefundene Ergebnis maßgeblich abstellt, wären daher nur dann ergebnisrelevant, wenn aufgrund derer Schäden als Folge eines
sicheren, hierauf zurückführbaren, alternativen Kausalverlaufs festgestellt werden könnten (BSG, Urteil vom 12. Juni 2003,
siehe oben aaO.) und wenn diese zudem eine gegenüber den Hafterlebnissen überragende Bedeutung gehabt hätten. Beides kann
indes auch unter Zugrundelegung der Ausführungen der Gutachterin Snicht festgestellt werden.
Die Gutachterin Shat sich im Besonderen mit den Erlebnissen des Klägers vor seiner Haftzeit auseinandergesetzt. Auch wenn
die Einschätzung des Gutachters T- dass die biografischen Angaben des Klägers zwar auf eine nicht unproblematische, für die
Nachkriegszeit aber auch nicht untypisch erscheinende Lebensgeschichte hinwiesen, eher verharmlosend erscheinen, sind dessen
Einwände im Einzelnen im Hinblick auf die von der Gutachterin S bewerteten Erlebnisse durchaus beachtenswert. Beispielsweise
schildert die Gutachterin S, dass der vaterlos aufgewachsene Kläger, da seine Mutter tagsüber als Krankenschwester gearbeitet
habe, während der Zeit ihrer Abwesenheit seinem Stiefvater ausgesetzt gewesen sei, einem Alkoholiker und Schläger, der seine
Wut am Kläger ausgelassen habe. Der Gutachter T-betont hingegen, dass die Mutter, als sie die Gewalttätigkeiten ihres damaligen
Ehemannes gegenüber ihrem Kind aus Anlass einer erlittenen Verletzung bemerkt habe, sich sofort von ihrem Mann getrennt habe,
was für eine deutliche Nähe zum eigenen Sohn gesprochen habe, zumal es der Mutter nicht leicht gewesen sei, sich unter den
damaligen Verhältnissen mit ihrem Sohn "durchzubringen". Zu Recht weist der Gutachter daher darauf hin, dass sich (jedenfalls
auch) die Lebensumstände der damaligen Zeit in den Schilderungen des Klägers widerspiegelten, weshalb diese nicht überwertet
werden sollten. Der Kläger habe zu seiner Mutter durchaus eine feste Bindung aufgebaut und immer zu ihr gewollt; trotz der
schwierigen Umstände habe es für den Kläger in den ersten Lebensjahren eine Objektkonstanz zur Mutter gegeben.
Die Gutachterin S widmet sich sodann ausführlich den Erlebnissen des Klägers in den verschiedenen Heimen, in denen er sich
befunden hat. Insgesamt ist hier festzustellen, dass der Kläger keineswegs durchgehend 9 Jahre lang in Heimen untergebracht
war, sondern dass diese Zeiten immer wieder durch Aufenthalte bei der Mutter bzw. der Stiefgroßmutter unterbrochen waren und
dass er nur einen Teil der Zeit in einem "Spezialkinderheim" und in einem Jugendwerkhof untergebracht war. In der Tat schilderte
der Kläger gegenüber der Gutachterin Szwar auch für die Zeit seiner Heimunterbringung erschütternde Umstände wie Schläge,
das Heranziehen zu Zwangsarbeiten, die Strafe, mit nackten Füßen auf kaltem Boden vor dem Schlafzimmer stehen zu müssen, obgleich
er müde gewesen sei und anderes mehr. Abgesehen davon, dass diesbezüglich von der Gutachterin zu keinem Zeitpunkt ein Vergleich
mit den erlittenen Beeinträchtigungen während der Haftzeit oder mit den seinerzeit noch allgemein üblichen Erziehungsmethoden
angestellt wurde, fehlt letztlich insbesondere die nachvollziehbare Feststellung, dass der Kläger aufgrund dieser schweren
Umstände während seiner Heimaufenthalte bereits eine Schädigung erlitten hat.
Den aus dieser Zeit noch vorhandenen Unterlagen können psychische Schäden des Klägers gerade nicht entnommen werden. So ist
im Führungsbericht über ihn aus S vom 05. Juni 1964 zu entnehmen, dass er sich zwar am Anfang nur schwer an die Heimforderungen
habe gewöhnen können und einfachste Dinge nicht eingesehen habe. Sein Verhalten sei oft provozierend und stur gewesen, er
habe sich überheblich und herausfordernd gegenüber Erwachsenen und Gruppenkameraden benommen. Weiter ist jedoch ausgeführt,
dass durch zielgerichtete Anforderungen und ständige Kontrolle sich das Verhalten des Klägers wesentlich geändert habe und
er versuche, sich ständig zu beherrschen, was ihm meist auch gelinge. Er sei vielseitig talentiert und bemüht, gute Leistungen
zu erreichen. Der Klassenleiter habe ihn dahin beurteilt, dass sein Betragen nicht beanstandet werde, er sei höflich, hilfsbereit
und verträglich. Im Entlassungsbericht des Jugendwerkhofs B der vom 17. Mai 1968 datiert und damit nur wenige Monate vor der
Inhaftierung des Klägers verfasst wurde, ist ausgeführt, dass der Kläger sich schnell und gut in das Gruppenkollektiv eingelebt
habe. Entsprechend seiner "guten physischen und geistigen Veranlagungen" habe er bald versucht, das Gruppengeschehen tonangebend
zu beeinflussen. Es sei ihm u. a. bedingt durch seine sehr individualistische Einstellung nicht restlos gelungen, die gesellschaftlichen
Normen des Gemeinschaftslebens einzuhalten. Er wisse sehr wohl, wie er sich zu benehmen habe, könne liebenswürdig, höflich,
verbindlich und konventionell sein, verstehe es aber auch, sich zu benehmen oder flegelhaft zu sein, wie es gerade in seine
Rechnung passe. All diesen Berichten kann nicht das Geringste im Hinblick auf irgendwelche psychischen Folgen der Heimunterbringung
entnommen werden. Selbst die genannten negativ gemeinten Schilderungen des Verhaltens des Klägers - im Weiteren etwa auch,
dass es schwierig gewesen sei, mit ihm in Kontakt zu kommen, da er Erwachsenen gegenüber recht ablehnend und misstrauisch
gewesen sei (Begründung zur Heimeinweisung vom 18. Dezember 1963), dass er "Nervenanfälle" vortäusche und seine Großmutter
sich außerstande sehe, seinen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, dass er sich in seiner Freizeit herumtreibe, von keinem
Erwachsenen Ratschläge oder Hinweise geben lasse, nicht davor zurückscheue, Sachen zu verkaufen, um an Geld zu kommen und
kein Interesse habe, auch einmal Schwimmen zu gehen - geben keinen Hinweis auf eine psychische Schädigung, sondern lesen sich
wie ein typischer Bericht eines wenig verständnisvollen Erwachsenen über einen pubertierenden Jugendlichen. Insbesondere aber
überzeugte der Hinweis des Gutachters T-, dass es sich bei den repressiven Erziehungsmaßnahmen in den Heimen um Handlungen
eines rechtsstaatswidrigen Systems gehandelt hat, denen gegenüber sich der Kläger zur Wehr gesetzt habe. Die Beschreibungen
der Heime durch den Kläger deckten sich mit vielen veröffentlichten Einschätzungen über Spezialkinderheime und Jugendwerkhöfe,
in denen unhaltbare Zustände in diesen Heimen beschrieben worden seien. Wut und Aufbegehren vor dem Hintergrund einer derartigen
Zwangssituation unter repressiven Bedingungen sollten nicht als psychische Störung pathologisiert werden; ein Aufbegehren
gegen die Unterdrückung in einer Diktatur dürfe nicht mit Dissozialität verwechselt werden. In den Heimberichten sei keineswegs
ein unangemessenes Verhalten auf Kritik beschrieben worden, sondern eine stark fordernde und komplizierte Anpassungsleistung
an ein extremes System, welches der Kläger psychisch überraschend stabil überstanden habe. Die Resilienz, also Widerstandsfähigkeit
des Klägers, sei zu diesem Zeitpunkt also noch recht groß gewesen.
Insgesamt kann den zeitnah erstellten Berichten nichts zu einer psychischen Schädigung des Klägers entnommen werden, sondern
diese belegen vielmehr, wie der Gutachter T- im Einzelnen überzeugend ausführte, die seinerzeitige erstaunlich gute Widerstandsfähigkeit
des Klägers. Frau S begründet das von ihr gefundene Ergebnis denn auch weitestgehend unter Bezugnahme auf die im Rahmen der
Anamnese abgegebenen Schilderungen des Klägers. Ihre hierauf gegründeten Wertungen sind jedoch nicht überzeugend. Als Ergebnis
hält die Gutachterin fest, dass bei dem Kläger als Kind und Jugendlichem eine schwere emotionale Störung im Kindesalter vorgelegen
habe mit einer Störung des Sozialverhaltens. Dies habe sich in Affektstörungen, Störungen der Impulsivität, Schlafstörungen
und erheblichen Anpassungsproblemen gezeigt. Diese Schlussfolgerungen sind nicht nachvollziehbar. Beispielsweise benennt die
Gutachterin Schlafstörungen als Beleg für psychische Störungen. Der Kläger hatte auch ihr gegenüber jedoch lediglich angegeben,
seit seiner Kindheit einen sehr leichten Schlaf zu haben. Gegenüber dem Gutachter T - hat der Kläger dies dahin konkretisiert,
als Kind keine Schlafstörungen mit schweren Albträumen gehabt zu haben, sondern lediglich in einer "Hab-Acht-Stellung" gelebt
zu haben, was angesichts der äußeren Bedingungen im Heim in jeder Hinsicht nachvollziehbar ist und lediglich die seinerzeitige
offenbar gute Anpassungsfähigkeit des Klägers, nicht jedoch eine Anpassungsstörung belegt. Das Gericht folgt im Übrigen der
Bewertung des Gutachters T, dass aus dem bloßen Umstand, dass der Kläger sich gegen die in den Heimen erfahrenen äußerst bedrohlichen,
äußeren Einflüsse zur Wehr gesetzt hat, nicht auf die von Frau S gesehenen Störungen zurückgeschlossen werden kann.
Zu Recht kommt daher der Gutachter T zu dem Schluss, dass sichere Belege für eine frühe Entwicklungsstörung fehlen. Entwicklungsbehindernde
Einflüsse seien zwar zu finden, diese müssten jedoch nicht zwangsläufig zu einer psychischen Erkrankung im Kindesalter führen
oder diese zu einem späteren Zeitpunkt hervorrufen. Der Gutachter T legt insgesamt überzeugend und in jeder Hinsicht nachvollziehbar
dar, dass vor oder nach der Haftzeit keine anderen extremen traumatischen Lebensereignisse aufgetreten sind, die nicht zumindest
mittelbar mit der Haftzeit in Verbindung stehen und für das Auftreten der nunmehr festgestellten Symptomatik verantwortlich
gemacht werden könnten. Damit ist nach einer Gesamtwürdigung der bekannten Umstände jedenfalls von einer wesentlichen Mitverursachung
durch die während der Haft in der DDR erlittenen Umstände auszugehen.
Der Anerkennung der beim Kläger bestehenden Schäden als Schädigungsfolge steht auch nicht der große zeitliche Abstand zu den
Geschehnissen in seiner Kindheit und Jugend entgegen. Allerdings lässt ein großer zeitlicher Abstand ohne Brückensymptome
einen ursächlichen Zusammenhang unwahrscheinlich erscheinen (Teil C Nr. 3 c Anlage zur VersMedV S. 105). Der zeitliche Abstand
zu der Schädigung wurde jedoch u Recht weder von der Gutachterin S noch vom Gutachter T als problematisch angesehen. Zum einen
konnten Brückensymptome auch anhand der weiteren Lebensgeschichte des Klägers eruiert werden. Beispielsweise führt der Gutachter
T aus, dass Beziehungen des Klägers zu anderen Menschen regelmäßig aufgrund seines massiven Misstrauens und der unkontrollierten
Erregungszustände mit cholerischen Durchbrüchen gescheitert seien, die im Übrigen auch zu Problemen am Arbeitsplatz geführt
hätten. Insbesondere nach der Öffnung der Mauer habe sich der Kläger erneut mit seinen ehemaligen Peinigern konfrontiert gesehen.
Der endgültige Zusammenbruch sei für den Kläger nach dem erneuten Scheitern einer Ehe und der Einsicht in seine Stasiakten
gekommen, welche er 1996 beantragt habe. Diese zeitliche Entwicklung lässt den Rückschluss auf die Schädigungsursache damit
in jeder Hinsicht als nachvollziehbar erscheinen.
Schädigungsfolgen bestehen in Höhe eines GdS von 50 v. H. Diese Bewertung der bestehenden Beeinträchtigungen auf psychischem
Gebiet hat auch die vom Beklagten befragte Gutachterin S vorgenommen, wenn sie diese auch nicht in voller Höhe als Schädigungsfolgen
angesehen hat. Der Gutachter T stellte die andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung mit einer MdE von 50
v. H. fest, die er mit einer - mit einem Einzel-MdE von 10 bewerteten - gegenwärtig mittelgradigen Episode einer komorbiden
rezidivierenden depressiven Störung zu insgesamt 60 zusammenziehen will. Dies scheitert jedoch bereits an allgemeinen Grundsätzen,
wonach die Addition von Einzelgraden der Schädigungsfolgen nicht zulässig ist (Nr. 3 a Anlage zur VersMedV, S. 10).
Der Beginn der Leistungen war nach § 60 Abs. 1 S. 1 BVG auf den Beginn des Antragsmonats Juni 2002 festzulegen.
Nach alledem war der Berufung daher stattzugeben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor.