Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1964 in P. geborene Klägerin absolvierte dort eine pädagogische Ausbildung und arbeitete unter anderem als Grundschullehrerin.
Sie lebt seit Dezember 1988 in Deutschland und stand hier seit November 1996 mit kürzeren Unterbrechungen in verschiedenen
Beschäftigungsverhältnissen. Vom 10. Mai bis 4. Dezember 2008 war sie arbeitsunfähig. Vom 5. Dezember 2008 bis 30. April 2011
bezog sie Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), vom 1. Mai 2011 bis 31. Juli 2013 Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) und im Anschluss daran wieder Arbeitslosengeld II.
Die Klägerin führte in der Zeit vom 16. September bis 7. November 2008 zulasten der Beklagten eine Rehabilitationsmaßnahme
in der C. Klinik M. durch. Im Entlassungsbericht wurden als Diagnosen rezidivierende depressive Episoden, gegenwärtig schwer,
der Verdacht auf eine histrionische Persönlichkeitsstörung, eine Lumbalgie sowie Schulter- und Nackenmyogelosen aufgeführt.
Die Klägerin wurde als arbeitsunfähig entlassen, grundsätzlich wurde jedoch ein positives Leistungsvermögen für mittelschwere
Arbeiten überwiegend im Stehen, Gehen oder Sitzen ohne Nachtschichten und unter Beachtung eines eingeschränkten Umstellungs-
und Anpassungsvermögens festgestellt.
Der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit H. (Dr. B.) ging in einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 13. Januar 2011
davon aus, dass die Klägerin voraussichtlich länger als 6 Monate, aber nicht auf Dauer, täglich nur unter drei Stunden arbeiten
könne.
Die Klägerin stellte daraufhin am 11. Mai 2011 bei der Beklagten einen Rentenantrag, in dem sie angab, an schweren Depressionen,
Angstzuständen, Panikattacken, Erschöpfung und Antriebslosigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen zu leiden. Ferner
bestünden ein Bandscheibenvorfall, Rücken- und Gehbeschwerden, Asthma, Magen-Darm-Beschwerden, Orientierungs- und Gleichgewichtsstörungen
sowie Kreislaufprobleme.
Die Beklagte holte Befundberichte der behandelnden Ärzte sowie eine gutachterliche Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie
und Psychiatrie Dr. F. vom 13. Juni 2013 ein. Diese gelangte zu den Diagnosen einer gemischten Persönlichkeitsstörung mit
ängstlich-unsicheren und abhängigen Zügen mit Neigung zu depressiven Einbrüchen in Überforderungssituationen sowie einer Bandscheibenvorwölbung
und degenerativen Veränderungen im Bereich HWS und LWS ohne neuromuskuläre Ausfallserscheinungen. Die Klägerin sei damit für
mehr als sechs Stunden täglich leistungsfähig für körperlich mittelschwere Arbeiten ohne besondere Stressbelastung, ohne besonderen
Zeitdruck, ohne Nachtschichtarbeit, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne ständige Überkopfarbeiten und ohne besondere Anforderungen
an die Ein- und Umstellfähigkeit. Allerdings sei die Erwerbsfähigkeit gefährdet, da eine Chronifizierung und Verfestigung
drohe.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag daraufhin mit Bescheid vom 18. Juni 2013 ab. Aufgrund des dagegen erhobenen Widerspruchs
holte die Beklagte eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Dr. F. vom 6. November 2013 ein. Diese blieb bei ihrer
Auffassung und wies darauf hin, dass sich angesichts des untersuchten Serumspiegels sowohl das Schmerzmittel Tramadol als
auch die eingenommenen Antidepressiva weit unterhalb des therapeutischen Bereichs befunden hätten. Daraufhin wies die Beklagte
den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2013 zurück.
Mit ihrer am 6. Dezember 2013 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, das Ausmaß ihrer Leistungsstörung sei in der
sozialmedizinischen Beurteilung nicht hinreichend erfasst worden. Auch sei die orthopädische Befundlage nicht berücksichtigt
worden.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt sowie das Gutachten des Ärztlichen Dienstes
der Agentur für Arbeit H. vom 2. September 2013 (Dr. S.) beigezogen.
Es hat sodann ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. N. eingeholt. Dieser ist nach ambulanter Untersuchung
der Klägerin am 17. März 2015 in seinem Gutachten vom 29. März 2015 zu folgenden Diagnosen gelangt: Rezidivierende depressive
Störung, leichte depressive Episode, differenzialdiagnostisch Angst und depressive Störung gemischt; Histrionische Persönlichkeitsstruktur;
C7-Neuralgie links bei kernspintomografisch dokumentiertem Bandscheibenschaden C5/C6 mit Irritation Nervenwurzel C7 links;
Lumbales Wirbelsäulenproblem mit angedeuteter S1-Neuralgie links ohne Nachweis nervenwurzelbezogener sensomotorischer Ausfälle;
Schilddrüsendysfunktion; Angegebene Gonalgien beidseits in Behandlung. Die Klägerin sei mit den vorliegenden Gesundheitsstörungen
in der Lage, täglich sechs Stunden und mehr leichte körperliche Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung
auszuüben, dies vorzugsweise überwiegend aus sitzender bzw. wechselnder Körperposition heraus, wobei ausschließlich gehende
oder stehende Tätigkeiten zu vermeiden seien. Nicht gefordert werden könnten Arbeiten über Schulterhöhe und Tätigkeiten ständig
in gebückter, hockender oder kauernder Körperposition. Wegen der psychischen Minderbelastbarkeit seien ferner Arbeiten unter
besonderem Zeitdruck und unter Nachtarbeitsbedingungen zu vermeiden. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.
Nach der Einholung weiterer Befundberichte hat Dr. N. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 30. Juli 2016 und in der mündlichen
Verhandlung des Sozialgerichts am 6. Oktober 2016 an seiner Auffassung festgehalten. Das Sozialgericht hat die Klage daraufhin
mit Urteil vom selben Tage abgewiesen und ist den Ausführungen von Dr. N. gefolgt.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 20. Oktober 2016 zugestellte Urteil am Montag, den 21. November 2016 Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, sie sei seit mittlerweile ca. 30 Jahren in psychiatrischer Behandlung. Der Drogenkonsum ihres Sohnes habe sie
psychisch sehr belastet, ebenso die Beziehung zu ihrem ehemaligen Lebensgefährten, in der sie viele traumatische Erlebnisse
in Form von psychischer und körperlicher Gewalt erfahren habe. Sie habe Gedächtnisprobleme und Panikattacken. Seit 2010 seien
noch stärkere körperliche Beschwerden aufgrund des Wirbelsäulenleidens hinzugetreten.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 6. Oktober 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2013 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22. November 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung eine befristete
Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Arbeitsmarktes
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Im Laufe des Berufungsverfahrens hat die Klägerin mehrere Atteste ihrer behandelnden Ärzte eingereicht; das Gericht hat außerdem
aktuelle Befundberichte eingeholt.
Das Berufungsgericht hat sodann den Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. N. erneut mit der Untersuchung und Begutachtung
der Klägerin beauftragt. In seinem Gutachten vom 6. April 2018 ist dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 4.
April 2018 zu folgenden Diagnosen gelangt: Rezidivierende depressive Störung, mittelgradige depressive Episode; Histrionische
Persönlichkeit mit einzelnen ängstlich vermeidenden und selbstunsicheren Zügen; Chronische Schmerzstörung mit somatischen
und psychischen Faktoren; C7-Neuralgie links bei radiologisch dokumentiertem Bandscheibenschaden im Bereich der mittleren
Halswirbelsäule mit Irritation der Nervenwurzel C7; Lumbales Wirbelsäulensyndrom mit angedeuteter S1-Neuralgie. Der Sachverständige
hat ausgeführt, der Zustand der Klägerin habe sich seit der Vorbegutachtung im März 2015, bei der nur eine leichte depressive
Symptomatik vorgelegen habe, verschlechtert. Gegenwärtig sei die Klägerin nicht mehr in der Lage, regelmäßig einer Tätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Sie sei auch nicht mehr in der Lage, Willenskräfte zu mobilisieren, um Hemmungen
gegenüber einer Arbeitsleistung zu überwinden. Eine Fortsetzung und Intensivierung der ambulanten Fachbehandlung sei aber
nicht aussichtslos, wobei insoweit von einer Behandlungsdauer von zwei Jahren ab dem Untersuchungszeitpunkt auszugehen sei.
Die Einschränkungen bestünden seit März 2017, denn es sei im August 2016 zur Wiederaufnahme der psychotherapeutischen Behandlung
bei Dr. K. gekommen, die zu den Feststellungen in deren Attest vom 14. März 2017 geführt hätten und daher seitdem angemessen
dokumentiert seien.
Die Beklagte hat dagegen eingewandt, die angenommene Befundverschlechterung bilde sich in der Begutachtung nicht ab. Ferner
sei auch eine mittelgradige Ausprägung einer depressiven Episode nicht gleichzusetzen mit einem aufgehobenen Leistungsvermögen.
Es sei zwischenzeitlich weder zu einer Therapieintensivierung im Hinblick auf eine tagesklinische oder stationäre Maßnahme
gekommen noch habe eine Umstellung der Medikation stattgefunden. Im Übrigen fehle es wegen einer Lücke im Versicherungsverlauf
vom 1. Mai 2011 bis 31. Juli 2013 bei einem angenommenen Leistungsfall im März 2017 an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.
In der mündlichen Verhandlung des Senats am 15. Mai 2018 hat der Sachverständige Dr. N. sein Gutachten mündlich erläutert
und erneut darauf hingewiesen, dass er gegenüber der ersten Begutachtung eine deutliche Verschlechterung festgestellt habe.
Der Rechtsstreit ist sodann vertagt worden, um Ermittlungen zu der von der Beklagten geltend gemachten Lücke im Versicherungsverlauf
durchzuführen.
Nach erfolgter Beiladung des zuständigen Jobcenters hat dieses mitgeteilt, dass die Bewilligung über die Leistungen nach dem
SGB II ab 1. Mai 2011 wegen Wegfalls der Erwerbsfähigkeit aufgehoben worden sei. Gleichzeitig sei die Klägerin aufgefordert worden,
einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII zu stellen. Eine Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrages sei an die Klägerin nicht ergangen. Der Rentenversicherungsträger
sei ebenfalls nicht informiert worden, dass man die Klägerin für erwerbsunfähig halte.
Nach entsprechendem Hinweis hat sich die Beklagte der vorläufigen Auffassung des Senats angeschlossen, dass die Zeit vom 1.
Mai 2011 bis 31. Juli 2013 eine Anrechnungszeit darstelle, sodass die relevante Lücke im Versicherungsverlauf der Klägerin
belegt sei. Die Anerkennung eines Rentenanspruchs komme jedoch aus medizinischen Gründen weiterhin nicht in Betracht.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und der
Beigeladenen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ist im Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung ergangen (§
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§
143,
151 SGG) ist im tenorierten Umfang begründet. Die Klägerin kann eine Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalles
vom 14. März 2017 ab 1. Oktober 2017 beanspruchen. Für die Zeit davor besteht dagegen kein Leistungsanspruch.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 und Abs.
2 S. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie voll
bzw. teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge
für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt
haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind,
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs.
2 S. 2
SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande
sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein
(§
43 Abs.
1 S. 2
SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden
täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§
43 Abs.
3 SGB VI).
Die hiernach maßgeblichen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente sind für einen Leistungsfall am
14. März 2017 erfüllt. Die Klägerin ist seit diesem Zeitpunkt voll erwerbsgemindert. Der Senat folgt dabei den überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen Dr. N. in seinem Gutachten vom 6. April 2018, in dem er dargelegt hat, dass sich der Zustand
der Klägerin seit der Vorbegutachtung im März 2015 weiter chronifiziert und verschlechtert habe, sodass diese nun nicht mehr
in der Lage sei, regelmäßig einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Diese Beurteilung hat der Sachverständige
auch für den erkennenden Senat gut nachvollziehbar aus den erhobenen Befunden abgeleitet und begründet. Er hat ausgeführt,
dass die Antriebslage zurückgenommen sei und es der Klägerin schwer falle, intentionale Spannungsbögen aufzubauen und durchzuhalten.
Ihre Grundstimmung sei inzwischen deutlich gedrückt, gepaart mit nicht unerheblichen Schuldgefühlen sowie einer Neigung zu
depressiven Grübeleien. Sie sei affektiv nur eingeschränkt schwingungsfähig; es gelinge ihr so gut wie nicht, zum positiven
Pol mitzuschwingen. Sie verharre immer wieder in negativ depressiver Grundstimmung, teilweise gepaart mit Spuren von Verbitterung
sowie einer von Selbstwertzweifeln geprägten Attitüde. Ihre Fähigkeit, Freude zu empfinden, sei eingeschränkt und der Zugang
zur Wahrnehmung der eigenen Gefühlswelt reduziert. Zwar hat Dr. N. dargelegt, dass kein vollständiger sozialer Rückzug aus
allen Lebensbereichen vorliege, es gebe aber seit drei Jahren einen zunehmenden sozialen Rückzug und eine Minderung von Interessen
und Aktivitäten. Diese Feststellungen des Sachverständigen sind gut nachvollziehbar anhand der geschilderten Angaben der Klägerin,
es bestehe, abgesehen von einer Freundin, kaum noch Kontakt zu den Bekannten. Sie könne keine Tagesstruktur mehr aufrechterhalten,
bleibe oft stunden- und tagelang im Bett und empfinde kaum noch Freude. Unternehmungen fänden nicht mehr statt und sie verlasse
allein das Haus praktisch nicht mehr. Auch habe sie ihren Hund abgeben müssen, weil sie nicht mehr für ihn habe sorgen können.
Dr. N. hat weiter ausgeführt, sie wirke selbstunsicher und zeige eine Neigung zu histrionischem Verhalten, sodass insgesamt
von einer Persönlichkeitsstörung mit histrionischen, aber auch einzelnen selbstunsicheren und ängstlich vermeidenden Zügen
ausgegangen werden müsse. Es bestehe auch für untervollschichtige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine ausreichende
Grundbelastbarkeit; das Durchhaltevermögen reiche hierfür nicht aus. Zusätzlich hat der Sachverständige in der mündlichen
Verhandlung darauf hingewiesen, dass mittlerweile einzelne kognitive Einschränkungen depressiver Genese hinzugekommen seien,
nämlich eine Konzentrationsminderung und ein Aufmerksamkeitsdefizit. Auch eine psychomotorische Hemmung sei auffällig gewesen.
Somit ist der Beklagten zwar grundsätzlich darin zuzustimmen, dass eine mittelgradige Ausprägung einer depressiven Episode
nicht zwingend ein aufgehobenes Leistungsvermögen bedeuten müsse. Vorliegend hat Dr. N. jedoch überzeugend herausgearbeitet,
dass die bei der Klägerin konkret bestehenden Leistungseinschränkungen aufgrund der depressiven Erkrankung im Zusammenspiel
mit der Persönlichkeitsstörung mittlerweile ein Ausmaß erreicht haben, die eine regelmäßige Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
nicht mehr zulassen.
Der Senat folgt Dr. N. ebenfalls hinsichtlich des von ihm angenommenen Leistungsfalls im März 2017. Der Sachverständige hat
insoweit die Unterschiede in der Befundlage gegenüber seiner Vorbegutachtung im März 2015 aufgezeigt und dargelegt, dass er
von einer Verschlechterung im Verlauf des Jahres 2016 ausgehe, die dann zur Wiederaufnahme der ambulanten Psychotherapie bei
Dr. K. geführt habe. Da aber das Attest von Dr. K. vom 14. März 2017 - worauf Dr. N. ausdrücklich hingewiesen hat - die erste
Dokumentation über den Befund einer Depression im mittelschweren bis schweren Bereich ist, ist dessen Datum der erste objektivierbare
Nachweis für das Vorliegen eines Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung.
Ein früherer Leistungsfall kann demgegenüber nicht festgestellt werden. Dr. N. hat in seiner ersten Begutachtung im März 2015
derart schwere Leistungsbeeinträchtigungen, die die Annahme eines aufgehobenen Leistungsvermögens rechtfertigen könnten, nicht
festgestellt. Die Klägerin hat seinerzeit ihm gegenüber noch angegeben, der Umgang mit ihrem Hund bereite ihr Freude, sie
habe einen kleinen und verlässlichen Freundes- und Bekanntenkreis und sie sei für einige Tage mit einer Freundin im Urlaub
gewesen. Dementsprechend hat Dr. N. damals die Antriebslage noch als ausreichend erhalten bewertet und die Klägerin als durchgehend
ausreichend lebhaft und rege, zu keinem Zeitpunkt schwunglos oder matt beschrieben. Er hat zwar schon damals mitgeteilt, dass
die Klägerin sich vermehrt mit negativen Kognitionen und depressiven Gefühlen beschäftige, aber gleichzeitig darauf hingewiesen,
dass sie daraus gelöst werden könne und nicht darin gefangen sei. Ihre affektive Schwingungslage sowie die Fähigkeit, Freude
zu empfinden hat er - anders als in der zweiten Begutachtung - nur als leicht reduziert bewertet. Auch die kognitiven Einbußen
hat er seinerzeit noch als geringfügig eingestuft, indem er das Konzentrationsvermögen als knapp ausreichend bewertet und
bei der Merkfähigkeit keine gravierenden Einbußen gesehen hat. Schließlich hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die
Klägerin noch über strukturierte Willenskräfte und Entscheidungsfähigkeit verfügt habe.
Auch aus dem übrigen Akteninhalt lässt sich ein früherer Leistungsfall nicht begründen. Insbesondere hat auch Dr. F. im Jahr
2013 noch ein ausreichendes Leistungsvermögen der Klägerin angenommen, allerdings bereits damals auf eine drohende Chronifizierung
und Verfestigung und die damit einhergehende Gefährdung der Erwerbsfähigkeit hingewiesen. Die vorliegenden Atteste und Befundberichte
der behandelnden Ärzte sind von dem Sachverständigen Dr. N. ausgewertet und beurteilt worden. Die anderslautende Einschätzung
des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit H. vom 13. Januar 2011 kann zu keiner abweichenden Beurteilung führen, da weder
Befunde geschildert noch inhaltliche Begründungen geliefert werden. Schließlich ergibt sich auch unter Berücksichtigung des
Wirbelsäulenleidens der Klägerin nichts anderes. Dr. N. hat insoweit zwar bereits bei seiner ersten Begutachtung aufgrund
eigener Untersuchung und Auswertung der vorliegenden Befunde eine C7-Neuralgie links aufgrund eines Bandscheibenschadens im
Halswirbelsäulenbereich mit Irritation der Nervenwurzel sowie ein lumbales Wirbelsäulenproblem mit angedeuteter S1-Neuralgie
links ohne Nachweis nervenwurzelbezogener sensomotorischer Ausfälle festgestellt. Diesen Gesundheitsstörungen wurde jedoch
mit der Beschränkung auf leichte körperliche Arbeiten und den weiteren von Dr. N. genannten qualitativen Einschränkungen hinreichend
Rechnung getragen.
Ausgehend von einem Leistungsfall im März 2017 sind - wie zwischen den Beteiligten mittlerweise unstreitig ist - auch die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erfüllt. Nach dem vorliegenden Versicherungsverlauf
hat die Klägerin die allgemeine Wartezeit und auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§
43 Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGB VI) erfüllt. Allein streitig war insoweit zunächst, ob der Zeitraum vom 1. Mai 2011 bis 31. Juli 2013, in dem die Klägerin kein
Arbeitslosengeld II, sondern Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII bezogen hat, eine Anrechnungszeit darstellt. Dies ist indes der Fall. Die Klägerin ist nämlich im Wege des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie auch während dieser Zeit Arbeitslosengeld II bezogen, sodass eine Anrechnungszeit
gemäß §
58 Abs.
1 S. 1 Nr.
6 SGB VI anzuerkennen ist. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II waren auch während dieses Zeitraums erfüllt.
Soweit die Beigeladene die Bewilligung von Arbeitslosengeld II aufgehoben hat, erfolgte dies ausschließlich deshalb, weil
sie von fehlender Erwerbsfähigkeit der Klägerin ausging (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II). Diese Annahme war jedoch nicht zutreffend, da - wie bereits ausgeführt - seinerzeit noch ein ausreichendes Leistungsvermögen
der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestand. Auch wenn die Beigeladene von der Richtigkeit der Einschätzung
ihres Ärztlichen Dienstes vom 13. Januar 2011 ausgegangen sein dürfte, hätte sie die Gewährung von Arbeitslosengeld II nicht
ohne Weiteres einstellen dürfen. Vielmehr ist in einem solchen Fall der Betroffene zur Rentenantragstellung aufzufordern.
Zur Vermeidung von versicherungsrechtlichen Nachteilen im Hinblick auf eine spätere Rentengewährung sind die Leistungen jedoch
bis zur endgültigen Klärung der Erwerbsfähigkeit weiter zu erbringen und entsprechende Erstattungsansprüche bei den Trägern
der Rentenversicherung und der Sozialhilfe vorsorglich anzumelden. Diese Vorgehensweise sehen auch die Fachlichen Weisungen
der Bundesagentur für Arbeit zu § 44a SGB II unter Ziffer 1.3.1 sowie die §§ 5 bis 7 der seit 1. April 2011 gültigen "Vereinbarung zwischen der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung
über die Zusammenarbeit bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Arbeitsuchenden nach dem SGB II" ausdrücklich vor. Ein abweichendes Vorgehen erkennen die Fachlichen Weisungen nur an, wenn die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen für einen Rentenanspruch offensichtlich nicht erfüllt sind, was bei der Klägerin jedoch nicht der Fall war.
Die Klägerin hätte somit bei korrektem Verwaltungshandeln durchgehend Arbeitslosengeld II bezogen, wobei es für das Bestehen
des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs unschädlich ist, dass nicht die Beklagte, sondern ein anderer Träger fehlerhaft
gehandelt hat (vgl. BSG, Urteil vom 09.01.2017 - B 13 R 365/16 B - Juris, m.w.N.). Wie auch die Beklagte mittlerweile zugesteht, ist eine relevante Lücke im Versicherungsverlauf der Klägerin
somit nicht vorhanden.
Die Rente wegen voller Erwerbsminderung beginnt ausgehend von einem Leistungsfall am 14. März 2017 am 1. Oktober 2017 (§
101 Abs.
1 SGB VI). Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden gemäß §
102 Abs.
2 S. 1 und 2
SGB VI für längstens drei Jahre befristet. Der Sachverständige Dr. N. hat ausgeführt, dass im Falle der Klägerin durch eine intensivierte
Therapie - zunächst durch eine ambulante Fachbehandlung, bei etwaiger Therapieresistenz auch durch Einleitung einer tagesklinischen
Behandlung - eine Besserung erzielt werden könne, wobei er von einer zweijährigen Behandlungsnotwendigkeit ausgeht. Die Rente
war daher auf zwei Jahre ab dem Zeitpunkt seiner Untersuchung zu befristen, wobei die Befristung auf das Ende des Kalendermonats
zu erfolgen hatte (§
102 Abs.
1 S. 3
SGB VI).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Da die Voraussetzungen für eine Rentengewährung erst nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens erfüllt waren, kommt
eine Kostenerstattung nur für das Berufungsverfahren in Betracht.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen von §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.