Unzulässigkeit der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren bei Einlegung nach Ablauf der Berufungsfrist
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund einer Krankheit bei nicht rechtzeitiger Antragstellung nach Wegfall des
Hindernisses
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Wege eines Überprüfungsantrags die Aufhebung eines Bescheids, mit dem sie aufgefordert worden war,
zu viel überwiesenes Geld an den Beklagten zurückzuerstatten. Außerdem fordert sie die Wiederauszahlung des von ihr rückerstatteten
Betrags.
Die Klägerin bezog im Jahr 2009 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten. Laut eines Vermerks des Beklagten über ein Telefongespräch mit der Klägerin am 7. August 2009 waren durch
Änderungen in der Zahlungsregelung im System des Beklagten Zahlungen an die Klägerin in zunächst unbekannter Höhe ausgelöst
worden. Die Klägerin wurde in dem Telefongespräch gebeten, den Zahlungseingang durch Übersendung einer Kopie des Kontoauszugs
zu bestätigen. Sie wurde außerdem darüber informiert, dass der Betrag abzüglich der Leistung für August 2009 zu erstatten
sei. Mit Schreiben vom 7. August 2009 teilte der Beklagte der Klägerin unter dem Betreff "Wg. Zahlungen August 09" mit, ihr
Leistungsanspruch betrage 638,24 Euro inklusive Mietkosten, abzüglich 66,- Euro, die an den Wasserversorger gezahlt würden
und abzüglich 25,- Euro Einbehalt wegen einer Forderung des Beklagten. Von dem Betrag, der auf ihrem Konto eingehen werde,
könne die Klägerin demnach 547,24 Euro vereinnahmen. Das Schreiben enthielt einen Hinweis auf die Möglichkeit, einen Widerspruch
zu erheben.
Auf dem Konto der Klägerin ging am 7. August 2009 ein Betrag in Höhe von 2.519,30 vom Beklagten ein. Die Klägerin überwies
am 11. August 2009 an den Beklagten 1.969,30 Euro zurück.
Die Klägerin erhob keinen Widerspruch gegen das Schreiben vom 7. August 2009. Im April 2015 beantragte sie jedoch dessen Überprüfung.
Der Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 23. Juli 2015 ab. Der Bescheid vom 7. August 2009 sei nicht zu
beanstanden. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober
2015 zurück.
Am 8. Oktober 2015 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid
vom 26. Januar 2017 abgewiesen. Der Bescheid vom 7. August 2009 sei rechtmäßig. Der Beklagte habe der Klägerin tatsächlich
im August 2009 zu viel überwiesen, deshalb habe er auch eine Rückerstattung fordern dürfen.
Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 28. Januar 2017 zugestellt worden. Am 30. Mai 2018 hat sie persönlich im Sozialgericht
vorgesprochen und Berufung erhoben. Hinsichtlich der Berufungsfrist hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Sie habe im November 2016 einen schweren Unfall gehabt und sich drei Monate im Krankenhaus befunden. Anschließend habe sie
schwere Depressionen gehabt. Sie habe es noch geschafft zu duschen, ihre Wohnung sauber zu halten und sich mit Essen zu versorgen.
Ansonsten habe sie weder das Haus verlassen noch sich um ihre Post kümmern können. Medikamente habe sie nicht eingenommen.
Es sei ihr dann schrittweise besser gegangen, ungefähr im Juni 2017 sei die Depression überwunden gewesen. Sie habe nach ihrer
Entlassung aus dem Krankenhaus Ende Januar 2017 diverse Schreiben vom Gericht bei sich zuhause vorgefunden. Wegen ihrer Depression
sei sie nicht in der Lage gewesen, sich direkt an das Gericht zu wenden. Als es ihr besser ging, habe sie alle Unterlagen
weggeworfen, da sie sich von diesen gestört gefühlt habe. Erst nach längerer Zeit habe sie sich in der Lage gesehen, sich
damit zu befassen. Deshalb sei sie im Mai 2018 zum Gericht gegangen.
Die Klägerin hat Bescheinigungen über einen Kurzzeitpflegeaufenthalt in der Zeit vom 17. November 2016 bis zum 9. Dezember
2016 sowie über stationäre Krankenhausbehandlungen in der Zeit vom 1. Dezember 2016 bis zum 20. Dezember 2016 und vom 23.
Januar 2017 bis zum 30. Januar 2017 eingereicht. Ärztliche Bescheinigungen bezüglich der Depression hat sie nicht vorgelegt.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid vom 26. Januar 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. Juli 2015 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Oktober 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des
Bescheids vom 7. August 2009 einen Betrag in Höhe von 1.969,30 Euro zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Berufung sei nicht fristgemäß erhoben, Wiedereinsetzungsgründe seien nicht erkennbar.
Am 16. Juli 2018 bzw. 20. September 2018 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Rechtsstreits allein durch
den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts
im Übrigen wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akte verwiesen, die bei Gegenstand der mündlichen Verhandlung
waren.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§
155 Abs.
3 und
4 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Die Berufung ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der hierfür gesetzlich vorgesehenen Frist erhoben wurde. Gemäß §
151 Abs.
1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung einzulegen. Ausweislich der Postzustellungsurkunde
wurde der Klägerin der Gerichtsbescheid vom 26. Januar 2017 am 28. Januar 2017 durch Einlegung in den zu ihrer Wohnung gehörenden
Briefkasten zugestellt. Die Berufungsfrist endete somit am 28. Februar 2017 (einem Dienstag), §
64 Abs.
2 Satz 1
SGG. Die Berufung ist erst am 30. Mai 2018 und damit nach Ablauf dieser Frist erhoben worden. Das Urteil enthielt eine zutreffende
und vollständige Belehrung über den Rechtsbehelf der Berufung, sodass eine Verlängerung gemäß §
66 SGG nicht in Betracht kommt.
Dem Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin war nicht stattzugeben. Voraussetzung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
nach §
67 SGG ist, dass der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Außerdem muss der Antrag auf Wiedereinsetzung
binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden. Nach einem Jahr seit Ende der versäumten Frist ist der
Antrag nur dann zulässig, wenn er vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Diese Voraussetzungen sind
hier nicht gegeben.
Eine Krankheit vermag ein Verschulden nur dann auszuschließen, wenn der Beteiligte so schwer erkrankt ist, dass er nicht selbst
handeln und auch nicht einen anderen beauftragen kann (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage 2017, §
67 Rn. 7c). Es lässt sich bereits nicht zur Überzeugung des Gerichts feststellen, dass die Depression, an der die Klägerin ihrem
Vortrag nach im Jahr 2017 litt, dieses Ausmaß erreichte. Ärztliche Bescheinigungen über die Krankheit liegen nicht vor. Ihrem
eigenen Vorbringen nach war die Klägerin zumindest in gewissem Umfang in der Lage, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu
kümmern. Letztlich kommt es hierauf aber nicht an. Denn jedenfalls fehlt es an einer rechtzeitigen Antragstellung nach Wegfall
des Hindernisses. Ihren eigenen Angaben zufolge besserte sich die Depression im Laufe der Monate und war im Juni 2017 ganz
überwunden. Dennoch hat die Klägerin erst im Mai 2018 und damit deutlich nach Ablauf der Monatsfrist Berufung erhoben und
Wiedereinsetzung beantragt.
Im Übrigen lag bei Einlegung der Berufung (30. Mai 2018) das Ende der Berufungsfrist (28. Februar 2017) bereits mehr als ein
Jahr zurück. Dass die Klägerin infolge höherer Gewalt daran gehindert war, den Wiedereinsetzungsantrag bis zum 28. Februar
2018 zu stellen, ist nicht erkennbar. Eine Krankheit kann dann als höhere Gewalt im Sinne des Gesetzes angesehen werden, wenn
sie so schwer ist, dass sie die Willenskraft ausschließt (vgl. Keller, a.a.O. Rn. 14a). Unabhängig von der Frage, ob die von
der Klägerin vorgetragene Depression überhaupt jemals diesen Schweregrad erreichte, dauerte sie dem eigenen Vorbringen der
Klägerin nach jedenfalls nicht länger als bis zum Sommer 2017. Die Klägerin war also keinesfalls bis zum Februar 2018 krankheitsbedingt
an der Antragstellung gehindert.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Grund, gemäß §
160 Abs.
2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht ersichtlich.