Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Autohaus A. GmbH versicherungspflichtig
oder versicherungsfrei in der gesetzlichen Unfallversicherung ist.
Mit Schreiben vom 30. Juni 1951 zeigte Herr C. A. bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft,
an, dass er in C-Stadt eine Fahrzeugreparaturwerkstätte eröffnet habe. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten nahm daraufhin
das Unternehmen in ihr Unternehmerverzeichnis auf, seitdem ist die Beklagte der zuständige Unfallversicherungsträger für diese
Firma. Im Jahr 1980 wurde die damals noch bestehende Kommanditgesellschaft in eine GmbH, die Autohaus A. GmbH, umgewandelt.
Das Stammkapital betrug zunächst 60.000,00 DM und war mit einem Anteil von 30.000,00 DM oder 50% zugunsten des ursprünglichen
Firmengründers, C. A., sowie zu je 10.000,00 DM auf den 1945 geborenen D. A., den 1948 geborenen E. A. sowie die 1955 geborene
F. F. aufgeteilt. Alle genannten Gesellschafter waren gleichzeitig Geschäftsführer der Firma. Aufgrund dieser Aufteilung der
GmbH-Anteile wurde Herr C. A. von der Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht als versicherungspflichtig beurteilt und beantragte
nach dieser Feststellung eine freiwillige Unternehmerversicherung. Die übrigen drei Gesellschafter wurden versicherungspflichtig
beurteilt. Die Feststellungen der Beklagten hierzu sind bestandskräftig.
Am 25. März 1986 wurde der Rechtsvorgängerin der Beklagten mitgeteilt, dass das Stammkapital der GmbH auf 120.000,00 DM aufgestockt
worden sei. Die Gesellschaftsanteile waren zu diesem Zeitpunkt zu je einem Viertel auf die ursprünglichen Gesellschafter C.
A., D. A., E. A. und F. F. aufgeteilt. Unverändert waren alle vier genannten Personen weiterhin zu Geschäftsführern bestellt.
Auf Nachfrage teilte die Gesellschaft mit, dass alle Personen ohne Arbeitsverträge tätig seien. C. A. habe die Geschäftsleitung
inne, D. A. sei als Kfz-Meister für den technischen Bereich zuständig, E. A. und F. F. würden zu gleichen Teilen den kaufmännischen
Teil verwalten. Mit Bescheid vom 28. November 1988 wurden daraufhin alle Gesellschafter als versicherungspflichtig beurteilt,
die freiwillige Unternehmerversicherung des C. A. wurde gleichzeitig aufgehoben.
Im Jahr 1999 führte die Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Lohnbuchprüfung durch und stellte fest, dass der 1918 geborene
C. A. aus dem Unternehmen ausgeschieden war; dieser verstarb am xx. xxx 2008. Nach der 2008 beigezogenen Gesellschafterliste
wurden seine Gesellschafteranteile in Höhe von 30.000,00 DM von der Erbengemeinschaft der 1917 geborenen G. A., dem D. A.,
dem E. A. und der F. F. übernommen. Nach ihren Anteilen aus der Erbengemeinschaft hielten damit Frau F. F. und Herr E. A.
als Geschäftsführer jeweils 2 Anteile in Höhe von 15.000,00 DM und 30.000,00 DM und damit jeweils rund 38% der Gesellschafteranteile.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 4. August 2010 wurden beide Personen ab dem Zeitpunkt der letzten Änderung (5. August 2008)
nicht mehr als versicherungspflichtig beurteilt.
Am 15. April 2016 erlitt der Bruder des Klägers, H. A., der ebenfalls für das Unternehmen tätig ist, während seiner Tätigkeit
einen Unfall, der der Leistungsabteilung der Beklagten angezeigt wurde. Hierzu wurde zunächst geprüft, ob H. A. versicherungspflichtiger
Arbeitnehmer oder versicherungsfreier Unternehmer ist. Die Leistungsabteilung der Beklagten beauftragte deshalb die Mitgliedschafts-
und Beitragsabteilung der Beklagten mit weiteren Ermittlungen. Aus dem Fragebogen zur Feststellung der Gesellschaftsverhältnisse
des E. A. vom 24. April 2016 sowie den Eintragungen beim Amtsgericht Wetzlar vom 16. September 2015 und vom 28. Dezember 2010
ergibt sich, dass F. F. als Geschäftsführerin abberufen ist (Eintragung vom 16. September 2015) und der Kläger zum alleinvertretungsberechtigten
und von §
181 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) befreiten Geschäftsführer bestellt ist (Eintragung vom 28. Dezember 2010). Die Gesellschaft besteht nur noch aus den beiden
Gesellschaftern E. A., Vater des Klägers, geb. 1948, sowie dem Kläger selbst. Dabei hat der Kläger einen Anteil von 40% des
Stammkapitals (insgesamt 120.000), sein Vater E. A. einen Anteil von 60%.
Mit Bescheid vom 2. Mai 2016 stellte die Beklagte fest, der Kläger sei mit Wirkung vom 28. Dezember 2010 kraft Gesetzes pflichtversichert
in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer für das Unternehmen Autohaus A. GmbH.
Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, nach seiner Auffassung sei er schon seit 28. September
2010 gleichberechtigter Geschäftsführer neben seinem Vater. Durch Notarvertrag von diesem Tag habe er ab dem 1. Oktober 2010
einen Anteil am Stammkapital gehalten (zunächst 15%, 2010 aufgestockt auf 40%), sei von diesem Zeitpunkt an einzelvertretungsberechtig
und von den Bestimmungen des §
181 BGB befreit, d. h. gleichberechtigt. Der Vater, der sich zwischenzeitlich im 69. Lebensjahr befinde, habe dadurch damals schon
seine Nachfolge in die Wege leiten wollen. Er sei gleichberechtigter Gesellschafter-Geschäftsführer neben seinem Vater.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und bezog sich zur Begründung
auf die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur sogenannten "Schönwetter-Selbständigkeit" bei Familiengesellschaften.
Der Kläger halte nur 40% der Anteile an der GmbH und könne ihm nicht genehme Beschlüsse daher nicht verhindern. Auch eine
Sperrminorität besitze er nicht. Somit sei er weiterhin als abhängig Beschäftigter zu beurteilen.
Der Kläger hat am 26. September 2016 Klage beim Sozialgericht Gießen (Sozialgericht) erhoben und vorgetragen, sein Vater sei
zwischenzeitlich schwerbehindert (GdB 90) und könne die Geschäfte eigentlich nicht mehr wie ein Unternehmer wahrnehmen. Diese
Funktion ersetze er. Er hat dazu den seinerzeit aktuellen Gesellschaftsvertrag der Autohaus A. GmbH vorgelegt sowie den Geschäftsführer-Dienstvertrag
vom 19. Oktober 2010. Nach § 9 des Gesellschaftsvertrags des Unternehmens werden Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit
der abgegebenen Stimmen gefasst, wobei nach Geschäftsanteilen abgestimmt wird und je 1.000,00 Euro Geschäftsanteil eine Stimme
gewähren. Beschlüsse über die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern oder die etwaige Auflösung der Gesellschaft oder
Änderungen der Satzung bedürfen der ¾ Mehrheit. Nach § 1 des Geschäftsführer-Dienstvertrages sind die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages
zu beachten und gehen vor.
Mit Urteil vom 17. Mai 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer
der Autohaus A. GmbH versicherungspflichtig gemäß §
2 Abs.
1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung -
SGB VII. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei ein Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund seiner Kapitalbeteiligung nur dann selbständig tätig, wenn diese mindestens
50 v. H. der Anteile am Stammkapital betrage. Bei geringerer Kapitalbeteiligung gelte das nur dann, wenn eine echte/qualifizierte
Sperrminorität eingeräumt sei. Eine solche qualifizierte Sperrminorität setze voraus, dass sie nicht auf bestimmte Angelegenheiten
der Gesellschaft begrenzt sei, sondern uneingeschränkt die gesamte Unternehmenstätigkeit umfasse. Das BSG habe betont, dass außerhalb des Gesellschaftsvertrags (der Satzung) zustande gekommene, das Stimmverhalten regelnde Vereinbarungen
nicht bei der Bewertung der Rechtsmachtverhältnisse zu berücksichtigen seien. Der Kläger habe nicht einen Kapitalanteil von
mindestens 50%. Nach den schriftlichen Vereinbarungen sei ihm keine Sperrminorität eingeräumt. Ob der weitere Gesellschafter
und Vater des Klägers insbesondere wegen der bei ihm bestehenden Schwerbehinderung faktisch seine Gesellschaftsmacht auf den
Kläger übertragen habe, spiele keine Rolle. Der Vater könne nach dem Gesellschaftsvertrag jederzeit faktisch wieder allein
über die Geschicke der Gesellschaft bestimmen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers habe dazu in der mündlichen Verhandlung
vorgetragen, ihr seien keine Änderungen des Gesellschaftsvertrages bekannt. Solange aber keine vertragliche Änderung vorgenommen
sei, sei der Kläger abhängig Beschäftigter und in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.
Gegen das ihm am 19. August 2019 vorgelegte Urteil hat der Kläger am 10. September 2009 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht
in Darmstadt eingelegt. Er trägt vor, er sei seit seiner Mitwirkung in dem Unternehmen Autohaus A. GmbH als Gesellschafter-Geschäftsführer
selbständig. Das Unternehmen führe seit langen Jahren das tägliche Geschäft als Betriebsgesellschaft aus. Seit der "vor-vorigen"
Generation befänden sich die Anlage-Vermögenswerte wie das Miteigentum an der Betriebsimmobilie (s. Grundbuch) sowie die Anteile
an der Betriebsgesellschaft-GmbH (s. Handelsregister) im Gesamthandeigentum der
BGB-Besitzgesellschaft. Im Rahmen der Unternehmensnachfolge, die bisher stets in der direkten Abstammung der Familie erfolgte,
seien die vorgenannten Vermögenswerte stets im gleichen Beteiligungsverhältnis an der Besitzgesellschaft und der Immobilie
gehalten. Die positive Mitwirkung jedes Beteiligten sei unabhängig von der Höhe seines Anteils zur Fassung eines gemeinsamen
Beschlusses erforderlich, was in der Vergangenheit den Zusammenhalt gestärkt habe. Hierbei befänden sich die Anteile der einzelnen
Gesellschafter an der Betriebsgesellschaft und an der Betriebsimmobilie als notwendigem Betriebsvermögen im Anlagevermögen
der Besitzgesellschaft. Dies entspreche den steuerlichen Vorschriften. Die
BGB-Gesellschaft könne nach dem Gesetz nur einstimmige Beschlüsse fassen. Die nicht nur positiven Folgen dieser Gestaltung (Haftung
mit Anteilen und Privatvermögen, Beschlussbeschränkung etc.) akzeptierten alle Gesellschafter. Der Kläger hat dazu eine "gutachtliche
Stellungnahme zur Betriebsaufspaltung" vorgelegt.
Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 10. September 2019 eine Neufassung des Gesellschaftsvertrages,
beurkundet am 4. September 2018, bekannt gemacht am 6. November 2018 (Amtsgericht Wetzlar xxx1) vorgelegt. Nach § 8 des Vertrages
werden Gesellschafterbeschlüsse nunmehr mit Zweidrittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen erfasst. Dem Kläger wird unwiderruflich
eine Sperrminorität gegen alle Beschlüsse der Gesellschaft eingeräumt. Nach II. Nr. 2. der Urkundenrolle Nr. xxx2 sollte die
Neufassung bereits zum 31. Mai 2015 wirksam sein.
Die Beklagte hat daraufhin mit Bescheid vom 26. September 2019 ihren früheren Bescheid vom 2. Mai 2016 insoweit aufgehoben,
als der Kläger für die Zeit ab dem 6. November 2018 als versicherungspflichtig beurteilt worden ist. Für die Zeit vom 28.
Dezember 2010 bis zum 5. November 2018 verbleibe es bei der mit Bescheid vom 2. Mai 2016 getroffenen Entscheidung, da die
gesellschaftliche Änderung im Handelsregister erst am 6. November 2018, 22.00 Uhr, bekannt gemacht worden sei. Denn gemäß
§ 54 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) wirkten Satzungsänderungen wie die Regelungen, die die Ausgestaltung der mitgliedschaftlichen Rechter der Gesellschafter
zum Gegenstand hätten, grundsätzlich erst mit ihrer Eintragung ins Handelsregister. Wegen des konstitutiven Charakters der
Eintragung entfalteten Satzungsänderungen im Außenverhältnis keine Rückwirkung.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Mai 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 7. September 2016 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. September 2019 zu ändern und festzustellen, dass
der Kläger auch in der Zeit vom 28. Dezember 2010 bis zum 5. November 2018 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Unfallversicherung unterlegen hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung, die sich auf die aktuelle Rechtsprechung des BSG stützt, für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch die Vorsitzende anstelle des Senats einverstanden
erklärt. Zum Sach- und Streitstand und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten
der Beklagten (Originalakten Band I - III; Behördenakten Band I - III) verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden sind.
Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass die Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers auch durch
die nach dem Geschäftsführervertrag vorgesehene Ausgestaltung der Geschäftsführertätigkeit bestätigt wird. Dieser Vertrag
enthält typische Regelungen eines Arbeitsvertrages wie die monatliche Festvergütung (§ 4), Urlaubsanspruch sowie Anspruch
auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für sechs Wochen (§ 5). Die in dem Vertrag in Aussicht gestellte Zahlung einer Tantieme
spricht dabei nicht gegen eine Beschäftigung. Denn die Gewährung von Tantiemen an Arbeitnehmer sind nicht ungewöhnlich, und
hier nur "ggf. aufgrund einer gesonderten Zusage" in Aussicht gestellt.
Zutreffend hat die Beklagte in ihrem Teilabhilfebescheid im Berufungsverfahren von 26. September 2019 eine Änderung ihres
früheren Bescheides erst für die Zeit ab dem 6. November 2018 vorgenommen. Die Änderung des Gesellschaftsvertrages der Autohaus
A. GmbH (u. a. die Einräumung einer unwiderruflichen Sperrminorität gegen alle Beschlüsse der Gesellschaft) ist erst zu diesem
Zeitpunkt im Handelsregister des Sitzes der Gesellschaft eingetragen worden und nach § 54 Abs. 3 GmbHG erst ab diesem Zeitpunkt wirksam.