Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II im Rahmen einer temporären Bedarfsgemeinschaft im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Keine Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes bei Sicherstellung des Existenzminimums durch die zur Verfügung gestellten
Mittel
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Rahmen einer temporären Bedarfsgemeinschaft.
Die Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der am 00.00.2013 geborenen Antragstellerin zu 2). Die Antragstellerin zu 1) lebt
vom Vater der Antragstellerin zu 2), ihrem Ehemann, getrennt. Sie bezieht aus einer Teilzeitbeschäftigung ein monatliches
Netto-Einkommen in Höhe von ca. 950 EUR. Außerdem erhält sie Trennungsunterhalt von ihrem Ehemann i.H.v. 100 EUR monatlich.
Ergänzend gewährt der Antragsgegner der Antragstellerin zu 1) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 04.09.2018 bewilligte er Leistungen in Höhe von 153,28 EUR monatlich bis einschließlich 31.03.2019 für
die Antragstellerin zu 1). Mit Schreiben vom 25.09.2018 legte die Antragstellerin zu 1) gegen diesen Bescheid mit der Begründung
Widerspruch ein, dass das der Leistungsberechnung zugrunde gelegte Erwerbseinkommen fehlerhaft zu hoch berechnet worden sei.
Am 26.10.2018 haben die Antragstellerinnen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Dortmund
gestellt. Sie haben behauptet, dass die Eheleute bezüglich des Aufenthalts der Antragstellerin zu 2) ein Wechselmodell vereinbart
hätten und dies auch praktizierten. Die Antragstellerin zu 2) halte sich wechselweise eine Woche bei der Antragstellerin zu
1) und eine Woche beim Kindesvater auf. Dies alles sei dem Antragsgegner bestens bekannt. Bereits gegen den Bewilligungsbescheid
vom 16.04.2018 (Leistungszeitraum Oktober 2017 bis März 2018) sei mit dieser Begründung Widerspruch eingelegt worden. Über
diesen Widerspruch sei nach nunmehr fünf Monaten immer noch nicht entschieden worden. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung
aus der Unterhaltsstreitigkeit sowie auch den Beschluss vom 13.06.2018 des Familiengerichts V habe der Bevollmächtigte der
Antragstellerinnen dem Antragsgegner bereits vor Monaten überreicht. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass die Antragstellerinnen
über keinerlei finanzielle Mittel mehr verfügten und auch von keiner anderen Seite Unterstützung erhielten. Sie könnten den
notwendigen Lebensunterhalt nicht sichern. Das Girokonto der Antragstellerin zu 1) befinde sich mit über 1300 EUR im Minus.
Mit Beschluss vom 08.01.2019 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung
abgelehnt, dass der Antrag der Antragstellerin zu 2) unzulässig und der Antrag der Antragstellerin zu 1) unbegründet sei.
Für die Vertretung der Antragstellerin zu 2) mangele es an einer Bevollmächtigung durch die gesetzlichen Vertreter. Eine Vertretung
oder Bevollmächtigung durch beide Elternteile liege nicht vor. Für den Vater der Antragstellerin zu 2) sei eine solche Bevollmächtigung
nicht glaubhaft gemacht. Zwar sei eine Stellungnahme eines Rechtsanwalts des Inhalts, dass die Antragstellerin zu 1) die Antragstellerin
zu 2) in Angelegenheiten gegen den Antragsgegner auch allein vertreten dürfe, vorgelegt worden. Diese lasse jedoch keinen
Schluss darauf zu, in welchem Umfang und für welche Rechtsstreitigkeiten der Rechtsanwalt durch den Vater der Antragstellerin
zu 2) beauftragt worden sei. Auch eine Ermächtigung zur Unterbevollmächtigung liege nicht vor. Da die geltend gemachten Ansprüche
der Antragstellerin zu 2) zustünden, nicht der Antragstellerin zu 1), sei deren Antrag mangels Anordnungsanspruchs unbegründet.
Die Antragstellerinnen haben gegen den Beschluss am 15.01.2019 Beschwerde eingelegt.
Die Antragstellerinnen beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 08.01.2019 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, der Antragstellerin zu 1) über die bisher bewilligten Leistungen nach dem SGB II hinaus den hälftigen Mehrbedarf für Alleinerziehende und der Antragstellerin zu 2) den hälftigen Regelbedarf zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner hält auch weiterhin die tatsächliche Durchführung des behaupteten Wechselmodells nicht für nachgewiesen.
Die Antragstellerin zu 1) habe im Rahmen der erstmaligen Antragstellung keine weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft angegeben
und auch der Vater der Antragstellerin zu 2) habe ein solches Wechselmodell bestritten. Es sei nicht nachvollziehbar dargelegt
worden, dass sich an diesen Umständen etwas geändert habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1) ist bezogen auf den mit der Beschwerde erstmalig geltend gemachten Mehrbedarf für
Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II unzulässig.
Gegenstand der Beschwerde können nur solche Ansprüche sein, über die das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss entschieden
hat (§
157 SGG). Über einen eigenen Anspruch der Antragstellerin zu 1) hat das Sozialgericht im Beschluss vom 08.01.2019 nicht entschieden.
Wie den Gründen der Entscheidung zu entnehmen ist, erfolgte eine Entscheidung nur über den Regelbedarf der Antragstellerin
zu 2). Weder hat das SG eine Entscheidung über den nunmehr geltend gemachten Mehrbedarf der Antragstellerin zu 1) nachzuholen noch kommt ein Heraufholen
von Prozessresten in Betracht. Denn ein eigener Leistungsanspruch der Antragstellerin zu 1) war nach dem ausdrücklich formulierten
Begehren der Antragstellerinnen im Schriftsatz vom 06.11.20118 nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Antrags.
Bezogen auf die Geltendmachung von Leistungen nach dem SGB II für die Antragstellerin zu 2) ist der Antrag der Antragstellerin zu 1) unbegründet. Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, kann diese auf die Leistungen ihrer Tochter keinen eigenen Anspruch geltend machen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Antragstellerin zu 2) ist zulässig. Dabei geht der Senat - anders
als das SG - davon aus, dass Herr Rechtsanwalt H ausreichend bevollmächtigt ist, um wirksame Verfahrenshandlungen für die Antragstellerin
zu 2) vorzunehmen. Rechtsanwalt M hat im Namen des ebenfalls sorgeberechtigten Vaters der Antragstellerin zu 2) erklärt, dass
dieser mit der Wahrnehmung der Rechte der Antragstellerin allein durch die Antragstellerin zu 1) einverstanden ist und insoweit
das Vertretungsrecht übertragen wird. Zweifel daran, dass Rechtsanwalt M, der den Vater der Antragstellerin zu 2) im Unterhaltsstreit
mit der Antragstellerin zu 1) vertritt, diese Erklärung für den Vater der Antragstellerin zu 2) mit Vertretungsmacht abgegeben
hat, hat der Senat nicht.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach §
86 b Abs.
2 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für
den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei
Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch)
und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit,
sind glaubhaft zu machen (§
86 Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde
Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen
Verfahren (BVerfG Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen
entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht
nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren
aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden.
Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005
- 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927ff).
Die Antragstellerin zu 2) hat keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund ist nur glaubhaft gemacht, wenn
überwiegend wahrscheinlich ist, dass dem Antragsteller bei einem Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens unzumutbare
Nachteile entstünden, die im Rahmen des Hauptsacheverfahrens nicht mehr wiedergutgemacht werden könnten. Ein solcher wesentlicher
Nachteil liegt bezüglich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes insbesondere vor, wenn dem Antragteller ohne eine
vorläufige Regelung keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen, um seine existenziellen Bedürfnisse zu befriedigen. Einen
wesentlichen Nachteil in diesem Sinne hat die Antragstellerin zu 2) nicht glaubhaft gemacht. Ausgehend von dem von der Antragstellerin
zu 1) behaupteten Wechselmodell, also dem Aufenthalt der Antragstellerin zu 2) im Haushalt der Antragstellerin zu 1) während
der Hälfte eines jeden Monats, bestünde ein Bedarf in Höhe des halben Regelbedarfs der Stufe 6, also 122,50 EUR. Der sich
unter Berücksichtigung des Bedarfs der Antragstellerin zu 1), der mit Bescheid vom 04.09.2018 auf 907,27 EUR festgestellt
wurde und sich aufgrund der Anpassung der Regelbedarfe zum 01.01.2019 um 8,00 EUR und gegebenenfalls um den halben Mehrbedarf
für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II i.H.v. 76,32 EUR erhöhen würde, ergebende Gesamtbedarf der temporären Bedarfsgemeinschaft läge bei monatlich 1.114,09 EUR.
Dieser Gesamtbedarf ist durch das Einkommen der Antragstellerin zu 1) in Höhe von ca. 950 EUR, die Unterhaltszahlung des Ehemannes
der Antragstellerin zu 1) i.H.v. 100 EUR und die monatlich gezahlten Leistungen des Antragsgegners i.H.v. 153,25 EUR gedeckt.
Die der Antragstellerin zu 1) im Rahmen der Leistungsberechnung nach § 11b SGB II zustehenden Einkommensfreibeträge bleiben bei dieser Betrachtung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes unberücksichtigt
(so auch LSG NRW Beschluss vom 26.10.2015 - L 19 AS 1623/15 B ER; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 17.04.2015 - L 4 AS 137/15 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 27.07.2015 - L 13 AS 205/15 B ER). Die durch Einkommensfreibeträge zur Verfügung gestellten Mittel sind für die Sicherstellung des Existenzminimums einzusetzen.
Der Einsatz dieser Mittel ist gegenüber der Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes regelmäßig vorrangig. Eine Ausnahme
hiervon kann lediglich hinsichtlich des Grundfreibetrages von 100 EUR nach § 11b Abs. 2 SGB II dann angezeigt sein, wenn die das Einkommen erzielende Person glaubhaft macht, dass dem Freibetrag tatsächliche von § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3-5 SGB II erfasste Ausgaben gegenüberstehen, so dass das Einkommen in dieser Höhe nicht zur Deckung des existenziell erforderlichen
Bedarfs verwandt werden kann. Ein solcher Fall ist hier schon deshalb nicht anzunehmen, weil der Antragstellerin zu 1) selbst
bei Deckung des gesamten Bedarfs der Bedarfsgemeinschaft der Grundfreibetrag weiterhin in Höhe von ca. 90 EUR für die in §
11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3-5 SGB II zu deckenden Bedarfe zur Verfügung steht und sie keine dem gegenüberzustellenden Kosten geltend gemacht hat.
Wegen fehlender Erfolgsaussichten (§
114 Abs.
1 S. 1
ZPO) des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch die zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe unbegründet.
Aus demselben Grund war auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt bezüglich des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einer entsprechenden Anwendung
von §
193 SGG.
Im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren sind außergerichtliche Kosten grundsätzlich nicht zu erstatten (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, §
177 SGG.