Zulässigkeit der Beschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren gegen einen Beschluss des Sozialgerichts zur Verpflichtung einer
Krankenkasse zur Leistungserbringung im Wege des Off-Label-Use bei chronisch rezidivierender Gichtatrophie mit Immobilität
Gründe
Die statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat
in entsprechender Anwendung des §
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Bezug auf die als zutreffend erachtete Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Detmold. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sind die Voraussetzungen des §
27 Abs.
1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) i.V.m. §
2 Abs.
1a Satz 1
SGB V glaubhaft gemacht.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage.
Soweit die Antragsgegnerin beanstandet, die Voraussetzungen für ein Off-Label-Use seien schon deswegen nicht gegeben, weil
das SG davon ausgehe, dass "eine Lebensbedrohlichkeit aufgrund der Gichtathopathie nicht unmittelbar gegeben sein mag", trägt das
nicht. Eine "zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung" i.S.d. §
2 Abs.
1a Satz 1
SGB V ist glaubhaft gemacht. Die wertungsmäßige Vergleichbarkeit dient dazu, die notstandsähnliche Situation zu konkretisieren.
Hingegen geht es nicht darum, den Tatbestand des §
2 Abs.
1a Satz 1
SGB V zu erweitern. Gesetzgeber (BT-Drucks. 17/6906 S. 53) und Rechtsprechung (z.B. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss
vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -; Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19.10,2004 - B 1 KR 27/02 R -) orientieren sich zwecks Präzisierung dieser Begrifflichkeit an der "extremen" bzw. "notstandsähnlichen" Situation der
krankheitsbedingten Lebensgefahr. Typisch hierfür soll ein die Behandlungsbedürftigkeit prägender Zeitdruck sein (hierzu Schuler
in LPK-
SGB V, 5. Auflage, 2016, § 2 Rn. 16 m.w.N. auf die Rechtsprechung des BSG; Noftz in Hauck/Noftz,
SGB-V, 07/18, §
2 Rn. 76e m.w.N.). Als vergleichbare Erkrankungen kommen der akut drohende Verlust eines wichtigen Sinnesorgans (hierzu BSG, Urteile vom 02.09.2014 - B 1 KR 4/13 R -, 03.07.2012 - B 1 KR 25/11 R - und 20.04.2010 - B 1/3 KR 22/08 R -) oder einer herausgehobenen Körperfunktion in Betracht (BSG, Urteile vom 04.04.2006 - B 1 KR 12/04 R - und 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R -). Anzureichern sind die hiernach gewonnenen Erkenntnisse letztlich durch eine grundrechtsorientierte Güterabwägung (hierzu
u.a. Senat, Beschluss vom 05.01.2018 - L 11 KR 405/17 B ER -).
Ausgehend hiervon ist glaubhaft gemacht, dass der Verlust einer herausgehobenen Körperfunktion droht. Der Antragsteller hat
glaubhaft gemacht, an einer Gichtarthritis mit progredientem Verlauf zu leiden (hierzu u.a. der Bericht von Prof. Dr. M, Klinik
für Rheumatologie und Physikalische Medizin des Klinikums N vom 04.09.2017: "Schwere chronisch rezidivierende Gichtatrophie
mit Immobilität ab 23.08.2017 ... drohende Invalidität" ..."). Die "körperliche Beweglichkeit" betrifft eine herausgehobene
Körperfunktion. Die "drohende Immobilisation" (Dr. H im Bericht vom 21.08.2018) droht zu deren Verlust zu führen. Im Übrigen:
Jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verdichtet der Schutzbereich des Art.
2 Abs.
2 Satz 1
Grundgesetz die Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers dahin, dass die Voraussetzungen einer "zumindest wertungsmäßig vergleichbaren
Erkrankung" gegeben ist.
Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, auch die Voraussetzungen des §
2 Abs.
1a Satz 1 letzter Halbsatz
SGB V seien nicht erfüllt, vermag der Senat dem nach vorläufiger Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht zu folgen. Eine "wissenschaftliche
Forschungslage für die Zulassungsreife des Medikament B" muss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entgegen der Auffassung
der Antragsgegnerin nicht nachgewiesen werden. Auch insoweit ist der Beweismaßstab auf eine Glaubhaftmachung reduziert. Die
im erstinstanzlichen Verfahren vom behandelnden Arzt (Prof. Dr. M) vorgelegten und in Fachzeitschriften publizierten Forschungsergebnisse
legen es nahe, dass die Verordnung des Medikaments B eine "spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf" haben kann
und dies zufolge der Einschätzung der behandelnden Ärzte auch hat.
Nach alledem konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§
177 SGG).