Anspruch auf Erteilung einer Zusage für eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Drogentherapie
für einen Strafgefangenen; Zurückstellung einer Maßregel nach § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer richtet sich gegen die Ablehnung seines Antrages, ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung eine Zusage
für eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Drogentherapie zu erteilen.
Der Beschwerdeführer ist im August 2014 volljährig geworden. Er ist seit Jahren von verschiedenen Drogen abhängig (Polytoxikomanie),
hat die Schulausbildung abgebrochen und keinen Beruf. Behandlungsangebote wegen seiner Drogensucht nahm er unregelmäßig wahr
oder unterzog sich ihnen unfreiwillig.
Am 22. Juli 2014 beging er unter Drogeneinfluss einen bewaffneten Raubüberfall auf eine Tankstelle und befand sich seither
in Untersuchungshaft. Mittlerweile ist er durch Urteil des Amtsgerichts Weißenfels vom 9. Dezember 2014 zu einer Jugendstrafe
von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt worden, die durch Unterbringung im Maßregelvollzug nach §
64 StGB vollstreckt werden soll und auf die die Untersuchungshaft angerechnet wird. Gegen das Urteil hat der Beschwerdeführer Rechtsmittel
mit dem hier vorgetragenen Ziel eingelegt, eine Aussetzung des Maßregelvollzuges zum sofortigen Antritt einer Drogentherapie
zu erreichen.
Der Beschwerdeführer stellte am 4. September 2014 bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland einen Antrag auf
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, den diese im Hinblick auf das Fehlen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
nach §
14 Abs.
1 SGB IX an die Beschwerdegegnerin weiter leitete, wo er am 12. September 2014 einging. Der Beschwerdeführer ist bei der Beschwerdegegnerin
familienversichert.
Die Beschwerdegegnerin wertete ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. Dipl.-Psych. G. von
6. Oktober 2014 aus, das dieser im Strafverfahren erstattet hat. Darin führt er (auf 60 Seiten) aus, der Beschwerdeführer
leide in psychiatrischer Hinsicht neben der Suchtmittelerkrankung unter keiner anderen Erkrankung. Die Persönlichkeit zeige
einige dissoziale Züge, wobei die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung schon im Hinblick auf das jugendliche Alter nicht
zu stellen sei. Seit Mai 2014 befinde er sich erstmals in einer Partnerbeziehung. Wegen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
nach §
64 StGB hat Dr. G. ausgeführt, trotz Bedenken und Zweifeln sei die Voraussetzung einer hinreichend konkreten Aussicht auf Heilung
oder Rückfallvermeidung (S. 2 der Vorschrift) hinreichend erfüllt, um eine entsprechende Empfehlung auszusprechen. Zwar orientiere
sich der Beschwerdeführer kaum an mittel- oder längerfristigen Lebenszielen, weise aber eine prognostisch als günstig einzuschätzende
Bildungsfähigkeit auf. Er habe bislang keine eigene Initiative zur Bekämpfung der Suchtmittelprobleme gezeigt, habe ihm gegenüber
aber nunmehr beteuert, er sehe vor dem Hintergrund des (erstmaligen) Auffallens wegen einer Straftat ein, dass er zur Vermeidung
weiterer Straftaten therapeutische Hilfe benötige. Der Beschwerdeführer hatte angegeben, im April in einer Entzugsklinik gewesen
zu sein, die er schon nach Tagen wieder habe verlassen wollen. Im Rahmen der elterlichen Vormundschaft sei er dort zwangsweise
weiter untergebracht geblieben, sei aber davon ausgegangen, nach der Entlassung den Drogenkonsum fortzusetzen, was er auch
schon am ersten Tag verwirklicht habe. Wenn er jetzt sehe, was sein Lebenswandel aus ihm gemacht habe, sei eine Therapie wohl
sinnvoll. Er wolle sich lieber gar nicht vorstellen, wie es in ein paar Jahren ausgesehen hätte, wenn er nicht in den "Knast"
gekommen wäre.
Mit Bescheid vom 28. November 2014 lehnte die Beschwerdegegnerin die Übernahme einer stationären Entwöhnungsbehandlung ab.
Sie führte unter Wiedergabe einer stichwortartigen Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung aus, in
Kenntnis des Gutachtens liege beim Beschwerdeführer keine ausreichende Eigenmotivation vor. Der Entzug im April 2014 sei teilweise
gegen seinen Willen erfolgt. Weder bestehe eine regelhafte Anbindung an eine Suchtberatungsstelle oder Selbsthilfegruppe noch
erfolge eine Behandlung bei einem Suchtspezialisten.
Gegen den Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2014 Widerspruch und beantragte die Kostenzusage
für die Entwöhnungsbehandlung in einer konkret bezeichneten Therapieeinrichtung: Eine dauerhafte Entgiftung sei bereits durch
die Untersuchungshaft eingetreten. Er habe sich in der Haft von der Sucht- und Drogenberatung beim Kreisverband des Deutschen
Roten Kreuzes beraten lassen, auf deren Auskunft er sich auch beziehe. Dort habe man ihn auf die Therapieeinrichtung hingewiesen,
mit der er sich in Verbindung gesetzt habe. Er wolle die Möglichkeit des Konzepts einer Therapie statt Strafe nach § 35 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) nutzen. Er legte auszugsweise ein Schreiben der Beratungsstelle an die Jugendgerichtshilfe vor, wonach es sinnvoll sei,
über eine stationäre Drogentherapie anstelle des Maßregelvollzugs nachzudenken. Der Beschwerdeführer sei labil, was im Setting
des Maßregelvollzuges nicht angemessen berücksichtigt werden könne. Im Rahmen des Therapiekonzeptes der vorgeschlagenen Einrichtung
könne an der Stabilisierung und Reifung des Beschwerdeführers intensiver gearbeitet werden. Weiterhin fügte der Beschwerdeführer
ein Schreiben der Therapieeinrichtung bei, in dem diese die grundsätzliche Bereitschaft zur Aufnahme des Beschwerdeführers
erklärt.
Der Beschwerdeführer reichte eine "Motivationserklärung" vom 4. Dezember 2014 nach, in der er erklärt, er wolle an einer stationären
Drogentherapie teilnehmen. Er habe sich in der Haft überlegt, dass er künftig nur ein straffreies Leben führen könne, wenn
er ohne Drogen leben könne. Er hoffe, dass ihm in der Therapie Verhaltensalternativen für die Situationen aufgezeigt würden,
in denen er bisher zur Bewältigung zu Drogen gegriffen habe.
Er habe früher nicht die Notwendigkeit gesehen ohne Drogen auszukommen. Auch in der stationären Entziehungsbehandlung im April
2014 habe er diesen Willen nicht besessen, zumal er schon gegen seinen Willen dorthin geschickt worden sei. Er habe aber jetzt
auch den körperlichen Schaden durch die Drogen wahrgenommen, als er unter Akne durch Crystal Meth gelitten habe. Davon sei
er unter dem Zwangsentzug in der Haft geheilt worden. Zudem zwinge ihn die Drogenabhängigkeit zu Beschaffungskriminalität.
Selbst seine Eltern habe er schon bestohlen, wofür er sich besonders schäme. In solche Situationen wolle er nicht wieder geraten.
Er halte es im Hinblick auf seine berufliche Zukunft für besser, die Therapie nicht unter Gefängnisbedingungen nach §
64 StGB, sondern in der benannten Einrichtung auf freiwilliger Basis mit der Möglichkeit einer Berufsausbildung durchzuführen. Er
habe sich schon selbst mit der Einrichtung in Verbindung gesetzt und benötige noch die Kostenübernahmeerklärung.
Dazu führte die Gutachterin des MDK im Rahmen einer erneuten Stellungnahme aus, nach dem vorliegenden Gutachten sei eine Entwöhnungsbehandlung
durchaus angezeigt, aber im Rahmen des Maßregelvollzuges nach §
64 StGB durchführbar. Der Beschwerdeführer sei als psychisch labil einzuschätzen. Daher werde keine positive Rehaprognose gesehen;
es bestehe die Gefahr eines vorzeitigen Abbruchs.
Der Beschwerdeführer hat am 4. Dezember 2014 beim Sozialgericht Halle den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Verpflichtung
der Beschwerdegegnerin zur Erteilung einer Zusage für eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären
Drogentherapie beantragt. Er hat sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend ausführen lassen,
er zeige die für eine günstige Prognose notwendige positive Einstellung. Gerade bei Entwöhnungsbehandlungen dürften die Anforderungen
aber auch nicht übertrieben werden. Die Hauptverhandlung finde am 9. Dezember 2014 statt. Die dort zuständige Richterin habe
informell mitgeteilt, der Weg nach § 35 BtMG komme nur in Betracht, wenn zuvor eine Kostenzusage für die Therapiemaßnahme vorliege.
Mit Beschluss vom 5. Dezember 2014 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt: Er sei nach §
86b Abs.
2 SGG schon unzulässig, weil es am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die angestrebte medizinische Rehabilitation sei schon
aufgrund einer Maßnahme nach §
64 StGB sichergestellt, die gegenüber der angestrebten Therapie als vorrangig anzusehen sei. Nach dem Gutachten von Dr. G. könne
der Drogenentzug durch Unterbringung in einer Entziehungsanstalt absolviert werden. Dagegen überzeugten die Argumente der
Drogenberatungsstelle nicht. Vielmehr halte das Gericht die Wahrscheinlichkeit der Überwindung der Drogensucht in der Maßnahme
für höher, weil der Beschwerdeführer diese nicht vorzeitig abbrechen könne. Der Beschwerdeführer sei mehrfach als labile Persönlichkeit
beschrieben worden. Seine schulische und berufliche Entwicklung könne er auch im Maßregelvollzug vorantreiben. § 35 BtMG sei hier nicht anwendbar, da der Beschwerdeführer noch nicht verurteilt sei.
Gegen den Beschluss hat der Beschwerdeführer am 8. Dezember 2014 Beschwerde eingelegt. Er vertritt ergänzend die Auffassung,
die Zulässigkeit des Antrages habe sich hier schon aus der Verletzung von §
13 Abs.
3a SGB V ergeben. Die Auffassung des Sozialgerichts, eine Therapie im Maßregelvollzug sei aussichtsreicher, weil sie unter Zwang erfolge,
treffe nicht zu. Vielmehr könne die Bereitschaft zur Therapie im Rahmen des Verfahrens nach §
67e StGB jederzeit zurückgenommen werden. Zudem entspreche es allgemeinem Wissen, dass eine Drogentherapie nur bei freiwilliger Durchführung
Erfolg verspreche. Die Möglichkeit zur schulischen und beruflichen Entwicklung bestehe im Maßregelvollzug nicht, wie bei der
Maßregelvollzugseinrichtung im Landeskrankenhaus B. erfragt werden könne. Diese Möglichkeit werde selbst im Rahmen des § 35 BtMG nur von wenigen Einrichtungen geboten. Für ihn stelle dies einen ganz wesentlichen Motivationsanreiz dar. Gerade deshalb
entspreche die angestrebte Maßnahme auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot des §
12 Abs.
1 S. 1
SGB V. Die Beschwerdegegnerin habe nicht die Voraussetzungen nach § 35 BtMG zu prüfen; dies sei Aufgabe der Vollstreckungsbehörde im Einvernehmen mit dem Gericht des ersten Rechtszuges (Amtsgericht).
Die eingeholten Stellungnahmen des MDK zeigten keine Abwägung der Vor- und Nachteile der möglichen Therapien. Dass Therapie
erforderlich sei, stehe außer Streit. Es werde lediglich eine Grundlage benötigt, damit das Strafgericht seine Entscheidung
nach § 35 BtMG treffen könne. Dazu sei eine erneute Begutachtung mit Exploration erforderlich. Es reiche nicht aus, wenn die Beschwerdegegnerin
zur Neubescheidung nach pflichtgemäßem Ermessen verurteilt werde; sie habe telefonisch bereits angedeutet, für diesen Fall
die gleiche Entscheidung noch einmal zu treffen. Mit einer entsprechend eingeschränkten Verurteilung werde das Gericht den
Erfordernissen einstweiligen Rechtsschutzes nicht gerecht.
Der Beschwerdeführer beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 5. Dezember 2014 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihm eine
Zusage für eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Drogentherapie zu erteilen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hat mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2015 den Widerspruch zurückgewiesen. Sie bleibt dabei, die medizinischen Voraussetzungen
für eine stationäre Entwöhnungsbehandlung lägen nicht vor, weil nicht von einer positiven Rehabilitationsprognose ausgegangen
werden könne. Dagegen hat der Beschwerdeführer am 19. Februar 2015 Klage zur Hauptsache erhoben.
Die Beschwerdegegnerin verweist zunächst darauf, der Beschwerdeführer sei seit dem Haftantritt nicht leistungsberechtigt,
weil er in der Haft Anspruch auf freie Heilfürsorge habe. §
13 Abs.
3a SGB V sei hier nicht einschlägig, da es nicht um Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen gehe. Im Übrigen habe sie die
Leistung zu Recht wegen einer ungünstigen Rehabilitationsprognose abgelehnt. Mit einer weiteren Stellungnahme vom 8. Januar
2015 hat der MDK sich vor allem mit formellen Einwänden gegen die vorherige Begutachtung auseinandergesetzt und ist bei seiner
Beurteilung geblieben.
Dem Gericht hat bei der Entscheidung neben der Gerichtsakte die Verwaltungsakte der Beschwerdegegnerin, Bl. 1 - 77, vorgelegen.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg.
Nach §
86b Abs.
2 S. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) können einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen,
wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch)
und die Eilbedürftigkeit der einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind gem. §
86b Abs.
2 S. 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) glaubhaft zu machen.
Die Voraussetzungen einer solchen Regelungsanordnung liegen hier vor.
Der vom Beschwerdeführer aus der Ablehnung seines Antrages zu befürchtende Nachteil besteht darin, dass er ohne eine Zusage
zur Gewährung der Therapie entgegen der Möglichkeit einer Zurückstellung der Maßregel nach § 35 Abs. 1 S. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) im Vollzug der Untersuchungshaft bzw. der Maßregel verbleiben muss. Dieser Nachteil ist im Sinne des §
86b Abs.
2 S. 2
SGG wesentlich und aktuell, weil der zu vollstreckende Rest der ausgeurteilten Freiheitsstrafe unter zwei Jahren beträgt. Denn
damit steht eine Eingangsvoraussetzung für die Anwendung von § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG fest.
Im Hinblick auf diesen Nachteil droht dem Beschwerdeführer bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche,
über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt
werden kann; in einem solchen Fall liegt die Gewährung nahe (BVerfG, Beschluss v. 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - Juris).
Für den Erlass der einstweiligen Anordnung spricht weiter, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als sehr hoch einzuschätzen
sind.
Der Beschwerdeführer hat nach § 32 Abs. 1, 2 Nr. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) bei Vorliegen der materiellen Voraussetzungen Anspruch auf die Zusage der begehrten (stationären) Rehabilitationsmaßnahme
als einer aufschiebend bedingten Leistung. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass der Beschwerdeführer derzeit in der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht leistungsberechtigt ist, weil die von ihm angestrebte Leistung gerade für den Fall zuzusagen ist,
dass die Leistungsberechtigung bei der Beschwerdegegnerin wieder eintritt. Denn die aufschiebende Bedingung für die Erbringung
der letztlich begehrten Leistung ist nach § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG (anwendbar nach § 38 Abs. 1 S. 1 des Jugendgerichtsgesetzes) die vorherige Zurückstellung der Vollstreckung der verhängten Maßregel durch die Vollstreckungsbehörde im Hinblick auf die
Zusage des Beschwerdeführers und diejenige eines Kostenträgers zur Durchführung der Rehabilitation. Dafür bleibt die Beschwerdegegnerin
zuständig, weil der schon vor Haftantritt familienversicherte Beschwerdeführer nach §
10 Abs.
1,
2 Nr.
2 des
Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB V) familienversichert bleibt; ein anderer Versicherungstatbestand wird durch die Haftunterbrechung nicht ausgelöst.
Der Beschwerdeführer hat gem. §
40 Abs.
2 SGB V für den im Tenor genannten Fall Anspruch auf eine stationäre Entwöhnungsbehandlung. Dies ergibt sich zunächst aus dem Gutachten
von Dr. K. vom 10. Dezember 2014 für den MDK. Denn er gibt dort ausdrücklich die Beurteilung ab, für den Beschwerdeführer
bestehe die Indikation für eine längerfristige Drogenentwöhnungsbehandlung; auch gebe es grundsätzlich keine geeignete ambulante
Maßnahme. Diese Beurteilung entspricht grundsätzlich der im Ergebnis positiven Einschätzung von Dr. G. im Hinblick auf die
Durchführung einer Maßregel. Soweit Dr. K. allerdings der Maßregel insoweit wegen ihrer geschlossenen Bedingungen den Vorzug
gibt, ist dies schon aus Rechtsgründen unmaßgeblich, weil die Abwägung zwischen der Durchführung der Maßregel oder der Durchführung
einer Rehabilitationsmaßnahme allein von den Strafvollzugsorganen zu treffen ist. Aus § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG ergibt sich nämlich, dass die Prüfung zur Erteilung der Zusage auf bedingte Übernahme der Therapiemaßnahme ohne Berücksichtigung
der Maßregel in einer Entziehungsanstalt zu erfolgen hat. Inwieweit dies anders ist, wenn diese bereits Behandlungserfolge
gezeitigt hat, die den Umfang des noch zu bessernden Gesundheitszustandes vermindern, spielt hier mangels Vorliegens eines
solchen Sachverhalts keine Rolle.
Welcher Therapieform der Vorzug zu geben ist, überlässt der Gesetzgeber nach § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG der Einschätzung der Vollstreckungsbehörde und - ggf. - derjenigen der Strafgerichtsbarkeit bei der Prüfung ihrer Zustimmungserklärung.
Diese Entscheidung hat die Vollstreckungsbehörde erst zu treffen, wenn der Beginn der angestrebten Maßnahme außerhalb des
Vollzugs im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG gewährleistet ist; Voraussetzung dafür ist nach allgemeiner Auffassung (auch) die Kostenzusage eines Kostenträgers (vgl.
Weber, BtMG, 4. Aufl., § 35 Rdnr. 127; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., § 35 Rdnr. 232 ff.). Dies schließt logisch aus, dass zuvor eine Abwägung zwischen der angeordneten Maßregel und der beantragten
Therapie stattfindet. Ein mehrstufiges Verfahren, in dem eine Vorabentscheidung der Vollstreckungsbehörde (oder gar einer
anderen Stelle) zur ausreichenden Wirksamkeit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ergehen könnte, ist nicht vorgesehen.
Dies wäre auch nicht sachgerecht, weil die Einschätzung der Vollstreckungsbehörde weitere psychologischpsychiatrische Gesichtspunkte
umfasst, die ihre Ermessenserwägungen bestimmen. Dazu gehört etwa die Gefährlichkeit des jeweiligen Täters, die der Zurückstellung
der Vollstreckung auch dann entgegenstehen kann, wenn die angestrebte Therapie Erfolgsaussichten hat. Dementsprechend kann
der in Frage kommende Kostenträger - hier die Beschwerdegegnerin - allein über die Sachgerechtigkeit der angestrebten Maßnahme
als solche entscheiden, bevor er die bei ihm beantragte bedingte Zusage abgibt oder sie ablehnt.
Für sich genommen ist die stationäre Rehabilitationsmaßnahme zur Entwöhnung im Sinne von §
11 Abs.
2 SGB V auch insoweit erforderlich, als sie hinreichend Erfolg versprechend ist. Dabei ergibt sich schon aus dem gesetzlichen Zusammenhang
mit § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG, dass sich aus der Therapievorgeschichte kaum zwingende Argumente gegen den Rehabilitationsanspruch ableiten lassen. Soweit
danach nämlich die beantragte Therapie an die Stelle einer Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt treten kann,
wird vorausgesetzt, dass bei den Betroffenen im Sinne des §
64 S. 1
StGB ein "Hang" zum Drogenkonsum besteht und die maßgebliche Straftat verursacht hat. Insofern kann die Einschätzung der Therapieaussichten
nicht wesentlich durch vorher unterbliebene oder erfolglose Bemühungen beeinflusst werden, ohne dass die Vorschrift des §
35 Abs. 1 S. 1 BtMG, soweit sie auf den Maßregelvollzug bezogen ist, leer liefe.
Insoweit überzeugt es weder rechtlich noch im Rahmen medizinischer Würdigung, wenn dem Beschwerdeführer vorgehalten wird,
es bestehe keine regelhafte Anbindung an die Suchtbehandlung, und die Entzugsbehandlung sei teilweise gegen seinen Willen
durchgeführt worden. Es handelt sich insoweit ausschließlich um Umstände, die sowohl vor Begehung der Straftat als auch noch
vor Eintritt der Volljährigkeit des Beschwerdeführers liegen. Für die nach durchgeführtem Entzug bestehende Rehabilitationsfähigkeit
zu einer Entwöhnungsbehandlung sind diese Umstände nicht aussagekräftig, weil der Beschwerdeführer zuvor noch nicht in einer
vergleichbaren Lage gewesen ist. Abgesehen davon, dass er in seinem jugendlichen Alter noch eine deutliche Entwicklung erwarten
lässt, sind auch besondere Umstände zu berücksichtigen, die für eine jugendliche Entwicklung typisch sind. So hat der Beschwerdeführer
gegenüber Dr. G. sein Verhalten im auf Veranlassung seiner Eltern zwangsweise durchgeführten Entzug als typischen Ausdruck
jugendlichen Trotzes mit dem Ende beschrieben, dass er "gleich erst mal eine gekifft" habe, als er "rausgekommen" sei. Für
ein vergleichbares Verhalten ist nach Erreichen der Volljährigkeit und der eigenen Verantwortung für die selbst beantragte
Maßnahme kein erneuter Anlass ersichtlich. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer seine erstmalige strafrechtliche
Auffälligkeit als Ausdruck von Versagen ansieht, das er jetzt korrigieren möchte.
Umgekehrt spricht für die Rehabilitationsfähigkeit des Beschwerdeführers die Wirkungsweise des Konzeptes der "Therapie statt
Strafe". Soweit Dr. K. dem geschlossenen Charakter der Maßregel im Hinblick auf eine erzieherische Wirkung den Vorzug gibt,
verkennt er, dass Druck auf den als labil eingestuften Beschwerdeführer gerade bei einer Zurückstellung der Straf- bzw. Maßregelvollstreckung
am wirksamsten ausgeübt wird, weil er bei Abbruch der Behandlung nach § 35 Abs. 5 BtMG mit der Fortsetzung des Vollzuges der Maßregel rechnen muss, während im Maßregelvollzug selbst erfolglos verbrachte Zeit
zugleich als Zeit möglicher Sanktion verstreicht. Dieser Gesichtspunkt spricht für die Wirksamkeit der angestrebten Rehabilitation,
zumal der Beschwerdeführer als nach dem Gutachten von Dr. G. noch durchschnittlich intelligenter Proband zum Verständnis dieser
Zusammenhänge in der Lage ist. Die vom Beschwerdeführer angestrebte Therapie verbindet eine schon festgesetzte und konkret
drohende Sanktion mit Anforderungen an die Bewährung im Leben in Freiheit, womit dem von Dr. K. aufgeworfenen Erziehungsgedanken
in besonderem Maße Rechnung zu tragen sein dürfte. Insofern ist die Stellungnahme der Drogenberatungsstelle zu Gunsten des
Therapiekonzepts nachvollziehbar.
In der Abwägung zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch hat das Gericht auszuschließen, dass ausnahmsweise überwiegende,
besonders gewichtige Gründe dem Erlass der einstweiligen Anordnung entgegenstehen (BVerfG, Beschluss v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 - Juris). Es darf andererseits die Entscheidung maßgeblich auf eine Interessenabwägung stützen und dabei die Folgen eines
Unterliegens beider Beteiligten gegeneinander abwägen. Dabei gebietet Art.
19 Abs.
4 des
Grundgesetzes auch bei Vornahmesachen vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile
entstünden. Auch eine Vorwegnahme der Hauptsache kann dann geboten sein (BVerfG, Beschluss v. 25.2.2009 - 1 BvR 120/09 - Juris, Rdnr. 11). Die Abwägung fällt hier zu Gunsten des Beschwerdeführers aus. Dieser befände sich im Falle der Voraussetzungen
für den aufschiebend bedingt geltend gemachten Fall zu Unrecht in einer freiheitsentziehenden Maßnahme, ohne dass sich dieser
Nachteil nachträglich ausgleichen ließe. Andererseits muss die Beschwerdegegnerin für den gleichen Fall fürchten, erhebliche
Kosten auch dann endgültig tragen zu müssen, wenn die stationäre Entwöhnungsbehandlung fehlschlägt. Dies ist aber kein Fall,
den die Rechtsordnung ausschließt. Der Fall kann auch dann eintreten und tritt gerade bei Suchterkrankungen nicht selten ein
(statistische Angaben bei Patzak in Körner u.a., aaO., Rdnr. 43), wenn Ärzte überzeugend von einer günstigen Rehabilitationsprognose
ausgehen. Dies ist grundsätzlich Teil des Kostenrisikos des zuständigen Trägers. Insoweit ist die rechtliche Betroffenheit
des Beschwerdeführers im Falle einer Niederlage, die sich letztlich als unrichtig erweist, deutlich gewichtiger.
Die nähere Bestimmung einer Therapiemaßnahme unterliegt nach §
40 Abs.
3 SGB V dem Ermessen der Beschwerdegegnerin, das durch Vorgaben zur Ausgestaltung angeleitet wird, wie sie etwa in der Vereinbarung
"Abhängigkeitserkrankungen" vom 4. Mai 2001 enthalten sind (bezüglich der Ziele nach § 2, der Modalitäten nach § 3 Abs. 4
und des Leistungsumfangs nach § 7). Insofern hat eine Entwöhnungsmaßnahme den dortigen Qualitätsanforderungen zu genügen,
auch wenn sie hier ausnahmsweise nicht auf Kosten der Rentenversicherung zu erbringen wäre.
Die Kostenentscheidung folgt entsprechend §
193 SGG hier aus dem Unterliegen der Beschwerdegegnerin.
Der Beschluss ist gem. §
177 SGG unanfechtbar.