Übernahme der Kosten für die Versorgung mit Cannabis in der gesetzlichen Krankenversicherung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
Erforderlichkeit der begründeten Einschätzung eines Vertragsarztes
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit Dronabinol-Tropfen und medizinischen
Cannabisblüten durch die Antragsgegnerin.
Der 1980 geborene und bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragsteller leidet unter anderem an einer depressiven Störung,
einer Migräne, einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), einer ausgeprägten Adipositas (zeitweise BMI von
51) und Schlafstörungen. Aufgrund dieser Erkrankungen ist er seit 12. Oktober 2015 bei dem Psychologen B in Behandlung und
befand sich vom 7. Juni bis 28. November 2017 in Behandlung der Psychiatrischen Institutsambulanz R. Den zunächst von seinem
Hausarzt S beantragten Behandlungsversuch mit Cannabis in Form von öligen Dronabinol-Tropfen lehnte die Antragsgegnerin nach
Einholung eines Gutachtens des MDK mit Bescheid vom 7. März 2018 ab. Auf den Widerspruch des Antragstellers hin zog die Antragsgegnerin
ärztliche Berichte bei und holte ein weiteres Gutachten des MDK ein. Darin kam dieser unter dem 15. Mai 2018 zu dem Ergebnis,
dass die Voraussetzungen für eine Leistungsgewähr "eingeschränkt erfüllt" seien und im vorliegenden Einzelfall die Anwendung
von Dronabinol-Tropfen im Rahmen eines sechs- bis neunmonatigen Therapieversuches nachvollziehbar seien. Weiter heißt es:
"Es bleibt allerdings darauf hinzuweisen, dass auch bei der Anwendung von Dronabinol Tropfen ein Abhängigkeitspotential besteht,
so dass zur Vermeidung einer Langzeittherapie mit Cannabinoiden therapiebegleitend die Einleitung anderer Maßnahmen diskutiert
werden sollte (z.B. Anbindung an eine Adipositasschwerpunktpraxis, schlafmedizinische Abklärung und ggfs. Therapieeinleitung)."
Daraufhin gab die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 15. Mai 2018 dem Widerspruch insoweit statt, als sie die Kosten für das
beantragte Medizinal-Cannabis (hier: Dronabinol-Tropfen) für einen neunmonatigen Therapieversuch vom 4. Januar bis 4. Oktober
2018 übernahm. Ergänzend wies die Antragsgegnerin in dem Bescheid darauf hin, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung
handele, die keinen Rechtsanspruch auf zukünftige Anträge - gleich oder ähnlich gelagert - habe.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2018 beantragte der Antragsteller eine Änderung der Darreichungsform des medizinischen Cannabis.
Nachdem die Behandlung seiner Beschwerden mit medizinischem Cannabis erfolgreich sei, wünsche er das Verdampfen von Blüten
mittels eines Vaporisators auszuprobieren. Hierzu legte er einen Bericht seines Hausarztes anbei, wonach er in wenigen Wochen
drei Kilogramm an Gewicht verloren habe. Problematisch sei die Einnahme der Dronabinol-Tropfen am Tage, da sich hier eine
ausgeprägte Müdigkeit zeige, aufgrund derer er tagsüber nicht leistungsfähig sei. Bei der Applikationsform durch Verdampfung
trete die Wirkung deutlich schneller ein und halte nicht so lange an. In seinem Gutachten vom 1. August 2018 kam der MDK zu
der Einschätzung, dass eine Veränderung der Applikationsform nicht befürwortet werde. Ein kontinuierlicher Wirkspiegel erscheine
aus medizinischer Sicht sinnvoll und aus pharmakologischer Sicht mit Dronabinol besser erreichbar. Dieser Wirkstoff sei aufgrund
des definierten THC-Anteils den Cannabisblüten vorzuziehen. Außerdem sei die Anwendung von Dronabinol wirtschaftlicher als
die Anwendung von Cannabisblüten. Daraufhin lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 3. August 2018 den Antrag unter Hinweis
auf das eingeholte Gutachten des MDK ab. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch mit der Begründung, dass es einer Genehmigung
hinsichtlich des Wechsels der Darreichungsform überhaupt nicht bedürfe und eine zeitliche Befristung der Genehmigung nicht
zulässig sei, da in §
31 SGB V nicht vorgesehen. Ergänzend führte der Hausarzt S aus, neben THC enthalte Cannabis noch viele andere Wirkstoffe, die teilweise
noch gar nicht bekannte spezielle Wirkungen entfalteten. Häufig müsse man eine Weile mit verschiedenen Sorten experimentieren,
um schließlich die individuell beste Sorte für sich zu finden. Manchmal sei es auch eine Kombination aus einer bestimmten
Sorte, die tagsüber eingenommen werde und einer anderen, die zur Nacht verwendet werde. Aus diesem Grunde bitte er um Genehmigung
der Umversorgung, die er im Einzelnen beschreibt. In einer weiteren Stellungnahme vom 12. Dezember 2018 kam der MDK zu der
Einschätzung, dass die Umstellung weiterhin nicht zu befürworten sei. Die aktuelle AWMF-S3-Leitlinie "Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
(ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter", Stand 2018 empfehle, Cannabis für die Behandlung der ADHS nicht einzusetzen.
Wie die (paradoxe) Wirkung des Gewichtsverlustes durch die Dronabinol-Einnahme erzielt worden sei, bleibe ungeklärt. Üblicherweise
werde Dronabinol bei Diagnose Kachexie zur Appetitsteigerung eingesetzt. Inwieweit die angeführte Schlafstörung durch angenommene
Dosiserhöhung durch THC-Blüteninhalation und zusätzlicher 1% iger CBD-Blüteninhalation verbessert werden könne, sei medizinisch
unklar. Angaben zur Dosierung und Höchstdosis würden auch im Widerspruch vom Behandler nicht gemacht. Nicht verständlich sei,
dass tagsüber Bedrocanblüten und nachts Peace Naturalisblüten mit demselben THC/CBD-Verhältnis eingesetzt werden sollten.
Ein überzeugendes Behandlungskonzept sei nicht erkennbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2018 wies die Antragsgegnerin
nach weiterem Schriftverkehr und nochmaliger Anhörung des MDK den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Antragsteller am 6. März 2019 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben und am 15. März 2019 den Erlass einer
einstweiligen Anordnung, gerichtet auf die Versorgung mit Dronabinol-Tropfen sowie Cannabisblüten durch die Antragsgegnerin,
beantragt. Er hat sein bisheriges Vorbringen wiederholt und einen weiteren Bericht des Psychologen B vorgelegt. Die Antragsgegnerin
ist bei ihrer Auffassung geblieben, dass die Voraussetzungen der beantragten Versorgung mit Cannabis nicht vorlägen.
Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte des Hausarztes S und des Psychiatrischen Zentrums R eingeholt und mit
Beschluss vom 9. Mai 2019 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt:
"Er ist hinsichtlich des Antrags auf (Weiter-)Versorgung mit Dronabinol-Tropfen bereits unzulässig, da dem Antragsteller das
für den Eilantrag erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn er hat trotz des Umstandes, dass das Verwaltungsverfahren
auf eine Umversorgung auf Medizinal-Cannabisblüten gerichtet war und trotz entsprechender Mitteilung der Antragsgegnerin keinen
Antrag auf eine (zusätzliche) Versorgung mit Dronabinol-Tropfen bei dieser gestellt. Vielmehr hat der Antragsteller - entsprechend
des Wortlauts seines ursprünglichen Antrags - auf die Mitteilung der Antragsgegnerin eine ärztliche Empfehlung seines behandelnden
Arztes S zugunsten einer Umversorgung auf Medizinal-Cannabisblüten eingereicht.
Im Hinblick auf den Antrag auf Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten ist der Eilantrag zwar zulässig, aber unbegründet.
Gemäß §
86b Abs.
2 S. 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund bestehen. Ein Anordnungsanspruch
ist gegeben, wenn nach der Prüfung der materiellen Rechtslage überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Antragsteller mit seinem
Begehren im Hauptverfahren erfolgreich sein wird. Ein Anordnungsgrund ist anzunehmen, wenn überwiegend wahrscheinlich ist,
dass dem Antragsteller bei einem Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens unzumutbare Nachteile entstünden. Anordnungsanspruch
und Anordnungsgrund sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung -
ZPO -).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der der Antragsteller vorliegend bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller mit seinem Begehren in der Hauptsache erfolgreich sein wird,
vermag das Gericht nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht zu erkennen.
Als Anspruchsgrundlage für eine Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten kommt ausschließlich §
31 Abs.
6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) in Betracht.
Nach §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten
oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon,
wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder
des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes
der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende
Symptome besteht.
Die Leistung bedarf nach §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden
Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.
Diese Voraussetzungen für die vom Antragsteller begehrte Leistung, die auf eine andere Form der Versorgung mit Medizinal-Cannabis
gerichtet ist und schon aus diesem Grund der erneuten Genehmigungspflicht unterliegt, sind vorliegend nicht erfüllt. Unabhängig
davon, ob der Antragsteller an einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne der oben genannten Vorschrift leidet und ob ein solcher
Anspruch zu seiner Realisierung eine formgerechte vertragsärztliche Verordnung voraussetzt, ist der vom Antragsteller mit
seinem Antrag eingereichte ärztliche Bericht seines behandelnden Arztes S seinem Inhalt nach und unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls unzureichend, um den geltend gemachten Anspruch zu begründen.
Zur Behandlung der Erkrankungen des Antragstellers stehen dem Grunde nach allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard
entsprechende Leistungen zur Verfügung. Ferner liegt auch keine begründete Einschätzung eines Vertragsarztes vor, die geeignet
wäre, die gesetzlichen Voraussetzungen zu erfüllen. Die ärztliche Einschätzung muss nach dem Gesetzeswortlaut die zu erwartenden
Nebenwirkungen der zur Verfügung stehenden allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen darstellen.
Ferner muss die Einschätzung den Krankheitszustand des Versicherten dokumentieren und eine Abwägung enthalten, mit der zum
Ausdruck gebracht wird, ob, inwieweit und warum eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
nicht zur Anwendung kommen kann. Schließlich muss die Einschätzung in sich schlüssig und nachvollziehbar sein; sie darf nicht
im Widerspruch zum Akteninhalt im Übrigen stehen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.02.2019, Az.: L 11 KR 240/18 B ER). Fehlt es an einer derartigen begründeten Einschätzung, ist die in §
31 Abs.
6 Satz 1 Nr.
1 b)
SGB V genannte Anspruchsvoraussetzung nicht erfüllt. Auch nachgängige Ermittlungen von Amts wegen können hieran nichts mehr ändern.
Insbesondere etwaige Sachverständigengutachten sind schon begrifflich nicht in der Lage, die fehlende begründete Einschätzung
des Vertragsarztes zu substituieren. (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.01.2019, Az.: L 11 KR 442/18 B ER).
Der behandelnde Arzt S setzt sich weder im Rahmen des ursprünglichen Antrags auf Versorgung mit Dronabinol, noch im hiesigen
Verwaltungsverfahren mit dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlungsalternativen auseinander. Vielmehr stellt er
in dem Bericht, der im Rahmen seines ursprünglichen Antrags auf eine Dronabinol-Therapie eingereicht wurde, lediglich fest,
dass bestimmte medikamentöse Therapien beim Antragsteller erfolgslos geblieben seien. Ob und inwieweit andere Therapien zur
Anwendung kommen könnten, wird nicht thematisiert. Dementsprechend erfolgt auch keinerlei Auseinandersetzung mit den bei Behandlungsalternativen
möglicherweise auftretenden Nebenwirkungen. Darüber hinaus bleibt unklar, welche Therapieform nach der Einschätzung von Herrn
S überhaupt zur Anwendung kommen soll. Während er sich in dem Bericht vom 26. Juni 2018, der mit dem Antrag eingereicht wurde,
dafür ausspricht, das Dronabinol bei Nacht beizubehalten und zusätzlich Medizinal-Cannabisblüten zur Inhalation tagsüber anzuwenden,
empfiehlt er in seinem Bericht vom 5. November 2018 ausschließlich Medizinal-Cannabisblüten, ohne diese Änderung zu begründen
und nachvollziehbar zu machen. In dem während des gerichtlichen Verfahrens eingeholten Bericht vom 8. April 2019 ändert er
seine Einschätzung wiederum dahingehend, dass neben einer Inhalation von Medizinal-Cannabisblüten am Tag die Anwendung von
Dronabinol in der Nacht dringend erforderlich sei und macht dabei wie auch zuvor keinerlei Angaben zu einer empfohlenen Tagesdosis.
Schließlich lassen die Ausführungen eine nähere Auseinandersetzung mit der Schwere der Erkrankungen des Antragstellers und
insbesondere mit seinen Schlafstörungen vermissen, die als vordergründig bei der ursprünglichen Verordnung für Medizinal-Cannabis
aufgeführt wurden und die nach dem Bericht des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie SA vom 25. April 2018 im deutlichen
Zusammenhang mit der danach primär stationär zu behandelnden Adipositas stehen."
Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 31. Mai 2019, mit der er zugleich die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung trägt er weiterhin vor, dass eine Genehmigung für die jetzt beantragte Versorgung
durch die Antragsgegnerin nicht erforderlich sei, da lediglich die Darreichungsform geändert werden solle. Da die Rechtslage
insoweit scheinbar nicht ganz eindeutig sei, habe die Bundesregierung das voraussichtlich im Juli in Kraft tretende Gesetz
für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) beschlossen und darin eindeutig festgelegt, dass kein neuer Antrag
im Falle einer Anpassung der Dosierung oder eines Wechsels der Blütensorte notwendig sei. Selbst für den Fall einer erneuten
Genehmigung sei diese nur in begründeten Ausnahmefällen nicht zu erteilen. Die Behandlung mit Dronabinol sei erfolgreich,
die bei ihm vorliegende Tagesmüdigkeit könne aber durch den Einsatz der Cannabisblüten verbessert werden. Entgegen der Auffassung
des Sozialgerichts sei auch eine Auseinandersetzung mit möglichen alternativen Therapien erfolgt. Dazu legt der Antragsteller
einen weiteren Bericht seines Hausarztes S vom 3. Juni 2019 vor. Darin ergänzt dieser seine Berichte, dass Anfang November
(richtig: Juli) 2018 er dem begründeten Wunsch des Antragstellers entsprochen und eine Umversorgung der Cannabistherapie beantragt
habe. Der Antragsteller beziehe sich darauf, dass neben THC Cannabis noch viele andere Wirkstoffe enthalte, u. a. in größeren
Mengen CBD. Er berufe sich dabei auf Berichte von Dr. F G. Häufig müsse man eine Weile mit verschiedenen Sorten experimentieren,
um schließlich die individuell beste Sorte für sich zu finden. Manchmal sei es auch eine Kombination aus einer bestimmten
Sorte, die tagsüber eingenommen werde, und einer anderen, die zur Nacht verwendet werde. Studien, welche Behandlungsformen
mit THC für welche Erkrankungen und welche Patienten die beste sei, gebe es nicht.
Die Antragsgegnerin bleibt bei ihrer Auffassung. Nach § 4 Abs. 3 der Cannabis-Begleiterhebungs-Verordnung gelte der Wechsel
zu einer anderen Leistung als neue Therapie. Die Leistung bedürfe nach §
31 Abs.
6 Satz 2
SGB V bei der ersten Verordnung der Genehmigung der Krankenkasse. Insofern sei davon auszugehen, dass bei einem Wechsel zu einer
anderen Leistung eine Neugenehmigung erforderlich sei.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegt Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht in dem angefochtenen
Beschluss den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung abgelehnt. Auf die Begründung in dem Beschluss nimmt der Senat
daher zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§
142 Abs.
2 Satz 3
SGG) und ergänzt die Ausführungen des Sozialgerichts insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerde
noch um Folgendes:
Die Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs.
2 SGG sind das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im Sinne der besonderen Eilbedürftigkeit und eines Anordnungsanspruchs im Sinne
einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des geltend gemachten Anspruchs. Beide Voraussetzungen müssen, jede für sich, vorliegen.
Darüber hinaus ergibt sich zudem aus dem Begriff "einstweilige" Anordnung, dass die Entscheidung die Hauptsache grundsätzlich
nicht vorwegnehmen darf (Beschluss des Senats vom 20. August 2018 - L 5 KR 127/18 B ER; Keller in Meyer-Ladewig u. a.,
SGG-Kommentar, §
86b Rz. 31). Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt etwa dann vor, wenn, wie hier, die beantragte Leistung aufgrund der einstweiligen
Anordnung erbracht wird und eine uneingeschränkte Rückabwicklung nicht möglich ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass einstweilige
Anordnungen, die auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sind, stets ausgeschlossen sind. Da der einstweilige
Rechtsschutz als verfassungsrechtliche Notwendigkeit in jedem Verfahren gewährt werden muss, darf eine einstweilige Anordnung
in solchen Fällen dann ausnahmsweise getroffen werden, wenn der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr
rechtzeitig erwirken kann und ihm dadurch erhebliche, später durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr auszugleichende Nachteile
drohen. In dem Fall ist allerdings ein strenger Maßstab an Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund anzulegen (vgl. etwa Beschluss
des Senats vom 12. Dezember 2018 - L 5 KR 222/18 B ER).
Diesen bei einer Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen des Antragstellers
im Hauptsacheverfahren vermag der Senat nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie im einstweiligen Rechtsschutz
grundsätzlich geboten ist, ebenso wie das Sozialgericht nicht zu erkennen.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis regelt §
31 Abs.
6 SGB V, der vom Gesetzgeber mit Wirkung vom 10. März 2017 angefügt wurde. Das die Vorschrift ergänzende GSAV ist bisher nicht in
Kraft getreten. Satz 1 bestimmt, welche Voraussetzungen der Versicherte erfüllen muss, um einen Anspruch auf Versorgung mit
Cannabis zu haben. Satz 2 bestimmt darüber hinaus die Notwendigkeit einer Genehmigung der Krankenkasse bei der ersten Verordnung,
die vor Beginn der Leistung zu erteilen und nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnen ist. Nach der Gesetzesbegründung
soll der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis-Arzneimitteln nur in "eng begrenzten Ausnahmefällen" gegeben sein (BT Drucks.
18/8965 S. 14 und 23; so auch der Beschluss des Senats vom 12. Dezember 2018, a.a.O.). Weiter heißt es in der Gesetzesbegründung
zum Antragserfordernis (S. 25 a.a.O.): "Damit wird dem Ausnahmecharakter der Regelung Rechnung getragen, die die Erstattung
von Arzneimitteln auf Cannabisbasis ermöglicht, obwohl nicht das Evidenzlevel vorliegt, das üblicherweise für die Erstattung
der GKV verlangt wird. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Erstattungsfähigkeit hat die Krankenkasse in jedem Einzelfall
unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu prüfen. Um unangemessenen Bürokratieaufwand zu ersparen,
erfolgt die Prüfung jedoch nur bei Erstversorgung für einen Versicherten." Damit hat der Gesetzgeber ausdrücklich den Ausnahmecharakter
der Regelung hervorgehoben und wegen des geringen Evidenzlevels der Therapie die Notwendigkeit der Einbeziehung des Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung betont. Vor diesem Hintergrund stimmt der Senat der Einschätzung des Sozialgerichts zu, dass
ein auf eine andere Form der Versorgung mit Cannabis gerichteter Antrag der erneuten Genehmigungspflicht unter Einbeziehung
des Medizinischen Dienstes unterliegt; denn nur so ist gewährleistet, dass dem Ausnahmecharakter dieser Therapieform, bei
der auch der Gesetzgeber von einem nicht ausreichenden Evidenzlevel ausgeht, berücksichtigt wird. Das gilt insbesondere auch
vor dem Hintergrund, dass, worauf der MDK insbesondere in seinem Gutachten vom 15. Mai 2018, aufgrund dessen die Bewilligung
durch die Antragsgegnerin erfolgte, hingewiesen hat, bei der Anwendung von Dronabinol-Tropfen ein Abhängigkeitspotential besteht,
mithin es sich um eine risikobehaftete Therapie handelt. Dieser Umstand war auch dem Gesetzgeber bewusst, als er die eingeschränkte
Zulassung der Therapie mit Cannabisprodukten bestimmte. So wird etwa in der Gesetzesbegründung (Seite 24) darauf hingewiesen,
dass der verordnende Arzt die Nebenwirkung von Cannabis-Arzneimitteln zu berücksichtigen hat.
Durch die beabsichtigte Neufassung ändert sich an diesem Erfordernis entgegen der Auffassung des Antragstellers nichts. Das
folgt zunächst daraus, dass das GSAV noch nicht in Kraft getreten ist. Zudem verdeutlicht die Neufassung, dass auch der Gesetzgeber
grundsätzlich von einer Genehmigungspflicht bei einer Umversorgung ausgeht, da es sonst der Ergänzung nicht bedürfte. Allerdings
erfasst diese Ergänzung nicht den vorliegenden Fall, da nach Wortlaut und Materialien (BT-Drucks. 19/8753 S. 21, 59) dort
lediglich die Anpassung der Dosierung oder der Wechsel zu anderen getrockneten Blüten oder zu anderen Extrakten erfasst wird,
nicht jedoch der Wechsel bezogen auf oder von Dronabinol. Damit kann es der Senat letztlich dahinstehen lassen, ob sich die
erneute Genehmigungspflicht bei einem Wechsel zu einer anderen Leistung nach §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V auch aus §
4 Abs.
3 der Cannabis-Begleiterhebungs-Verordnung, die letztlich allein der Datenerhebung für diese Therapien dient, ergibt.
Ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht ist der Senat der Auffassung, dass der Antragsteller einen Anspruch auf
Genehmigung der Umversorgung nicht hinreichend glaubhaft gemacht hat. Der Senat hat bereits erhebliche Bedenken, ob die Grundvoraussetzung
des §
31 Abs.
6 Satz 1
SGB V, das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung, bei dem Antragsteller vorliegt. Bei der Auslegung dieser Voraussetzung ist
zu beachten, dass die Vorschrift für Versicherte "in eng begrenzten Ausnahmefällen" einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis
schafft (Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, §
31 SGB V Rz. 45 m.w.N.). Eine schwerwiegende Erkrankung liegt vor, wenn sie durch ihre Schwere oder Seltenheit sich vom Durchschnitt
der Erkrankungen abhebt (Wagner a.a.O. Rz. 48 m.w.N.). Das vermag der Senat bei den beim Antragsteller vorliegenden Erkrankungen
nicht zu erkennen. Für sämtliche bei ihm vorliegenden Erkrankungen stehen dem Grunde nach allgemein anerkannte, dem medizinischen
Standard entsprechende Therapien zur Verfügung. So wird auch von dem Psychiatrischen Zentrum R die Bedeutung der grundsätzlichen
Behandlung der Adipositas als vorrangig angesehen. Auch der MDK weist auf die Bedeutung anderer Therapieformen hin.
Weiter stimmt der Senat der Einschätzung des Sozialgerichts auch insoweit zu, als der behandelnde Arzt S sich nicht ausreichend
mit dem Krankheitsgeschehen und den Behandlungsalternativen, insbesondere hinsichtlich des Risikopotentials bei der Behandlung
mit Cannabis, auseinandergesetzt hat. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass nach der "Gesamtauskunft Leistungen"
der Antragsgegnerin über den Antragsteller dieser 2017 in der Ambulanz R unter anderem wegen "Psychischer Verhaltensstörungen
durch Cannabinoide: Schädlicher Gebrauch (ICD10 F12.1)" behandelt wurde. Zutreffend weist das Sozialgericht zudem darauf hin,
dass von dem behandelnden Arzt unterschiedliche Umstellungen empfohlen wurden, wenn er sich in dem Bericht vom 26. Juni 2018
dafür ausspricht, Dronabinol bei Nacht und zusätzlich Medizinal-Cannabisblüten tagsüber anzuwenden, im Bericht vom 5. November
2018 ausschließlich Medizinal-Cannabisblüten einsetzen will und dann im Bericht vom 8. April 2019 seine Einschätzung wieder
dahingehend ändert, dass neben einer Inhalation von Cannabisblüten am Tag die Anwendung von Dronabinol in der Nacht zu empfehlen
sei. Auch die ärztliche Darstellung des Erfolges der bisherigen Therapie mit Dronabinol ist nicht eindeutig. Während der behandelnde
Psychologe B in seinem Bericht vom 11. Februar 2019 davon spricht, dass die Behandlung mit Dronabinol-Tropfen nach anfänglicher
Linderung bereits kurz nach Behandlung nicht mehr die gewünschte Wirkung erzielte, heißt es in der Beschwerdebegründung etwa,
dass die Verordnung von Dronabinol-Tropfen sehr erfolgreich gewesen sei. Auch die Hinweise des Arztes S , dass die Therapie
letztlich durch Experimentieren mit verschiedenen Sorten von Cannabis erfolgt, lässt keinen Hinweis auf ein schlüssiges Behandlungskonzept
zu. Zudem bleibt in seinen ärztlichen Berichten unberücksichtigt, dass nach den aktuellen AWMF-S3-Leitlinien (1.4.5.8.) zur
ADHS empfohlen wird, Cannabis nicht zur Behandlung einzusetzen.
Fehlt es mithin bereits an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs, bedarf es keiner Prüfung des Anordnungsgrundes.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG analog.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kann nicht gewährt werden, denn die nach §
73a SGG i. V. m. §
144 ZPO erforderliche Erfolgsaussicht der Sache ist - wie aus diesem Beschluss ersichtlich - nicht gegeben.
Diese Entscheidung ist endgültig (§
177 SGG).