Anspruch auf Arbeitslosengeld II
Wegfall der Leistungsverpflichtung bei Nichterfüllung von Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung
Wirksamkeit von Verpflichtungen zu Bewerbungsbemühungen
Gründe:
I
Im Streit ist die Rechtmäßigkeit der Feststellung einer weiteren wiederholten Pflichtverletzung und des vollständigen Entfallens
von Alg II vom 1.12.2011 bis 29.2.2012.
Der 1977 geborene, alleinstehende Kläger bezog vom beklagten Jobcenter Alg II und schloss unter dem 17.6.2011 mit dem Beklagten
erneut eine Eingliederungsvereinbarung. Nach deren Ziffer 2 hatte er als Eigenbemühungen zur Eingliederung in Arbeit vom 17.6.2011
bis 16.12.2011 mindestens zehn Bewerbungsbemühungen pro Monat um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
zu unternehmen und diese bis zum 16. eines jeden Monats, durch Kopien der schriftlichen Bewerbungen und/oder durch Antwortschreiben
der Arbeitgeber, unaufgefordert vorzulegen. Der Beklagte bot dem Kläger in Ziffer 1 der Eingliederungsvereinbarung als Unterstützungsleistungen
zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung "Mobilitätshilfen, weitere Leistungen, ESG" an, sofern die
gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind und zuvor eine gesonderte Antragstellung erfolgt. Eine ausdrückliche Regelung zur
Übernahme von Bewerbungskosten enthielt die Eingliederungsvereinbarung nicht. In ihrer Rechtsfolgenbelehrung wurde unter Bezugnahme
auf eine zuletzt erfolgte Leistungsminderung in Höhe von 60 % des maßgebenden Regelbedarfs darauf hingewiesen, dass jeder
weitere wiederholte Pflichtverstoß des Klägers bis zum 18.11.2011 den vollständigen Wegfall des Alg II zur Folge haben werde.
Durch Anhörungsschreiben vom 20.10.2011 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass er seiner Pflicht aus der Eingliederungsvereinbarung
im Zeitraum vom 17.9.2011 bis 16.10.2011 nicht nachgekommen sei und der Tatbestand einer Sanktion nach § 31 SGB II eingetreten sein könne. Hierauf trug der Kläger ua vor, dass er selbst keinen Computer habe, er deshalb ins Internet-Café
müsse und hierfür "erstmal" Geld für die Fahrkarte und das Internet brauche. Durch Bescheid vom 22.11.2011 stellte der Beklagte
für die Zeit vom 1.12.2011 bis 29.2.2012 einen vollständigen Wegfall des Alg II des Klägers fest, da dieser wiederholt seinen
Pflichten nicht nachgekommen sei; der Kläger habe die für den Zeitraum vom 17.9.2011 bis 16.10.2011 geforderten Eigenbemühungen
nicht erbracht bzw nicht nachweisen können. Auf die Gewährung ergänzender Sachleistungen - Lebensmittelgutscheine im Wert
von 167 Euro monatlich - wies der Beklagte hin. Durch Bescheid vom 8.12.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig
Alg II für die Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012; für den Zeitraum vom 1.12.2011 bis 29.2.2012 sah dieser Bescheid keine Leistungen
vor. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.11.2011 wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 9.1.2012).
Das SG hob den angefochtenen Bescheid vom 22.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.1.2012 auf (Urteil vom 23.1.2014):
Es fehle bereits an einer Pflichtverletzung, denn die Eingliederungsvereinbarung sei jedenfalls im Hinblick auf den vereinbarten
Nachweis von monatlich zehn Eigenbemühungen nichtig, weil damit vom Kläger kostenträchtige Maßnahmen verlangt seien, ohne
konkrete Regelungen zur Übernahme dieser Kosten durch den Beklagten zu treffen. Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen
(Urteil vom 13.5.2015): Die Eingliederungsvereinbarung sei zwar als öffentlich-rechtlicher Vertrag nicht nichtig, unterliege
mit ihren Formularklauseln aber der Inhaltskontrolle nach § 61 Satz 2 SGB X iVm §
307 BGB. Gemessen hieran erweise sich die Regelung von mindestens zehn Bewerbungen pro Monat, der keine Regelung einer Kostenerstattung
gegenüberstehe, als unwirksam. Denn es widerspreche dem gesetzlichen Leitbild des § 15 SGB II, Pflichten des Leistungsberechtigten zur Eingliederung in Arbeit ohne gleichzeitig korrespondierende Unterstützungsleistungen
des Jobcenters zu regeln. Die Eingliederungsvereinbarung könne daher nicht Grundlage einer Sanktionsentscheidung nach §§ 31 ff SGB II sein.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte eine Verletzung von § 15 Abs 1 Satz 1 und 2, § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Satz 2, § 31a SGB II sowie des § 61 Satz 2 SGB X iVm §
307 BGB geltend. Die Eingliederungsvereinbarung sei weder nichtig noch unterliege sie einer Inhaltskontrolle nach § 61 Satz 2 SGB X iVm §
307 BGB. Im Übrigen sei die Regelung zu Eingliederungsbemühungen auch gemessen hieran nicht unwirksam, denn die Erstattung von Bewerbungskosten
sei bereits gesetzlich geregelt und müsse deshalb nicht zum Inhalt einer Eingliederungsvereinbarung gemacht werden.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. Mai 2015 - L 6 AS 134/14 - und des Sozialgerichts Kassel vom 23. Januar 2014 - S 13 AS 133/12 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet (§
170 Abs
1 Satz 1
SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die angefochtene Sanktionsentscheidung rechtswidrig ist. Der Kläger war zu Bewerbungsbemühungen
durch die Eingliederungsvereinbarung nicht verpflichtet, weil diese insgesamt nichtig ist.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind das die Berufung des Beklagten zurückweisende Urteil des LSG und das Urteil
des SG, durch das der Bescheid des Beklagten vom 22.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.1.2012 aufgehoben worden
ist, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die Klage gegen diese Bescheide abzuweisen.
2. Richtige Klageart ist vorliegend die vom Kläger erhobene reine Anfechtungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1
SGG; vgl insoweit zu Grundsätzen, Ausnahmen und Folgen näher BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 31a Nr 1, RdNr 13 ff). Regelungsgegenstand der streitbefangenen Bescheide ist die
Feststellung einer weiteren wiederholten Pflichtverletzung des Klägers und des sich daraus ergebenden vollständigen Entfallens
des Alg II vom 1.12.2011 bis 29.2.2012. Nicht Regelungsgegenstand dieser Bescheide ist der Alg II-Anspruch des Klägers in
diesem Zeitraum, dh das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen nach §§ 7 ff SGB II und die Höhe eines Leistungsanspruchs nach §§ 19 ff SGB II. Auch der vorläufige Bewilligungsbescheid vom 8.12.2011 für die Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 berücksichtigte lediglich
das zuvor festgestellte vollständige Entfallen des Alg II vom 1.12.2011 bis 29.2.2012 und sah für diesen Zeitraum keine Leistungen
vor, ohne insoweit eine eigenständige leistungsrechtliche Umsetzungsregelung zu enthalten; er war deshalb vorliegend nicht
als streitbefangen mit einzubeziehen.
3. Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide ist § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 31a Abs 1 Satz 3, § 31b Abs 1 Satz 1 und 3 SGB II (idF der ab 1.4.2011 geltenden Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850). Danach ziehen Pflichtverletzungen nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II die Rechtsfolgen nach § 31a SGB II nach sich. Bei einer Pflichtverletzung mindert sich das Alg II in einer ersten Stufe um 30 % des maßgebenden Regelbedarfs
(§ 31a Abs 1 Satz 1 SGB II), bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung um 60 % (§ 31a Abs 1 Satz 2 SGB II) und bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II entfällt das Alg II vollständig (§ 31a Abs 1 Satz 3 SGB II) für drei Monate beginnend mit dem Monat, der auf das Wirksamwerden des die Pflichtverletzung und die Rechtsfolge feststellenden
Verwaltungsakts folgt (§ 31b Abs 1 Satz 1 und 3 SGB II).
4. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig.
a) Zwar erfüllen sie die formellen Voraussetzungen. Insbesondere ist der Kläger vor Erlass des Bescheides vom 22.11.2011 angehört
worden (§ 24 Abs 1 SGB X). Auch ist der Bescheid vom 22.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, in der wegen einer weiteren wiederholten
Pflichtverletzung für die Zeit vom 1.12.2011 bis 29.2.2012 ein vollständiger Wegfall des Alg II festgestellt wird, inhaltlich
hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X).
b) Die angefochtenen Bescheide sind jedoch materiell rechtswidrig. Es liegt bereits keine Pflichtverletzung nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II vor. Danach verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die
Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere
in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen.
aa) Nach Ziffer 2 der Eingliederungsvereinbarung vom 17.6.2011 sollte der Kläger als Eigenbemühungen zur Eingliederung in
Arbeit vom 17.6.2011 bis 16.12.2011 mindestens zehn Bewerbungsbemühungen pro Monat um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
unternehmen und diese bis zum 16. eines jeden Monats, durch Kopien der schriftlichen Bewerbungen und/oder durch Antwortschreiben
der Arbeitgeber, unaufgefordert vorlegen. Zwar soll nach § 15 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II zu den Bestimmungen einer Eingliederungsvereinbarung gehören, welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher
Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind.
Eine Rechtsfolge nach § 31a SGB II - "Pflichtverletzung" führt zu "Sanktion" - kann die Bestimmung einer in einer Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflicht,
die ihrer Rechtsqualität nach eine Obliegenheit ist (vgl BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 31a Nr 1, RdNr 20, 47, 52), indes nur nach sich ziehen, wenn sich im Rahmen der
Prüfung einer angefochtenen Sanktionsentscheidung bei einer inzidenten Prüfung der in der Eingliederungsvereinbarung bestimmten
Obliegenheit erweist, dass diese Grundlage einer Sanktion bei ihrer Verletzung sein kann (vgl Harich in BeckOK SozR, § 15 SGB II RdNr 26, 38, Stand: 1.12.2015; Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 15 RdNr 157).
Der Maßstab für die Prüfung einer in einer Eingliederungsvereinbarung bestimmten Obliegenheit folgt aus § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm dem Recht der öffentlich-rechtlichen Verträge nach §§ 53 ff SGB X, denn Eingliederungsvereinbarungen sind ihrer Rechtsqualität nach öffentlich-rechtliche Verträge in der Form des subordinationsrechtlichen
Austauschvertrags nach § 53 Abs 1 Satz 2, § 55 SGB X (vgl dieser Einordnung schon zuneigend BSG Urteil vom 2.4.2014 - B 4 AS 26/13 R - BSGE 115, 210 = SozR 4-4200 § 15 Nr 3, RdNr 33). Danach ist eine Eingliederungsvereinbarung wirksam, wenn sie nicht nichtig ist. Sie ist
über die Prüfung, ob Nichtigkeitsgründe vorliegen, hinaus nicht auch darauf hin zu prüfen, ob sie rechtswidrig ist (zu den
Maßstäben bei einem eine Eingliederungsvereinbarung ersetzendem Verwaltungsakt vgl Urteil vom heutigen Tag, BSG Urteil vom 23.6.2016 - B 14 AS 42/15 R - RdNr 12 ff).
bb) Nach diesem Maßstab ist die Eingliederungsvereinbarung vom 17.6.2011 zwar wirksam zustande gekommen, denn die für einen
Vertragsschluss erforderlichen übereinstimmenden Willenserklärungen der Vertragsparteien liegen vor (§ 61 Satz 2 SGB X iVm §§
145 ff
BGB); das Schriftformerfordernis ist eingehalten (§ 56 SGB X); es geht um die Erbringung von Ermessensleistungen zur Eingliederung in Arbeit (§ 53 Abs 2 SGB X, § 3 Abs 1 Satz 1 SGB II, § 16 Abs 1 Satz 2 SGB II iVm
SGB III, § 16b SGB II). Die Eingliederungsvereinbarung ist indes insgesamt nichtig (vgl zu diesem Prüfprogramm BSG Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 = SozR 4-1300 § 59 Nr 1, RdNr 23). Damit fehlt es vorliegend an einer Obliegenheit des Klägers zu Bewerbungsbemühungen aufgrund
der Eingliederungsvereinbarung und so an der Grundlage für die angefochtene Sanktionsentscheidung.
(1) Es liegt bereits die Nichtigkeit der Eingliederungsvereinbarung wegen eines qualifizierten Rechtsverstoßes gegen ein gesetzliches
Verbot iS des § 58 Abs 1 SGB X iVm §
134 BGB (zum Erfordernis des qualifizierten Rechtsverstoßes vgl BSG Urteil vom 13.2.2014 - B 8 SO 11/12 R - SozR 4-3500 § 106 Nr 1 RdNr 31) durch einen Formenmissbrauch nahe, weil durch sie
faktisch in der Form eines einseitig regelnden Verwaltungsakts gehandelt wird (vgl Kador in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 15 RdNr 17). Denn sie bedient sich zwar der Form des öffentlich-rechtlichen Vertrags, sie lässt aber nach ihrem Inhalt nicht
erkennen, dass sie dem mit § 15 Abs 1 SGB II verfolgten gesetzgeberischen Regelungskonzept entspricht. Nach diesem "konkretisiert" eine Eingliederungsvereinbarung das
Sozialrechtsverhältnis und enthält "verbindliche Aussagen" zum Fördern und Fordern einschließlich der abgesprochenen Leistungen
zur Eingliederung in Arbeit; durch die Befristung von Eingliederungsvereinbarungen soll eine "intensive Betreuung" und zeitnahe
"kritische Überprüfung" der Eignung der für die berufliche Eingliederung eingesetzten Mittel sichergestellt werden (BT-Drucks
15/1516, S 54). Damit dienen Eingliederungsvereinbarungen dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik
im Sinne einer "maßgeschneiderten Ausrichtung" der Eingliederungsleistungen auf den Leistungsberechtigten, bei der aufbauend
auf die "konkrete Bedarfslage" ein "individuelles Angebot" unter aktiver Mitarbeit des Leistungsberechtigten geplant und gesteuert
wird (BT-Drucks 15/1516, S 44).
Weder ist ersichtlich, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 17.6.2011 auf den Leistungsgrundsätzen des § 3 Abs 1 Satz 2 SGB II beruht, insbesondere bei den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit die Eignung und individuelle Lebenssituation des Klägers
berücksichtigt (zu individuellen Festlegungen in der Eingliederungsvereinbarung unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse
vgl BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R - BSGE 102, 201 = SozR 4-4200 § 16 Nr 4, RdNr 25). Noch ist ersichtlich, dass sie außer der Zusage des Beklagten, bei Vorliegen geeigneter
Stellenangebote Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten, individuelle, konkrete und verbindliche Leistungsangebote zur Eingliederung
in Arbeit iS des § 15 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II als die grundsätzlich notwendigen Bestandteile einer Eingliederungsvereinbarung enthält (zu dieser Anforderung vgl Urteil
vom heutigen Tag, BSG Urteil vom 23.6.2016 - B 14 AS 42/15 R - RdNr 21). Der Eingliederungsvereinbarung ist weder zu entnehmen, ob und inwieweit eine Eignungsanalyse unter Berücksichtigung
der individuellen Verhältnisse des Klägers durchgeführt und die bisher gewonnenen Erfahrungen bei der Eingliederungsvereinbarung
iS des § 15 Abs 1 Satz 5 SGB II berücksichtigt wurden (vgl dazu, dass aufgrund der Sechs-Monats-Frist des § 15 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB II durch kontinuierliche Beobachtung garantiert ist, an Zielen nicht starr festzuhalten, die sich als erfolglos erwiesen haben,
BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 195/11 R - BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2, RdNr 21). Noch ist ihr zu entnehmen, ob und ggf warum es vorliegend kein Verstoß gegen § 15 Abs 1 SGB II und das hiermit verfolgte Regelungskonzept sein könnte, in der Eingliederungsvereinbarung außer der Zusage von Vermittlungsvorschlägen
bei Stellenangeboten keine individuellen, konkreten und verbindlichen Leistungsangebote des Beklagten zur Eingliederung des
Klägers in Arbeit zu vereinbaren.
Insoweit genügen indes die tatsächlichen Feststellungen des LSG (§
163 SGG) insbesondere zu den individuellen Verhältnissen des Klägers und zu den Erfahrungen aus bisherigen Eingliederungsvereinbarungen
nicht, um abschließend entscheiden zu können. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Verhältnisse und die bisher
gewonnenen Erfahrungen so sind, dass selbst eine so knappe Eingliederungsvereinbarung wie hier nicht als Formenmissbrauch
und qualifizierter Rechtsverstoß zu bewerten ist.
(2) Gleichwohl bedarf es hier keiner Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG zur Nachholung dieser Feststellungen, denn
die Eingliederungsvereinbarung vom 17.6.2011 ist jedenfalls deshalb insgesamt nichtig iS des § 58 Abs 3 SGB X, weil sich der Beklagte entgegen dem sog Koppelungsverbot nach § 58 Abs 2 Nr 4 SGB X vom Kläger eine unzulässige Gegenleistung iS des § 55 SGB X hat versprechen lassen. Die sanktionsbewehrte Obliegenheit des Klägers zu den in der Eingliederungsvereinbarung bestimmten
Bewerbungsbemühungen ist iS des § 55 Abs 1 Satz 2 SGB X unangemessen im Verhältnis zu den vom Beklagten insoweit übernommenen Leistungsverpflichtungen. Denn die Eingliederungsvereinbarung
sieht keine Regelung zu individuellen, konkreten und verbindlichen Unterstützungsleistungen für die in ihr bestimmten individuellen,
konkreten und verbindlichen Bewerbungsbemühungen des Klägers vor; insbesondere zur Übernahme von Bewerbungskosten enthält
die Eingliederungsvereinbarung keine ausdrückliche Regelung. Sie lässt sich ihr auch nicht dadurch entnehmen, dass in ihr
als Leistungen zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung "weitere Leistungen" angeboten werden. Denn
ungeachtet dieser mangelnden Konkretisierung der Leistungen unterscheidet das Gesetz zwischen Förderungsleistungen bei der
Anbahnung oder der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 16 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II iVm §
44 SGB III); die Förderung durch Übernahme von Bewerbungskosten betrifft die Anbahnung einer solchen Beschäftigung, die Eingliederungsvereinbarung
indes greift nur Leistungen für die Aufnahme einer solchen Beschäftigung auf und stellt "weitere Leistungen" neben Mobilitätshilfen
und Einstiegsgeld in diesen Zusammenhang.
Dass gesetzliche Vorschriften die Übernahme von Bewerbungskosten ermöglichen (siehe die Regelungen zur Förderung aus dem Vermittlungsbudget
in § 16 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II iVm §
44 SGB III - im maßgeblichen Zeitraum: § 16 Abs 1 Satz 2 SGB II iVm §
45 SGB III -, die auch die Bewerbungskostenübernahme als Ermessensleistung erfassen; vgl nur Herbst in jurisPK-
SGB III, 1. Aufl 2014, § 44 [2. Fassung] RdNr 148 ff, 192; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 16 RdNr 116 f, Stand: 5/15), ändert nichts daran, dass Eingliederungsvereinbarungen ein ausgewogenes Verhältnis der wechselseitigen
Verpflichtungen aufzuweisen haben und ohne dieses insgesamt nichtig iS des § 58 Abs 3 SGB X sind. Diese Wechselseitigkeit und Ausgewogenheit der vereinbarten Regelungen ist zum einen ein wesentliches Element des mit
der Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs 1 SGB II verfolgten gesetzgeberischen Regelungskonzepts. Für strenge Anforderungen insoweit spricht zum anderen, dass die Verletzung
der vereinbarten Obliegenheit des Leistungsberechtigten zu Eigenbemühungen sanktionsbewehrt ist und zu Minderungen oder zum
Wegfall der existenzsichernden Leistungen trotz Hilfebedürftigkeit führen kann, weshalb sie nur eine angemessene Gegenleistung
ist, wenn das Jobcenter individuelle und konkrete Unterstützungsleistungen zu ihrer Erfüllung verspricht (vgl Valgolio in
Hauck/Noftz, SGB II, § 31 RdNr 84, Stand: 2/16). Dies knüpft an die Rechtsprechung des BSG zum Sperrzeitrecht an, die beim Angebot einer beruflichen Bildungsmaßnahme verlangt, dass dem Arbeitslosen über die beabsichtigten
Förderungsleistungen eine schriftliche Zusage erteilt wird, damit er auf dieser Grundlage die Zumutbarkeit einer Teilnahme
prüfen kann (vgl dazu Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 16d RdNr 33, Stand: 5/14, mit Nachweisen zur Rechtsprechung).
Die Vereinbarung von Eigenbemühungen, insbesondere von individuell bestimmten und sanktionsbewehrten Bewerbungsbemühungen,
ist nur angemessen, wenn deren Unterstützung durch Leistungen des Jobcenters, insbesondere durch die Übernahme von Bewerbungskosten,
in der Eingliederungsvereinbarung konkret und verbindlich bestimmt ist (eine klare Regelung zu den Bewerbungskosten fordern
Berlit in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 15 RdNr 29; Kador in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 15 RdNr 52; Lahne in GK-SGB II, § 15 RdNr 33 f, Stand: Dezember 2013; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, § 31 SGB II RdNr 34, Stand: Dezember 2015).
Anzuerkennende Probleme einer konkreten Bestimmung von Leistungen zur Kostenübernahme bereits vor dem Anfall von Bewerbungskosten
machen eine verbindliche Bestimmung nicht von vornherein unmöglich; so kommt die Zusage dem Grunde nach in Betracht, dass
Bewerbungsaktivitäten auf Antrag und nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften durch Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen
Kosten für schriftliche Bewerbungen sowie für Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen unterstützt werden; Einzelheiten können
dem Antragsverfahren überlassen bleiben (vgl Urteil vom heutigen Tag, BSG Urteil vom 23.6.2016 - B 14 AS 42/15 R - RdNr 20). Auch Pauschalierungen (vgl A. Loose in GK-SGB II, § 31 RdNr 38.1, Stand: Oktober 2014) oder Höchstbetragsregelungen (vgl Stark in Estelmann, SGB II, § 15 RdNr 55, Stand: Mai 2015) kommen in Betracht.
c) Aufgrund der Gesamtnichtigkeit der Eingliederungsvereinbarung kommt es vorliegend nicht darauf an, ob und ggf nach welchen
Maßstäben bei Formularklauseln in Eingliederungsvereinbarungen eine Inhaltskontrolle nach § 61 Satz 2 SGB X iVm §§
305 ff
BGB durchzuführen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 SGG.