Elterngeld - Anspruchsvoraussetzung - Ausübung keiner oder keiner vollen Erwerbstätigkeit - Freistellung durch den Arbeitgeber
- Fehlen tatsächlicher Arbeitsleistung
Gründe:
I
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für den 2. bis 4. sowie den 6. und 7. Lebensmonat ihres am 4.6.2010
geborenen Sohnes M..
Die Klägerin übte in den zwölf Monaten vor dem Monat der Geburt des Sohnes eine Vollzeitbeschäftigung als Bankfachwirtin bei
der Privatbank D. AG (Arbeitgeber) mit einem monatlichen Bruttogehalt von rund 5000 Euro aus. Am 22.11.2009 schloss sie mit
ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis am 31.12.2010 endete. Für die Zeit vom 4. bis 15.1.2010
wurde Urlaub vereinbart. Vom 18.1. bis 31.3.2010 wurde die Klägerin widerruflich, vom 1.4. bis 31.12.2010 unwiderruflich von
der Arbeitsleistung freigestellt. Ferner wurde die Zahlung des vollen Gehalts an die Klägerin bis zu ihrem Ausscheiden (31.12.2010)
vereinbart. Mutterschaftsgeld bezog die Klägerin nicht.
Auf ihren am 9.6.2010 gestellten Leistungsantrag, mit dem die Klägerin Elterngeld für den 2. bis 4. sowie den 6. bis 14. Lebensmonat
des Kindes beanspruchte, bewilligte ihr die beklagte Städteregion mit Bescheid vom 24.6.2010 Elterngeld für den 8. bis 14.
Lebensmonat in Höhe des Höchstbetrages von 1800 Euro monatlich. Für den 2. bis 4. sowie den 6. und 7. Lebensmonat - also für
die Zeiträume vom 4.7. bis 3.10.2010 und vom 4.11.2010 bis 3.1.2011 - lehnte die Beklagte die Gewährung von Elterngeld ab,
weil die Klägerin insoweit ohne Arbeitsleistung über ihr volles Arbeitseinkommen verfügt habe. Den Widerspruch der Klägerin
wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 4.10.2010 zurück.
Mit ihrer daraufhin beim Sozialgericht Aachen (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin die Gewährung von Elterngeld in Höhe des monatlichen Grundbetrages von 300 Euro für den
2. bis 4. sowie den 6. und 7. Lebensmonat ihres Sohnes beansprucht. Sie hat die Auffassung vertreten, wegen der Freistellung
von der Arbeitsleistung habe sie in den streitigen Zeiträumen gemäß § 1 Abs 1 Nr 4 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt.
Das SG hat die Klage - unter Zulassung der Sprungrevision - durch Urteil vom 12.4.2011 abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG wonach Anspruch auf Elterngeld habe, wer - neben den erfüllten Voraussetzungen der Nr 1 bis 3 des § 1 Abs 1 BEEG - keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübe, lägen nicht vor. Die Klägerin habe vielmehr in einem Arbeitsverhältnis
gestanden und sei voll erwerbstätig gewesen. Ihr Anstellungsvertrag habe bis zum 31.12.2010 bestanden; sie habe eine monatliche
Vergütung von 5089 Euro erhalten. Der Umstand der Freistellung von der Pflicht zur Arbeitsleistung erfülle die Tatbestandsvoraussetzungen
des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG nicht. Der dort verwendete Begriff "ausübt" habe keine eigenständige Bedeutung, sondern diene lediglich der sprachlichen
Einbettung des maßgeblichen Begriffs der Erwerbstätigkeit. Der Gesetzgeber wolle nur solche Personen zum Elterngeld zulassen,
die nicht oder nicht voll erwerbstätig seien. Das Gesetz bezwecke, Eltern den Einkommensausfall weitgehend auszugleichen.
Erwerbstätigkeit meine allgemein eine auf Gewinn oder sonstige Erzielung von Einkommen gerichtete Tätigkeit. Allein das tatsächliche
Fehlen des Tätigseins, des Ausübens einer Arbeitsleistung, lasse die "Erwerbstätigkeit" noch nicht entfallen und führe nicht
bereits deshalb zum Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG. Gehe ein Elternteil nach der Geburt des Kindes einer den Elterngeldanspruch ausschließenden Beschäftigung nach, so könne
er für die Zeit des Urlaubs oder der Krankheit nicht Elterngeld verlangen mit der Begründung, dass er in dieser Zeit keine
Erwerbstätigkeit "ausübt". Gleiches gelte für die Zeit der Freistellung von der Arbeitspflicht unter Beibehaltung des Vergütungsanspruchs.
Soweit sich die Klägerin für ihre Rechtsauffassung auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.2.2005 (B 10 EG 5/03 R) berufe, lasse sich daraus für ihren Anspruch auf Elterngeld in der Freistellungsphase nichts herleiten. Das BSG habe sich in dem Urteil mit der Arbeitszeit von Lehrern unter besonderer Berücksichtigung von Stillzeiten, Unterrichtspflichtstunden
und dem Zeitaufwand für die Erledigung sonstiger berufstypischer Aufgaben auseinandergesetzt, um entscheiden zu können, ob
und wann ein Lehrer die Grenze nicht voller Erwerbstätigkeit iS von § 2 Abs 1 Nr 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) unterschreite und dadurch die Anspruchsvoraussetzungen erfülle. Das BSG habe dabei an den Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit, wie er sich aus dem Arbeitsvertrag oder aus der Natur der Sache ergebe,
angeknüpft. Die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit der Klägerin habe hier 40 Stunden pro Woche betragen. Es handele
sich nach dem Arbeitsvertrag also um ein Vollzeitarbeitsverhältnis, um eine Vollzeiterwerbstätigkeit. Diese habe nicht nur
bis zum 3.1.2010, sondern auch darüber hinaus während des Urlaubs, während der widerruflichen Freistellungsphase und auch
während der unwiderruflichen Freistellungsphase bestanden. Daraus folge, dass die Klägerin auch in der Zeit nach der Geburt
des Kindes bis zum 31.12.2010 eine (volle) Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, was ihrem hier geltend gemachten Anspruch entgegenstehe.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen und formellen Rechts: Zunächst sei § 1 Abs 1 Nr 4 iVm Abs 6 BEEG verletzt. Diese Vorschriften stellten auf die tatsächliche Arbeitsleistung ab. Ihre tatsächliche Arbeitszeit habe im streitigen
Zeitraum aber null Arbeitsstunden betragen. Erwerbstätigkeit meine eine allgemeine auf Gewinn oder sonstige Erzielung von
Einkommen gerichtete Tätigkeit. Die vorrangige sprachliche Auslegung des Begriffes "Ausübung einer Erwerbstätigkeit" im Zusammenhang
mit § 1 Abs 6 BEEG verlange nach der tatsächlichen Ausübung einer Tätigkeit. Diese sei aber bei einer unwiderruflichen Freistellung von der
Arbeitsleistung bis zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses nicht mehr gegeben.
Die Gestaltung der unwiderruflichen Freistellung im streitigen Zeitraum könne insoweit nicht mit einem dem Anspruch schädlichen
bezahlten Erholungsurlaub innerhalb eines Anstellungsverhältnisses gleichgesetzt werden. Bei einem Urlaub handele es sich
um bezahlte Freizeit, die der Wiederherstellung und Erhaltung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers dienen solle. Während des
Urlaubs dürfe der Arbeitnehmer deshalb keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit leisten. Bei der vorliegenden
unwiderruflichen Freistellung bis zum Ende des Anstellungsverhältnisses sei dies gerade nicht der Fall. Es werde keine Erwerbstätigkeit
mehr für den bisherigen Arbeitgeber ausgeübt. Eine andere Erwerbstätigkeit sei hingegen statthaft. Es fehle an einer Erwerbstätigkeit,
wenn das Beschäftigungsverhältnis - wie hier - zwar nicht beendet werde, aber die Hauptpflicht der Arbeitsleistung dauerhaft
und bis zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses ruhe. Aufgrund der unwiderruflichen Freistellung mit Wirkung ab dem 1.4.2010
habe der Arbeitgeber keinen Anspruch mehr darauf gehabt, dass sie eine Erwerbstätigkeit für sein Unternehmen fortsetze.
Die unwiderrufliche Freistellung der Klägerin gründe zudem nicht auf ihrem Anstellungsvertrag, sondern originär auf dem Aufhebungsvertrag
vom 22.11.2009. Hinzu komme, dass ihr damaliger Arbeitgeber seine Niederlassung in A. Ende März 2010 vollständig geschlossen
habe, sodass ihr auch tatsächlich die Ausübung einer Erwerbstätigkeit für den Arbeitgeber unmöglich geworden sei. Von der
Ausübung einer (vollen) Erwerbstätigkeit könne deshalb nicht ausgegangen werden. Die gegenteilige Auffassung des SG überdehne die Anspruchsvoraussetzung des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG in unzulässiger Weise.
Der Auffassung des SG gegenüber stehe auch der Zweck des Anspruches auf Elterngeld, dass nämlich ein Kind selbst betreut und erzogen werde. Allein
der Bezug von Einkommen sei für einen Anspruchsausschluss nicht maßgeblich. Durch die Anspruchsvoraussetzung "wer keine oder
keine volle Erwerbstätigkeit ausübt" solle sichergestellt werden, dass der "Pflege und Betreuung des Kindes" Vorrang vor der
Erwerbstätigkeit eingeräumt werde. Diese Voraussetzung sichere also vor allem die Einhaltung der in § 1 Abs 1 Nr 3 BEEG enthaltenen Forderung, das Kind selbst zu betreuen und zu erziehen. Das, was nicht als volle Erwerbstätigkeit zu verstehen
sei, beschreibe § 1 Abs 6 BEEG. Hier sei entscheidend, dass sie aufgrund der unwiderruflichen Freistellung von der Arbeitsleistung bis zur Beendigung des
Anstellungsverhältnisses eine volle Erwerbstätigkeit nicht mehr ausgeübt habe, weil sie sich vollständig der Pflege und Betreuung
des Kindes gewidmet habe. Dieser Fall unterscheide sich rechtserheblich von der Konstellation, in der lediglich das tatsächliche
Fehlen einer Tätigkeit festzustellen sei wie zB bei Urlaub oder vorrübergehender Arbeitsunfähigkeit.
Die Auslegung des SG und der Beklagten sei auch vom Gesetzesauftrag des BEEG nicht gedeckt. Denn durch die Regelung des § 2 Abs 5 BEEG sei klargestellt, dass Elterngeld - bei Vorliegen der Voraussetzungen dem Grunde nach - mindestens in Höhe von 300 Euro monatlich
gezahlt werde. Insoweit habe das Elterngeld nicht den Charakter einer Einkommensersatzleistung, sondern trage Züge einer Sozialleistung.
Die Fortzahlung ihrer Bezüge stehe dem nicht entgegen, da es hier nicht um eine Anrechnung nach dem BEEG gehe, sondern um den Mindestanspruch nach § 2 Abs 5 BEEG.
Neben der zu beanstandenden Auslegung von § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG werde weiter gerügt, dass das erstinstanzliche Urteil keine Feststellungen dahingehend getroffen habe, dass ihr Arbeitgeber
seine Niederlassung in A. Ende März 2010 vollständig geschlossen habe, sodass ihr auch tatsächlich die Ausübung einer Erwerbstätigkeit
für den Arbeitgeber unmöglich geworden sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des SG Aachen vom 12.4.2011 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 24.6.2010
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.10.2010 zu verurteilen, ihr für den 2. bis 4. sowie den 6. und 7. Lebensmonat
ihres am 4.6.2010 geborenen Sohnes Elterngeld in Höhe von 300 Euro monatlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Sie schließt sich dem angefochtenen Urteil an.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§
124 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig. Sie ist gemäß §
161 SGG statthaft, weil sie vom SG im angefochtenen Urteil zugelassen worden ist. Die Klägerin hat die Sprungrevision auch unter Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen
Formen und Fristen eingelegt und begründet. Die Revisionsbegründung erfüllt die Anforderungen des §
164 Abs
2 S 3
SGG.
Die Revision ist insoweit begründet, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an
das SG führt.
Der Sachentscheidung des Senats stehen keine Hindernisse entgegen. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
1 S 1 und Abs
4 SGG) ist zulässig. Insbesondere ist das gemäß §
78 SGG erforderliche Vorverfahren durchgeführt worden. Gegenstand der Anfechtungsklage ist der Bescheid der Beklagten vom 24.6.2010
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.10.2010, soweit darin die Ablehnung der Bewilligung von Elterngeld für den
2. bis 4. und den 6. und 7. Lebensmonat des am 4.6.2010 geborenen Kindes (also die Zeiträume vom 4.7. bis 3.10.2010 und 4.11.2010
bis 3.1.2011) geregelt ist. Soweit der Klägerin in demselben Bescheid Elterngeld für den 8. bis 14. Lebensmonat zugesprochen
worden ist, ist er nicht angefochten und damit bindend (§
77 SGG).
Ob die Anfechtungsklage und die zugleich geführte Leistungsklage auf Bewilligung von Elterngeld für die streitigen Zeiträume
in Höhe von monatlich 300 Euro begründet ist, kann wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen des SG noch nicht abschließend beurteilt werden. Der Anspruch der Klägerin kann jedoch gegeben sein. Er ist entgegen der Auffassung
des SG und der Beklagten nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum unter Fortzahlung ihres Gehalts
von der Arbeitsleistung für ihren Arbeitgeber freigestellt war.
Der Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für die streitigen Lebensmonate ihres am 4.6.2010 geborenen Sohnes ergibt sich dem
Grunde nach aus § 1 Abs 1 BEEG idF vom 5.12.2006 (BGBl I 2748; die Änderungen bzw Ergänzungen des § 1 BEEG durch spätere Gesetze insbesondere des Abs 7 durch das Gesetz vom 19.8.2007, BGBl I 1970, des Abs 2 durch das Gesetz vom 5.2.2009, BGBl I 160 sowie des Abs 8 durch das
Gesetz vom 9.12.2010, BGBl I 1885, sind hier unbeachtlich).
Nach § 1 Abs 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer
1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
§ 1 Abs 6 BEEG bestimmt ergänzend, dass eine Person nicht voll erwerbstätig ist, wenn ihre wöchentliche Arbeitszeit 30 Wochenstunden im
Durchschnitt des Monats nicht übersteigt (die weiteren Regelungen des Abs 6 zur Berufsausbildung und Tagespflege sind hier
nicht einschlägig).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des SG hat die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 1 bis 3 BEEG erfüllt. Das SG hat festgestellt, dass die Klägerin seit der Geburt des Sohnes und auch im streitigen Zeitraum mit dem Kind in einem gemeinsamen
Haushalt in A. gelebt und das Kind betreut und erzogen hat. Soweit es den Tatbestand des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG betrifft, hat das SG im Rahmen seiner rechtlichen Erörterungen darauf hingewiesen, dass die Klägerin von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt
war. Zudem hat das SG ausgeführt, dass "allein das tatsächliche Fehlen des Tätigseins, des Ausübens der Arbeitsleistung" die Tatbestandsvoraussetzungen
des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG noch nicht erfülle. Damit hat das SG festgestellt (§
163 SGG), dass die Klägerin im Anspruchszeitraum rein tatsächlich einer Erwerbstätigkeit für ihren Arbeitgeber nicht nachgegangen
ist. Ob die Klägerin daneben auch anderweitig keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, muss dagegen noch ermittelt werden.
Die rechtliche Würdigung des SG, die Klägerin habe trotz der tatsächlichen Nichtausübung ihrer zuvor für den bisherigen Arbeitgeber verrichteten Tätigkeit
als Bankfachwirtin allein wegen des fortbestehenden Anstellungsverhältnisses bei voller Gehaltszahlung iS des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG eine "volle Erwerbstätigkeit ausgeübt", teilt der erkennende Senat nicht. Die Klägerin hat nach den vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen
im streitigen Zeitraum für ihren bisherigen Arbeitgeber "keine Erwerbstätigkeit ausgeübt". Wer aufgrund einer Freistellung
von der Arbeitsleistung durch seinen Arbeitgeber einer Arbeit tatsächlich nicht nachgeht, übt iS des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG keine Erwerbstätigkeit aus.
Schon der Wortlaut des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG ("keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt") legt nahe, dass das Gesetz ein tatsächliches, aktives Verhalten des Anspruchstellers
beschreiben will. Denn nach dem natürlichen Wortverständnis bedeutet das "Ausüben" einer "Tätigkeit" deren tatsächliches Ausführen.
Das Wort "ausüben" meint bezogen auf eine Tätigkeit deren Ausführung oder Verrichtung (s Duden Bd 10, Das Bedeutungswörterbuch,
4. Aufl 2010, 168). Bestätigt wird dieses Verständnis durch § 1 Abs 6 BEEG. Die dortige Formulierung "wenn ihre wöchentliche Arbeitszeit ... nicht übersteigt" ist im Sinne der tatsächlichen Verrichtung
von Arbeit unterhalb der angegebenen zeitlichen Grenze zu verstehen.
Zwar erscheint immerhin eine Wortlautinterpretation dahin möglich, dass auch ein Nichtstun als Erwerbstätigkeit, also als
eine auf Erzielung eines wirtschaftlichen Erfolges gerichtete Tätigkeit in selbstständiger oder nichtselbstständiger Form
(s BSG Urteil vom 13.5.1998 - B 14 EG 2/97 R - SozR 3-7833 § 2 Nr 6), gewertet werden kann. Das gilt insbesondere für selbstständig Erwerbstätige, die je nach Gegenstand
und Organisation ihres Unternehmens zeitweise oder ganz ohne eigene Arbeitsleistung ihre Erwerbstätigkeit ausüben können.
Dieses Verständnis des Wortlauts des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG lässt sich jedoch nicht mit der (Vor-)Geschichte, dem Bedeutungszusammenhang (Systematik), der Regelungsabsicht und dem Sinn
und Zweck des Gesetzes (zu diesen Auslegungsgesichtspunkten vgl allg Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft,
3. Aufl 1995, 143 mwN; BVerfGE 54, 277, 299 f; 59, 330, 334; 93, 37, 81) vereinbaren. Die historische, die systematische sowie die teleologische Betrachtung bestätigen
eindeutig einen Gesetzesinhalt, der dem natürlichen Wortsinn entspricht.
Die Materialien zum BEEG, also die Begründungen des Gesetzentwurfs und der Änderungsvorschläge sowie die Protokolle über die Beratungen des Entwurfs,
belegen, dass der anspruchsberechtigte Elternteil die vor der Geburt ausgeübte volle Erwerbstätigkeit reduzieren oder aufgeben
und der Betreuung und Erziehung des Kindes Vorrang gegenüber der Erwerbstätigkeit einräumen muss. Das Elterngeld soll Eltern
bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage unterstützen, die sich im ersten Lebensjahr des Neugeborenen vorrangig der Betreuung
des Kindes widmen (s BR-Drucks 426/06 vom 16.6.2006, Gesetzentwurf der Bundesregierung, S 40; BT-Drucks 16/1889 vom 20.6.2006,
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, S 18). Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend vom 27.9.2006 (BT-Drucks 16/2785) enthält zu § 1 BEEG keine hier relevante Änderung, sodass insoweit die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung und Fraktionen der CDU/CSU
und SPD maßgebend geblieben ist.
Die vom Senat für zutreffend gehaltene Auslegung wird systematisch entscheidend gestützt durch den Umstand, dass in den §§
15 ff BEEG - arbeitsrechtliche - Regelungen zur Elternzeit für in einem Arbeitsverhältnis stehende Anspruchsberechtigte geschaffen bzw
erhalten worden sind, die speziell darauf ausgerichtet sind, das Arbeitsverhältnis gerade nicht zu beenden, sondern dem Arbeitnehmer,
der Elternzeit in Anspruch nimmt, dessen Fortsetzung zu gewährleisten. Die Elternzeit lässt den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses
nämlich unberührt (Sievers in Hambüchen, Elterngeld - Elternzeit - Kindergeld, Stand Dezember 2009, §
15 RdNr 45 mwN; Othmer in Roos/Bieresborn,
Mutterschutzgesetz, § 15 BEEG RdNr 7). Es wäre ein unlösbarer systematischer Widerspruch, das Arbeitsverhältnis im Rahmen der Vorschriften über die Elternzeit
zu erhalten, im Rahmen der Vorschriften über das Elterngeld aber als Anspruchsvoraussetzung dessen Beendigung zu verlangen.
Gerade dies tut das Gesetz auch nicht und unterstreicht damit, dass die Anspruchsvoraussetzung des § 1 Abs 1 Nr 4 iVm Abs 6 BEEG für selbstständig wie für nichtselbstständig Erwerbstätige so zu verstehen ist, dass es auf das Ausmaß der tatsächlichen
Erwerbsaktivität des Elternteils ankommt. Die Nichtausübung einer Erwerbstätigkeit im Sinne der Nichtverrichtung während des
Elterngeldbezugszeitraumes ist ausreichend, um den Anspruch auf Elterngeld zu begründen.
Dagegen führte das vom SG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Verständnis des Begriffs der Ausübung einer Erwerbstätigkeit dazu, dass ein Arbeitnehmer,
sofern er nicht Elternzeit in Anspruch nimmt, Anspruch auf Elterngeld nur dann haben kann, wenn er nach der Geburt nicht mehr
in einem Arbeitsverhältnis und einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht, denn nach dem Verständnis
des SG übt ein Arbeitnehmer seine Erwerbstätigkeit auch aus, wenn er tatsächlich nicht arbeitet und nur das Arbeitsverhältnis weiterbesteht.
Ein tatsächlich geprägtes Wortverständnis des Begriffs des Ausübens keiner oder keiner vollen Erwerbstätigkeit entspricht
schließlich auch dem Sinn und Zweck des Elterngeldes. Das SG hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass das Elterngeld während der Betreuung des Kindes ausfallendes Erwerbseinkommen
- in den gesetzlich festgelegten Grenzen - ersetzen bzw ausgleichen soll. Es soll Familien bei der Sicherung der Lebensgrundlage
unterstützen, wenn sich die Eltern vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmern (BSG Urteil vom 25.6.2009 - B 10 EG 9/08 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 3 RdNr 28 mwN; BSG Urteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R - BSGE 107, 18 = SozR 4-7837 § 2 Nr 6 RdNr 34; s auch BSG Urteil vom 17.2.2011 - B 10 EG 17/09 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 7 RdNr 3 und 80 mwN). Indes ist dies nicht der alleinige Zweck des Elterngeldes. Diese Leistung soll
daneben auch dafür sorgen, dass sich Eltern der Betreuung und Erziehung des Kindes widmen können, wenn sie auf die Ausübung
ihrer Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise verzichten. Das jedoch setzt neben der wirtschaftlichen Absicherung in erster Linie
das Vorhandensein von Zeit für die Kinderbetreuung voraus, die fehlt, wenn der Elternteil im gleichen Zeitraum seiner Erwerbstätigkeit
tatsächlich nachgeht. Deshalb hat der Gesetzgeber dafür gesorgt, dass Elterngeld nur dann gezahlt wird, wenn der betreffende
Elternteil eine Erwerbstätigkeit so weit reduziert, dass genügend Zeit für die Kindesbetreuung verbleibt. Das Gesetz hat in
§ 1 Abs 6 BEEG die höchstens zu tolerierende wöchentliche Arbeitszeit, in der der Elternteil für diese Betreuung nicht zur Verfügung steht,
auf 30 Stunden begrenzt. Daraus wird deutlich, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers eine - den Anspruch auf Elterngeld
nach begründende - Betreuung und Erziehung des Kindes typischerweise nicht mehr angenommen werden kann, wenn der Anspruchsteller
einer Erwerbstätigkeit von durchschnittlich mehr als 30 Stunden wöchentlich tatsächlich nachgeht.
Wie aus § 2 Abs 5 BEEG, der jedem Elterngeldberechtigten einen Mindestbetrag von 300 Euro monatlich garantiert, ersichtlich ist, kommt dem Elterngeld
nur teilweise eine Einkommensersatzfunktion zu. Der sog Basisbetrag stellt eine Anerkennung der Betreuungsleistung durch den
Elternteil dar und ist unabhängig von einer Bedürftigkeit zu gewähren (BSG Urteil vom 17.2.2011 - B 10 EG 17/09 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 7 RdNr 57). Er ist damit auch unabhängig von einem Erwerbseinkommen nach der Geburt. Die Funktion des
Basisbetrages wird zudem durch § 3 Abs 2 BEEG unterstrichen, der ihn von der Anrechnung auf nach der Geburt bezogene Entgeltersatzleistungen freistellt (vgl Othmer in
Roos/Bieresborn,
Mutterschutzgesetz, § 15 BEEG RdNr 26).
Die vom Senat vertretene Auslegung steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG zu der Vorläufervorschrift des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG. § 1 Abs 1 Nr 4 BErzGG bestimmte von seinem Inkrafttreten am 1.1.1986 bis zu seinem Außerkrafttreten am 31.12.2008 als Voraussetzung für den Anspruch
auf Bundeserziehungsgeld, dass keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Dazu hat das BSG in seinem Urteil vom 10.2.2005 (B 10 EG 5/03 R - SozR 4-7833 § 1 Nr 8) in Bezug auf eine nichtselbstständig tätige Lehrerin unter den Begriff der ausgeübten Erwerbstätigkeit
nicht nur die Arbeitszeit aus deren rechtlich vorbestimmter Unterrichtsverpflichtung gezählt, sondern auch Zeit, die notwendigerweise
tatsächlich für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts sowie die sonstigen berufstypischen Aufgaben anfällt. Obwohl im
Rahmen jener Entscheidung keine Veranlassung bestand, den Begriff der Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch Auslegung allgemein
zu bestimmen, ist das BSG ersichtlich von einem tatsächlich geprägten Verständnis des Begriffs ausgegangen.
Durch seine ausschließliche Anknüpfung an die tatsächlichen nachgeburtlichen Lebensverhältnisse lässt § 1 Abs 1 BEEG die vorgeburtlichen Lebensumstände der Eltern unberücksichtigt und behandelt sie hinsichtlich der Anspruchsberechtigung auf
Elterngeld gleich. Es unterstreicht damit, dass der wesentliche Grund für die Gewährung von Elterngeld die Betreuung und Erziehung
des eigenen Kindes bei ganz oder teilweisem Verzicht auf die eigene Erwerbsarbeit ist (s BR-Drucks 426/06, S 3, 32; BT-Drucks
16/1889, S 2, 15). Für nach der Geburt weiter in einem Arbeitsverhältnis stehende Eltern bedeutet dies, dass gemäß § 1 Abs 1 BEEG auch für sie ein rein tatsächlich geprägter Begriff der - aktiven - Ausübung einer Erwerbstätigkeit gilt.
Dadurch dass § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG als Anspruchsvoraussetzung die - volle oder teilweise - tatsächliche Nichtausübung von Erwerbsarbeit verlangt, ermöglicht
er den Bezug von Elterngeld in Fällen einer - bezahlten - endgültigen Freistellung von der Arbeitsleistung im Rahmen eines
noch bestehenden Arbeitsverhältnisses. Die gleiche Beurteilung könnte während eines sog Sabbaticals im Sinne eines Langzeiturlaubs,
also einer durch Ansparung von Arbeitsentgelt durch vorherigen Verzicht ermöglichten bezahlten Freistellung von der Arbeit
(s dazu Salaw-Hanslmaier, Sabbatical und Elterngeld - geht das zusammen, ZRP 2009, 179), geboten sein. Denn es liegt fern anzunehmen, der Arbeitnehmer übe während des Langzeiturlaubs (s)eine Erwerbstätigkeit
aus. Hiervon geht auch Salaw-Hanslmaier (aaO) aus, denn sie befasst sich ausschließlich mit der Höhe des Anspruchs auf Elterngeld
während eines Sabbaticals. Ob auch in Fällen eines - bezahlten oder unbezahlten - Erholungs- oder Sonderurlaubs von der Nichtausübung
einer Erwerbstätigkeit auszugehen ist (dagegen Urteil des Sächsischen LSG vom 18.1.2007 - L 3 EG 4/04), bedarf hier keiner abschließenden Erörterung.
Nach alledem ist die Zeit der bezahlten Freistellung der Klägerin von der Arbeit durch ihren Arbeitgeber nicht als Ausübung
einer Erwerbstätigkeit iS des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG anzusehen. Ob die Klägerin im streitigen Zeitraum anderweitig einer Erwerbstätigkeit in einem zeitlich schädlichen Umfang
nachgegangen ist und damit eine solche "ausgeübt" hat, ist vom SG nicht festgestellt worden. Entsprechende Ermittlungen sind nunmehr nachzuholen. Da sie der erkennende Senat nicht selbst
durchführen kann (§
163 SGG), ist die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das SG geboten (§
170 Abs
2 S 2
SGG).
Das SG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.