Anspruch auf Kostenerstattung aus der gesetzlichen Krankenversicherung bei Notfallbehandlung in Tunesien
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Restkosten für eine in Tunesien durchgeführte Krankenbehandlung.
Der 1960 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger, wohnt in Berlin und ist bei der beklagten Krankenkasse versichert.
Am 5.1.1999 reiste er nach Tunesien, um seine Mutter zu besuchen. Dort verunglückte er noch am Tag seiner Ankunft bei einem
Verkehrsunfall schwer und erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma mit anschließendem zwölftägigem Koma. Der Kläger wurde zunächst in
das staatliche Krankenhaus der Stadt G. eingeliefert und sodann in die neurochirurgische Privat-Poliklinik T. AG nach T. verlegt,
da es - einem Arztbericht vom 2.2.1999 zufolge - im Krankenhaus G. keine entsprechende Fachabteilung gegeben habe. Für die
Krankenbehandlung entstanden Kosten von umgerechnet 17.206,65 DM (8.797,62 Euro). Der Kläger verlangte von der Beklagten die
vollständige Erstattung dieser Kosten unter Hinweis darauf, dass es keine andere ausreichende und zeitnahe Weiterbehandlungsmöglichkeit
als in der Privatklinik gegeben habe. Nachdem die Beklagte beim staatlichen tunesischen Krankenversicherungsträger (Caisse
Nationale de Sécurité Sociale, Tunis [CNSS]) ermittelt hatte, dass für eine Sachleistungsgewährung in Tunesien umgerechnet
8.637,40 DM (4.416,23 Euro) angefallen wären, erstattete sie dem Kläger unter Heranziehung des "Abkommens vom 16.4.1984 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Soziale Sicherheit" (BGBl II 1986, 584; DTSVA) nur diesen Betrag (Bescheid vom 5.8.1999; Widerspruchsbescheid vom 10.2.2000).
Das dagegen angerufene Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, die vollen Kosten (abzüglich der nach deutschem Recht zu
erbringenden Eigenanteile) zu erstatten (Urteil vom 13.9.2002). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen und sich dazu auf §
13 Abs
3 Fall 1
SGB V gestützt: Art 5 iVm Art 14 Abs 1 Buchst b DTSVA sehe bei vorübergehendem Aufenthalt in Tunesien für Notfallbehandlungen eine Gebietsgleichstellung vor. Der
Kläger habe die notwendige Krankenbehandlung nicht im Wege der abkommensmäßig vorgesehenen Sachleistungsaushilfe erhalten
können, wie aufgrund der Bescheinigung vom 2.2.1999 feststehe. Es komme nicht darauf an, ob es in Tunesien grundsätzlich möglich
gewesen wäre, die schwere Krankheit des komatösen Klägers medizinisch ausreichend in einem staatlichen Krankenhaus zu behandeln;
ein solches Krankenhaus sei jedenfalls konkret nicht erreichbar und die Überweisung in die Privatklinik daher notwendig gewesen.
Da das DTSVA Notfallbehandlungen außerhalb der Sachleistungsaushilfe nicht anspreche, müsse das insoweit einschlägige tunesische
Recht nicht geprüft werden. Die von der Beklagten angewandte Vereinbarung der Verbindungsstellen für die Krankenversicherung
zum DTSVA (VV-DTSVA) sei kein zwischenstaatliches Recht, das die Höhe des Kostenerstattungsanspruchs wirksam einschränken
könne (Urteil vom 15.12.2005).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des deutsch-tunesischen Abkommensrechts, sowie von §
13 Abs
3 und §
16 Abs
1 Nr
1 SGB V. Die für deutsche Versicherte im DTSVA vorgesehene Gebietsgleichstellung für Notfallbehandlungen bei vorübergehendem Aufenthalt
in Tunesien gelte nur in Bezug auf Sachleistungen, welche nach tunesischem Recht zu erbringen seien. Diese Sachleistungsaushilfe
schließe Kostenerstattungen aus und stelle den Versicherten nur die Gesundheitsversorgung nach tunesischem Standard zur Verfügung.
Da §
16 Abs
1 Nr
1 SGB V das Ruhen der Kostenerstattung nach deutschem Recht anordne, bestünden Ansprüche nur nach Maßgabe des DTSVA. Nr 33 VV-DTSVA
begrenze als insoweit einschlägige untergesetzliche Norm den Kostenerstattungsanspruch auf die fiktiven Sachleistungskosten.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Dezember 2005 und des Sozialgerichts Berlin vom 13. September
2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Dezember 2005 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das LSG-Urteil für zutreffend.
II. Die zulässige Revision der beklagten Krankenkasse ist im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG) begründet.
Schon die Frage, welche Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf volle Erstattung der Kosten für
die Behandlung in der tunesischen Privatklinik heranzuziehen ist, lässt sich ohne weitere Feststellungen nicht entscheiden.
Nach dem maßgebenden deutsch-tunesischen Abkommensrecht (dazu 1.) kommen in erster Linie Kostenerstattungsansprüche nach nationalem
tunesischem Krankenversicherungsrecht (dazu 2.), hilfsweise aber solche nach §
13 Abs
3 Fall 1
SGB V (hier anzuwenden in der bis 30.6.2001 geltenden Fassung des Gesundheits-Strukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266) wegen
Abkommensverletzung in Betracht (dazu 3.). In jedem Falle bedarf es weiterer Feststellungen (dazu 4.).
1. Rechtlicher Ausgangspunkt für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch des (deutschen) Klägers sind die Vorschriften
des
SGB V iVm den Vorschriften des DTSVA.
a) Der Fall des Klägers weist Auslandsberührung insoweit auf, als ein in der gesetzlichen Krankenversicherung versichertes
Mitglied der beklagten Krankenkasse mit Wohnsitz in Deutschland Kostenerstattung für eine in einem Abkommensstaat erbrachte
Krankenbehandlung verlangt.
Gemäß §
30 Abs
1, §
37 Satz 1
SGB I finden für den in Deutschland wohnhaften (und hier krankenversicherten) Kläger in Bezug auf die Frage, welche Sozialleistungen
ihm wegen Krankheit zustehen, die Vorschriften des
SGB V Anwendung. Der vorübergehende Aufenthalt des Klägers in Tunesien ändert nichts an seiner Mitgliedschaft bei der beklagten
Krankenkasse. Das
SGB V sieht indessen eine Leistungspflicht der Krankenkassen bei einer im Ausland stattfindenden Krankenbehandlung nur ausnahmsweise
vor. Der Anspruch auf Leistungen generell und speziell auf Krankenbehandlung (§
27 SGB V) ruht gemäß §
16 Abs
1 Nr
1 SGB V, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts
erkranken, "soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist". Das nationale Recht räumt Versicherten einen Anspruch
auf Auslandskrankenbehandlung im Nicht-EG-Ausland nur ein, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechende Behandlung nur außerhalb Deutschlands und außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes möglich ist (§
18 Abs
1 SGB V). Fehlt es an einem solchen Primäranspruch im Nicht-EG-Ausland, scheidet nach nationalem Recht im Grundsatz auch ein Anspruch
auf Kostenerstattung für eine selbstbeschaffte Krankenbehandlung aus.
b) Die nationale Rechtsordnung kann jedoch - wie auch der "soweit"-Halbsatz in §
16 Abs
1 Nr
1 SGB V ausspricht - durch vorrangige Regelungen des supranationalen Rechts (dazu unter c) sowie durch Regelungen internationalen
Rechts (dazu unter d) überlagert oder ergänzt werden (vgl §
30 Abs
2 SGB I, §
6 SGB IV), dies mit der Folge, dass Versicherte unter bestimmten Voraussetzungen auch Ansprüche haben können, die unter Berücksichtigung
allein der nationalen Rechtsordnung nicht bestünden (zur Bedeutung des §
30 SGB I in diesem Zusammenhang vgl zB Schlegel in: juris-PK -
SGB I, §
30 RdNr 6). Das gilt auch im Fall des Klägers.
c) Eine Überlagerung der nationalen - deutschen - Rechtsordnung durch Vorschriften des supranationalen Rechts, etwa die Verordnung
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) Nr 1408/71, scheidet indessen im Fall des Klägers aus. Zwar kommt die Anwendung bestimmter Vorschriften und Grundsätze des
"Europäischen Sozialrechts" auch im Verhältnis zu Tunesien in Betracht. Das insoweit maßgebliche, seit 1.3.1998 geltende Europa-Mittelmeer-Abkommen
zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Tunesischen
Republik andererseits vom 17.7.1995 (ABl EG 1998, L 97/2) findet vorliegend jedoch keine Anwendung. Der Kläger war, anders
als von Art 65 Abs 5 Assoziations-Abkommen gefordert, nicht in Tunesien als deutscher Arbeitnehmer beschäftigt, vielmehr hielt
er sich dort zu einer privaten Reise auf.
d) Die Vorschriften des
SGB V werden hier aber kraft §
6 SGB IV durch die Vorschriften des DTSVA überlagert und ergänzt.
Der sachliche Anwendungsbereich des Abkommens erstreckt sich auf Leistungen der Krankenbehandlung (Art 2 Abs 1 Nr 1 Buchst
a DTSVA), um die es hier geht. Als bei der beklagten Krankenkasse versicherter deutscher Staatsangehöriger fällt der Kläger
grundsätzlich unter den persönlichen Anwendungsbereich des Abkommens (vgl Art 3 Buchst a DTSVA). Da das DTSVA insoweit Anwendung
findet, erfolgt unter den Voraussetzungen des Art 5 DTSVA eine sog Gebietsgleichstellung. Danach gelten - soweit das Abkommen
nichts anderes bestimmt - die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen,
die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die in Art
3 genannten Personen, die sich gewöhnlich im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaats aufhalten.
Zwar hatte der Kläger keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Tunesien, jedoch erweitert Art 14 Abs 1 Buchst b DTSVA diese an den
"gewöhnlichen" Aufenthalt anknüpfende Gebietsgleichstellung in der Weise, dass Art 5 DTSVA auch für eine Person gilt, "bei
der der Versicherungsfall während des vorübergehenden Aufenthalts im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaats eingetreten
ist, nur, wenn sie wegen ihres Zustands sofort Leistungen benötigt". Mit dieser Vertragsklausel sollte das Abkommen auf Fälle
einer Notfallbehandlung erweitert werden. Dies ist der dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zum
DTSVA vom 16.4.1984 beigefügten Denkschrift (BR-Drucks 527/84 S 31 [zu Art 14]) sowie den allgemeinen Ausführungen der Gesetzesbegründung
zu entnehmen, in der es ua heißt, dass den Versicherten - ua Touristen - beim Aufenthalt im anderen Vertragsstaat Sachleistungen
aushilfsweise vom dortigen Träger der Krankenversicherung erbracht werden sollen (BR-Drucks 527/84 S 1). Der Hinweis der Beklagten
darauf, das DTSVA habe in erster Linie der Anwerbung von Arbeitskräften gedient und sei speziell darauf bezogen auszulegen,
trägt mithin nicht.
Ein solcher Notfall lag hier vor. Die Voraussetzungen des Art 14 Abs 1 Buchst b DTSVA sind erfüllt, weil der Kläger wegen
seines Zustandes in Tunesien "sofort" Leistungen benötigte. Der Begriff "sofort" ist ähnlich wie das in §
13 Abs
3 Fall 1
SGB V verwendete Merkmal einer "unaufschiebbaren" Leistung auszulegen. Nach den Feststellungen des LSG lag beim Kläger ein derartiger
Behandlungsbedarf vor; er befand sich nach einem Verkehrsunfall mit schweren Verletzungen in einem mehr als zwölftägigen Koma
und war auf sofortige neurochirurgische Behandlung angewiesen.
e) Angesichts der Gebietsgleichstellung qua Abkommensrecht ruhten die sich grundsätzlich aus dem
SGB V ergebenden Leistungsansprüche des Klägers (vgl oben, a; d) nach §
16 Abs
1 Nr
1 SGB V während seines Aufenthalts in Tunesien mithin nicht. Den Grundsatz der Maßgeblichkeit des Leistungsrechts des
SGB V modifiziert indessen Art 15 DTSVA als Spezialnorm für die Sachleistungen. Diese sind in Tunesien nicht nach dem
SGB V im Wege des Naturalleistungsprinzips von den hierzu in Deutschland eigens zugelassenen und verpflichteten Leistungserbringern
zu beanspruchen (vgl §
2 Abs
2 Satz 3
SGB V). Vielmehr richtet sich der Anspruch der Versicherten und damit die Leistungspflicht der Krankenkassen in Tunesien nach tunesischem
Recht (vgl dazu auch MJ, Zwischenstaatliches Krankenversicherungsrecht - Verhandlungen mit der tunesischen Verbindungsstelle,
DOK 1985, 486). Nach Art 15 DTSVA werden die Leistungen im Wege der sog Leistungsaushilfe von dem nach tunesischem Recht zuständigen
Träger (der CNSS) nach dem für diesen geltenden - tunesischem - Recht mit Wirkung für die deutschen Krankenkassen erbracht.
f) Der vom Kläger geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch kann damit auf den Vorschriften des
SGB V iVm denjenigen des DTSVA beruhen. Vorrangig - da spezieller - ist ggf eine Kostenerstattung nach dem seinerzeit geltenden
tunesischen Krankenversicherungsrecht, nach dem die CNSS zu leisten hatte (dazu 2.). Greift dieses Recht nicht, kommt ein
Anspruch aus §
13 Abs
3 Fall 1
SGB V iVm dem Abkommensrecht in Betracht (dazu 3.).
2. Es kommt in Betracht, dass der Kläger schon auf der Grundlage des Art 15 DTSVA durch die von ihm bezahlte privatklinische
Behandlung einen Kostenerstattungsanspruch gegen die CNSS erworben hat, den er dann unmittelbar gegen die Beklagte geltend
machen kann.
Art 15 DTSVA ("Sachleistungen im anderen Staat") ordnet in Abs 1 an, dass bei Anwendung des Art 5 "die Sachleistungen" in
der Tunesischen Republik von der CNSS zu erbringen sind. Nach Art 15 Abs 2 DTSVA gelten "für die Erbringung der Sachleistungen"
- mit hier nicht einschlägigen Ausnahmen - die für den Träger des Wohnorts (Art 1 Nr 12 DTSVA) oder des Aufenthaltsorts (Art
1 Nr 13 DTSVA: "Ort eines vorübergehenden Aufenthalts", hier: Tunesien) maßgebenden Rechtsvorschriften. Nach Art 15 Abs 4
DTSVA sind Personen und Einrichtungen, die mit der CNSS Verträge über die Erbringung von Sachleistungen für deren Versicherte
abgeschlossen haben, verpflichtet, die Sachleistungen auch für die in Art 5 DTSVA genannten Personen zu erbringen, und zwar
unter denselben Bedingungen, als ob diese Personen bei der CNSS versichert wären und als ob sich die Verträge auch auf diese
Personen erstreckten. Der krankenversicherungsrechtliche Sachleistungsanspruch des Klägers war bei dem in Tunesien eingetretenen
Leistungsfall wirksam durch Art 15 DTSVA auf die nach dem tunesischen Krankenversicherungssystem zustehenden Leistungen beschränkt
(vgl MJ, DOK 1985, 486).
Ausdrücklich befasst sich Art 15 DTSVA lediglich mit "Sachleistungen", nicht aber mit Kostenerstattungsansprüchen. Nach seinem
Sinn und Zweck bezieht er aber auch sachleistungsersetzende Kostenerstattungsansprüche - sollte es diese geben - mit ein.
Dabei kann es um Voll- oder Teilkostenerstattung für Krankenbehandlung (vgl zu seit 1998 angelaufenen Änderungen in Tunesien
iS von Teilkostenerstattung: Mohamed Rihda Kechrid, Das tunesische Krankenversicherungssystem auf dem Wege zu einer Komplementarität
von staatlichem und privatem Sektor, in: Gestaltung der Sozialen Sicherheit, die Rolle der Privatisierung [Soziale Sicherheit
Bd 3], 2001, 261 ff), aber auch etwa um §
13 Abs
3 SGB V entsprechende Garantieleistungen gehen. Solche sachleistungsersetzenden Kostenerstattungsansprüche dienen der Ergänzung des
Sachleistungssystems - etwa bei Systemmängeln - und sind dessen integraler Bestandteil. Die Einbeziehung solcher Kostenerstattungsansprüche
in Art 15 DTSVA liegt um so näher, als die Regelung mangels gesetzlicher Ausgestaltung der Kostenerstattungsansprüche in den
nationalen Rechtsordnungen der beiden Vertragsstaaten bei Unterzeichnung des DTSVA am 16.4.1984 ursprünglich als vollständig
erschien. Inzwischen kennt aber die deutsche Rechtsordnung ausdrückliche Bestimmungen über die sachleistungsersetzende Kostenerstattung.
Das kommt auch für die tunesische Rechtsordnung in Betracht. Ob dies zum Zeitpunkt der Leistungserbringung an den Kläger der
Fall war, wird das LSG zu ermitteln haben. Art 1 Nr 3 DTSVA definiert im Sinne einer dynamischen Verweisung als Rechtsvorschriften
auch diejenigen Gesetze, welche "später in Kraft treten werden".
Ergeben die Ermittlungen, dass das maßgebliche tunesische Recht sachleistungsersetzende Kostenerstattungsansprüche zur Zeit
der Behandlung des Klägers vorgesehen hat, ist zu ermitteln, ob die Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sind. Versicherte
wie der Kläger können solche Ansprüche unmittelbar bei ihrer (Herkunfts-)Krankenkasse - hier: die Beklagte - geltend machen.
Eines Umweges über den im Wege der Sachleistungsaushilfe tätig werdenden zuständigen Träger - hier: die CNSS - mit anschließender
Erstattung unter den Leistungsträgern (Art 15 Abs 5 und 6 DTSVA) bedarf es dann nicht. Denn die deutsche Krankenkasse ist
- anders als bei der Sachleistungsgewährung im engeren Sinne - nicht gehindert, einen solchen Erstattungsanspruch mit Hilfe
der Verbindungsstelle selbst zu prüfen und ggf zu erfüllen. In solchen Fällen verbleibt es nach dem Gesamtsystem des DTSVA
bei der Verantwortlichkeit des Trägers des Herkunftslandes.
3. Außerhalb eines "tunesischen" Kostenerstattungsanspruchs (vgl oben 2.) könnte der Kläger Kostenerstattung nur nach §
13 Abs
3 Fall 1
SGB V verlangen, wenn dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Dies ist der Fall, wenn der tunesische Träger seinen Pflichten im Rahmen
der Leistungsaushilfe mit Sachleistungen (vgl Art 5 DTSVA, dazu oben 2.) nicht oder nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist.
Denn dessen Verhalten müssen sich die Krankenkassen aufgrund der Einwirkungsmöglichkeiten Deutschlands auf den Abkommenspartner
Tunesien zurechnen lassen.
a) §
13 Abs
3 Fall 1
SGB V bestimmt ua: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen ... und sind dadurch dem
Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe
zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann anhand der vom LSG getroffenen
Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden.
b) Das DTSVA ändert diese Regelung nicht (§
30 Abs
2 SGB I), sondern schließt lediglich die Ruhenswirkung des §
16 Abs
1 Nr
1 SGB V aus (vgl oben 1.). Soweit nicht die Sachleistungsaushilfe (Art 15 DTSVA) betroffen ist, schließt das DTSVA deutsches Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung für Versicherte wie
den Kläger, die Leistungen in Tunesien in Anspruch nehmen, nicht aus, sondern setzt mit dem Ausschluss der Ruhenswirkung des
§
16 SGB V dessen Geltung gerade voraus. Die von der Beklagten dazu vorgetragenen Gesichtspunkte überzeugen nicht. Wortlaut, Regelungssystem
und Zweck des DTSVA (vgl bereits 1.a; d; 2. sowie zum Zweck unten c) lassen bei seiner Auslegung gemäß den für völkerrechtliche
Verträge geltenden Grundsätzen (vgl zB BSG SozR 4-6961 Nr 8 Nr 1 RdNr 19 mwN; BSG SozR 3-6480 Art 22 Nr 1 S 8) nicht den Schluss
zu, dass Kostenerstattungsansprüche gegen den deutschen Krankenversicherungsträger damit ausgeschlossen sind. Davon gehen
denn auch im Kern die Träger der Krankenversicherung selbst nicht aus, wie die Erstattungsansprüche voraussetzende Regelung
in Nr 33 VV-DTSVA erkennen lässt. Aus dem Umstand, dass andere Sozialversicherungsabkommen bisweilen ausdrückliche Regelungen
zur Kostenerstattung enthalten, lässt sich für die Auslegung des DTSVA nicht herleiten, dass hier eine Kostenerstattung generell
ausgeschlossen ist. Angesichts der Vielfalt denkbarer Abkommensausgestaltungen, die vom jeweils unterschiedlichen nationalen
Recht ausgehen müssen, ist ein solcher Umkehrschluss nicht statthaft. Zudem widerspräche er den gebotenen Auslegungsmethoden.
c) Die Konkurrenz des durch Art 5 DTSVA eröffneten Kostenerstattungsanspruchs nach §
13 Abs 3
SGB V mit der Regelung des möglicherweise durch Art 15 DTSVA eröffneten tunesischen Kostenerstattungsanspruchs lässt jedoch nur Raum für einen engen zusätzlichen Anwendungsbereich
des §
13 Abs
3 SGB V: Kostenerstattung nach §
13 Abs
3 SGB V iVm Art 5 DTSVA kommt danach nur in Betracht, wenn dem Kläger bei der Umsetzung des DTSVA abkommenswidrig dasjenige vorenthalten worden
ist, was nach tunesischem Recht auch einem gegenüber der CNSS leistungsberechtigten tunesischen Staatsangehörigen in der Situation
des Klägers vor Ort zu gewähren gewesen wäre, und wenn der Kläger durch die (deshalb) notwendige privatärztliche Krankenbehandlung
einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt war.
Das beruht darauf, dass grundsätzlich in Deutschland wohnende Versicherte, die in Tunesien erkranken und dem persönlichen
und mit ihren Ansprüchen dem sachlichen Anwendungsbereich des DTSVA unterfallen, hinsichtlich ihrer Berechtigung auf Sachleistungen
auf dasjenige beschränkt sind, was ihnen das tunesische Recht - auch an sachleistungsersetzenden Erstattungsansprüchen - zur
Verfügung stellt (Art 15 DTSVA und insgesamt oben 1d; 2.). Die Garantiefunktion, die §
13 Abs
3 SGB V bei Naturalleistungsstörungen ("Systemversagen") in Deutschland übernimmt, ist damit bereits weitgehend abgedeckt. Soweit
das von Art 15 DTSVA berufene tunesische Sachleistungsrecht keine Regelungen zu Fällen des "Systemversagens" (vgl BSG SozR
4-2500 § 13 Nr 8 RdNr 21, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) wegen spezifischer Verletzungen des DTSVA enthält,
ist diese verbliebene Lücke über den Erstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 SGB V zu schließen. Nur in diesem Umfang lässt Art 5 DTSVA Raum für Kostenerstattung außerhalb von Art 15 DTSVA. Ähnlich hat das Bundessozialgericht (BSG) auch bereits unter Geltung der
Reichsversicherungsordnung (
RVO) in einem vergleichbaren Fall für das Abkommen zwischen Deutschland und Österreich über Sozialversicherung vom 21.4.1951
(BGBl II 1952, 317) entschieden (BSGE 28, 45, 46 = SozR Nr 1 zu Art 10 Abk Österreich SozVers vom 21.4.1951; ebenso Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, 1994, RdNr
425).
Das DTSVA nimmt bewusst die Möglichkeit in Kauf, dass nicht bei allen in Tunesien zur Verfügung gestellten Leistungen das
deutsche Niveau erreicht wird. Bleiben die nach tunesischem Recht vorgesehen hinter denjenigen zurück, die das deutsche Recht
gewährt, begründet nicht bereits dieses Leistungsgefälle einen Kostenerstattungsanspruch mit dem Ziel, über die Leistungsaushilfe
hinaus bei einer Auslandserkrankung in Tunesien über §
13 Abs
3 SGB V das Niveau "deutsche Krankenversicherung" herzustellen. Andererseits kann sich bei günstigeren Regelungen im Aufenthaltsstaat
für Versicherte ggf auch ein höheres Leistungsniveau ergeben (vgl schon BSGE 47, 79, 83 = SozR 2200 § 194 Nr 3 für einen deutsch-spanischen Fall). Die bloße Unmöglichkeit des deutschen Krankenversicherungsträgers,
im ausländischen Vertragsstaat selbst Krankenbehandlung zu gewähren, ist somit für sich genommen noch kein Rechtsgrund dafür,
dass sich der Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch umwandelt (vgl bereits BSGE 53, 150, 155 f = SozR 2200 § 222 Nr 1 unter Aufgabe früherer Rechtsprechung). Auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus sind
deutsche Krankenversicherungsträger nicht verpflichtet, generell Leistungen im Ausland zu erbringen (vgl BSG SozR 3-2500 §
243 Nr 3 S 9 f; BSG, Urteil vom 24.9.1996 - 1 RK 32/94, USK 96177).
Die vorgenommene Auslegung, welche nur bei nicht ordnungsgemäßer Leistungsaushilfe zur Ausweitung der Erstattungspflicht nach
§
13 Abs
3 Fall 1
SGB V über das Gebiet der Bundesrepublik hinaus führen kann, belastet die deutschen Krankenversicherungsträger nicht entgegen dem
Geist des DTSVA unangemessen über Gebühr. Zwar weist die Revision zutreffend darauf hin, dass die Regelung eine Art Garantiehaftung
dafür darstellt, dass die Krankenkassen den Versicherten nach §
70 Abs
1 Satz 1
SGB V eine Versorgung nach dem Naturalleistungsprinzip gewährleisten müssen und diese Haftung mit denjenigen Versorgungsbereichen
korrespondiert, auf welche die Krankenkassen (im Inland) auch Einfluss nehmen können (vgl BSGE 73, 271, 274 = SozR 3-2500 § 13 Nr 4). Da sich die deutschen Krankenkassen zur Erfüllung der Ansprüche ihrer sich in Tunesien aufhaltenden
Versicherten der CNSS und des von dieser vorgehaltenen Leistungssystems bedienen, ist es gerechtfertigt, den Krankenkassen
durch Einwirken auf die CNSS über die Verbindungsstellen zugleich die Sorge dafür aufzuerlegen, dass die Versicherten die
durch das DTSVA zugesagten Leistungen vor Ort tatsächlich zur Verfügung gestellt erhalten. Sie müssen deshalb bei der CNSS
oder ihnen selbst zurechenbaren Störungen im Zusammenhang mit der Abwicklung des Abkommens dafür mit Kostenerstattung einstehen.
Zudem sieht Art 2 des Gesetzes zum DTSVA vor, dass außergewöhnliche Belastungen, die sich für einzelne Träger der Krankenversicherung
ergeben, ganz oder teilweise ausgeglichen werden können.
Ausgangspunkt des Anspruchs aus §
13 Abs
3 SGB V ist auch in diesem Fall der Primärleistungsanspruch, nach alledem das, worauf der Kläger nach tunesischem Sachleistungsrecht
nach Aufnahme in der staatlichen Klinik in G. Anspruch hatte. Ist ihm dies gewährt worden, etwa weil sich der Anspruch auf
die Aufnahme und Behandlung in der jeweils freien Einrichtung der CNSS erschöpft, fehlt es an den Anspruchsvoraussetzungen
für eine Erstattung: Die Beklagte hat die (geschuldete) Leistung erbracht. Dem steht es gleich, wenn die Beklagte den nach
Art 15 DTSVA eventuell bestehenden sachleistungsersetzenden Kostenerstattungsanspruch nach tunesischem Recht erfüllt hat.
Ein verbleibendes Systemversagen kann aber - außerhalb des tunesischen Sachrechts - einen Kostenerstattungsanspruch nur rechtfertigen,
wenn die Beklagte durch CNSS (abkommenswidrig) eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte, die dem Kläger
nach tunesischem Sach- und dem Abkommensrecht zustand. Hierzu fehlt es an hinreichenden Feststellungen des LSG.
Ergeben die weiteren Ermittlungen im dargestellten Sinne, dass dem Kläger abkommenswidrig Sachleistungen vorenthalten worden
sind, ist zu klären, ob ihm dadurch die geltend gemachten Kosten entstanden sind (dazu d). Ist auch dies zu bejahen, ist der
Erstattungsanspruch entgegen der Ansicht der Beklagten nicht auf die Kosten einer fiktiven Sachleistungsaushilfe beschränkt
(dazu e).
d) Wenn die weiteren Ermittlungen des LSG ergeben sollten, dass dem Kläger abkommenswidrig die nach Art 15 DTSVA gebotene
Leistung vorenthalten worden ist, die auch einem gegenüber der CNSS leistungsberechtigten tunesischen Staatsangehörigen zu
gewähren gewesen wäre, ohne dass ein sachleistungsersetzender Kostenerstattungsanspruch nach tunesischem Recht eingreift,
wird das LSG aufzuklären haben, ob die geltend gemachten (Rest-)Kosten dem Kläger wesentlich dadurch entstanden sind, dass
die Beklagte durch die CNSS eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500
§ 13 Nr 8 RdNr 24, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, mwN; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr
35 mwN). Ein Kostenerstattungsanspruch aus §
13 Abs
3 Fall 1 und 2
SGB V setzt nach ständiger Rechtsprechung des Senats voraus, dass der Versicherte einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung (hier:
Honorarforderung) ausgesetzt war (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 9 RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung auch in BSGE
vorgesehen; BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - RdNr 35, NJW 2007, 1385, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; zuletzt BSG, Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 25/06 R - RdNr 18 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das gilt auch, soweit ein Anspruch nach §
13 Abs
3 SGB V im Rahmen des DTSVA geltend gemacht wird. Denn der Kostenerstattungsanspruch dient nicht dazu, Krankenkassen mit Kosten zu
belasten, die unabhängig von einem Systemversagen entstanden sind. Verletzt der behandelnde Arzt im Inland zB seine Aufklärungspflichten,
kann dies zum Ausschluss eines Vergütungsanspruchs des Arztes und damit dazu führen, dass in der Person des Versicherten ein
Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 SGB V von vornherein nicht entsteht (vgl BSG, Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 25/06 R - RdNr 18 mwN). Die ärztliche Aufklärungspflicht richtet sich bei der Behandlung in Tunesien im Zweifel nach der vom dortigen
Recht berufenen Rechtsordnung. In Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls wird sich nicht stets ohne Weiteres von selbst
verstehen, dass eine privatärztliche Aufklärungspflicht über Einzelheiten des DTSVA besteht, die einen Vergütungsanspruch
ausschließt.
e) Der Umfang des Anspruchs aus §
13 Abs
3 SGB V bestimmt sich allein nach dessen Rechtsfolge. Demgemäß sind dem betroffenen Versicherten die für eine selbst beschaffte,
notwendig gewesene Leistung entstandenen Kosten von der Krankenkasse "in der entstandenen Höhe" zu erstatten. Eine Begrenzung
auf die sog "Kassensätze" scheidet danach aus (vgl BSGE 79, 123, 128 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG SozR 4-2500 §
13 Nr 8 RdNr 25; Höfler in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand März 2007, §
13 SGB V RdNr 41 mwN sowie Noftz in: K Hauck/ders,
SGB V, Stand Juni 2007, K §
13 RdNr 57, jeweils zutreffend unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien in BT-Drucks 11/2237 S 164).
Abweichende Regelungen hierzu ergeben sich nicht aus dem DTSVA und seinen Durchführungsbestimmungen. Anders als im Bereich
des europäischen koordinierenden Krankenversicherungsrechts geregelt (vgl Art 34 EWGV 572/74) enthält das DTSVA dazu selbst keine Bestimmung. Wie das LSG zutreffend angenommen hat, wird der Erstattungsanspruch
auch nicht wirksam durch Nr 33 VV-DTSVA beschränkt (aA, für generelle Begrenzung auf die Kosten einer fiktiven Sachleistung
bei gescheiterter Sachleistungsaushilfe im Vertragsausland zB: Neumann-Duesberg, DOK 1985, 302, 310; ders, klinikarzt 1992,
164, 168; Nowak, ZfS 2005, 289, 298 f). Unbeschadet der Frage, ob Art 30 Abs 1 DTSVA iVm Art 3 Abs 1 Durchführungsvereinbarung DTSVA überhaupt eine hinreichende
Grundlage für Nr 33 VV-DTSVA sein könnte, ist dieses Regelwerk jedenfalls nur als "Verwaltungs-Binnenrecht" einzustufen und
daher nicht geeignet, durch das Gesetz und das Abkommen begründete Ansprüche der Versicherten einzuschränken (ähnlich für
Beschlüsse der "Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer" nach EWGV 1408/71 vgl EuGHE 1981, 1241 = SozR 6030 Art 51 Nr 14 S 17).
Soweit das BSG für den Fall der fehlgeschlagenen Sachleistungsaushilfe in Österreich eine Kostenerstattungspflicht nur in
Höhe des Betrages angenommen hat, den die österreichische Krankenkasse bei ordnungsgemäßer Durchführung hätte aufwenden müssen
(BSGE 28, 45 = SozR Nr 1 zu Art 10 Abk Österreich SozVers vom 21.4.1951), beruhte dies darauf, dass im deutschen Krankenversicherungsrecht
zum damaligen Zeitpunkt eine dem §
13 Abs
3 SGB V vergleichbare allgemeine Erstattungsregelung noch nicht existierte und die Erstattungspflicht auf eine entsprechende Anwendung
von § 222
RVO gestützt wurde. Seit Schaffung des §
13 Abs
3 SGB V (bis 1992: Abs
2) hat sich die Rechtslage insoweit geändert.
4. Zusammenfassend gilt hinsichtlich der Ermittlungsmaßnahmen des LSG Folgendes: Bei der Feststellung von Existenz und Inhalt
ausländischen Rechts handelt es sich zwar um Rechtsanwendung (so May, Die Revision, 2. Aufl 1995, RdNr VI 330; s auch Fastrich,
ZZP 97 - 1984 -, 423, 425 mit Fußnote 9 und 10). Für dessen Ermittlung verweist §
293 ZPO jedoch auf die Vorschriften über die Beweisaufnahme zur Tatsachenermittlung. Diese Vorschrift ist auch im sozialgerichtlichen
Verfahren entsprechend anwendbar (§
202 SGG; vgl BSG SozR 3-1750 §
293 Nr 1 S 2; zur Anwendung des §
293 ZPO über §
173 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO] im Verwaltungsgerichtsprozess: BVerwG Buchholz 310 §
108 VwGO Nr 148). Hiernach bedarf dem Gericht unbekanntes ausländisches Recht des Beweises. Danach muss das LSG zunächst zur Frage,
ob sich Kostenerstattungsansprüche des Klägers schon aus dem tunesischen Krankenversicherungsrecht ergeben, in Bezug auf die
oben angesprochenen Punkte (sachleistungsersetzende Kostenerstattungsansprüche vorgesehen? Voraussetzungen?) den tunesischen
Leistungsrahmen zur Zeit der Behandlung des Klägers ermitteln. Dies kann zB durch Einschaltung der insoweit sachkundigen Deutschen
Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland (DVKA), Bonn, geschehen, aber zB auch durch Einholung eines Rechtsgutachtens.
Soweit sich Ansprüche daraus ergeben sollten, wären Ansprüche des Klägers entsprechend begrenzt. Es bedürfte dann keiner Ermittlungen
zu den Anspruchsvoraussetzungen des §
13 Abs
3 SGB V. Falls demgegenüber aus dem tunesischen Recht für Ansprüche des Klägers nichts herzuleiten sein sollte, muss unter dem Blickwinkel
von Kostenerstattungsansprüchen gegen die Beklagte aus §
13 Abs
3 SGB V ermittelt werden, ob die Verlegung des Klägers vom staatlichen Krankenhaus in G. in die Privatklinik in T. Ausdruck der rechtlichen
und tatsächlichen Grenzen des tunesischen Krankenversicherungssystems war (dann scheidet auch eine Kostenerstattung über §
13 Abs
3 SGB V aus), oder ob dem Kläger in Tunesien seinerzeit abkommenswidrig Leistungen vorenthalten wurden, welche auch im tunesischen
Krankenversicherungs- und Versorgungssystem hätten beansprucht werden können. Wenn es zutrifft, dass zB auch die Universitätsklinik
L. in T. zu den zugelassenen Leistungserbringern zählte, der ein "Institut National de Neurologie" angeschlossen ist, in dem
seit 1974 neurochirurgische Behandlungen stattfanden (vgl näher bei: http://www.neurotunisie.org/sante.html, im internet recherchiert
am 26.4.2007), ist aufzuklären, welche konkreten Umstände dazu führten, dass der Kläger angesichts der ohnehin vorgenommenen
Verlegung von G. nach T. gerade in die Privatklinik und nicht in ein zur Sachleistungserbringung befähigtes und berechtigtes
Krankenhaus verlegt wurde. Insoweit kann zB maßgeblich sein, ob für den seinerzeit bewusstlosen Kläger Personen, deren Handeln
ihm zuzurechnen ist (etwa mitreisende oder vor Ort lebende Verwandte), selbst Einfluss auf die Auswahl der Klinik nahmen bzw
welche Umstände sonst dazu führten. Aufzuklären wäre in diesem Zusammenhang schließlich auch die - ggf durch ein Rechtsgutachten
zu beantwortende - Frage, ob der Kläger einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung des Privatkrankenhauses für die erfolgte
Behandlung ausgesetzt war (sofern nicht nach dem Erkenntnisstand der Beklagten oder der DVKA keine Zweifel bezüglich dieses
Punktes bestehen).
5. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.