Neuberechnung des nettolohnabhängigen Krankengeldes von EG-Wanderarbeitnehmern bei Änderung der Lohnsteuerklasse
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Höhe des Krankengeldes (Krg).
Der 1942 geborene, verheiratete Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er war über Jahre hinweg in Deutschland beschäftigt,
zuletzt als Maurer, und mit Rücksicht darauf bei der beklagten Krankenkasse versichert. Seine italienische Ehefrau wohnte
in dieser Zeit in Italien. Im Mai 1997 wurde der Kläger stationär behandelt und war anschließend längere Zeit arbeitsunfähig
krank. Die Beklagte gewährte ihm nach Ende der Entgeltfortzahlung seines Arbeitgebers vom 20.6.1997 bis 27.1.1998 und 26.2.
bis 5.11.1998 Krg.
Bei der Berechnung des Krg legte die Beklagte das vom Arbeitgeber zuletzt bescheinigte, im April 1997 erzielte Arbeitsentgelt
des Klägers zugrunde. Da in der Lohnsteuerkarte des Klägers die Steuerklasse II und zwei Kinderfreibeträge eingetragen waren,
ergab sich ein Nettoarbeitsentgelt von 2.566,22 DM und ein (bestandskräftig bewilligtes) Krg von 72,70 DM täglich. Nach den
Berechnungen der Beklagten hätte das Nettoentgelt ausgehend von der Lohnsteuerklasse III, die in der Regel für zusammenlebende
und steuerlich zusammenveranlagte Eheleute gilt, 2.903,52 DM betragen; daraus hätte sich ein Krg von 82,25 DM täglich errechnet.
Im August 2000 beantragte der Kläger, die Beklagte möge ihre Krg-Berechnung überprüfen und dabei die günstigere Steuerklasse
III zugrunde legen; auch seine Einkommensteuer und sein später bezogenes Arbeitslosengeld seien nachträglich mit Blick darauf
neu bemessen worden. In einem Schreiben seines deutschen Finanzamtes von August 2000 wird ua bestätigt, dass die Voraussetzungen
für eine steuerliche Zusammenveranlagung der Ehepartner schon 1997 vorgelegen hätten. Die Beklagte lehnte die Überprüfung
ab, weil das Krg 1997/98 zutreffend berechnet worden sei und die rückwirkende Änderung der Steuerklasse keinen Einfluss auf
die Krg-Höhe mehr habe (Bescheid vom 24.8.2000; Widerspruchsbescheid vom 20.2.2001).
Die dagegen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts vom 21.2.2002 und des
Landessozialgerichts [LSG] vom 23.5.2003). Das LSG hat die Krg-Berechnung für zutreffend gehalten und darin auch keine europarechtswidrige
Diskriminierung des Klägers gesehen. Er hätte bereits im April 1997 höheres Nettoarbeitsentgelt und anschließend höheres Krg
erhalten können, wenn früher bei der staatlichen Finanzverwaltung die Eintragung der günstigeren Steuerklasse III beantragt
worden wäre. Eingetretene Nachteile beruhten daher nicht auf dem Wohnort seiner Ehefrau in Italien, sondern auf eigenen Versäumnissen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des primären und sekundären Rechts der Europäischen Gemeinschaft, in dessen
Licht die deutschen Regelungen über die Krg-Gewährung ausgelegt werden müssten. Obwohl bei ihm schon im April 1997 eigentlich
Lohnsteuerklasse III zutreffend gewesen sei, erhalte er gleichwohl kein daran ausgerichtetes Krg, sondern erleide wegen des
Wohnsitzes seiner Ehefrau in Italien einen ihn als Wanderarbeitnehmer diskriminierenden Nachteil. Dass nach deutschem Recht
bei Nachweis des Familienstatus' und weiterer Merkmale auf besonderen Antrag hin die Lohnsteuerklasse III in die Steuerkarte
hätten eingetragen werden können, führe zu keiner anderen Beurteilung; denn allein schon das Antragserfordernis bewirke, dass
Wanderarbeitnehmern, deren Ehepartner im Heimat-Mitgliedstaat lebe, oft zunächst eine unrichtige Steuerklasse zugewiesen werde,
was dann wiederum zu niedriges Krg nach sich ziehe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23.5.2003 und des Sozialgerichts Heilbronn
vom 21.2.2002 sowie unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24.8.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.2.2001
sowie unter Änderung ihrer ursprünglichen Bewilligungsbescheide zu verurteilen, das ihm in der Zeit vom 20.6.1997 bis 5.11.1998
gewährte Krankengeld unter Zugrundelegung eines nach Steuerklasse III berechneten Nettoentgelts neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Senat hat gemäß Art 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (idF des Amsterdamer Vertrages vom 2.10.1997,
BGBl II 1998, 387 [EG]) eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) dazu eingeholt, ob es mit dem Recht
der Europäischen Gemeinschaft vereinbar ist, dass ein in Deutschland beschäftigter verheirateter Wanderarbeitnehmer, dessen
Ehegatte in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, Krg stets anknüpfend an das Nettoarbeitsentgelt erhält, welches sich unter
Zugrundelegung der auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitnehmers eingetragenen Lohnsteuerklasse ergibt, ohne dass dabei eine spätere,
ihn begünstigende, rückwirkende Änderung seiner familienstandabhängigen Steuermerkmale berücksichtigt wird (Beschluss vom
5.7.2005 - B 1 KR 7/04 R). Der EuGH hat darüber mit Urteil vom 18.1.2007 - Rs C-332/05 entschieden.
II. 1. Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden
erklärt haben (§
124 Abs
2 SGG).
2. Die zulässige Revision des Klägers ist begründet.
Die Urteile der Vorinstanzen sowie die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen der beklagten Krankenkasse sind aufzuheben.
Zur Unrecht hat es die Beklagte abgelehnt, ihre bestandskräftigen Bescheide über die Krg-Bewilligung für die Zeiträume vom
20.6.1997 bis 27.1.1998 und vom 26.2. bis 5.11.1998 zurückzunehmen und dem Kläger Krg unter Zugrundelegung eines nach der
Steuerklasse III statt nach Steuerklasse II berechneten Nettoarbeitsentgelts zu gewähren. Dies folgt aus § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X, weil die Beklagte unrichtig von der endgültigen Maßgeblichkeit der Steuerklasse II für die Krg-Berechnung des Klägers ausgegangen
ist und deshalb die ihm zustehenden höheren Krg-Leistungen zu Unrecht nicht erbrachte. Die für die Krg-Gewährung einschlägigen
§§
44 ff
SGB V müssen, soweit sie für die nettoarbeitsentgeltbezogene Krg-Berechnung an das Einkommensteuerrecht anknüpfen (vgl §
47 Abs
1 Satz 2 iVm Abs
2 SGB V), im Lichte der Regelungen des Rechts der Europäischen Gemeinschaft ausgelegt werden; die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung
ist in diesem Zusammenhang fortzuentwickeln.
a) Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X sind im Falle des Klägers erfüllt.
Aufgrund der vom Senat mit Beschluss vom 5.7.2005 - B 1 KR 7/04 R (ABl EU Nr C 281/8 = SGb 2006, 476 [mit Anm Eichenhofer]) eingeholten Vorabentscheidung des EuGH (Urteil vom 18.1.2007 - Rs C-332/05 - ABl EU C 56/8 = ZESAR 2007, 237 mit Anm Eichenhofer; Anm Schlegel in: juris-Praxisreport SozR 3/07) steht nunmehr Folgendes
fest: Art 3 Abs 1 EWGV 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige,
die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (vom 14.6.1971, hier anzuwenden in der durch EGV 118/97 vom 2.12.1996 [ABl EG Nr L 28/1] geänderten und aktualisierten Fassung) steht der Anwendung einer von einem Mitgliedstaat
durchgeführten Krg-Regelung wie der hier betroffenen entgegen,
- wonach ein Wanderarbeitnehmer, dessen Ehegatte in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, von Amts wegen in eine Steuerklasse
eingereiht wird, die weniger günstig ist als die eines verheirateten inländischen Arbeitnehmers, dessen Ehegatte im betreffenden
Mitgliedstaat wohnt und nicht erwerbstätig ist, und
- die nicht zulässt, dass für die Höhe des Krg, die vom Nettoarbeitsentgelt abhängt, das sich wiederum nach der Steuerklasse
richtet, rückwirkend eine nachträgliche Berichtigung der Steuerklasse berücksichtigt wird, die auf einen ausdrücklichen Antrag
des Wanderarbeitnehmers hin erfolgt, der auf seinen tatsächlichen Familienstand gestützt ist.
Die vom EuGH vorgenommene Auslegung der Gemeinschaftsnormen ist der Entscheidung des Senats zugrunde zu legen; denn das Bundessozialgericht
(BSG) ist als gemäß Art 234 EG zur Vorlage verpflichtetes nationales Gericht an die Vorabentscheidung des EuGH gebunden (vgl
zuletzt BSG, Urteil vom 6.4.2006 - B 7a/7 AL 86/04 R, RdNr 20 mwN = ZESAR 2006, 406; BSGE 51, 161, 163, mwN = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 46).
Damit ergibt sich, dass dem Kläger höheres Krg zustand, als ihm von der Beklagten gewährt wurde. Bei der Ermittlung der Krg-Höhe
von Wanderarbeitnehmern ist nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaft abweichend von den allgemeinen Grundsätzen über die
Krg-Berechnung (dazu b) im aufgezeigten Umfang die nachträgliche Berichtigung der Steuerklasse rückwirkend zu berücksichtigen
(dazu c).
b) Für die Krg-Berechnung ist grundsätzlich das vom Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit "abgerechneten"
Entgeltabrechnungszeitraum "erzielte" Arbeitsentgelt durch die Zahl der Stunden zu teilen, für die es gezahlt wurde (§
47 Abs
2 SGB V). Daraus folgert der Senat in ständiger Rechtsprechung, dass nachträgliche Änderungen des dem Versicherten gewährten Arbeitsentgelts
für die Krg-Höhe grundsätzlich ohne Belang sind (vgl zusammenfassend zur Bezugs- bzw Referenzmethode: BSG SozR 4-2500 § 47
Nr 4 RdNr 20 ff mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Nicht realisierte Entgeltansprüche, Erhöhungen oder Absenkungen
des Arbeitsentgelts, die erst nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit eintreten, oder zB erst nach einem durchgeführten Lohnsteuerjahresausgleichsverfahren
von der Finanzverwaltung bezogene Lohnsteuerrückzahlungen führen zu keinen höheren Krg-Leistungen (BSGE 44, 130 = SozR 2200 § 182 Nr 22; BSG SozR 2200 § 1241 Nr 3). Da das Krg nur den wirtschaftlichen Status des Versicherten sichern
soll, der zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich bestand, können spätere Entgeltänderungen diesen Status
nicht mehr berühren. Der Krankenkasse soll es durch klare und praktikabel handhabbare Kriterien möglich sein, das anstelle
des krankheitsbedingt entfallenden Arbeitsentgelts zeitlich begrenzt gewährte Krg ohne eigene Ermittlungen und ohne eine für
sie fachfremde steuerrechtliche Prüfung zeitnah und rasch festzustellen (vgl zusammenfassend BSG SozR 4-2500 § 47 Nr 2 RdNr
12 mwN). Der Senat hat von diesem strengen Zuflussprinzip Ausnahmen nur anerkannt, wenn der Arbeitgeber dem Versicherten Arbeitsentgelt
rechtswidrig vorenthält und es im Rahmen nachträglicher Vertragserfüllung später nachzahlt (BSG SozR 4-2500 § 47 Nr 2 RdNr
11 ff mwN, im Anschluss an die geänderte Rechtsprechung über die Gewährung von Leistungen des Arbeitsförderungsrechts) oder
wenn der Versicherte vor Ablauf des Bemessungszeitraums in seinem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis arbeitsunfähig wird
(BSG SozR 4-2500 § 47 Nr 4 RdNr 25 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
Der Senat hat in seinem Vorlagebeschluss vom 5.7.2005 (aaO, Beschluss-Umdruck S 3 ff) näher dargelegt, dass die Beklagte die
Krg-Höhe für die betreffenden Zeiten in Anwendung dieser Grundsätze zutreffend mit 72,70 DM berechnet hatte. Hierauf verweist
er.
c) Der Kläger hat allerdings in Ausführung des EuGH-Urteils vom 18.1.2007 (aaO) für die streitbefangene Zeit Anspruch auf
Krg, welches der Höhe nach nicht durch ein an die Steuerklasse II anknüpfendes Nettoarbeitsentgelt begrenzt ist, sondern durch
dasjenige der günstigeren Steuerklasse III. Daraus errechnet sich ein Krg von 82,25 DM täglich.
Der Verstoß gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft, den der EuGH festgestellt hat, lässt sich im nationalen Sozialrecht
durch eine Korrektur nach § 44 SGB X beseitigen. Ein Wanderarbeitnehmer, der - wie der Kläger - nach Eintritt von Arbeitsunfähigkeit die Änderung seiner Steuerklasse
rückwirkend zu seinen Gunsten mit der Folge erreicht, dass sein Ehegatte, der in einem anderen EG-Mitgliedstaat lebt, Berücksichtigung
findet, kann dies danach auch im Rahmen der Krg-Berechnung geltend machen, sodass er nachträgliche Krg-Zahlungen auf der Grundlage
der geänderten Steuerklasse erhalten muss. Hierfür genügt es, dass er die nachträgliche, rückwirkende Steuerklassenänderung
erreicht und daraufhin höheres Nettoarbeitsentgelt erhalten hat. Dieses folgt im Lichte des Europarechts aus dem Zusammenwirken
von Einkommensteuerrecht (dazu aa) und Sozialrecht (dazu bb).
aa) Nach dem deutschen Einkommensteuerrecht kann ein im Inland Steuerpflichtiger bewirken, dass sein in einem anderen EG-Mitgliedstaat
lebender Ehegatte bei der Bestimmung der Steuerklasse rückwirkend berücksichtigt wird. Die Lohnsteuerklassen sind auf der
kalenderjährlich von der jeweiligen Gemeindeverwaltung ausgegebenen Lohnsteuerkarte eingetragen, die der Arbeitnehmer seinem
Arbeitgeber aushändigt. Die Voraussetzungen der Lohnsteuerklassen I bis VI bestimmen sich nach §
38b Einkommensteuergesetz (
EStG, idF des Jahressteuergesetzes 1997 vom 20.12.1996, BGBl I 1996, 2049 [EStG 1997]). Danach wird die (günstigste) Lohnsteuerklasse III zB bei verheirateten Arbeitnehmern in ihre Lohnsteuerkarte
eingetragen, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte
des Arbeitnehmers keinen Arbeitslohn bezieht. Lohnsteuerklasse II erhalten dagegen zB Arbeitnehmer, die an sich die Voraussetzungen
der Klasse I erfüllen, denen aber ein Haushaltsfreibetrag zusteht, der wiederum von der Berücksichtigung mindestens eines
Kindes abhängt (vgl im Einzelnen §
32 Abs
7 EStG 1997). Der unbeschränkten Steuerpflicht, die für eine Zuerkennung der Steuerklasse III erforderlich ist, unterliegen natürliche
Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (§
1 Abs
1 Satz 1
EStG 1997). Bei Staatsangehörigen von EU-Mitgliedstaaten, die unbeschränkt steuerpflichtig sind, wird ein nicht dauernd getrennt
lebender Ehegatte ohne Inlandswohnsitz nur "auf Antrag" als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt, und zwar unter der Voraussetzung,
dass der Ehegatte einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat sowie mindestens 90 vH des Familieneinkommens in Deutschland erzielt
bzw nicht mehr als 24.000 DM Auslandseinkünfte verdient werden (vgl §
1a Abs
1 Nr
2 iVm §
1 Abs
3 Satz 2
EStG 1997). Der in Deutschland wohnende EU-Staatsangehörige kann bei Vorliegen dieser Voraussetzungen die steuerliche Zusammenveranlagung
mit seinem Ehepartner (§
26 EStG 1997) beantragen, so die Eintragung der Steuerklasse III auf seiner Lohnsteuerkarte erreichen (vgl §
39 Abs
3 Satz 2, §
1a Abs
1 Nr
2 EStG 1997) und damit in den Genuss eines günstigeren Steuersatzes gelangen. Erforderlich dafür ist die Vorlage einer Bescheinigung
der zuständigen ausländischen Steuerbehörde über die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte (§
1 Abs
3 Satz 4
EStG 1997; Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums der Finanzen über beschränkte und unbeschränkte Einkommensteuerpflicht
vom 30.12.1996, BStBl I 1996, 1506 unter 1.). Diese materiellen Voraussetzungen für eine Eintragung der günstigeren Steuerklasse III waren nach den Feststellungen
des LSG bei dem Kläger schon im Zeitpunkt der Entstehung des Krg-Anspruchs erfüllt, nur die Steuerklassenänderung wurde formell
nachträglich umgesetzt.
bb) Die steuerrechtliche Möglichkeit zur nachträglichen Änderung der Steuerklasse, die dem europarechtlichen Diskriminierungsverbot
Rechnung trägt, rechtfertigt es, auch eine neue Krg-Berechnung rückwirkend auf der Grundlage eines Überprüfungsantrages nach
§ 44 SGB X unter Durchbrechung des Zuflussprinzips vorzunehmen, um einen Verstoß gegen das Europarecht zu vermeiden. Die Lohnsteuerklasse
wirkt sich auf die Krg-Höhe insoweit aus, dass das Krg 90 vH des im Bemessungszeitraum erzielten Nettoarbeitsentgelts nicht
übersteigen darf (§
47 Abs
1 Satz 2 iVm Satz 1
SGB V). Dieses Nettoarbeitsentgelt ist das dem Versicherten im letzten abgerechneten Entgeltzeitraum gezahlte und um Sozialversicherungsbeiträge
sowie Lohnsteuer verminderte Arbeitsentgelt. Die Höhe der jeweiligen Lohnsteuer, welche der Arbeitgeber nach Lohnabzug an
die staatliche Finanzverwaltung abzuführen hat (§
38 Abs
1 und
3 EStG), ist dabei abhängig von der Lohnsteuerklasse sowie Steuerfreibeträgen des Betroffenen. Während im Steuerrecht bei zunächst
materiell unrichtiger Steuerklassen-Zuweisung spätere Steuerrückzahlungen im Lohnsteuerjahresausgleichsverfahren vorgesehen
ist, sehen die Regelungen des
SGB V über das Krg Entsprechendes an sich nicht vor. Die Verklammerung von Steuerrecht und Sozialrecht gebietet es aber auch in
Bezug auf die Höhe des Krg von Wanderarbeitnehmern, welches das krankheitsbedingt entfallene Nettoarbeitsentgelt ersetzt,
ähnlich wie im Einkommensteuerrecht eine nachträgliche Korrektur der Steuerklasse leistungssteigernd anzuerkennen.
cc) Der Senat erweitert vor dem dargestellten Hintergrund seine schon in den Urteilen vom 16.2.2005 - B 1 KR 19/03 R (SozR 4-2500 § 47 Nr 2) und vom 30.5.2006 - B 1 KR 19/05 R (SozR 4-2500 § 47 Nr 4 RdNr 25 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) modifizierte Rechtsprechung zum Zuflussprinzip
um eine zusätzliche Fallgruppe: Bei in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Wanderarbeitnehmern ist
dasjenige Nettoarbeitsentgelt iS von §
47 SGB V als "erzielt" und "abgerechnet" anzusehen, das einem von den Familienverhältnissen her vergleichbaren, dh steuerrechtlich
nicht "dauernd getrennt" lebenden Beschäftigten im Inland zuerkannt wird, wenn der Ehegatte des Wanderarbeitnehmers (wie bei
diesem Personenkreis nicht unüblich) im Herkunftsstaat verblieben ist und festgestellt wurde, dass nach den Verhältnissen
im Herkunftsstaat von einem dauernden Getrenntleben im steuerrechtlichen Sinne nicht auszugehen ist. Dass der Kläger trotz
der in Deutschland zunächst von Amts wegen erfolgten Zuteilung der Steuerklasse II die Möglichkeit hatte, durch eine entsprechende
Antragstellung bei den deutschen Finanzbehörden schon vor Beginn des hier maßgeblichen Abrechnungszeitraums selbst auf die
rechtzeitige Auszahlung höheren Arbeitsentgelts Einfluss zu nehmen, steht dem nachträglich anzuerkennenden Anspruch auf höheres
Krg nicht entgegen; denn schon das steuerrechtlich normierte und bei der Krg-Berechnung fortwirkende Antragserfordernis würde
sonst eine mittelbare Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern zur Folge haben. Die für die Krg-Berechnung in Verbindung mit
dem Einkommensteuerrecht einschlägigen Regelungen dürfen daher bei der vorliegenden Fallkonstellation nicht im Sinne einer
strikten Betrachtungsweise ausgelegt werden, die sich an dem vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgten rein tatsächlichen
Arbeitsentgelt-Zufluss orientiert. Die Krg-Berechnung bedarf in diesen Fällen vielmehr einer europarechtskonformen Korrektur,
die zB noch im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Krg-Bewilligungsbescheide oder bei Bestandskraft dieser Bescheide im Nachhinein
über das Verfahren nach § 44 SGB X bewirkt werden kann.
Dies führt zur Verurteilung der Beklagten zu der vom Kläger begehrten Krg-Gewährung dem Grunde nach. Von dem Krg sind - entsprechend
den Vorgaben in §
3 Abs
1 Nr
3, §
170 Abs
1 Nr
2 Buchst a
SGB VI bzw in §
26 Abs
2 Nr
1, §
347 Nr
5 SGB III - noch Beiträge zur Rentenversicherung bzw zur Bundesanstalt/Bundesagentur für Arbeit abzuführen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.