Rechtmäßigkeit der Beitragshaftung eines Bauunternehmens für rückständige Unfallversicherungsbeiträge
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) der Bauwirtschaft
die klagende GmbH für rückständige Unfallversicherungsbeiträge der S-GmbH in Haftung nimmt.
Die Klägerin erwirbt und erschließt als Bauträgerunternehmen Grundstücke, plant Bauvorhaben, überwacht die Bauausführung und
veräußert schlüsselfertige Wohn- und Geschäftshäuser. Sie ist Mitglied der Verwaltungs-BG, erbringt selbst keine Bauleistungen,
verfügt über keine Baumaschinen, beschäftigt keine baugewerblichen Arbeitnehmer und unterliegt nicht dem allgemeinverbindlichen
Manteltarifvertrag für das Baugewerbe.
Nach dem 1. August 2002 beauftragte die Klägerin die S-GmbH im Rahmen von sieben Werkverträgen, Rohbauarbeiten an Bauvorhaben
der Klägerin über insgesamt 368.480 Euro auszuführen.
Nachdem mit Beschluss des Amtsgerichts Arnsberg vom 17. März 2003 über das Vermögen der S-GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet
worden war, nahm die Beklagte die Klägerin aufgrund dieser Bauaufträge für die Beitragsrückstände der S-GmbH zunächst in Höhe
von 18.572,37 Euro in Anspruch (Bescheid vom 23. Juni 2004, Widerspruchsbescheid vom 4. November 2004). Im Laufe des anschließenden
Klageverfahrens reduzierte sie den Betrag auf 16.010,66 Euro (Bescheid vom 3. März 2005).
Das angerufene Sozialgericht Dortmund (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. Januar 2006). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
(LSG) das Urteil des SG geändert und die Bescheide der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 21. Februar 2007). Die Beklagte sei nicht ermächtigt gewesen,
ihre Forderung in der Handlungsform des Verwaltungsaktes festzusetzen. Das Gesetz sehe zwar in §
168 Abs
1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) für die Beitragserhebung der Unfallversicherungsträger eine Festsetzung durch Verwaltungsakt ausdrücklich vor. Die Klägerin
sei aber keinesfalls beitragspflichtig, auch wenn der Gesetzgeber die Bürgenhaftung in §
150 Abs
3 SGB VII unter der Überschrift "Beitragspflichtige" statuiert habe. Die Rechtsnatur der Haftung sei in Anlehnung an die selbstschuldnerische
Bürgschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB) zu bestimmen. Der Bürge erfülle eine eigene Leistungspflicht und sei daher nicht beitragspflichtig. Zu Recht habe das Bundessozialgericht
(BSG) zur Vorgängernorm in § 729 Abs 2
Reichsversicherungsordnung (
RVO) entschieden, dass der Versicherungsträger das Rechtsverhältnis zum Bürgen mangels eines Über- und Unterordnungsverhältnisses
nicht durch Verwaltungsakt regeln könne und damit Leistungsklage erheben müsse. Die angefochtenen Bescheide seien auch materiell
rechtswidrig. Die Klägerin sei kein "Unternehmen des Baugewerbes", weil sie entgegen der heranzuziehenden Definition des §
211 Abs 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB III) aF (= §
175 Abs
2 SGB III nF) keine Bauleistungen auf dem Baumarkt erbringe, "die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung
von Bauwerken dienen". Diese Interpretation habe zudem den Vorteil, dass sie mit der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zu
§ 1a des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) kompatibel sei, nach der der Begriff des Unternehmers in § 1a AEntG einschränkend auszulegen sei und keinesfalls Bauherren erfasse.
Zu demselben Ergebnis gelange die Auslegung nach dem Zweck der Norm. Ziel des Gesetzes sei es, Bauunternehmer, die sich verpflichtet
hätten, ein Bauwerk ganz oder teilweise zu errichten, und dies nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigten, sondern sich zur
Erfüllung ihrer Verpflichtung eines oder mehrerer Subunternehmen bedienten, als Bürgen haften zu lassen.
Dieses Ziel treffe nicht auf Unternehmer zu, die als Bauherren eine Bauleistung in Auftrag gäben. Die Klägerin sei Bauherrin,
weil sie eigene Grundstücke durch Dritte bebauen lasse.
Soweit die Bundesregierung in der Begründung ihres Gesetzentwurfs davon ausgehe, dass die "Haftung des Hauptunternehmers durch
die Bildung von Bauträgergesellschaften oder vergleichbaren Konstruktionen" nicht "umgangen" werden dürfe, liege ein derartiger
Fall hier nicht vor. Die Klägerin sei eine seriöse Bauträgergesellschaft und nicht gegründet worden, um Beitragspflichten
anderer zu umgehen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts, namentlich des §
150 Abs
3 SGB VII in Verbindung mit §
28e Abs
3a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IV).
Das LSG habe zu Unrecht die Haftung der Klägerin für die Beitragsschulden des von ihr beauftragten Bauunternehmens verneint.
Die Auffassung des LSG, ein Bauträgerunternehmen wie die Klägerin sei als Bauherr und Letztbesteller von §
150 Abs
3 SGB VII nicht erfasst, stehe im Gegensatz zur Begründung des Gesetzentwurfs. Danach sollten nicht nur Unternehmen erfasst sein, die
selbst von einem Auftraggeber einen Bauauftrag übernommen hätten, sondern auch Bauträgergesellschaften und vergleichbare Konstruktionen,
um eine Umgehung der Haftung zu verhindern. Dabei sei entgegen der Ansicht des LSG nicht erkennbar, dass es darauf ankomme,
ob ein Unternehmen neu gegründet sei oder schon länger existiere. Entgegen der Ansicht des LSG habe der Gesetzgeber den Verweis
in §
28e Abs
3a Satz 1
SGB IV auf § 211 Abs 1
SGB III aF (= §
175 Abs
2 SGB III nF) bewusst nicht auf den Begriff des Unternehmers des Baugewerbes ausgedehnt. Unter Berücksichtung der Ziele des Gesetzes
ergebe sich vielmehr, dass gerade auch Bauträgerunternehmen wegen ihres wesentlichen Einflusses auf die Bauwirtschaft von
der Haftung erfasst werden sollten. Bei einer Bauträgergesellschaft wie der Klägerin handele es sich nicht um einen Letztbesteller,
weil sie die erbauten Objekte an Kunden mit dem Ziel eines Gewinns weiterveräußere. Auch sei sie zum Handeln durch Verwaltungsakt
befugt. Aus der Formulierung des Gesetzes nach der das Unternehmen nicht "als", sondern nur "wie" ein Bürge hafte, ergebe
sich, dass es sich um einen sozialrechtlichen und nicht um einen zivilrechtlichen Anspruch handele. Zudem sei §
150 SGB VII, anders als § 729
RVO, mit "Beitragspflichtige" überschrieben. Daher sei die Rechtsprechung des BSG zur Frage der Verwaltungsaktsbefugnis im Rahmen
der Haftung des § 729
RVO nicht auf die Haftung nach §
150 Abs
3 SGB VII übertragbar.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2007 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19. Januar 2006 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Außerdem ist sie der Auffassung, die Verweisung des §
150 Abs
3 SGB VII nur auf den Absatz 3a und nicht auch auf die Absätze 3b bis 3f des §
28e SGB IV sei ein Redaktionsversehen, sodass ihr zumindest eine Exkulpationsmöglichkeit nach §
28e Abs
3b SGB IV zustehe.
II. Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG
begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
Rechtsgrundlage für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe ist §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII, der §
28e Abs
3a SGB IV für entsprechend anwendbar erklärt. Nach §
28e Abs
3a SGB IV haftet ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des §
175 Abs
2 SGB III beauftragt, für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers
wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Aufgrund dieser rechtlichen Vorgaben, war die Beklagte befugt, ihren Haftungsanspruch
durch Verwaltungsakt geltend zu machen (dazu unter 1.). Die Klägerin ist ein Unternehmer des Baugewerbes im Sinne des §
28e Abs
3a Satz 1
SGB IV (dazu unter 2.). Auf den Haftungsanspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin findet aber nicht nur der Absatz 3a, sondern
finden auch die Absätze 3b bis 3f des §
28e SGB IV Anwendung (dazu unter 3.). Das so verstandene Haftungssystem begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und es besteht
auch keine Verpflichtung zur Vorlage nach Art 234 Abs 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [EGV] (dazu
unter 4.). Es kann allerdings nicht abschließend entschieden werden, ob die Klägerin der damit grundsätzlich eingreifenden
Haftung nach §
150 Abs
3 SGB VII iVm §
28e Abs
3a bis
3f SGB IV in diesem konkreten Fall unterliegt, da hierzu weitere vom LSG nicht getroffene Feststellungen notwendig sind (dazu unter
5.).
1. Die Beklagte hat zur Geltendmachung des Haftungsanspruches aus §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII zu Recht die Handlungsform des Verwaltungsaktes gewählt.
Ein Handeln der Verwaltung durch Verwaltungsakt ist nur zulässig, wenn diese Handlungsform durch Gesetz gestattet ist (vgl
BSG, Urteil vom 28. August 1997 - 8 RKn 2/97 - SozR 3-2600 § 118 Nr 1 S 4; Waschull in LPK-SGB X, § 31 RdNr 2; P. Stelkens/U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl 2001, § 44 RdNr 55; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, 6. Aufl 2000, § 45 RdNr 13a, 14, jeweils mwN). Allein aus der Zugehörigkeit
einer Forderung zum öffentlichen Recht leitet sich noch nicht die Befugnis ab, diese gegenüber dem Schuldner durch einen Verwaltungsakt
geltend zu machen. Die Befugnis, Rechtsbeziehungen hoheitlich durch Verwaltungsakt zu gestalten, muss vielmehr dem Versicherungsträger
vom Gesetz eingeräumt sein; sie muss sich aus dem materiellen Recht ergeben, das den betreffenden Rechtsbeziehungen zugrunde
liegt. Soweit der Versicherungsträger nicht ausdrücklich zur Regelung durch Verwaltungsakt ermächtigt wird, muss jedenfalls
aus der Systematik des Gesetzes und der Eigenart des zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnisses zu ersehen sein,
dass er berechtigt sein soll, in dieser Form tätig zu werden (vgl Senatsurteil vom 13. Dezember 2005 - B 2 U 16/05 R, SozR 4-2700 § 150 Nr 2 RdNr 12).
Rechtsgrundlage in diesem Sinne ist im vorliegenden Fall §
168 SGB VII. Nach dessen Absatz
1 teilt der Unfallversicherungsträger dem Beitragspflichtigen den von ihm zu zahlenden Beitrag schriftlich mit, und nach dessen
Absatz 2 handelt es sich bei dieser schriftlichen Mitteilung um einen Verwaltungsakt ("Beitragsbescheid"). §
168 SGB VII beinhaltet also die Ermächtigung der Beklagten, gegenüber den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden Beitrag durch
Verwaltungsakt festzusetzen. Die Norm stellt damit klar, was aufgrund des Regelungszusammenhanges ohnehin nicht zweifelhaft
ist, dass nämlich der Unfallversicherungsträger bei der Wahrnehmung der ihm vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben der Beitragsfestsetzung
und Beitragserhebung als Träger öffentlicher Gewalt tätig wird (vgl Senatsurteil vom 13. Dezember 2005 - B 2 U 16/05 R - aaO RdNr 13). Dass der Versicherungsträger dabei dem Beitragpflichtigen im Rahmen eines Über-/Unterordnungsverhältnisses
gegenübertritt und daher durch die Handlungsform des Verwaltungsaktes seine Ansprüche geltend machen kann, ist seit jeher
in der Rechtsprechung des BSG anerkannt. Denn die Beitragserhebung ist zur Finanzierung der von den Sozialversicherungsträgern
nach dem Gesetz zu erfüllenden Aufgaben unerlässlich und stellt damit einen Kernbereich ihrer öffentlich-rechtlichen Tätigkeit
dar (vgl BSG, Urteil vom 26. Juni 1975 - 3/12 RK 1/74 - BSGE 40, 96, 99 = SozR 2200 § 393 Nr 2 S 5; BSG, Urteil vom 2. Februar 1978 - 12 RK 29/77 - BSGE 45, 296, 298 = SozR 2200 § 381 Nr 26 S 65 f; BSG, Urteil vom 12. Februar 1980 - 7 RAr 26/79 - BSGE 49, 291, 295 = SozR 4100 § 145 Nr 1 S 5; BSG, Urteil vom 24. November 1987 - 3 RK 13/87 - BSGE 62, 251, 254 = SozR 1500 § 54 Nr 84 S 83; BSG, Urteil vom 25. Januar 1995 - 12 RK 72/93 - SozR 3-1500 § 54 Nr 22 S 54 f; Senatsurteil vom 13. Dezember 2005, aaO).
Die Ermächtigung des §
168 SGB VII, in der Form des Verwaltungsaktes handeln zu dürfen, erstreckt sich auch auf den Haftungsanspruch aus §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII. Dies ergibt sich schon aus der Systematik des Gesetzes. §
150 SGB VII ist mit "Beitragspflichtige" überschrieben.
Der Gesetzgeber macht damit deutlich, dass er die in §
150 Abs
3 SGB VII normierten Ansprüche als eine Art der Beitragspflichten ansieht, für deren Geltendmachung sich dementsprechend die Befugnis
zum Handeln durch Verwaltungsakt aus §
168 Abs
1,
2 SGB VII ergibt.
Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Denn die Beitragshaftung dient der Sicherung des eigentlichen Beitragsanspruches.
Ihre Durchsetzung verfolgt genauso wie die Beitragsbeitreibung gegenüber dem eigentlichen Schuldner das Ziel der Finanzierung
der Sozialversicherungssysteme. Es ist daher in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass ein Haftungsanspruch in der Form
des Verwaltungsaktes geltend zu machen ist (vgl BSG, Urteil vom 26. Juni 1975 - 3/12 RK 1/74 - aaO S 5; Urteil vom 7. Dezember 1983 - 7 RAr 20/82 - BSGE 56, 76, 79 = SozR 7685 § 13 Nr 1 S 3; Urteil vom 8. Dezember 1999 - B 12 KR 18/99 R - BSGE 85, 200, 203 = SozR 3-2400 § 28e Nr 2 S 14; Urteil vom 27. September 1994 - 10 RAr 1/92 - BSGE 75, 82, 84 = SozR 3-7685 § 13 Nr 1 S 3). So wird für den Bereich der unmittelbaren Anwendung der Haftung nach §
28 Abs
2 bis
4 SGB IV - teilweise ohne dies überhaupt zu problematisieren - von einer Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt ausgegangen (vgl
BSG, Urteil vom 7. März 2007 - B 12 KR 11/06 R - SozR 4-2400 § 28e Nr 1; vgl auch Bigge in Wannagat,
SGB VII, Stand: April 2007, § 150 RdNr 9; Sehnert in Hauck/Haines,
SGB IV, Stand: November 2007, §
28e RdNr 34; Werner in jurisPK-
SGB IV, §
28e RdNr 88).
Die konstruktive Anlehnung der Haftung an die einer zivilrechtlichen selbstschuldnerischen Bürgschaft ändert an diesem Ergebnis
nichts. Es ist nicht ersichtlich, dass durch diese Anleihe im Zivilrecht eine Haftung auf Gleichordnungsebene geschaffen werden
sollte, die im Gegensatz zur übrigen Geltendmachung von Ansprüchen im Beitragsrecht ein Handeln durch Verwaltungsakt verbieten
würde. Vielmehr ging es darum, eine gegenüber der Gesamtschuldnerschaft inhaltlich weniger komplizierte und inhaltlich mildere
Form der Haftung zu schaffen (vgl BT-Drucks VI/2302 S 16 zu § 393 Abs 3
RVO und BT-Drucks 14/8221 S 15).
Schließlich ergibt sich auch nichts Abweichendes aus der Rechtsprechung des BSG zu der Haftung nach § 729 Abs 2
RVO (vgl Senatsurteil vom 18. Dezember 1969 - 2 RU 314/67, BSGE 30, 230 = SozR Nr 3 zu § 729
RVO; Senatsurteil vom 6. Dezember 1989 - 2 RU 27/89; BSG, Urteil vom 25. Oktober 1977 - 8 RU 96/76 - SozR 2200 § 729 Nr 1; BSG, Urteil vom 15. Juni 1983 - 9b/8 RU 66/81 - SozR 2200 § 729 Nr 2). Der Senat lässt offen, mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen zur Rechtsnatur der Haftungsansprüche
im Beitragsrecht aus heutiger Sicht an dieser Rechtsprechung festzuhalten wäre; denn sie lässt sich auf die Haftung nach §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII ohnehin nicht übertragen. Bei der Haftung nach § 729 Abs 2
RVO handelte es sich um ein für das System der gesetzlichen Unfallversicherung untypisches Instrument, durch das der Bauherr
als Privatperson zumeist außerhalb eines Mitgliedschaftsverhältnisses und jenseits eines Sozialversicherungsverhältnisses
für Beitragsansprüche in Anspruch genommen werden konnte (vgl Senatsurteil vom 28. August 1990 - 2 RU 52/89 - BSGE 67, 199, 202 = SozR 3-2200 § 729 Nr 1 S 4). Die Haftung des §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII richtet sich hingegen ausschließlich an Unternehmer. Diese sind regelmäßig Mitglied einer BG und zudem auch Arbeitgeber.
Sie sind damit sowohl hinsichtlich der Beiträge zur Unfallversicherung als auch der Gesamtsozialversicherungsbeiträge in das
System der Beitragsfestsetzung und -erhebung einbezogen. Dabei stehen die Unternehmer sowohl untereinander als auch gegenüber
den Arbeitnehmern in einer "spezifischen Solidaritäts- und Verantwortungsbeziehung" (vgl dazu Senatsurteil vom 8. Mai 2007
- B 2 U 14/06 R - SozR 4-2700 § 153 Nr 2). All dies war bei den von § 729 Abs 2
RVO erfassten Bauherren gerade nicht der Fall. Zudem wurde die Haftung nach § 729 Abs 2
RVO mit Einführung des
SGB VII zum 1. Januar 1997 aufgegeben (vgl BT-Drucks 13/2204 S 110). Ihre strukturellen Wurzeln hat die Haftung des §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII daher nicht in § 729 Abs 2
RVO, sondern vielmehr in der Regelung des § 393 Abs 3
RVO iVm § 729 Abs 4
RVO.
2. Die Klägerin ist ein Unternehmer des Baugewerbes im Sinne des §
28e Abs
3a Satz 1
SGB IV.
Hierfür ist es entgegen der Ansicht des LSG nicht erforderlich, dass die Klägerin selbst Bauleistungen erbringt. Erfasst werden
auch Unternehmer, die ausschließlich andere Unternehmer Bauleistungen für sich ausführen lassen und bei denen dies wesentlicher
Gegenstand ihrer unmittelbaren geschäftlichen Betätigung ist. Ein solcher Fall liegt insbesondere bei Unternehmern wie der
Klägerin vor, welche gewerbsmäßig Grundstücke ankaufen, diese von anderen Unternehmern bebauen lassen und die Grundstücke
bzw. Gebäude oder Gebäudeteile sodann durch Verkauf gewerbsmäßig verwerten (vgl Werner in jurisPK-
SGB IV, §
28e RdNr 62; in anderem Zusammenhang: BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. April 1993 - 1 BvR 738/88, NVwZ-RR 1994, 153, 154; a.A. Sehnert in Hauck/Haines,
SGB IV, aaO, §
28e RdNr 16; Felix in Wannagat,
SGB IV, Stand: August 2007, §
28e RdNr 34; Rixen, SGb 2002, 536, 537).
Dies ergibt sich aus Folgendem: Ziel der gesetzlichen Regelung ist es, einer Umgehung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Zahlung
von Sozialversicherungsbeiträgen entgegenzuwirken. Es soll verhindert werden, dass durch die im Bereich der Bauwirtschaft
besonders verbreitete Beauftragung von Nachunternehmern sich der Hauptunternehmer der Verpflichtung der Zahlung der auf diese
Arbeitsleistung entfallenden Sozialversicherungsbeiträge entzieht, obwohl ihm die wirtschaftlichen Vorteile der Arbeitsleistung
zugute kommen. Es sollte dabei insbesondere verhindert werden, dass die Haftung durch die Bildung von Bauträgergesellschaften
oder vergleichbaren Konstruktionen umgangen wird. Daher sollte sich die Haftung nicht nur auf Unternehmer beschränken, die
selbst von einem Auftraggeber einen Bauauftrag erhalten haben, sondern auch gewerbliche Auftraggeber mit einbeziehen. Nicht
erfasst werden sollten hingegen Unternehmen, die nur als "Bauherren", also als Letztbesteller eines Werkes auftreten (vgl
BT-Drucks 14/8211 S 15).
Würde man von der Haftung Unternehmen ausklammern, nur weil sie selbst keine Bauleistungen erbringen, würde damit genau die
Umgehungsmöglichkeit eröffnet werden, die durch die hier streitige Haftung verhindert werden sollte. Solche Unternehmen sind
insbesondere nicht als "Bauherren" oder Letztbesteller anzusehen. Dies ist ein Unternehmen nur dann, wenn es mit der in Auftrag
gegebenen Bauleistung keine unmittelbaren gewerblichen Zwecke verfolgt, wenn also die Beauftragung von Bauleistungen nicht
der wesentliche, unmittelbare Gegenstand des Unternehmensbetriebes ist. Zu denken wäre hier etwa an ein Unternehmen, dass
für seine Produktion ein neues Werksgebäude in Auftrag gibt.
Diese gesetzgeberische Intention hat auch im Gesetzestext und der Gesetzessystematik Ausdruck gefunden. §
28e Abs
3a Satz 1
SGB IV nimmt nach Wortlaut und Satzaufbau nur hinsichtlich des Begriffes der "Bauleistung" Bezug auf die Definitionen des §
175 Abs
2 SGB III.
Der Begriff "Unternehmer des Baugewerbes" zu Beginn des Satzes steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu dieser Verweisung,
zumal §
175 Abs
2 SGB III ebenso wie seine Vorläufervorschrift in § 211
SGB III den Begriff "Unternehmer" nicht verwendet, sondern den des "Betriebs". Dieses Vorgehen zeigt, dass der Gesetzgeber zwischen
dem Unternehmer bzw der Art des Unternehmens, das einen Auftrag erteilt, und der Art dieses Auftrags unterscheidet. Die in
Auftrag gegebene Leistung muss eine Bauleistung sein, denn die Beauftragung dieser Leistung begründet die Gefahr der Umgehung
von sozialrechtlichen Zahlungspflichten, die Anlass für die vorliegende Haftung ist. Ob das beauftragende Unternehmen bzw
der Unternehmer selbst solche Arbeiten ausführt, ist hingegen für diese Gefahr nicht entscheidend. Im Übrigen würde eine andere
Auslegung zu einer im Hinblick auf den gesetzgeberischen Zweck nicht gerechtfertigten Einengung des Anwendungsbereiches der
Haftung führen.
Diese Auslegung des Unternehmerbegriffs steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu der
strukturell vergleichbaren Vorschrift des § 1a AEntG (BAG, Urteil vom 12. Januar 2005 - 5 AZR 617/01 - BAGE 113, 149). Das BAG sieht von der Regelung solche Unternehmer erfasst, die sich verpflichtet haben, ein Bauwerk zu errichten, und dies
nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigen, sondern sich zur Erfüllung ihrer Verpflichtung eines oder mehrer Subunternehmen
bedienen. Nicht erfasst seien Unternehmen, die als Bauherren eine Bauleistung in Auftrag geben. Denn diese würden keine eigenen
Bauarbeitnehmer beschäftigen und auch keine Subunternehmer beauftragen, die für sie eigene Leistungsverpflichtungen erfüllen.
Das LSG verkennt die Bedeutung dieser Ausführungen, wenn es meint, ein Bauträgerunternehmen sei ein von der Haftung nicht
erfasster Bauherr im Sinne der Ausführungen des BAG. Es kann dabei nicht darauf ankommen, ob sich das Unternehmen bereits
zum Zeitpunkt der Beauftragung des Nachunternehmers zur Errichtung des Gebäudes verpflichtet hat oder ob es dies mit dem Wissen
und der Absicht tut, das Gebäude nach der Errichtung zu verkaufen. Für eine solche Differenzierung gibt es unter dem Blickwinkel
des Sinns und Zwecks der Haftung keinen Grund.
Daher ist es unerheblich, ob die Klägerin zu Umgehungszwecken gegründet wurde oder nicht.
Denn ausschlaggebend für die Haftung ist allein, ob eine bei abstrakter Betrachtung für eine Umgehung der sozialversicherungsrechtlichen
Verpflichtungen typischerweise geeignete Konstellation vorliegt. Ein ordnungsgemäß arbeitendes Unternehmen hat dann im konkreten
Einzelfall die Möglichkeit, sich im Rahmen der auch für den Bereich des
SGB VII anzuwendenden Exkulpationsregelung (dazu sogleich unter 3.) von der Haftung zu befreien.
3. Auf den Haftungsanspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin finden nicht nur der Absatz
3a, sondern auch die Absätze 3b bis 3f des §
28e SGB IV Anwendung. Denn die Gesetz gewordene Fassung des §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII beinhaltet eine Gesetzeslücke in Form eines Redaktionsversehens des Gesetzgebers, welche im Rahmen der gesetzesimmanenten
Rechtsfortbildung durch eine Erweiterung der Verweisung des §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII auf die Absätze 3a bis 3f des §
28e SGB IV zu schließen ist.
Eine Gesetzeslücke wird allgemein als "planwidrige Unvollständigkeit" des Gesetzes definiert.
Ob eine solche vorliegt, ist vom Standpunkt des Gesetzes selbst, der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht, der mit ihm
verfolgten Zwecke, also des gesetzgeberischen "Plans" im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu beurteilen
(vgl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373 mwN).
Die Auswertung der Gesetzesmaterialien zur Entstehung von §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII und §
28e Abs
3a bis
3f SGB IV ergeben keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein Auseinanderfallen der Haftungssysteme im Bereich der Unfallversicherungsbeiträge
und der Gesamtsozialversicherungsbeiträge gewollt war.
Der Regierungsentwurf vom 21. Dezember 2001 (BR-Drucks 1086/01) enthielt als Art 3 Nr
4 den §
28e Abs 3a
SGB IV, auf den nach Art 6 Nr 1 in §
150 Abs 3
SGB VII verwiesen wurde.
§
28e Abs
3a SGB IV bestand dabei aus dem Haftungsgrundtatbestand mit einer Exkulpationsregelung und hatte folgenden Wortlaut:
"(3a) Ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 211
Abs 1 des Dritten Buches beauftragt, haftet für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers, eines von diesem eingesetzten
Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer
Bürge; es sei denn, er weist nach, dass er auf Grund sorgfältiger Prüfung ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte,
dass dieser Unternehmer, ein von diesem eingesetzter Nachunternehmer oder ein von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer
beauftragter Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Dies gilt entsprechend für die vom Nachunternehmer gegenüber ausländischen
Sozialversicherungsträgern abzuführenden Beiträge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend." Die Ausschussempfehlung des Bundesrates
sah die Streichung von Art 3 Nr 4 und Art 6 Nr 1 des Gesetzesentwurfes mit der Begründung vor, dass durch diese Regelungen
eine enorme bürokratische und finanzielle Zusatzbelastung vor allem für rechtstreue Unternehmen entstehen würde (BR-Drucks
1086/1/01 S 16). Der Bundesrat ist dieser Empfehlung in seinem Beschluss vom 1. Februar 2002 nicht gefolgt (BR-Drucks 1086/01
- Beschluss). Dementsprechend finden sich diese Regelungen unverändert in dem dann in den Bundestag eingebrachten Gesetzesentwurf
der Bundesregierung (BT-Drucks 14/8221). Während der Beratungen im Bundestag sah die Empfehlung des Ausschusses für Arbeit
und Sozialordnung keine Änderung der Art 3 Nr 4 und Art 6 Nr 1 vor (BT-Drucks 14/8625), während ein Änderungsantrag einzelner
Abgeordneter deren Streichung wünschte (BT-Drucks 14/8661). Das Gesetz wurde dann vom Bundestag in der Fassung der BT-Drucks
14/8625 angenommen (BR-Drucks 253/02). Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates empfahl die Anrufung des Vermittlungsausschusses
und wegen schwerwiegender rechtlicher Bedenken die Streichung von Art 3 Nr 4 und Art 6 Nr 1; der Bundesrat folgte dieser Empfehlung
(BR-Drucks 253/1/02 und 253/02 - Beschluss; BT-Drucks 14/8957). Der Vermittlungsausschuss schlug zu Art 3 Nr
4 die Aufspaltung des §
28e Abs 3a
SGB IV in §
28e Abs
3a bis
3f SGB IV vor; Art 6 Nr 1 blieb unberührt (BT-Drucks 14/9630). Das Gesetz wurde dann in dieser vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagenen Form vom Bundestag
angenommen und ihm wurde vom Bundesrat zugestimmt (BR-Drucks 606/02).
Die stenografischen Protokolle der Sitzungen des Vermittlungsausschusses (vgl Stenografisches Protokoll der 17. Sitzung des
Vermittlungsausschusses vom 15. Mai 2002, der 1. Fortsetzung dieser Sitzung vom 12. Juni 2002 und der 2. Fortsetzung am 27.
Juni 2002, angeführt und ausgewertet vom LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Juni 2007 - L 1 U 6465/06) enthalten keinen Hinweis, dass sich der Ausschuss mit den Auswirkungen der vorgeschlagenen Änderungen auf die in Art 6 Nr
1 vorgesehene Verweisung in §
150 Abs 3
SGB VII befasst hat.
Die Verweisung des unverändert gebliebenen §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII führt im Zusammenspiel mit der Aufspaltung und Ergänzung des §
28e Abs
3a SGB IV in der Fassung des Gesetzesentwurfes zu §
28e Abs
3a bis
3f SGB IV in der Gesetz gewordenen Fassung dazu, dass die Haftung im Bereich des
SGB IV im Vergleich zur Fassung des Gesetzesentwurfes verschuldensabhängig bleibt, während sie im Bereich des
SGB VII nunmehr verschuldensunabhängig und damit wesentlich schärfer als im Bereich des
SGB IV und vor allem auch wesentlich schärfer als die im Gesetzesentwurf für beide Bereiche gleich angelegte Haftung ausgestaltet
ist.
Hinzu kommt, dass auch die weitere Ausdifferenzierung der Haftung in §
28e Abs
3c bis
3f SGB IV, insbesondere die Schaffung einer Wertgrenze in §
28e Abs
3d Satz 1
SGB IV, im Bereich des
SGB VII nicht zur Anwendung kommt, was eine weitere Verschärfung der Haftung gegenüber dem Haftungssystem des
SGB IV darstellt. Vor dem Hintergrund, dass es bei den Auseinandersetzungen während des Gesetzgebungsverfahrens um die Frage ging,
ob die Haftung in ihrer ursprünglichen, verschuldensabhängigen Fassung insgesamt zu weitgehend und damit ganz zu streichen
ist, ist es in keiner Weise nachvollziehbar, dass nunmehr eine im Vergleich zum Gesetzesentwurf deutlich verstärkte Haftung
dem Willen des Gesetzgebers entsprechen soll, ohne dass es hierzu irgendeine Art der Auseinandersetzung gegeben hätte. Gerade
der Umstand, dass sich die Haftung durch das Beibehalten des §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII und die Änderung des §
28e SGB IV für den Bereich des
SGB VII maßgeblich verstärkt, hätte eine Auseinandersetzung mit dieser zentralen Frage erwarten lassen und geradezu herausgefordert.
Das Schweigen zu diesem Punkt macht deutlich, dass dieser Punkt schlicht übersehen wurde.
Nachhaltige Gründe, die aus teleologischer oder systematischer Sicht ein derartiges Auseinanderfallen der Haftung im Bereich
der Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der Beiträge zur Unfallversicherung erfordern könnten, sind nicht ersichtlich.
Der maßgebliche Grund dafür, dass die Beiträge zur Unfallversicherung nicht gemeinsam mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen
eingezogen werden, liegt in der Art und Weise ihrer Ermittlung und Festsetzung. Die Gesamtsozialversicherungsbeiträge lassen
sich für den zur Abführung verpflichteten Arbeitgeber leicht ermitteln und sind von ihm eigenständig abzuführen.
Eines Verwaltungsaktes bedarf es hierfür nur im Streitfall (vgl BSG, Urteil vom 8. Dezember 1999 - B 12 KR 18/99 R - BSGE 85, 200, 201 = SozR 3-2400 § 28e Nr 2). Die Beiträge zur Unfallversicherung werden hingegen im Wege der nachträglichen Bedarfsdeckung
für jedes Unternehmen konkret ermittelt und durch Verwaltungsakt festgesetzt (vgl §§
152 ff
SGB VII). Dieser Umstand vermag jedoch einen unterschiedlichen Haftungsmaßstab in beiden Bereichen nicht zu rechtfertigen.
Gleiches gilt für einen Vergleich mit der Haftung des früheren § 729 Abs 2
RVO bzw des § 1a AEntG. Hinsichtlich der Regelung des inzwischen aufgehobenen § 729 Abs 2
RVO wurde schon unter 1. darauf hingewiesen, dass diese nicht mit der hier in Rede stehenden Haftung vergleichbar ist. Die verschuldensunabhängige
Haftung des § 1a AEntG dient dem unmittelbaren Schutz des Lohnanspruches des Arbeitnehmers und verfolgt daher eine andere Schutzrichtung als die
hier in Rede stehende Haftung. Denn im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Versicherte unabhängig von der
Zahlung der Versicherungsbeiträge geschützt. Dieser Gesichtspunkt vermag daher hier keine verstärkte Haftung des Arbeitgebers
zu rechtfertigen (vgl BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - NZA 2007, 609, 611).
Die somit aus einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers resultierende Gesetzeslücke ist im Rahmen der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung
dadurch zu schließen, dass die Reichweite der Verweisung des §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII über ihren Wortlaut hinaus auf die Anwendbarkeit von §
28e Abs
3a bis
3f SGB IV erweitert wird. Dass dabei die Grenze des Wortlautes des §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII überschritten wird (vgl LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Januar 2007 - L 4 U 57/06; SG Berlin, Urteil vom 26. Februar 2007 - S 25 U 732/06; Freischmidt in Hauck/Noftz,
SGB VII, Stand: Januar 2008, §
150 RdNr 20a; Bigge in Wannagat,
SGB VII, aaO, §
150 RdNr 9), steht dem nicht entgegen. Denn es liegt in der Natur der rechtsmethodischen Figur der Rechtsfortbildung, dass dabei
- in Abgrenzung zu den Grundsätzen der Auslegung eines Gesetzes - die Grenze des Wortlautes der Norm überschritten wird (Larenz,
aaO, S 366). Da sich die Rechtsfortbildung an die Regelungsabsicht, den Plan und die immanente Teleologie des Gesetzes hält,
welches fortgebildet wird, maßt sich die Judikative dabei keine Befugnisse der Legislativen an, sondern verhilft deren Werk
vielmehr auch in ungewollt lückenhaften Bereichen zur gewollten Geltung.
4. Die um das Redaktionsversehen bereinigte Haftung des §
150 Abs
3 SGB VII iVm §
28e Abs
3a bis
3f SGB IV begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und es besteht kein Anlass zu einer Vorlage nach Art 234 Abs 3 EGV.
Die Haftung stellt zwar eine Berufsausübungsregelung dar und greift damit in den Schutzbereich des Art
12 Abs
1 des Grundgesetzes (
GG) ein, dieser Eingriff ist jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Haftung dient der Wiederherstellung der Ordnung
auf dem Arbeitsmarkt und der finanziellen Stabilität der Versicherungsträger (vgl BT-Drucks 14/8221 S 12). Beide Ziele sind
als Gemeinschaftsgüter von hoher Bedeutung anerkannt (vgl BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - NZA 2007, 609 mwN). Die Haftung ist ein geeignetes, erforderliches und unter Berücksichtigung der bestehenden Exkulpationsmöglichkeit verhältnismäßiges
Mittel zur Durchsetzung der genannten Ziele (vgl auch Sehnert in Hauck/Haines,
SGB IV, aaO, §
28e RdNr 13; Felix in Wannagat,
SGB IV, aaO, § 28e RdNr 33; zu § 1a AEntG vgl BVerfG, aaO, NZA 2007, 609, 611).
Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art
3 Abs
1 GG ist nicht ersichtlich.
Art
3 Abs
1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl BVerfG, Beschluss
vom 15. Juli 1998 - 1 BvR 1554/89 - BVerfGE 98, 365, 385). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz kommt daher in Betracht, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Normadressaten
im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art
und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (stRspr des BVerfG, vgl Beschluss vom
26. Juni 2007 - 1 BvR 2204/00, 1 BvR 1355/03 - SozR 4-2600 § 2 Nr 10 RdNr 32).
Die Beschränkung der Haftung nach §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII auf Unternehmer des Baugewerbes, die andere Unternehmer mit der Ausführung von Bauleistungen beauftragen, ist sachlich gerechtfertigt
(vgl Sehnert in Hauck/Haines,
SGB IV, aaO, §
28e RdNr 14). Nach den Erkenntnissen des Gesetzgebers ist für das Baugewerbe der Einsatz von Nachunternehmern typisch und die
illegale Beschäftigung im Baugewerbe ausgeprägt (vgl BT-Drucks 14/8221 S 16). Dies rechtfertigt die Beschränkung der Haftung
auf Unternehmer des Baugewerbes und verlangt nicht die Einbeziehung weiterer Branchen in die Haftung. Da Haftungsgrund die
gewerbliche Beauftragung eines Nachunternehmers mit der Durchführung der Bauleistungen ist, ist es gerechtfertigt, die Haftung
nach §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII auf gewerbliche Bauunternehmer zu beschränken und andere Unternehmer, die als Bauherrn auftreten, von der Haftung auszunehmen.
Da der vorliegende Fall einen rein innerstaatlichen Sachverhalt ohne Verbindung zum Europäischen Recht aufweist, kommt eine
Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art 234 Abs 3 EGV schon aus diesem Grund nicht in Betracht (vgl BSG, Beschluss vom 28. September 2005 - B 6 KA 19/05 B und Beschluss vom 27. April 2006 - B 6 KA 38/04 B, jeweils mwN).
5. Ob die Voraussetzungen der Haftung nach §
150 Abs
3 Alt 2
SGB VII iVm §
28e Abs
3a bis
3f SGB IV im vorliegenden Fall erfüllt sind, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden, weil das angefochtene Urteil keine ausreichenden
Feststellungen zur Prüfung der Voraussetzungen des §
28e Abs
3b und
3d Satz 1
SGB IV enthält.
§
28e Abs
3d Satz 1
SGB IV lässt die Haftung des Absatz
3a erst ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 500.000 Euro eingreifen.
Dabei kommt es nach dem Wortlaut der Regelung nicht auf den Wert des für den konkreten Haftungsanspruch in Rede stehenden
Auftrags, sondern auf den Gesamtwert aller für das Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen an, ohne dass es eine Rolle
spielt, wer diese Aufträge erteilt hat (vgl Sehnert in Hauck/Haines,
SGB IV, aaO, §
28e RdNr 19; Werner in jurisPK-
SGB IV, §
28e RdNr 77; Felix in Wannagat,
SGB IV, aaO, §
28e RdNr 35; Rixen, SGb 2002, 536, 538). Die Haftung greift damit erst ab einer bestimmten Größe des Bauwerkes, für das der Auftrag erteilt wurde, ein. Auf
diese Weise werden kleinere Bauvorhaben mit einem kalkulatorischen Vorteil begünstigt und wirtschaftlich gesehen die mittelständischen
Bauunternehmen und die Betriebe des Handwerks, insbesondere im Reihen- und Einfamilienhausbau, gefördert (vgl Werner in jurisPK-
SGB IV, §
28e RdNr 77). Nur bei einem solchen Verständnis der Regelung macht auch der Verweis des §
28e Abs
3d Satz 2
SGB IV auf § 3 der Vergabeverordnung vom 9. Januar 2001 (BGBl I 110) Sinn. Denn wollte man auf den Wert des konkret in Rede stehenden Auftrags abstellen (so LSG
Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Juni 2007 - L 1 U 6465/06; Seewald in Kasseler Kommentar,
SGB IV, Stand: Dezember 2007, §
28e RdNr 36), fragt es sich, wofür eine Schätzung erforderlich sein sollte, da davon ausgegangen werden kann, dass dieser Wert
regelmäßig bekannt ist.
Es ist daher bezogen auf den vorliegenden Fall zunächst festzustellen, für welche Bauwerke die sieben hier in Rede stehenden
Aufträge der Klägerin an die S-GmbH erteilt wurden. Dann ist im Rahmen einer Schätzung nach den Maßgaben des §
28e Abs
3d Satz 2
SGB IV zu ermitteln, ob der Wert aller für das jeweilige Bauwerk insgesamt in Auftrag gegebener Bauleistungen 500.000 Euro übersteigt.
Ein Haftungsanspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin kommt dann überhaupt nur in Bezug auf die Aufträge in Betracht,
die für ein Bauwerk erteilt wurden, bei dem diese Wertgrenze von 500.000 Euro überschritten wurde. Der Wert des konkreten
Auftrags der Klägerin an die S-GmbH spielt nicht hier, sondern erst bei der konkreten Höhe des gegebenenfalls bestehenden
Haftungsanspruches der Beklagten gegenüber der Klägerin eine Rolle.
Der Senat kann die Prüfung des §
28e Abs
3d SGB IV nicht vornehmen, da die hierfür notwendigen Feststellungen vom LSG nicht getroffen wurden und von dem Senat nicht selbst
nachgeholt werden können. Die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Für den Fall des Überschreitens der Wertgrenze des §
28e Abs
3d Satz 1
SGB IV wird das LSG außerdem zu entscheiden haben, ob sich die Klägerin entsprechend ihrem Vortrag nach §
28e Abs
3b SGB IV exkulpieren kann.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs 1, § 63 Abs 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in der ab 1. Juli 2004 geltenden Fassung, die hier gemäß § 72 Nr 1 GKG anzuwenden ist.