Kein Ruhen des Anspruchs auf Kinderkrankengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung bei bereits vor Beginn der Elternzeit
entstandenen Ansprüchen
Gründe:
I
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Krankengeld (Krg) bei Erkrankung des Kindes.
Der am 2001 geborene Sohn J. der Klägerin verstarb im August 2012 infolge einer Erkrankung an Adrenoleukodystrophie (ALD).
Diese seltene, genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung tritt im Kindesalter auf und führt zu einer Degeneration des Nervensystems
mit Lernbehinderungen, Wahrnehmungsproblemen, Konzentrationsstörungen, Verlust des Langzeit- und des Kurzzeitgedächtnisses,
Behinderungen der Koordination und Gehfähigkeit, emotionalen Störungen, im Endstadion zu ausgeprägter Demenz und schließlich
zum Verlust der lebenswichtigen Körperfunktionen und zum Tod.
Die bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin übte eine Erwerbstätigkeit im Umfang von 30 Wochenstunden aus und hat wegen
der Erkrankung ihres Kindes bis zum 27.3.2011 bereits für etwa 700 Tage Krg nach §
45 Abs
4 SGB V bezogen. Anschließend bezog sie vom 28.3.2011 bis 4.7.2011 aufgrund einer weiteren Schwangerschaft und der Geburt ihres zweiten
Sohnes J. am 3.5.2011 Mutterschaftsgeld und vom Arbeitgeber hierzu einen Zuschuss. Unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen
vom 4.7.2011 sowie vom 3.8.2011, in denen ein Beaufsichtigungs-, Betreuungs- und Pflegebedarf des Kindes bis einschließlich
30.8.2011 angegeben wurde, beantragte die Klägerin erneut Krg wegen der Erkrankung ihres erstgeborenen Sohnes ab 4.7.2011.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12.7.2011 ab, weil die Klägerin nach ihren Unterlagen in der Zeit vom 5.7.2011
bis 2.5.2012 Elterngeld beziehe, das gegenüber dem Krg bei Erkrankung eines Kindes vorrangig sei, und fügte mit Bescheid vom
11.8.2011 hinzu, die Klägerin befinde sich seit dem 3.5.2011 in Elternzeit und stehe dem Arbeitgeber daher nicht zur Verfügung.
Den Widerspruchsbescheid vom 14.12.2011 begründete die Beklagte außerdem damit, die strengen Voraussetzungen für einen längeren
Bezug von Krg bei Erkrankung eines Kindes nach §
45 Abs
4 SGB V, insbesondere eine nur noch begrenzte Lebenserwartung lägen derzeit beim Sohn der Klägerin - erfreulicherweise - nicht vor.
Das SG hat die auf Zahlung von Krg für die Zeit vom 4.7.2011 bis 30.8.2011 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 5.6.2012); die
Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben (Beschluss vom 10.12.2014). Die Beklagte hat im Berufungsverfahren eingeräumt,
dass die Voraussetzungen einer begrenzten Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten nach §
45 Abs
4 SGB V im streitigen Zeitraum vorgelegen haben. Das Berufungsgericht hat dies nach eigener Überzeugung bestätigt und hierzu ausgeführt,
die Klägerin habe aufgrund dieser Vorschrift bereits 700 Tage Krg erhalten, und auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung
(MDK) sei vom Vorliegen der Voraussetzungen des §
45 Abs
4 Satz 1 Buchst a und b
SGB V im streitigen Zeitraum ausgegangen. Der Krg-Anspruch ruhe jedoch nach §
49 Abs
1 Nr
2 1. Halbsatz
SGB V, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) in Anspruch genommen habe. Während der Elternzeit werde regelmäßig kein Arbeitsentgelt erzielt, das durch das Krg ersetzt
werden müsse. Die Zahlung von Krg während der Elternzeit sei nicht systemgerecht. Das Gesetz lasse nach §
49 Abs
1 Nr
2 2. Halbsatz 1. Alt
SGB V eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Ruhen des Anspruchs nur für den Fall des Krg-Bezuges aufgrund von Arbeitsunfähigkeit,
nicht für den Anspruch auf Krg bei Erkrankung eines Kindes zu. Eine analoge Anwendung komme mangels einer planwidrigen Regelungslücke
und des differenzierten Regelungsgefüges der Krg-Vorschriften nicht in Betracht. Zudem setze diese Vorschrift einen nahtlosen
Bezug von Krg bis zum Beginn der Elternzeit voraus. Die Klägerin habe aber nur bis zum 27.3.2011 Krg bezogen und die Elternzeit
habe erst am 3.5.2011 begonnen.
Mit der auf die Zahlung von Krg ab 5.7.2011 begrenzten Revision macht die Klägerin geltend, die Ausnahme vom Ruhenstatbestand
nach §
49 Abs
1 Nr
2 2. Alt
SGB V sei bei systemkonformer, erweiternder Auslegung auch auf einen Krg-Anspruch wegen Erkrankung eines Kindes anwendbar. Ein
solcher Krg-Anspruch habe ihr über den 27.3.2011 hinaus durchgängig zugestanden. Die Beklagte habe trotzdem ab 28.3.2011 Mutterschaftsgeld
geleistet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 5. Juni 2012 sowie den Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom
10. Dezember 2014 zu ändern, die Bescheide der Beklagten vom 12. Juli 2011 und 11. August 2011, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14. Dezember 2011, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld für den Zeitraum vom 5. Juli 2011
bis 30. August 2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die instanzgerichtlichen Urteile und führt ergänzend aus, aufgrund der Entgeltersatzfunktion des Krg
werde dieses nicht gezahlt, wenn ohnehin kein Anspruch auf Arbeitsentgelt bestehe. Der Doppelbezug zweckidentischer Leistungen
sei sozialpolitisch unerwünscht und werde als nicht gerechtfertigte Begünstigung angesehen. Hätte der Gesetzgeber auch die
Erkrankung und Pflege- bzw Betreuungsbedürftigkeit eines Kindes des Versicherten nach §
45 SGB V in die Ausnahmeregelung mit aufnehmen wollen, hätte es nahe gelegen, statt des unmissverständlichen Begriffs der Arbeitsunfähigkeit
den allgemeinen Begriff des Versicherungsfalls zu verwenden oder die Leistungsvoraussetzungen des §
45 SGB V ergänzend mit aufzunehmen bzw die Einbeziehung des Tatbestandes des §
45 SGB V deutlich zu machen.
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihr steht im jetzt noch streitigen Zeitraum vom 5.7.2011 bis 30.8.2011 Krg in gesetzlicher
Höhe zu. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Krg bei Erkrankung des Kindes (sog Kinderkrankengeld), das in den Fällen des
§
45 Abs
4 SGB V grundsätzlich unbefristet zu gewähren ist, lagen im Streitzeitraum vor; ein Ruhen des Anspruchs ist nicht eingetreten.
1. Das LSG hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Voraussetzungen des Krg-Anspruchs bei Erkrankung des Kindes nach §
45 Abs
4 SGB V (idF durch das Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26.7.2002, BGBl I 2872) im streitigen
Zeitraum vorlagen. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung und Pflege ihres erkrankten
und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, sofern das Kind das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert
und auf Hilfe angewiesen ist und nach ärztlichem Zeugnis an einer Erkrankung leidet, a) die progredient verläuft und bereits
ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat, b) bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativ-medizinische Behandlung
notwendig oder von einem Elternteil erwünscht ist und c) die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen
Monaten erwarten lässt.
Der Anspruch besteht grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung, und das LSG hat sich rechtsfehlerfrei den mit den vorgelegten
ärztlichen Bescheinigungen übereinstimmenden Ausführungen des MDK zu den medizinischen Voraussetzungen dieser Vorschrift angeschlossen.
Die Klägerin hatte daher in der streitigen Zeit einen Anspruch auf Krg in gesetzlicher Höhe.
2. Der Anspruch hat entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten nicht geruht. Nach §
49 Abs
1 Nr
2 SGB V ruht der Anspruch auf Krg während der Elternzeit. Obwohl sich die Klägerin im hier maßgeblichen Zeitraum (5.7.2011 bis 30.8.2011)
in Elternzeit befand, tritt der Ruhenstatbestand nicht ein. §
49 Abs
1 Nr
2 SGB V erfasst nicht solche Krg-Ansprüche, die bereits vor Beginn der Elternzeit entstanden sind und bezogen wurden. In Parallelität
zur Fortzahlung des Krg bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist für den Fall, dass bereits vor Inanspruchnahme der Elternzeit
laufend Krg bezogen wurde, der Verdienstausfall der Erkrankung (der eigenen oder der des Kindes) zuzuordnen und nicht der
Inanspruchnahme von Elternzeit. Es beruht lediglich auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers, dass er diese systemgerechte
Fortzahlung laufender Krg-Ansprüche für das Kinderkrankengeld nicht ausdrücklich im Wortlaut der genannten Ruhensvorschrift
verankert hat. Dies lässt sich der Entstehungsgeschichte dieses komplexen Regelungsgefüges an der Schnittstelle zwischen Elternzeit/Elterngeld
bzw dem früheren Erziehungsurlaub/Erziehungsgeld einerseits und dem Krg andererseits deutlich entnehmen (hierzu a). Dieses
Normverständnis führt wegen der gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit, Krg und Elterngeld unter Berücksichtigung
von Anrechnungsvorschriften nebeneinander zu beziehen, nicht zu einem unberechtigten Doppelbezug von Leistungen, sondern vielmehr
dazu, dass die mit der Elternzeit und dem Elterngeld beabsichtigten gesetzgeberischen Ziele umgesetzt, die vorgesehenen Leistungen
gewährt und die verfassungsmäßigen Wertentscheidungen aus Art
6 Abs
1,
2,
4 GG und Art
3 Abs
1,
2 GG beachtet werden (hierzu b). Der Krg-Anspruch der Klägerin war bereits vor Beginn ihrer Elternzeit entstanden und sie hat
tatsächlich Krg bezogen (hierzu c).
a) Nach §
49 Abs
1 Nr
2 SGB V (idF des Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes vom 5.12.2006, BGBl I 2748) ruht der Anspruch auf Krg, solange Versicherte
Elternzeit nach dem BEEG in Anspruch nehmen; dies gilt nicht wenn die Arbeitsunfähigkeit vor Beginn der Elternzeit eingetreten ist oder das Krg aus
dem Arbeitsentgelt zu berechnen ist, das aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung während der Elternzeit erzielt worden
ist.
aa) Diese Vorschrift geht auf eine Regelung mit gleichem Inhalt zurück, die bereits mit dem Gesetz über die Gewährung von
Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG vom 6.12.1985, BGBl I 2154) zum 1.1.1986 in die damals noch geltende
Reichsversicherungsordnung (§ 189 Abs 2
RVO) eingefügt wurde. Danach ruhte der Anspruch auf Krg für die Zeit, in der Versicherte Erziehungsurlaub nach dem BErzGG erhielten. Dies galt nach Satz 2 dieser Vorschrift nicht, wenn die Arbeitsunfähigkeit vor Beginn des Erziehungsurlaubs eingetreten
ist oder das Krg aus dem Arbeitsentgelt zu berechnen war, das durch Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung
während des Erziehungsurlaubs erzielt wurde. Abgesehen von der Übernahme der Vorschrift in das
SGB V und redaktionellen Anpassungen an das Gesetz zur Änderung des Begriffs "Erziehungsurlaub" vom 30.11.2000 (BGBl I 1638) und
an das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom 5.12.2006 (BGBl I 2748), mit dem das BEEG beschlossen wurde, ist diese Regelung einschließlich der Ausnahmetatbestände seitdem inhaltlich unverändert beibehalten worden.
bb) Die Ruhensvorschrift ist damit gleichzeitig mit der erstmaligen Einführung eines Anspruchs auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub
entstanden. Nach den Vorschriften des damaligen BErzGG schloss der Bezug von Krg einen Anspruch auf Erziehungsgeld und damit auch einen Anspruch auf Erziehungsurlaub aus, wenn
der Bemessung des Krg ein Arbeitsentgelt für eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung zugrunde lag (§ 2 Abs 2, § 1 Abs 1, § 15 Abs 1 Satz 1 BErzGG idF vom 6.12.1985; auch in der Gesetzesbegründung ist der Ausschluss des Erziehungsgeldanspruchs bei Bezug von Krg ausdrücklich
aufgeführt; vgl BT-Drucks 10/3792 S 15). Wenn wegen des Bezugs von Krg kein Anspruch auf Erziehungsurlaub bestand, konnte
dieser ein Ruhen des Krg-Anspruchs bereits tatbestandlich nicht auslösen.
Der Anspruch auf Krg zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes ist bereits Anfang 1974 in die
RVO aufgenommen worden (dort in § 185c
RVO aF; durch das Gesetz zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung [Leistungsverbesserungsgesetz
- KLVG] vom 19.12.1973, BGBl I 1925) und war daher dem Gesetzgeber bei Erlass des BErzGG am 6.12.1985 (BGBl I 2154) bereits seit langem bekannt. Dennoch hat der Gesetzgeber den Vorrang des Krg-Bezugs im BErzGG ohne Unterscheidung zwischen dem Krg-Anspruch wegen Arbeitsunfähigkeit und dem Anspruch auf Krg wegen der Erkrankung eines
Kindes normiert. Soweit der Versicherte schon im Bezug von Krg auf der Basis einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung stand,
bevor er Erziehungsurlaub geltend machte, war der Anspruch auf Erziehungsgeld und auf Erziehungsurlaub ausgeschlossen (§ 2 Abs 2, § 1 Abs 1 BErzGG bzw § 15 Abs 1 Satz 1 BErzGG jeweils idF vom 6.12.1985). Ein Ruhen des Krg-Anspruchs trat danach auch für das Kinderkrankengeld nicht ein. Daraus wird
deutlich, dass der Gesetzgeber durch den Anspruch auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub jedenfalls nicht in einen bereits
entstandenen und zur Auszahlung gebrachten Krg-Anspruch eingreifen wollte, und zwar auch nicht in den Bezug von Kinderkrankengeld.
cc) Der damit im BErzGG normierte Vorrang des laufenden Krg-Bezugs, der nicht durch die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub unterbrochen werden
sollte, beruht auf der Entgeltersatzfunktion des auf einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung basierenden Krg und ist systemkonform.
Wenn der Gesetzgeber im BErzGG einen Vorrang der laufenden Krg-Leistung normiert und gleichzeitig in den Gesetzesmaterialien zu der Ruhensvorschrift des
§ 189 Abs 2
RVO (heute: §
49 Abs
1 Nr
2 SGB V) ausführt, es bestehe kein Anlass zur Zahlung von Krg, soweit während des Erziehungsurlaubs kein Arbeitsentgelt erzielt wird
(vgl insoweit schon die Gesetzesbegründung zu § 189 Abs 2
RVO, BT-Drucks 10/4212 S 2, 3, 7), kann die Ruhensvorschrift nur solche Krg-Ansprüche betreffen, deren Zahlung erst während des
Erziehungsurlaubs veranlasst ist, nicht solche Leistungen, die bereits vorher laufend bezogen wurden. Denn Krg wird sogar
über das Ende eines Beschäftigungsverhältnisses hinaus fortgezahlt und wirkt insofern mitgliedschaftserhaltend (§
192 Abs
1 Nr
2 SGB V). Erst recht muss das bereits laufende Krg dann fortgezahlt werden, wenn die gegenseitigen Pflichten eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses
lediglich für bestimmte Zeiten der Kindererziehung ruhen. Besteht ein Anspruch auf Krg bereits vor Beginn des Erziehungsurlaubs
bzw der Elternzeit, dann wird der Grund für die Freistellung von der Arbeitsleistung und für das Entfallen des Entgeltanspruchs
der Erkrankung (der eigenen oder der des Kindes) zugerechnet und nicht dem Erziehungsurlaub bzw der Elternzeit. Die vom Gesetzgeber
intendierte soziale Absicherung im Krankheitsfall erstreckt sich auf diese Zeiträume. Das zeigt sich auch daran, dass das
Ruhen des Krg-Anspruchs ausschließlich an die Inanspruchnahme des arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs des Versicherten
gegenüber seinem Arbeitgeber für bestimmte Zeiten der Kindererziehung, dh früher an den Erziehungsurlaub, heute an die Elternzeit
geknüpft wurde. Es geht dem Gesetzgeber an dieser Stelle also nicht um die Vermeidung unberechtigter Doppelleistungen von
Krg und Erziehungsgeld bzw Elterngeld - hierfür fanden sich entsprechende Regelungen vielmehr im BErzGG, heute können nach dem BEEG beide Leistungen unter Berücksichtigung von Anrechnungsvorschriften nebeneinander bezogen werden -, sondern lediglich um
die Steuerung der Entgeltersatzfunktion des Krg als Kompensation für krankheitsbedingt (wegen Arbeitsunfähigkeit oder der
Erkrankung eines Kindes) ausgefallenes Arbeitsentgelt. Erst daraus erklärt sich, warum der Gesetzgeber im BErzGG Versicherten, die Krg auf der Basis einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung beziehen, keinen Anspruch auf Erziehungsurlaub
gegenüber ihrem Arbeitgeber eingeräumt hat. Auch der Grund für die ausdrücklich vom Ruhen des Krg-Anspruchs ausgenommenen
Zeiten des Erziehungsurlaubs bzw der Elternzeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit vor deren Beginn eingetreten ist, liegt in der
Entgeltersatzfunktion des Krg und der grundsätzlichen Annahme, beim Zusammentreffen einer Erkrankung mit Erziehungsurlaub
bzw Elternzeit den damit verbundenen Arbeitsentgeltausfall jeweils dem zuerst eingetretenen Ereignis zuzurechnen (bezüglich
dieser gesetzlichen Ausnahme vom Ruhen des Krg-Anspruchs während des Erziehungsurlaubs bzw der Elternzeit enthalten die Gesetzesmaterialien
keine Begründung, vgl BT-Drucks 10/4212 S 2, 3, 7).
Im Ergebnis deckt sich dies mit der Rechtsprechung des BAG (BAGE 66, 126 = AP Nr 4 zu § 15 BErzGG), nach der eine Arbeitnehmerin erklären kann, den Erziehungsurlaub erst nach dem Ende einer Arbeitsunfähigkeit anzutreten.
In diesem Fall ist die Arbeitsunfähigkeit ursächlich für den Verdienstausfall, und es besteht grundsätzlich ein entsprechender
Lohnfortzahlungsanspruch.
dd) Die bereits in § 189 Abs 2 Satz 2
RVO (heute: §
49 Abs
1 Nr
2 2. Halbsatz
SGB V) enthaltene Ausnahme, dass der Anspruch auf Krg für die Zeit des Erziehungsurlaubs nicht ruht, wenn die Arbeitsunfähigkeit
vor Beginn des Erziehungsurlaubs eingetreten ist, hatte auch vor dem Hintergrund des bereits im BErzGG vom 6.12.1985 deutlich geregelten Vorrangs des Krg-Bezugs vor dem Anspruch auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub nicht
lediglich eine klarstellende Funktion. Der Ausnahme kommt vielmehr - damals wie heute - wegen des gesetzlich unabdingbaren
Anspruchs auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für sechs Wochen eine erhebliche eigenständige Bedeutung zu. Aufgrund des
gesetzlichen Lohnfortzahlungsanspruchs setzt der Bezug von Krg regelmäßig erst mit einer zeitlichen Verzögerung um diese sechs
Wochen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ein. Mit der Regelung des § 189 Abs 2 Satz 2 1. Alt
RVO (heute: §
49 Abs
1 Nr
2 2. Halbsatz 1. Alt
SGB V) hat der Gesetzgeber auch diesem 6-wöchigen Abschnitt der Arbeitsunfähigkeit Vorrang vor dem Anspruch auf Erziehungsgeld
und Erziehungsurlaub (heute: Elterngeld und Elternzeit) eingeräumt und damit dem vorrangigen Krg-Bezug eine noch größere Bedeutung
beigemessen.
Für den Anspruch auf Kinderkrankengeld hat der Gesetzgeber offenbar keine Notwendigkeit gesehen, den Vorrang dieses Anspruchs
an ein anderes Kriterium als den Leistungsbezug zu knüpfen. Diesbezüglich kann allerdings nicht von einer gesetzlichen Regelungslücke
ausgegangen werden. Denn für die Zeit der Erkrankung eines Kindes besteht kein dem Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall
vergleichbarer, unabdingbarer Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Zwar kann im Falle der Pflege und Betreuung eines
erkrankten Kindes ebenfalls ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach §
616 Satz 1
BGB bestehen; ein solcher Anspruch ist aber vertraglich abdingbar und wird in der Praxis in zahlreichen Tarifverträgen tatsächlich
auch abbedungen (vgl zB TVÖD § 29 Abs 1 Buchst e bb; siehe auch Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand
Juni 2015, §
45 SGB V RdNr 87a ff). Außerdem ist ein solcher Arbeitsentgeltanspruch auf eine "verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" von etwa fünf
Tagen (vgl BAGE 30, 240 = AP Nr 48 zu §
616 BGB = USK 7842, mwN) begrenzt. Vor dem Hintergrund, dass für den laufenden Bezug von Krg ohnehin dessen Vorrangigkeit vor dem
Erziehungsgeld und dem Erziehungsurlaub bereits im BErzGG geregelt war, erschließt sich, dass der Gesetzgeber in der Ruhensvorschrift zum Krg-Anspruch tatsächlich lediglich im Fall
der Arbeitsunfähigkeit diesen Vorrang nicht auf den Bezug von Krg beschränken, sondern bereits an den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit
knüpfen wollte. Insoweit besteht für das Kinderkrankengeld keine Möglichkeit einer erweiternden Auslegung. Das Kinderkrankengeld
ruht im Falle des Zusammentreffens mit Erziehungsurlaub/Elternzeit lediglich dann nicht, wenn das Krg bereits vor Beginn des
Erziehungsurlaubs bzw der Elternzeit bezogen wurde.
ee) Bei den nachfolgenden Gesetzesänderungen zum BErzGG wurde dieser komplizierte Zusammenhang zwischen Erziehungsurlaub, Erziehungsgeld (bzw heute Elternzeit und Elterngeld) und
dem Ruhen des Krg-Anspruchs nach §
49 Abs
1 Nr
2 SGB V nicht hinreichend berücksichtigt. Die hohe Komplexität des Regelungsgefüges an der Schnittstelle zwischen Krg und Erziehungsgeld
und -urlaub bzw Elterngeld und -zeit, verbunden mit flankierenden arbeitsrechtlichen Regelungen, ist der Grund dafür, dass
die gesetzgeberische Intention, einen bereits zur Auszahlung gebrachten, auf einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung basierenden
Krg-Anspruch nicht durch die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub bzw Elternzeit zum Ruhen zu bringen, bei späteren Änderungen
des BErzGG keinen Eingang mehr in den Wortlaut der Ruhensvorschrift des §
49 Abs
1 Nr
2 SGB V gefunden hat, obwohl sich diese Absicht des Normgebers auch der weiteren Entwicklung des Regelungskomplexes deutlich entnehmen
lässt.
Bei Einführung des BErzGG ergab sich ein geschlossenes System. Zu dieser Zeit war während des Bezugs von Krg, das auf einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung
basierte, nicht nur ein Anspruch auf Erziehungsgeld, sondern zugleich auch ein Anspruch auf Erziehungsurlaub ausgeschlossen.
Der ausschließlich an die Inanspruchnahme des arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs in Form des Erziehungsurlaubs anknüpfende
Ruhenstatbestand des § 189 Abs 2
RVO konnte daher während des Bezugs von Krg nicht ausgelöst werden, sofern dem eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung zugrunde
lag. Der Ausschluss eines Anspruchs auf Erziehungsurlaub während des Krg-Bezugs beruhte auf der Anbindung der Voraussetzungen
des Erziehungsurlaubs an den Anspruch auf Erziehungsgeld (§ 15 Abs 1 Satz 1 BErzGG idF vom 6.12.1985). Diesen Zusammenhang zwischen Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub hob der Gesetzgeber zum 1.1.1992 (mit
dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom 6.12.1991, BGBl I 2142) auf und regelte beide Ansprüche unabhängig voneinander. Das führte dazu,
dass zwar weiterhin ein Anspruch auf Erziehungsgeld ausgeschlossen war, wenn Krg bezogen wurde (nunmehr lediglich, wenn das
Krg nach einer mehr als 19 Wochenstunden umfassenden Beschäftigung zu bemessen war); der lediglich gegen den Arbeitgeber auf
Freistellung von der Arbeitsverpflichtung gerichtete Anspruch auf Erziehungsurlaub blieb davon jedoch unberührt (§§ 1, 2 und 15 BErzGG idF vom 6.12.1991). Erst durch diese Abkoppelung wurde es möglich, während des laufenden Krg-Bezugs (auf der Basis einer
mehr als 19 Wochenstunden umfassenden Beschäftigung) Erziehungsurlaub in Anspruch zu nehmen. Es handelt sich jedoch lediglich
um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers, dass er im Zuge der Trennung der Ansprüche auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub
den Zusammenhang zum Krg und insbesondere zu der Ruhensvorschrift des §
49 Abs
1 Nr
2 SGB V übersehen und dort keine entsprechende Anpassung des Wortlauts vorgenommen hat. Denn mit der Trennung der Ansprüche auf Erziehungsgeld
und Erziehungsurlaub war eine Änderung des Krg-Rechts nicht beabsichtigt. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Änderung des
BErzGG zum 1.1.1992 (mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom 6.12.1991, BGBl I 2142) den Anspruch auf Erziehungsurlaub unter weiteren Voraussetzungen bis
zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes verlängert (§ 15 BErzGG idF vom 6.12.1991). Erziehungsgeld wurde hingegen nur bis zur Vollendung des achtzehnten, bzw für nach dem 31.12.1992 geborene
Kinder bis zur Vollendung des vierundzwanzigsten Lebensmonats gewährt (§ 4 BErzGG idF vom 6.12.1991). Allein deshalb mussten für beide Ansprüche selbstständige Voraussetzungen normiert werden (BR-Drucks
481/91 S 12; BT-Drucks 12/1125 S 8). In den Gesetzmaterialien wird an keiner Stelle erkennbar, dass der Gesetzgeber mit dieser
Entkoppelung im BErzGG zugleich eine Änderung im Krg-Recht beabsichtigte. Hierfür bestehen auch ansonsten keine Anhaltspunkte. Es spricht vielmehr
alles dafür, dass die insoweit erforderliche Anpassung der Ruhensvorschrift im Krg-Recht lediglich redaktionell übersehen
wurde. Denn Probleme erwachsen aus diesem gesetzgeberischen Versehen lediglich im Hinblick auf den Kinderkrankengeldanspruch,
der im Vergleich zum Anspruch auf Krg wegen Arbeitsunfähigkeit weitaus weniger häufig und vor allem in der Regel nur für sehr
kurze Zeiträume in Anspruch genommen wird. Im Regelfall des Krg-Anspruchs wegen Arbeitsunfähigkeit macht sich das gesetzgeberische
Versehen hingegen nicht bemerkbar, weil der Krg-Anspruch nach §
49 Abs
1 Nr
2 2. Halbsatz 1. Alt
SGB V nicht ruht, wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits vor Beginn des Erziehungsurlaubs bzw der Elternzeit eingetreten ist.
Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf einen bereits zur Auszahlung gebrachten Krg-Anspruch
bei der Inanspruchnahme von Elternzeit zwischen dem auf Arbeitsunfähigkeit beruhenden Krg und dem sog "Kinderkrankengeld"
eine Unterscheidung treffen wollte. Vielmehr hat der Gesetzgeber den Anspruch auf Krg bei Erkrankung des Kindes nach §
45 Abs
1 SGB V ebenfalls zum 1.1.1992 (mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.12.1991, BGBl I 2325) von lediglich fünf Arbeitstagen je Kind erweitert auf die heute noch geltenden 10 Arbeitstage
für jedes Kind und 25 Arbeitstage insgesamt, für Alleinerziehende auf 20 Arbeitstage je Kind bzw 50 Arbeitstage insgesamt.
Zudem hat er mit dem Gesetz zur Sicherung der Betreuung und Pflege schwerstkranker Kinder vom 26.7.2002 (BGBl I 2872) den
zeitlich unbeschränkten Anspruch nach §
45 Abs
4 SGB V eingeführt, der allerdings nur in den seltenen Fällen einer begrenzten Lebenserwartung des Kindes in Betracht kommt. Er hat
damit dem Kinderkrankengeld eine stetig größere Bedeutung zugemessen, auch wenn längere Bezugszeiträume weiterhin selten sind.
ff) Die nachfolgenden Gesetzesänderungen zeigen, dass der Gesetzgeber seine Absicht, einen bereits zur Auszahlung gebrachten
Krg-Anspruch nicht wegen der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub bzw Elternzeit zum Ruhen zu bringen, bis heute nicht geändert
hat. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom 29.12.2003 (BGBl I 3076) hat der Gesetzgeber die Regelung des § 2 Abs 2 BErzGG idF vom 6.12.1985 aufgehoben und gleichzeitig in § 6 Abs 1 BErzGG idF vom 29.12.2003 die Anrechnung von Entgeltersatzleistungen, zu denen ausdrücklich auch das Krg zählte (§ 6 Abs 1 Satz 3 BErzGG idF vom 9.2.2004), bei der Berechnung des Erziehungsgeldes normiert. Nach einem nicht öffentlich zugänglichen Kurzprotokoll
des Haushaltsausschusses (Protokoll Nr 15/28 zur 28. Sitzung des Haushaltsausschusses am 15.10.2003) ist zur Begründung ausgeführt,
die Bezieher dieser Entgeltersatzleistungen hätten ausreichend Zeit, sich um die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder zu kümmern.
Deshalb sollte der Bezug von Entgeltersatzleistungen den Anspruch auf Erziehungsgeld zukünftig nicht mehr vollständig ausschließen,
sondern nur noch zur Anrechnung bei der Berechnung der Höhe des Erziehungsgeldes führen. Bei dieser Gesetzesänderung im Jahre
2004 ging der Gesetzgeber also davon aus, dass laufendes Krg - unter Berücksichtigung bestimmter Anrechnungsvorschriften -
neben dem Erziehungsgeld weiter gewährt und nicht zum Ruhen gebracht wird. Der Erziehungsurlaub sollte davon unabhängig unter
bestimmten Voraussetzungen beim Arbeitgeber in Anspruch genommen werden.
Daran hat sich durch die Einführung des BEEG zum 1.1.2007 und seinen zwischenzeitlichen Änderungen bis heute nichts geändert. Elterngeld wird heute in Höhe von 67 % des
Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt (§ 2 Abs 1 Satz 1 BEEG). Das Krg ist kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit und bleibt daher bei der Berechnung der Höhe des Elterngeldes nach § 2 BEEG unberücksichtigt, wird dann jedoch nach § 3 Abs 1 Nr 5 Buchst a BEEG auf das Elterngeld angerechnet, wobei nach § 3 Abs 2 BEEG das Elterngeld in Höhe von 300 Euro anrechnungsfrei bleibt. Deshalb hat die Klägerin, die im Bemessungszeitraum vor der Geburt
ihres zweiten Sohnes lediglich Krg und kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit bezogen hat, nur Anspruch auf das Mindestelterngeld
in Höhe von 300 Euro nach § 2 Abs 5 BEEG, auf welches das Krg nicht angerechnet wird (§ 3 Abs 2 BEEG). Krg kann daher weiterhin - unter Berücksichtigung bestimmter Anrechnungsvorschriften - neben dem Elterngeld bezogen werden,
und das Recht auf Elternzeit ist ein davon unabhängiger Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit gegen den Arbeitgeber.
b) Dieses Normverständnis führt nicht zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten und damit unberechtigten Doppelbezug von
Leistungen (hierzu aa). Vielmehr können erst dadurch die mit der Elternzeit und dem Elterngeld beabsichtigten gesetzgeberischen
Ziele umgesetzt und die vorgesehenen Leistungen in dem vom Gesetzgeber gewünschten Umfang gewährt sowie die verfassungsmäßigen
Wertentscheidungen aus Art
6 Abs
1,
2,
4 GG und Art
3 Abs
1,
2 GG hinreichend beachtet werden (hierzu bb).
aa) Zu einem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Doppelbezug von Leistungen kann dieses Normverständnis schon deshalb nicht
führen, weil bei Einführung des Erziehungsgeldes die Vorrangigkeit des Krg-Anspruchs auf der Basis einer mehr als kurzzeitigen
Beschäftigung zum Ausschluss der Leistung des Erziehungsgeldes führte, und heute der Gesetzgeber beide Leistungen, Krg und
Elterngeld, unter Berücksichtigung bestimmter Anrechnungsvorschriften kumulativ zulässt. Hierzu wird nochmals auf die nicht
öffentlich zugängliche Begründung zu dem diese Änderung zum Erziehungsgeld einführenden Haushaltsbegleitgesetz 2004 verwiesen
(Protokoll Nr 15/28 zur 28. Sitzung des Haushaltsausschusses am 15.10.2003), nach der der Bezug von Entgeltersatzleistungen
den Anspruch auf Erziehungsgeld zukünftig nicht mehr vollständig ausschließen, sondern nur noch zur Anrechnung bei der Berechnung
der Höhe des Erziehungsgeldes führen sollte, weil die Bezieher von Entgeltersatzleistungen ausreichend Zeit hätten, sich um
die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder zu kümmern. Dieser gesetzgeberische Wille ist bei der Auslegung zu berücksichtigen.
Beim Zusammentreffen von laufendem Krg und Erziehungsgeld bzw Elterngeld ist es dem Gesetzgeber nie um einen Ausschluss oder
eine Beschränkung des Krg gegangen. Soweit eine Leistung ausgeschlossen oder gekürzt wurde, betraf dies ausschließlich das
Erziehungs- bzw Elterngeld. Durch die Weitergewährung des Krg-Anspruchs kommt es daher in keinem Fall zu einem unberechtigten
Doppelbezug von Leistungen.
bb) Nur die vorliegende Auslegung führt dazu, dass die mit dem BErzGG bzw dem BEEG beabsichtigten gesetzgeberischen Ziele umfassend verwirklicht werden können, ohne zu unberechtigten Leistungsansprüchen zu
führen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber bei der Einführung und bei späteren Änderungen des BErzGG und des BEEG insbesondere eine spezifische Umsetzung der Wertentscheidungen aus Art
6 Abs
1,
2,
4 GG und Art
3 Abs
1,
2 GG im Blick hatte, sodass eine diesem Anliegen nicht gerecht werdende Auslegung jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn
sich - wie hier - keine Anhaltspunkte für einen entsprechenden gesetzgeberischen Willen finden lassen. Es ist daher nicht
gerechtfertigt, aufgrund eines redaktionellen Versehens des Gesetzgebers zu einer hinsichtlich der Weitergewährung des Krg
nicht beabsichtigten Differenzierung zwischen dem Krg wegen Arbeitsunfähigkeit und dem Krg wegen der Erkrankung eines Kindes
zu gelangen, die lediglich den unterschiedlichen Regelungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geschuldet war. Der Gesetzgeber
hat vielmehr in den letzten Jahren sowohl den Kinderkrankengeldanspruch erheblich ausgeweitet, als auch den Bezug beider Leistungen
- Krg und Elterngeld - nebeneinander unter Berücksichtigung von Anrechnungsvorschriften ermöglicht. Daneben ist zu berücksichtigen,
dass die Berechnung des Elterngeldes auf dem im Bemessungszeitraum vor der Geburt des Kindes erzielten Einkommen aus Erwerbstätigkeit
beruht (§ 2 Abs 1 Satz 1 BEEG). Da das Krg kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist, bleibt es bei der Berechnung der Höhe des Elterngeldes nach § 2 BEEG unberücksichtigt. Aufgrund des langen Krg-Bezugs vor der Geburt ihres zweiten Kindes war daher auch das Elterngeld der Klägerin
nicht an ihrem letzten Einkommen aus Erwerbstätigkeit orientiert. Sie erhielt vielmehr lediglich das anrechnungsfreie sog
Mindestelterngeld in Höhe von 300 Euro nach § 2 Abs 5 BEEG. Im Hinblick auf die Entgeltersatzfunktion des Krg kann es nicht systemgerecht sein, den grundsätzlich auf der Basis des
letzten Erwerbseinkommens berechneten und unbefristet zu gewährenden Kinderkrankengeldanspruch nach §
45 Abs
4 SGB V ohne entsprechenden Ausgleich zum Wegfall zu bringen. Das Elterngeld, das sich nach langem Krg-Bezug gar nicht mehr am letzten
Erwerbseinkommen orientiert, sondern lediglich in Höhe eines anrechnungsfrei bleibenden Mindestelterngeldes gewährt wird,
kann die Entgeltersatzfunktion nicht übernehmen. Ein ersatzloser Wegfall des Krg-Anspruchs würde zumindest in dieser Konstellation
die vom Gesetzgeber mit der Elternzeit und dem Elterngeld intendierte Verbesserung der finanziellen Situation von Eltern geradezu
in ihr Gegenteil verkehren und ist daher unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt.
Im Fall der Klägerin kommt hinzu, dass diese mit ihrer Erwerbstätigkeit im Umfang von 30 Wochenstunden ohnehin keine volle
Erwerbstätigkeit iS des § 1 Abs 1 Nr 4, Abs 6 BEEG ausgeübt hat und ihr daher Elterngeld zustand, ohne dass es der Inanspruchnahme von Elternzeit bedurft hätte. Wegen der Erkrankung
ihres Kindes hatte sie ohnehin Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, mehr konnte sie durch die Inanspruchnahme
von Elternzeit nicht erlangen. Hätte die Klägerin keine Elternzeit in Anspruch genommen, dann hätte sie ihren Krg-Anspruch
neben dem Anspruch auf Elterngeld behalten, ohne dass ein Rechtsproblem aufgetreten wäre. Unabhängig davon, ob hier ein Beratungsfehler
der Elterngeldstelle vorlag, darf das bereits seit langem bezogene Krg der Klägerin nicht allein wegen der nicht erforderlich
gewesenen Erklärung gegenüber ihrem Arbeitgeber zum Wegfall gebracht werden.
c) Die Klägerin hat vor Beginn ihrer Elternzeit Krg bezogen. Trotz dem zwischenzeitlichen Bezug von Mutterschaftsgeld handelt
es sich um einen einheitlichen, durchgängigen Krg-Anspruch, der nach Beendigung des Anspruchs auf Mutterschaftsgeld nicht
neu entstanden ist, sondern lediglich hätte fortgezahlt werden müssen. Der Krg-Anspruch wird durch den Bezug von Mutterschaftsgeld
nach §
49 Abs
1 Nr
3a SGB V zum Ruhen gebracht. Das lässt den Bestand und die daran geknüpften Folgen des Krg-Anspruchs unberührt (Noftz in: Hauck/Noftz,
SGB V, Stand Januar 2016, §
49 RdNr 2,
65). Deshalb ist der Krg-Anspruch der Klägerin nicht erst während der Elternzeit entstanden, sondern bereits lange davor, und
Krg ist bis zum 27.3.2011, dh nahtlos bis zum Beginn des Mutterschaftsgeldes am 28.3.2011 auch für etwa 700 Tage bereits bezogen
worden. Der zwischenzeitliche Bezug von Mutterschaftsgeld steht der Weitergewährung des Krg nicht entgegen. Der Gesetzgeber
hat in der ursprünglichen Fassung des § 2 Abs 2 BErzGG vom 6.12.1985 für den Ausschluss von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub den "Bezug von Krg" vorausgesetzt, um Doppelleistungen
zu verhindern. Auch bei unrechtmäßigem Bezug der Leistung, wenn also das Krg ohne entsprechenden Anspruch bezogen wurde, sollte
ein Anspruch auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ausgeschlossen sein. Das gleiche galt für den Bezug von Mutterschaftsgeld.
Bei laufendem Krg-Bezug und gleichzeitigem Anspruch auf Mutterschaftsgeld tritt dieses als vorrangige Leistung an die Stelle
des Krg (§
49 Abs
1 Nr
3a SGB V). Damit stand die Klägerin durchgängig und ununterbrochen im Bezug einer Entgeltersatzleistung nach § 2 Abs 2 BErzGG idF vom 6.12.1995, die den Anspruch auf Erziehungsurlaub ausschloss und daher nicht zum Ruhen des Krg-Anspruchs nach § 189 Abs 2
RVO bzw heute §
49 Abs
1 Nr
2 SGB V führen konnte.
Schließlich erscheint es im Hinblick auf Art
3 Abs
2 und Art
6 GG zumindest verfassungsrechtlich bedenklich, wenn eine Versicherte eine langfristige existenzsichernde Sozialleistung wie das
Krg nach Beendigung des Anspruchs auf Mutterschaftsgeld nicht mehr beziehen könnte, obwohl die Voraussetzungen des Krg-Anspruchs
weiterhin vorliegen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Betroffene nicht die Möglichkeit hat, trotz des Anspruchs
auf Mutterschaftsgeld durchgehend Krg zu beziehen. Auch wenn die Voraussetzungen des Krg-Anspruchs durchgängig vorliegen,
ist das Mutterschaftsgeld die gegenüber dem Krg vorrangige Leistung (§
49 Abs
1 Nr
3a SGB V). Auch die allein zum Schutz von Müttern und werdenden Müttern kurz vor und nach der Entbindung erlassenen Vorschriften zum
Mutterschaftsgeld dürfen nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden, indem die Betroffenen allein aufgrund dieser Leistung längerfristige,
existenzsichernde Ansprüche vollständig verlieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.