Zulassung von Arzneimitteln, gerichtliche Überprüfung, Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung bei medizinisch-fachlich
umstrittenen Off-Label-Use
Gründe:
I
Der Kläger wendet sich gegen einen Arzneikostenregress wegen eines unzulässigen Off-Label-Use bei der Behandlung erwachsener
AIDS-Patienten.
Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Auf der Grundlage verschiedener Auskünfte und Stellungnahmen, die zum Teil
die Vorinstanzen selbst eingeholt und zum Teil die Beteiligten eingereicht haben (Paul-Ehrlich-Institut, Bundesausschuss der
Ärzte und Krankenkassen - Arbeitsausschuss "Arzneimittel" -, Kassenärztliche Bundesvereinigung >KÄBV<, Medizinischer Dienst
der Krankenkassen, II. Medizinische Klinik und Poliklinik der Technischen Universität München, Empfehlungen der Deutschen
Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e.V. >DAGNÄ<, Prof. Dr. Dietrich und Privatdozent
Dr. Rockstroh), haben das Sozial- und das Landessozialgericht (LSG) die Klage und die Berufung zurückgewiesen.
Im Urteil des LSG ist ausgeführt, das verfahrensmäßige Vorgehen des Beklagten sei nicht zu beanstanden. Dieser habe eine Wirtschaftlichkeitsprüfung
nach der Methode der eingeschränkten Einzelfallprüfung durchführen dürfen, ungeachtet dessen, dass auch ein Verfahren auf
Feststellung eines sonstigen Schadens mit der Voraussetzung einer schuldhaften Pflichtverletzung denkbar gewesen wäre. Der
Arzneikostenregress in Höhe von ca 127.000 DM für das Quartal III/1997 sei berechtigt. Der Kläger habe für erwachsene AIDS-Patienten
Immunglobuline verordnet, die bei diesen nur bei bestimmten Indikationen und lediglich bei AIDS-kranken Kindern umfassend
anwendbar seien, wie die Prüfgremien zu Recht ermittelt sowie das Paul-Ehrlich-Institut und der Bundesausschuss der Ärzte
und Krankenkassen in ihren sachverständigen Stellungnahmen bestätigt hätten. Unerheblich sei das Vorbringen des Klägers, die
in der sog "Roten Liste" enthaltene Beschreibung der Zulassung der Immunglobulinpräparate bzw der dafür maßgebenden Fachinformation
ergebe diese Beschränkungen nicht. Denn die Ärzte dürften sich nicht nur an der "Roten Liste" orientieren; diese könne Inhalt
und Umfang der Zulassung des Arzneimittels nicht ändern und enthalte nur kurz gehaltene Angaben. Die Diagnosen hätten in den
beanstandeten Fällen bei keinem der Patienten auf eine Indikation gelautet, die in der Zulassung für die Verordnung der Immunglobuline
bei Erwachsenen angegeben sei. Ein zulässiger Off-Label-Use liege nicht vor, weil von dessen drei Voraussetzungen (schwerwiegende
bzw lebensbedrohliche Erkrankung/keine andere Therapiemöglichkeit/begründete Aussicht auf Behandlungserfolg) jedenfalls die
dritte fehle. Ein Beleg für eine Erfolgsaussicht liege nicht vor. Für die Anwendung bei Erwachsenen gebe es bisher weder Ergebnisse
von Studien über einen entsprechenden Nutzen bei vertretbaren Risiken, noch hätten Veröffentlichungen Qualität und Wirksamkeit
der vom Kläger eingesetzten Immunglobuline bei Erwachsenen zuverlässig und wissenschaftlich nachprüfbar belegt und zu einem
Konsens über deren Nutzen in den einschlägigen Fachkreisen geführt.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger Abweichungen von der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sowie Mängel des Verfahrens des LSG geltend.
II
Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Die vom Kläger erhobenen Rügen, es lägen Rechtsprechungsabweichungen vor (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 Sozialgerichtsgesetz >SGG<), sind unzulässig. Für eine solche Divergenzrüge sind Rechtssätze aus dem LSG-Urteil und aus einer höchstrichterlichen
Entscheidung einander gegenüberzustellen und ist auszuführen, dass bzw inwiefern das Berufungsurteil auf dieser Divergenz
beruht (Darlegungspflicht gemäß §
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Diesen Darlegungsanforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger hat keinen höchstrichterlichen Rechtssatz
angeführt, von dem die von ihm herangezogenen Rechtssätze des LSG abweichen könnten.
a) Der Kläger entnimmt dem angefochtenen Urteil des LSG den Rechtssatz, dass zur Ermittlung der Anwendungsgebiete, die in
der Zulassung der Immunglobulinpräparate ausgewiesen sind, nicht auf die Information abgestellt werden kann, die sich aus
der sog "Roten Liste" ergibt, vielmehr der vom Paul-Ehrlich-Institut sowie vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen
ermittelte Zulassungsinhalt zu Grunde zu legen ist (s LSG-Urteil S 29 ff und Beschwerdebegründung S 9 ff). Ein davon abweichender
höchstrichterlicher Rechtssatz - etwa derart, dass der Inhalt der Zulassung sich der Roten Liste entnehmen lasse - kann den
vom Kläger angeführten Entscheidungen von BSG und BVerfG jedoch nicht entnommen werden:
-
In der vom Kläger angeführten Passage des BSG-Urteils vom 19. März 2002 heißt es: "Fachinformation des Herstellers ..., vgl
auch "Rote Liste" ... (BSGE 89, 184, 186 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 30). Diese Verknüpfung mit "vgl auch" zeigt, dass das BSG gerade nicht den Rechtssatz aufstellt,
für den Inhalt der Zulassung sei die Rote Liste maßgeblich, sondern zwischen der eigentlichen Fachinformation und den Angaben
der Roten Liste unterscheidet. Es berücksichtigt, dass die Rote Liste die Anwendungsvorgaben der Zulassung nicht abschließend
wiedergibt, wie auch im dortigen Vorwort klargestellt wird (s Rote Liste 1997, S 4: "Da die Texte nicht wortwörtlich die Fachinformationen
wiedergeben, sondern knapp formuliert sind ... wird empfohlen, immer auch die aktuelle Fachinformation zu Rate zu ziehen.").
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Ebenso wenig lässt sich eine Abweichung des LSG von dem ferner vom Kläger angeführten BSG-Urteil vom 8. März 1995 feststellen,
wonach die Arzneimittelzulassung nicht gerichtlich überprüft werden kann (BSG SozR 3-2500 § 31 Nr 3 S 10). Das LSG hat nicht
die Zulassung überprüft, sondern nur deren Inhalt ermittelt.
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In den vom Kläger benannten Beschlüssen des BVerfG vom 5. März 1997 heißt es lediglich allgemein, mit der arzneimittelrechtlichen
Zulassung liege ein eindeutiges und zugängliches sowie auch zuverlässiges Kriterium für die Verordnungsfähigkeit pharmazeutischer
Produkte vor (BVerfG >Kammer<, NJW 1997, 3085 und MedR 1997, 318, 319). Darin ist kein Rechtssatz enthalten, dass die in der Zulassung genannten Anwendungsgebiete aus der Roten Liste zu
ermitteln seien.
Mithin hat der Kläger keinen Rechtssatz aus einer höchstrichterlichen Entscheidung benannt, von dem das Urteil des LSG abgewichen
sein könnte.
b) Eine Rechtsprechungsabweichung ist auch nicht daraus zu entnehmen, dass das LSG den Inhalt der Zulassung mit Hilfe von
Stellungnahmen des Paul-Ehrlich-Instituts und des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen aus den Jahren 2002 und 2003
- also aus späteren Jahren - festgestellt hat. Die Ansicht des Klägers, dies sei unvereinbar mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung
zur maßgebenden Sach- und Rechtslage bei Anfechtungsklagen (Beschwerdebegründung S 12), trifft nicht zu. Die berücksichtigten
Stellungnahmen stammen zwar von einem erst späteren Zeitpunkt als dem Erlass des Verwaltungsaktes bzw des Widerspruchsbescheides,
sie treffen aber Aussagen zum Inhalt der Zulassung, wie dieser auch schon früher - 1997 - umschrieben war (s Schreiben des
Paul-Ehrlich-Instituts vom 30. Oktober 2002: "Die genannten Produkte waren und sind in dieser Indikation zugelassen ...").
Ebenso wenig zeigt der Kläger eine Abweichung des LSG von dem in der Rechtsprechung anerkannten Rechtssatz auf, für die Wirksamkeit
normativer Regelungen müssten die von ihnen Betroffenen die Möglichkeit haben, sie zur Kenntnis zu nehmen (Beschwerdebegründung
S 12 f). Denn dieser Rechtssatz betrifft nur Rechtsnormen, wie auch dessen Wiedergabe durch den Kläger selbst belegt (aaO
S 12). Arzneimittelzulassungen sind indessen Verwaltungsakte und keine Rechtsnormen (so auch Beschwerdebegründung S 15).
2. Ebenfalls erfolglos ist das Vorbringen des Klägers, dem LSG seien Verfahrensmängel anzulasten (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG), weil es seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe, indem es vorgelegte Studien und Forschungsergebnisse zur Arzneianwendung
bei erwachsenen AIDS-Patienten - und sogar nahezu sein gesamtes Vorbringen - nicht berücksichtigt habe (Beschwerdebegründung
S 19, 20). Diese Rüge ist zwar zulässig, weil die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde insoweit den Darlegungserfordernissen
des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG Rechnung trägt. Sie ist aber unbegründet.
Für den Vorhalt, ein Gericht habe ein Vorbringen unberücksichtigt gelassen, bestehen besondere Anforderungen. Grundsätzlich
ist davon auszugehen, dass ein Gericht das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung
erwägt, auch wenn sich dies nicht ausdrücklich aus dem Urteil ergibt. Die gegenteilige Annahme - des Versäumnisses eines Gerichts,
auf eine bestimmte Argumentation der Beteiligten einzugehen - bedarf greifbarer Anhaltspunkte, die der Beschwerdeführer aufzuzeigen
hat (vgl dazu zB BSGE 88, 193, 204 = SozR 3-2500 § 79a Nr 1 S 13; BVerfGE 79, 51, 61 mwN; 86, 133, 145 f mwN; 87, 1, 33 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 4; BVerfGE 96, 205, 216 f; BVerfG >Kammer<, NJW-RR 2002, 68, 69). Dabei ist die materiell-rechtliche Beurteilung, von der das LSG ausgegangen ist, zu Grunde zu legen (s zB BSG, Beschluss
vom 28. April 2004 - B 6 KA 75/03 B - mwN - juris; vgl auch BVerfGE 86, 133, 146; 105, 279, 312). Denn nur auf dieser Grundlage könnte in Betracht kommen, dass eine ausführlichere Erörterung des LSG,
wie der Kläger sie vermisst, zu einem anderen Urteilsspruch hätte führen können (vgl hierzu zB BVerfGE aaO und BSGE 69, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5 S 35 mwN).
Dem vorliegend angefochtenen LSG-Urteil liegt materiell-rechtlich die Beurteilung der beanstandeten Verordnungen des Klägers
nach den Maßstäben für einen sog Off-Label-Use zu Grunde, weil sie außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete für die Immunglobuline
lagen, da bei keinem der Patienten die Diagnose auf eine Indikation lautete, die in der Zulassung als Anwendungsgebiet für
Erwachsene angegeben war (worin eine das BSG bindende Tatsachenfeststellung iS des §
163 SGG liegt). Ein Off-Label-Use könne nur unter drei Voraussetzungen gebilligt werden (schwerwiegende bzw lebensbedrohliche Erkrankung/keine
andere Therapiemöglichkeit/begründete Aussicht auf Behandlungserfolg). Von diesen fehle jedenfalls die dritte. Die Erfolgsaussicht
sei entweder durch Ergebnisse von Studien über einen entsprechenden Nutzen bei vertretbaren Risiken zu belegen oder dadurch,
dass Veröffentlichungen über Qualität und Wirksamkeit der vom Kläger eingesetzten Immunglobuline bei Erwachsenen vorlägen
und zu einem Konsens über deren Nutzen in den einschlägigen Fachkreisen geführt hätten (vgl LSG-Urteil S 31-33).
Klinische Prüfungen oder Veröffentlichungen mit einem entsprechenden Konsens, wie sie nach dieser hier zu Grunde zu legenden
materiell-rechtlichen Auffassung des LSG für einen zulässigen Off-Label-Use vorgelegen haben müssten, sind aus den Stellungnahmen,
mit denen sich das LSG nach Ansicht des Klägers hätte näher auseinandersetzen müssen, nicht erkennbar. Dies gilt insbesondere
für die vom Kläger beispielhaft angeführten Stellungnahmen der DAGNÄ und der KÄBV, für das Gutachten des Privatdozenten Dr.
Rockstroh sowie für sein eigenes in Bezug genommenes Vorbringen im Schriftsatz vom 9. Juli 2004 (zu dieser Aufzählung s Beschwerdebegründung
S 19). Die Stellungnahmen der DAGNÄ und der KÄBV ergeben Aussagen und Beurteilungen bzw Anregungen zu Behandlungen mit Immunglobulinen;
sie enthalten aber weder Angaben über klinische Prüfungen, noch benennen sie (weitere) wissenschaftliche Veröffentlichungen
mit Aussagen über Erfolge bei Behandlungen erwachsener AIDS-Patienten mit Immunglobulinen. Dies gilt ebenso für das Gutachten
von Dr. Rockstroh und für die eigenen Ausführungen des Klägers, etwa in dem von ihm in Bezug genommenen Schriftsatz vom 9.
Juli 2004.
Hinsichtlich der Studie von Kiehl et al. hat der Kläger bereits nicht dargelegt, dass sich daraus klinische Prüfungen oder
wissenschaftliche Veröffentlichungen mit entsprechenden Aussagen für einen zulässigen Off-Label-Use entnehmen ließen. Wie
er selbst vorträgt, waren die von Kiehl et al. geschilderten Patientenuntersuchungen nach verhältnismäßig kurzer Zeit von
einer Ethikkommission gestoppt worden (wobei die Angaben des LSG und des Klägers über die Gründe hierfür divergieren); sie
waren mithin nicht bis zur Erlangung statistisch relevanter Aussagen weiter geführt worden. Soweit der Kläger in der Studie
von Kiehl et al. eine maßgebliche Rechtfertigung seiner Verordnungsweise sieht, hätte er auch berücksichtigen müssen, dass
Kiehl et al. selbst ausdrücklich weitere Studien hinsichtlich HIV-infizierter Erwachsener mit wiederholten bakteriellen Infektionen
als offensichtlich dringend erforderlich bezeichnet haben (s Archives of Internal Medicine, Vol 156 >1996< No 22, page 2545,
2549 u 2550), also selbst klargestellt haben, dass ihre Untersuchungen noch kein statistisch ausreichend valides Studienergebnis
erbracht hatten.
Nach alledem ergeben die vom LSG eingeholten bzw ihm vorgelegten Informationen usw keine genügenden Anhaltspunkte für ausreichende
Studien und/oder für Veröffentlichungen mit einem entsprechenden Konsens zur Anwendung von Immunglobulinen bei erwachsenen
AIDS-Patienten, sodass der Vorhalt an das LSG nicht durchgreift, es hätte sich in seinem Urteil näher mit ihnen befassen müssen.
Das Urteil des LSG erweist sich im Übrigen auch nicht nachträglich angesichts der Entscheidung des BVerfG vom 6. Dezember
2005 als näher begründungsbedürftig. Dieses hat nicht die Gewährung jeder Behandlung und Verordnung für jede lebensbedrohliche
Erkrankung gefordert. Es erachtet deren Gewährung vielmehr nur dann für erforderlich, wenn keine andere, dem medizinischen
Standard näher stehende Behandlungsmethode zur Verfügung steht, und dies gilt auch nur für solche Methoden, die eine nicht
ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder jedenfalls auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im
konkreten Einzelfall bieten (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 -, NJW 2006, 891). Dabei soll auch der fachlichen Einschätzung der Wirksamkeit einer Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten
Bedeutung zukommen, aber nur abgeschwächt im Sinne einer "weiteren Bedeutung" (BVerfG, aaO S 894 RdNr 66 aE). Mithin kann
der Einschätzung des einzelnen Arztes eine ausschlaggebende Bedeutung nicht beigemessen werden, zumal dann nicht, wenn - wie
es vorliegend der Fall war - die wissenschaftliche Diskussion und die Durchführung von Studien bereits in vollem Gange sind,
sich schon zahlreiche Sachverständige geäußert haben sowie bereits Vergleiche mit anderen, in gleicher Weise Erkrankten möglich
sind (s hierzu BVerfG, aaO RdNr 66) und auch schon Ergebnisse vorliegen, die - sei es mangels Aussicht auf Heilung oder wegen
unzuträglicher Nebenwirkungen - gegen die Anwendung einer Methode bzw eines Arzneimittels sprechen. Vor diesem Hintergrund
kann in einem Fall wie dem vorliegenden nicht der Vorhalt durchgreifen, das LSG hätte sich mit der Einschätzung durch den
behandelnden Arzt selbst - hier durch den Kläger - weitergehend als geschehen auseinandersetzen müssen.
Auch sonst weist das Berufungsurteil kein als Verfahrensmangel zu wertendes Begründungsdefizit auf. Aus den umfangreichen
Darlegungen des Klägers zur medizinischen Rechtfertigung seiner Verordnungspraxis hat das LSG (auch) den Schluss ziehen dürfen,
dass diesem klar war oder jedenfalls hätte klar sein müssen, dass seine Verordnungen für erwachsene AIDS-Patienten einen Off-Label-Use
darstellten, der medizinisch-fachlich und damit zwangsläufig auch rechtlich umstritten war. In einem solchen Fall musste er
nicht, wie es in § 29 Abs 1 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) und § 15 Abs 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä)
als Grundsatz für den Normalfall nicht ausgeschlossener Verordnungen normiert ist, die vertragsärztliche Verordnung allein
verantworten (zur geplanten Regelung des Off-Label-Use in den Arzneimittel-Richtlinien siehe den noch nicht in Kraft getretenen
Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses für einen neuen Abschnitt H vom 18. April 2006). Im Falle eines Off-Label-Use
kann er vielmehr - entsprechend der Regelung in § 29 Abs 8 BMV-Ä und § 15 Abs 7 EKV-Ä für die Verordnung von Arzneimitteln,
die von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen sind - dem Patienten ein Privatrezept ausstellen
und es diesem überlassen, sich bei der Krankenkasse um Erstattung der Kosten zu bemühen. In dem besonderen Fall eines medizinisch-fachlich
umstrittenen Off-Label-Use kann er auch zunächst selbst bei der Krankenkasse deren Auffassung als Kostenträger einholen und
im Ablehnungsfall dem Patienten ein Privatrezept ausstellen. Ermöglicht der Vertragsarzt indessen nicht auf diese Weise eine
Vorab-Prüfung durch die Krankenkasse, sondern stellt er ohne vorherige Rückfrage bei dieser eine vertragsärztliche Verordnung
aus und löst der Patient diese in der Apotheke ein, so sind damit die Arzneikosten angefallen und die Krankenkasse kann nur
noch im Regresswege geltend machen, ihre Leistungspflicht habe nach den maßgeblichen rechtlichen Vorschriften nicht bestanden.
Verhindert ein Vertragsarzt durch diesen Weg der vertragsärztlichen Verordnung bei einem medizinisch umstrittenen Off-Label-Use
eine Vorab-Prüfung durch die Krankenkasse und übernimmt er damit das Risiko, dass später die Leistungspflicht der Krankenkasse
verneint wird, so kann ein entsprechender Regress nicht beanstandet werden.
3. Erfolglos sind schließlich auch die übrigen vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Diese sind unzulässig, denn insoweit fehlt es an den erforderlichen Darlegungen (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
Die Ansicht des Klägers, das LSG habe die Richtigkeit der Zulassung geprüft, obgleich es sachlich nicht zuständig sei (Beschwerdebegründung
S 15 f), lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Das LSG hat nach dem Kontext seines Urteils nur den Inhalt der Zulassung ermittelt
- was seine Aufgabe ist -, nicht aber deren Richtigkeit überprüft.
Die Darlegung eines Verfahrensmangels lässt sich auch nicht seiner Rüge entnehmen, das LSG habe keine ausreichende Begründung
für seine Schlussfolgerung gegeben, die Verordnung der Medikamente Intraglobin F, Octagam und Intrimun sei außerhalb deren
arzneimittelrechtlicher Zulassung erfolgt (Beschwerdebegründung S 16). Nach dem Kontext des LSG-Urteils stellt dessen Ergebnis,
die Verordnungen seien außerhalb der Zulassung erfolgt, keine näher zu begründende beweismäßige Tatsachenwürdigung dar, sondern
ist eine Schlussfolgerung aus dem gerichtlich ermittelten rechtlichen Inhalt der Zulassung (in diesem Sinne auch Beschwerdebegründung
S 17 f).
Die erforderlichen Darlegungen fehlen ferner bei der Rüge des Klägers, das LSG habe die Tatbestandswirkungen der Zulassung
verkannt (Beschwerdebegründung S 17). Das LSG hat nach dem Kontext seines Urteils die Rechtswirkungen der Zulassung im Gegenteil
gerade respektiert und deshalb deren Inhalt ermittelt. Dieser Ermittlung liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass die Angaben
der Roten Liste nicht allein ausreichen. Hierin liegt eine materiell-rechtliche Differenz zur Ansicht des Klägers. Inwiefern
ein Verfahrensmangel vorliegen könnte, ist nicht ersichtlich.
Ebenso wenig dargelegt ist der Vorhalt unzulässiger Ausforschung (Beschwerdebegründung S 18: "Ausforschungsbeweis"). Denn,
wie ausgeführt, hat das LSG lediglich Ermittlungen zur Feststellung des rechtlichen Inhalts der Zulassung betrieben. Anhaltspunkte
für eine unzulässige Ausforschung sind nicht ersichtlich.
Ein Verfahrensmangel kommt schließlich auch nicht im Zusammenhang mit der Rüge in Betracht, die Zuordnung der Krankheiten
zu primären oder sekundären Immunmangelkrankheiten bzw Immundefekt(erkrankung)en und auch die sonstige Charakterisierung einiger
Erkrankungen seien nicht korrekt (Beschwerdebegründung S 18 unten). Insoweit kann allenfalls ein inhaltlicher Fehler, aber
nicht ein Verfahrensmangel vorliegen.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
160a Abs
4 Satz 3 Halbsatz 2
SGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG (in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).