Genehmigung zur Verlegung des Vertragsarztsitzes im Vertragsarztrecht
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten vorliegend allein über die rückwirkende Genehmigung der Verlegung eines Vertragsarztsitzes.
Der derzeit nicht mehr vertragsärztlich tätige Kläger war seit 1986 als Arzt für Neurologie und Psychiatrie mit dem Vertragsarztsitz
Düsseldorf, D.straße, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Februar 2004 erfuhr die zu 8. beigeladene Kassenärztliche
Vereinigung (KÄV) durch den vorläufigen Insolvenzverwalter des Klägers, dass dieser seit dem 23. November 2003 die Praxis
in der D.straße aufgegeben und in die Dü Straße, Düsseldorf, verlegt hatte. Nachdem die Beigeladene zu 8. den Zulassungsausschuss
von diesem Sachverhalt unterrichtet hatte, regte dieser beim Insolvenzverwalter an, die Verlegung des Vertragsarztsitzes zu
beantragen. Die Mitteilung des Insolvenzverwalters vom 4. März 2004 über die Praxisverlegung des Klägers wertete der Zulassungsausschuss
als Antrag auf Genehmigung der Verlegung und gab ihm zum 30. März 2004 statt. Den vom Kläger im Mai 2004 gestellten Antrag,
die Verlegung rückwirkend zum 23. November 2003 zu genehmigen, lehnte er durch Beschluss vom 11. Mai 2004 ab.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, rechtliche Hindernisse für eine rückwirkende Genehmigung bestünden nicht.
Er sei existenziell darauf angewiesen, dass ihm die von der Beigeladenen zu 8. zunächst einbehaltenen Honorare für die Behandlungen
von Versicherten zwischen dem 23. November 2003 und Ende März 2004 zur Verfügung gestellt würden. Der beklagte Berufungsausschuss
wies den Widerspruch zurück. Aus Rechtsgründen könne die Verlegung des Vertragsarztsitzes nicht rückwirkend erfolgen. Insoweit
sei den Zulassungsgremien auch kein Ermessensspielraum eingeräumt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Es hat das Rechtsschutzbedürfnis ungeachtet des Umstandes bejaht, dass der Kläger zwischenzeitlich
seine Praxis erneut verlegt hatte, weil die Beigeladene zu 8. allein unter Hinweis auf die ungenehmigte Verlegung des Vertragsarztsitzes
Honorar einbehalten habe. Die Klage sei aber unbegründet, weil der Beklagte zu Recht eine rückwirkende Genehmigung der Verlegung
des Vertragsarztsitzes abgelehnt habe (Urteil vom 15. Dezember 2004).
Mit seiner Sprungrevision beanstandet der Kläger eine fehlerhafte Anwendung des § 24 Abs 4 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte
(Ärzte-ZV). Zumindest in besonders gelagerten Ausnahmefällen könne die Verlegung des Vertragsarztsitzes auch rückwirkend genehmigt
werden. Ein solcher Ausnahmefall liege hier vor, weil er - der Kläger - seinen Vertragsarztsitz lediglich in ein ca 100 m
vom bisherigen Praxisstandort entferntes Haus verlegt habe. Belange der vertragsärztlichen Versorgung seien zu keinem Zeitpunkt
betroffen gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15. Dezember 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung
seines Bescheides vom 14. Juli 2004 die Verlegung des Vertragsarztsitzes rückwirkend zum 23. November 2003 zu genehmigen.
Der Beklagte und die zu 8. beigeladene KÄV beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Ebenso wenig wie ein Arzt für einen bereits abgelaufenen Zeitraum zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden könne,
sei es den Zulassungsgremien gestattet, rückwirkend die Verlegung eines Vertragsarztsitzes zu genehmigen.
Die übrigen Beigeladenen äußern sich im Revisionsverfahren nicht.
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Verlegung eines Vertragsarztsitzes von den Zulassungsgremien nicht rückwirkend genehmigt
werden kann.
Nach § 24 Abs 4 Ärzte-ZV hat der Zulassungsausschuss den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes
zu genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Aus dieser Vorschrift hat der Senat
in seinem Urteil vom 10. Mai 2000 abgeleitet, dass die Fortführung der Praxis unter einer anderen Anschrift eine Verlegung
des Vertragsarztsitzes darstellt, die genehmigungsbedürftig ist (BSGE 86, 121, 123 = BSG SozR 3-5520 § 24 Nr 4 S 15/16). Dies bedarf hier keiner erneuten Begründung, da die Beteiligten übereinstimmend von dieser Rechtsauffassung ausgehen.
Aus der Verwendung des Begriffs der Genehmigung in § 24 Abs 4 Ärzte-ZV kann nicht gefolgert werden, dass eine solche auch
noch nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit, also mit Rückwirkung, erteilt werden kann. Insoweit verwendet die Ärzte-ZV
den Begriff "Genehmigung" abweichend vom Bürgerlichen Recht. In §
184 Abs
1 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) ist die Genehmigung als "nachträgliche Zustimmung" legal definiert, die grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Vornahme des
Rechtsgeschäfts zurückwirkt. Dies kann jedoch nicht auf die Rechtslage der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung
übertragen werden, auch wenn die Ärzte-ZV begrifflich selbst zwischen "Genehmigung" und "vorheriger Genehmigung" (vgl etwa
§ 24 Abs 3, § 32 Abs 2 Satz 1 und 2, § 32b Abs 2, § 33 Abs 2 Satz 2 Ärzte-ZV) differenziert. Ausgehend von Sinn und Zweck
derjenigen Vorschriften, die für die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eine "vorherige Genehmigung" erfordern,
kann allein aus der Verwendung des isolierten Begriffs "Genehmigung" nicht geschlossen werden, dass diese auch für einen abgelaufenen
Zeitraum erfolgen kann (zur Auslegung dieses Begriffspaares im Einzelnen: BSG SozR 3-5525 § 32b Nr 1 S 4 ff - für die Genehmigung
der Anstellung eines Arztes durch einen Vertragsarzt). Die Frage, ob eine öffentlich-rechtliche Genehmigung auch mit Rückwirkung
erteilt werden kann, beurteilt sich vielmehr nach dem Genehmigungserfordernis selbst und den mit ihm im Zusammenhang stehenden
Bestimmungen (vgl BSG Urteil vom 21. Februar 2006 - B 1 KR 22/05 R - juris, mwN). Das gilt insbesondere für statusrelevante Verwaltungsentscheidungen in der vertragsärztlichen Versorgung.
Die gemäß § 24 Abs 4 Ärzte-ZV für die Verlegung des Vertragsarztsitzes erforderliche Genehmigung des Zulassungsausschusses
kann nur mit Wirkung für die Zukunft und nicht für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum erteilt werden. Zulassung
(§
95 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]) und Vertragsarztsitz (§
95 Abs
1 Satz 4
SGB V) eines Vertragsarztes sind rechtlich so eng miteinander verknüpft, dass der Vertragsarztsitz in seiner rechtlichen Wirkung
an dem Statuscharakter der Zulassung teilnimmt. Die Genehmigung der Verlegung des Vertragsarztsitzes hat damit wie die Zulassung
zur vertragsärztlichen Versorgung gemäß §
95 Abs
3 SGB V (dazu BSGE 86, 121, 123 = SozR aaO S 16), die Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung gemäß §
116 SGB V (BSG SozR 3-2500 §
116 Nr
5 S 33 ff), die Genehmigung zur Führung einer Gemeinschaftspraxis gemäß § 33 Abs 2 Ärzte-ZV (dazu BSG SozR 4-5520 § 33 Nr 2
RdNr 18) und die Anstellung eines Arztes in der vertragsärztlichen Praxis gemäß § 32b Ärzte-ZV (BSG SozR 3-5525 § 32b Nr 1
S 4 ff) statusrelevanten Charakter. Die enge Verknüpfung von Zulassung und Vertragsarztsitz beruht darauf, dass sein Bestehen
unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist. Diese ist ohne einen Vertragsarztsitz
nicht möglich (BSGE 85, 1, 4 ff = SozR 3-2500 § 103 Nr 5 S 30 ff; BSGE 86, 121, 124 f = SozR aaO S 18). Der Arzt, der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen will, wird für einen bestimmten Ort
der Niederlassung (Vertragsarztsitz) zugelassen (§
95 Abs
1 Satz 4
SGB V, §
24 Abs
1 Ärzte-ZV). Für diesen Vertragsarztsitz muss er die Zulassung beantragen (§ 18 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV). "Ort der Niederlassung"
iS des §
95 Abs
1 Satz 4
SGB V, §
24 Abs
1 Ärzte-ZV ist nicht eine Ortschaft iS einer Verwaltungseinheit bzw ein Teil einer Ortschaft, sondern der konkrete Ort der
Praxis des Vertragsarztes, der durch die Praxisanschrift gekennzeichnet ist (BSGE 86, 121, 122 = SozR aaO S 15, mwN). Eine Verlegung der Praxis vom bisherigen an einen anderen Ort betrifft den Vertragsarztsitz im
Rechtssinne und damit auch den vertragsärztlichen Status als solchen, ist mithin statusrelevant.
Statusrelevante Maßnahmen wie die Verlegung eines Vertragsarztsitzes können nur mit Wirkung für die Zukunft genehmigt werden,
weil der Teilnahmestatus des Vertragsarztes wegen der vielfachen Auswirkungen - etwa auf den Behandlungsanspruch der Versicherten,
der Ansprüche des Arztes auf Teilnahme an der Honorarverteilung und der Verpflichtung der KÄV zur Honorarausschüttung - nicht
rückwirkend begründet oder verändert werden kann (vgl zum Ganzen: BSG SozR 3-1500 § 97 Nr 3 S 5 f; BSGE 86, 121, 123 = SozR aaO S 16; s auch BSG-Urteil vom 21. Februar 2006 - B 1 KR 22/05 R - juris: keine Rückwirkung der Genehmigung eines Krankenhaus-Versorgungsvertrages).
Auch im Hinblick auf die Verantwortung der Kostenträger und der Zulassungsgremien für die Sicherstellung der vertragsärztlichen
Versorgung kann, wenn Versagungsgründe iS des § 24 Abs 4 Ärzte-ZV nicht bestehen, eine Genehmigung nur für die Zukunft erteilt
werden. Denn die Verlegung des Vertragsarztsitzes hat auch Bedeutung für die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung
der Versicherten, wie sich mittelbar aus § 24 Abs 4 Ärzte-ZV ergibt. Danach kann die Genehmigung zur Verlegung des Vertragsarztsitzes
versagt werden, wenn Belange der Versorgung der Versicherten der gewünschten Sitzverlegung entgegenstehen. Ob das der Fall
ist, obliegt zunächst der Beurteilung der Zulassungsgremien. Deshalb ist es notwendig, diese vor einer vom Arzt beabsichtigten
Sitzverlegung über die entsprechende Absicht zu informieren und deren Entscheidung abzuwarten. Hinzu kommt, dass nur auf dieser
Grundlage auch beurteilt werden kann, ob ein Vertragsarzt ausgelagerte Praxisräume unterhält bzw unterhalten darf oder eine
Zweigpraxis betreibt, deren Führung der Genehmigung der KÄV bedarf (§ 15a Bundesmantelvertrag-Ärzte [BMV-Ä], § 15a Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen
[EKV-Ä]). Darüber hinaus müssen die Träger der vertragsärztlichen Versorgung - KÄV und Krankenkassen - zu jedem Zeitpunkt
wissen, an welchem Vertragsarztsitz, also unter welcher Praxisanschrift, ein zugelassener Vertragsarzt seine Tätigkeit ausübt.
Diese Kenntnis ist vor allem für die den Krankenkassen obliegende Information der Versicherten über die an der Versorgung
mitwirkenden Leistungserbringer erforderlich (§ 59 BMV-Ä bzw § 7 Abs 7 und 8 EKV-Ä), unter denen die Versicherten grundsätzlich
frei wählen können (vgl §
76 Abs
1 iVm Abs
2 SGB V). Auch unter diesen Gesichtspunkten ist es ausgeschlossen, dass ein Vertragsarzt seine Praxis verlegt und erst im Nachhinein
die dafür erforderliche Genehmigung mit Wirkung für die Vergangenheit erhält.
Damit scheidet entgegen der Auffassung des Klägers die auf einen Zeitpunkt in der Vergangenheit zurückwirkende Genehmigung
der Verlegung des Vertragsarztsitzes auch in solchen Fällen aus, in denen alte und neue Praxis räumlich eng beieinander liegen.
Im Übrigen kann aus Gründen der Rechtssicherheit das Erfordernis, dass die Verlegung eines Vertragsarztsitzes zu genehmigen
ist, nicht von der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit abhängen, mit der die Zulassungsgremien dem Begehren des Arztes mutmaßlich
entsprechen dürften oder müssten. Auch bei der Verlegung der Praxis nur um wenige hundert Meter vom bisherigen Praxisstandort
entfernt können Versagungsgründe iS des § 24 Abs 4 Ärzte-ZV vorliegen. Das ist etwa der Fall, wenn der Vertragsarzt seine
Praxis in das nahe seines bisherigen Praxisstandortes gelegene Werksgelände eines Unternehmens verlegen will und der freie
Zugang aller Versicherten in die neue Praxis nicht gesichert ist (vgl das zu § 20 Abs 2 Ärzte-ZV ergangene Senatsurteil vom
19. März 1997, BSGE 80, 130 ff = SozR 3-5520 § 20 Nr 2, eine Werksärztin betreffend).
Soweit § 24 Abs 4 Ärzte-ZV die Verlegung des Vertragsarztsitzes von einer Genehmigung des Zulassungsausschusses abhängig macht,
die nur für die Zukunft erteilt werden kann, liegt darin eine verfassungsrechtlich zulässige Regelung der Berufsausübung iS
des Art
12 Abs
1 Satz 2
Grundgesetz. Das Genehmigungserfordernis als solches dient der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung und damit einem wichtigen
Gemeinwohlbelang. Die mit dem Genehmigungserfordernis verbundene Belastung für den betroffenen Arzt ist gering. Die Verlegung
einer Praxis geschieht typischerweise nicht von heute auf morgen, sondern erfordert umfangreiche Dispositionen einschließlich
des Umzugs der erforderlichen medizinischen Geräte und der Information der Patienten. Es ist nicht ersichtlich, weshalb es
unzumutbar sein sollte, rechtzeitig vor der geplanten Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit an einem neuen Praxisstandort
die Genehmigung des Zulassungsausschusses einzuholen. Gegebenenfalls kann der Arzt auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung
hinweisen und - soweit diese sich unzumutbar verzögert - einstweiligen Rechtsschutz nach §
86b Sozialgerichtsgesetz (
SGG) erreichen.