Parallelentscheidung zu BSG B 8 V 30/19 B v. 23.09.2019
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt in der Hauptsache einen Berufsschadensausgleich nach dem
Opferentschädigungsgesetz iVm den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Sie sei in ihrer Kindheit massiv sexuell missbraucht worden. Wegen der psychischen Schädigung sei sie nicht in der Lage
gewesen, ihre beruflichen Ziele zu erreichen. Das LSG hat den geltend gemachten Anspruch verneint. Es sei nicht zu erkennen,
dass die Klägerin - wie von ihr behauptet - als Unbeschädigte ein Hochschulstudium absolviert hätte (Urteil vom 1.7.2019).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgründe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und eine Divergenz geltend.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung vom 2.9.2019 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form,
weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan worden sind (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des
Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch
nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss daher,
um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit
(Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog
Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl Senatsbeschluss vom 31.1.2018 - B 9 V 63/17 B - juris RdNr 6; Senatsbeschluss vom 30.11.2017 - B 9 V 35/17 B - juris RdNr 4). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
Die Klägerin trägt vor, die Entscheidung des LSG beruhe auf "der Rechtsfrage, ob das LSG ... ohne Einholung eines weiteren
Sachverständigengutachtens davon ausgehen durfte, dass keine wesentliche Änderungen der Schädigungsfolgen bei der Klägerin
eingetreten sind, die einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich rechtfertigen. Es geht um die abgrenzende Rechtsfrage, wann
Gerichte in Bezug auf medizinische Sachverhalte im sozialen Entschädigungsrecht auf Grundlage eigener Sachkenntnis einen Sachverhalt
bewerten dürfen und wann die Einholung eines Sachverständigenrats erforderlich ist".
Die Klägerin versäumt es bereits, den der Entscheidung des LSG zugrunde liegenden Sachverhalt darzustellen. Eine verständliche
Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts,
sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die entscheidungserheblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil
selbst herauszusuchen (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 12.2.2018 - B 10 ÜG 12/17 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 29.9.2017 - B 13 R 365/15 B - juris RdNr 3). Der pauschale Verweis der Klägerin auf die "Sachverhaltszusammenfassung" des LSG reicht im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
nicht (vgl Senatsbeschluss vom 29.5.2019 - B 9 V 15/19 B - juris RdNr 10).
Zudem hat die Klägerin keine Rechtsfrage iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG bezeichnet. Vielmehr zielt die Fragestellung auf die Klärung und Bewertung von Tatsachen ab und beinhaltet im Kern letztlich
Fragen der Beweiswürdigung und der Sachaufklärung. Die Zulassung der Revision kann gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 2
SGG aber nicht mit der Behauptung erreicht werden, das LSG habe gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung
verstoßen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG in das Gewand einer Grundsatzrüge
zu kleiden versucht. Entsprechendes gilt für die Sachaufklärungsrüge. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 3
SGG ist die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach §
103 SGG nur statthaft, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Ein Beschwerdeführer kann diese gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrüge in §
160 Abs
2 Nr
3 SGG - soweit sie reichen - nicht dadurch umgehen, dass er die Rügen in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung kleidet (vgl Senatsbeschluss
vom 3.7.2019 - B 9 V 17/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 28.2.2018 - B 1 KR 65/17 B - juris RdNr 5). Die Klägerin zeigt nicht auf, dass es hier um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung geht, bei der die
gesetzlichen Beschränkungen der Verfahrensrügen nicht greifen.
2. Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die in zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der
Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.
Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz
in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch
steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in einem künftigen
Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8 mwN). Auch diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin trägt unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BSG vor, es könne nicht nachvollzogen werden, weshalb keine weiteren Ermittlungen trotz Aufforderung von Amts wegen erfolgt seien.
Das LSG sei zu den Ermittlungen verpflichtet, die nach "Lage der Sache" erforderlich seien. Im Rahmen dessen gelte, dass das
Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen müsse, die vernünftigerweise zur Verfügung stünden. Das LSG hätte
wegen fehlender eigener Sachkenntnis ein weiteres psychiatrisches Sachverständigengutachten einholen müssen. Mit diesem Vorbringen
hat die Klägerin keine Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG bezeichnet. Sie benennt weder einen abstrakten Rechtssatz aus einer der von ihr zitierten Entscheidungen des BSG, noch stellt sie einem solchen höchstrichterlichen Rechtssatz einen divergierenden abstrakten Rechtssatz des LSG aus dem
angefochtenen Urteil gegenüber.
3. Soweit die Klägerin mit der Rüge, dass die "Vorgehensweise des Gerichts ... insofern stark beanstandet" werde, sinngemäß
eine fehlerhafte Sachaufklärung (§
103 SGG) des LSG geltend machen will, erfüllt ihr Vorbringen nicht die notwendigen Darlegungsanforderungen einer Sachaufklärungsrüge
(s hierzu allgemein Senatsbeschluss vom 21.12.2017 - B 9 SB 70/17 B - juris RdNr 3). Auf den Verfahrensmangel einer unterlassenen Sachaufklärung (§
103 SGG) kann sich die Klägerin schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil sie keinen vor dem LSG bis zuletzt in der mündlichen
Verhandlung aufrecht erhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag benannt hat, den das Berufungsgericht übergangen haben
könnte (vgl §
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 3
SGG).
4. Schließlich war der Senat im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens nicht verpflichtet, den Prozessbevollmächtigten
der Klägerin entsprechend seiner Bitte in der Beschwerdebegründung um einen rechtlichen Hinweis, "soweit weitere Ausführungen
als nötig erachtet werden", vorab auf die Unzulänglichkeit des Beschwerdevortrags aufmerksam zu machen. Hierauf ist der Prozessbevollmächtigte
der Klägerin vom Senat bereits mehrfach hingewiesen worden (vgl zB Senatsbeschluss vom 29.5.2019 - B 9 V 15/19 B - juris RdNr 15; Senatsbeschluss vom 25.7.2019 - B 9 V 23/19 B - juris RdNr 9).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
5. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.