Vorläufige Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten
Genehmigung der Therapiealternative eines Cannabisarzneimittels
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten.
Der am 09.04.1996 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Wegen vorwiegend Zwangshandlungen
(F42.1) und mittelgradiger depressiver Episode (F32.1) wurde der Antragsteller bereits in der Zeit vom 23.09.2010 bis 08.04.2011
in der kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz des Zentrums für psychosoziale Medizin H. ambulant behandelt. Am 01.10.2016
nahm er ein Studium an der Pädagogischen Hochschule H. auf (Lehramt Grundschule), welches er krankheitsbedingt wegen der Zwangsstörung
unterbrechen musste (genehmigte Urlaubssemester wegen Krankheit SS 2017, WS 2017/18 und WS 2018/2019). Seit 31.08.2017 führt
er eine Verhaltenstherapie bei Dipl-Psych G. durch.
Am 26.03.2018 beantragte der Antragsteller die Genehmigung einer Therapie mit Cannabisblüten. Hierzu legte er den Arztfragebogen
zur Verwendung von Cannabinoiden durch den Allgemeinmediziner v. T. vor, welcher die Verordnung von Cannabisblüten aufgrund
einer schwerwiegenden Erkrankung befürwortete. Seit Anfang 2007 habe sich der Antragsteller mit illegalem Cannabis versorgt,
zeitweise seien Privatrezepte ausgestellt worden (vorgelegt Privatrezepte vom 29.09.2017, 18.01.2018 und 20.03.2018). Der
Einsatz von Cannabis habe sich sehr positiv auf die Zwangserkrankung ausgewirkt, seine Konzentrationsfähigkeit habe sich erheblich
gesteigert. Vorgelegt wurde zusätzlich eine Therapiebescheinigung von Dipl-Psych G. vom 22.09.2017, welche bestätigte, dass
eine Abhängigkeitserkrankung hinsichtlich des regelmäßig konsumierten Cannabis diagnostisch via SKID-I Interview ausgeschlossen
worden sei.
Die Antragsgegnerin teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 26.03.2018 mit, dass eine medizinische Prüfung durch den Medizinischen
Dienst der Krankenversicherung (MDK) erfolge. Mit Gutachten vom 13.04.2018 führte Dr. B. für den MDK aus, bei dem bisherigen
Verlauf der Zwangsstörung sei von einer schwerwiegenden Erkrankung auszugehen. Nach der S3-Leitlinie sei als Standardtherapie
Verhaltenstherapie vorgesehen, zur Arzneimitteltherapie würden selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) als erste
Wahl empfohlen. Arzneimitteltherapie sei bislang nicht zum Einsatz gekommen, auch keine fachpsychiatrische Behandlung trotz
angeblich wirkungsloser Verhaltenstherapie. Eine "begründete Einschätzung" des behandelnden Arztes, warum die Standardtherapie
nicht zum Einsatz kommen könne, liege zwar vor, sei aber nicht nachvollziehbar. Argumentiert werde nur mit potentiell möglichen
Nebenwirkungen.
Mit Bescheid vom 19.04.2018 lehnte die Antragsgegnerin die Genehmigung der Behandlung mit Cannabis ab. Hiergegen legte der
Antragsteller am 27.04.2018 Widerspruch ein. Die Beklagte schaltete erneut den MDK ein. Dr. B. führte unter dem 14.06.2018
aus, dass nunmehr die Voraussetzungen von §
31 Abs
6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) vollständig erfüllt seien. Zwischenzeitlich habe sich der Antragsteller in fachärztlich-psychiatrische Behandlung begeben.
Es sei Escitalopram eingesetzt worden, worunter es zu Nebenwirkungen (Libidoverlust, Appetitlosigkeit, Übelkeit, innere Unruhe,
Nervosität, Schlafstörungen) gekommen sei. Danach sei auf Sertralin umgestellt worden, worunter ebenfalls Nebenwirkungen aufgetreten
seien. Auch der Psychiater A. empfehle deshalb die Verordnung von Cannabisblüten.
Die Antragsgegnerin wandte sich daraufhin erneut an den MDK. Von weiteren Ärzten seien psychische und Verhaltensstörungen
durch Cannabinoide und ein Abhängigkeitssyndrom dokumentiert worden. Dr. B. führte unter dem 14.06.2018 aus, dass der Zeitpunkt
der Diagnosen nicht mitgeteilt worden sei, weshalb ein aktuell (nach September 2017) entwickeltes Abhängigkeitssyndrom nicht
sicher ausgeschlossen werden könne. Im vorliegenden Fall bestehe allerdings keine Kontraindikation gegen die Verordnung von
Cannabis. Die vom Antragsteller geschilderten Nebenwirkungen entsprächen den typischen Nebenwirkungen der verwendeten SSRI.
Als Standardtherapie sei weiter möglich eine Behandlung mit Clomipramin (trizyklisches Antidepressivum), ggf ein Therapieversuch
unter stationären Bedingungen. Es liege eine begründete Einschätzung des behandelnden Arztes unter Abwägung der Nebenwirkungen
vor, warum Therapiealternativen nicht eingesetzt werden könnten. Inwieweit die weiteren möglichen Therapien dieser begründeten
Einschätzung entgegenstünden, sei eine juristische Fragestellung.
Am 18.07.2018 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Mannheim (SG) einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich der begehrten Versorgung mit Cannabis in Blütenform ab sofort beantragt. Es sei
zu befürchten, dass er sein Studium nicht fortsetzen könne. Zwar habe er sich für das Sommersemester zurückgemeldet, jedoch
aufgrund seiner Erkrankung an den Vorlesungen nicht teilnehmen können. Jetzt sei erneut ein Urlaubssemester gewährt worden,
welches der Antragsteller zur Stabilisierung seines Gesundheitszustandes nutzen könne, um dann die Chance zu haben, weiter
zu studieren. Ein weiteres Urlaubssemester sei ausgeschlossen, es drohe dann die Exmatrikulation. Zudem drohe die Gefahr,
dass der Antragsteller in die Illegalität gedrängt werde; bereits im Juli 2017 sei ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen
Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet worden. Die Voraussetzungen des §
31 Abs
6 SGB V seien erfüllt. Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs 18/8965 S 24) gehe hervor, dass dem behandelnden Arzt die Einschätzung
der in Frage kommenden Behandlungsmöglichkeit zufalle.
Mit Beschluss vom 30.07.2018 hat das SG den Antrag abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten nach §
31 Abs
6 SGB V bestehe schon deshalb nicht, weil es an einer vertragsärztlichen Verordnung fehle, die hier zudem auf einem Betäubungsmittelrezept
erfolgen müsse. Zwar sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Vertragsarzt insbesondere bei einem medizinisch umstrittenen
Arzneimitteleinsatz der Krankenkasse eine Vorab-Prüfung ermöglichen müsse, wenn er sich nicht dem Risiko eines Regresses aussetzen
wolle. Ein gängiger Weg sei dabei die Ausstellung eines Privatrezepts, wobei es dem Versicherten überlassen bleibe, sich um
Kostenerstattung zu bemühen. Diese Grundsätze fänden jedoch keine Geltung, wenn das Gesetz ausnahmsweise die Genehmigung einer
Arzneimittelverordnung vorsehe. Hierbei handele es sich um eine endgültige Prüfung, weshalb auch kein Regressrisiko bestehe.
Mangels vertragsärztlicher Verordnung bedürfe es hier keiner Entscheidung über den Umfang des der Antragsgegnerin zustehenden
Prüfrechts.
Gegen den seinen Bevollmächtigten am 02.08.2018 zugestellten Beschluss richtet sich die am 30.08.2018 eingelegte Beschwerde
des Antragstellers. Das SG gebe wesentlich die Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg wieder (Beschluss vom 19.09.2018, L 11 KR 3414/17 ER-B), allerdings würden bei dieser wertenden Betrachtung des Privatrezepts wesentliche Umstände nicht umfassend berücksichtigt.
Es hätte dem Versicherten sehr viel Zeit gespart, wenn die Antragsgegnerin auf diesen vermeintlich ausschlaggebenden Aspekt
gleich hingewiesen hätte. Ergänzend hat der Antragsteller eine vertragsärztliche Verordnung von Cannabisblüten (unzerkl Cannabisblüten,
5g Bedrocan) durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie A. vom 28.08.2018 vorgelegt. Der Gesetzgeber habe explizit
befürwortet, dass sich Versicherte nicht langjährigen und schweren Nebenwirkungen aussetzen müssten, bevor die Therapiealternative
eines Cannabisarzneimittels genehmigt werden könne. Der Antragsteller habe über einen längeren Zeitraum Cannabis konsumiert;
es seien keine negativen Nebenwirkungen festgestellt worden, im Gegenteil habe sich die Einnahme ärztlich bestätigt positiv
ausgewirkt. Bei der Einnahme von Antidepressiva sei es dagegen zu erheblichen Nebenwirkungen gekommen. Bestätigt werde dies
auch durch den jetzt vorgelegten Arztfragebogen von Herrn A. vom 28.08.2018.
Die Antragsgegnerin ist der Beschwerde entgegengetreten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider
Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§
172 Abs
1,
173 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz -
SGG) und in der Sache auch begründet. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt worden,
da der Antragsteller Anspruch auf die vorläufige Versorgung mit Medizinalcannabisblüten nach entsprechender vertragsärztlicher
Verordnung hat.
Nach §
86b Abs
2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand
treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des
Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend begehrt der Antragsteller die Versorgung mit Cannabisblüten als Sachleistung. Damit richtet
sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Regelungsanordnung nach §
86b Abs
2 Satz 2
SGG.
Dies verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen
gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit
der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86 b Abs
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs
2 der
Zivilprozessordnung).
Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach-
und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ihnen allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell
bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und
Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl BVerfG [Kammer],
29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292, 296; 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S 1236 f). Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren
nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, aaO, mwN); die grundrechtlichen
Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor
die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl BVerfG [Kammer], 22.11.2002, aaO, S 1237; 29.11.2007, 1 BvR 2496/07, NZS 2008, 365).
Nach§ 31 Abs 6
SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten
oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon,
wenn (1.) eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung a) nicht zur Verfügung steht oder b)
im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter
Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht
zur Anwendung kommen kann, 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten
der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen
ist (§
31 Abs
6 Satz 2
SGB V).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Antragsgegnerin antragsgemäß zu verpflichten. Der Senat geht mit dem MDK und den behandelnden
Ärzten davon aus, dass der Antragsteller angesichts des Verlaufs und der massiven Auswirkungen der Zwangsstörung an einer
schwerwiegenden Erkrankung, welche die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt, leidet. Da Standardtherapien für
diese Erkrankung generell zur Verfügung stehen, ist nach §
31 Abs
6 Nr
1 Buchst b
SGB V erforderlich, dass die Standardtherapie im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter
Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustands des Versicherten nicht zur Anwendung
kommen kann. Dabei ist schon in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen worden, dass ein Versicherter nicht langjährig schwere
Nebenwirkungen ertragen muss, bevor die Therapiealternative eines Cannabisarzneimittels genehmigt werden kann (BT-Drs 18/8965S
24). Mit der Einfügung des Buchst b im Gesetzgebungsverfahren sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass auch dann vom
Fehlen der Behandlungsalternativen auszugehen ist, wenn im konkreten Fall zwar abstrakt noch andere, dem medizinischen Standard
entsprechende Leistungen in Erwägung gezogen werden können, der behandelnde Vertragsarzt im konkreten Fall aber zu der begründeten
Einschätzung kommt, dass diese anderen Maßnahmen unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung
des Krankheitszustandes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen können (BT-Drs 18/10902 S 19). Erforderlich ist insoweit
eine Beurteilung des behandelnden Arztes unter Auseinandersetzung mit den individuellen Verhältnissen des Versicherten unter
Abwägung der bisherigen Therapieversuche, konkret zu erwartender Nebenwirkungen der Standardtherapie und Nebenwirkungen der
Cannabinoidtherapie.
Nach der S3-Leitlinie "Zwangsstörungen" (AWMF-Registernummer 038/017) werden in erster Linie Verhaltenstherapie und kognitive
Verhaltenstherapie eingesetzt zur Behandlung, wie sie der Antragsteller bereits seit 31.08.2017 durchführt, allerdings bislang
ohne Erfolg. In der Psychopharmakotherapie sieht die S3-Leitlinie die Behandlung mit SSRI vor. Clomipramin wird als vergleichbar
wirksam mit SSRI beschrieben, soll jedoch aufgrund der höheren Nebenwirkungsrate und potentiell gefährlicherer Nebenwirkungen
(kardial) zur Behandlung von Patienten mit Zwangsstörungen nicht als erste Wahl zum Einsatz kommen.
Die zunächst dem Antrag beigefügte erste Stellungnahme des Allgemeinmediziners v. T., der lediglich abstrakt mögliche Nebenwirkungen
geschildert hat, war insoweit nicht ausreichend, um die fehlende Möglichkeit einer Standardtherapie im Einzelfall zu begründen
(vgl Hessisches LSG 16.10.2017, L 8 KR 366/17 B ER, juris). Nachfolgend hat sich der Antragsteller jedoch in psychiatrische Behandlung begeben und gemäß der Standardtherapie
eine Behandlung mit SSRI begonnen. Wie der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie A. bestätigt hat, sind jedoch sowohl bei
Escitalopram als auch bei Sertralin ohne positive Wirkung erhebliche Nebenwirkungen aufgetreten. Dagegen habe die Behandlung
mit Cannabinoiden sehr positive Auswirkungen gehabt, die Konzentrationsfähigkeit habe sich enorm gebessert, der Antragsteller
habe die Uni-Aufgaben zu Hause bewältigen können, zudem habe sich die Behandlung auch sehr positiv auf die weiteren Erkrankungen
ausgewirkt (mittelgradige depressive Episode, Alpträume, Ein- und Durchschlafstörungen, nichtorganische Insomnie, Nervosität,
intrinsisches Asthma, generalisierte Angststörung, Allergien). Durch die aufgetretenen Nebenwirkungen der SSRI hätten sich
die Ängste des Antragstellers vor einer Behandlung mit Antidepressiva enorm verstärkt. Eine Therapiealternative mit Clomipramin
(trizyklisches Antidepressivum) sieht Herr A. nicht, da auch bei diesem Arzneimittel innere Unruhe, Müdigkeit, Übelkeit sowie
sexuelle Funktionsstörungen sehr häufige Nebenwirkungen seien, Schlafstörungen und Angstzustände häufige Nebenwirkungen. Der
Antragsteller habe bereits unter diesen Nebenwirkungen längere Zeit leiden müssen, innere Unruhe, Schlafstörungen und Ängste
seien sogar noch verstärkt worden, so dass sich der Gesundheitszustand insgesamt verschlechtert habe. Eine Umstellung auf
Clomipramin empfehle er deshalb nicht, dies sei dem Antragsteller nicht zumutbar. In seinem Gutachten vom 14.06.2018 hat Dr.
B. die Auffassung der behandelnden Ärzte bestätigt. In seiner letzten Stellungnahme vom 25.06.2018 stellt er sich auf den
Standpunkt, dass es eine juristische Fragestellung sei, inwieweit bei der vorliegenden Sachlage von einer "begründeten Stellungnahme"
des behandelnden Arztes auszugehen sei.
Der Senat ist der Auffassung, dass nach dem jetzigen Sach- und Streitstand eine ausreichende ärztliche Begründung vorliegt.
Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass nach dem Gesetzeswortlaut die Krankenkasse die Genehmigung nur in begründeten Ausnahmefällen
ablehnen darf. Damit wird nach der Gesetzesbegründung auch der Therapiehoheit des Vertragsarztes Rechnung getragen (BT-Drs
18/10902 S 20). Liegt eine begründete Einschätzung des Vertragsarztes vor, muss nicht jede theoretisch noch denkbare Behandlungsalternative
ausprobiert werden (so auch Knispel, GesR 2018, 273,275).
Schließlich besteht auch eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
oder schwerwiegende Symptome. Der Senat schließt sich insoweit dem Gutachten des MDK vom 13.04.2018 an, in dem auf S 12 ff
die Ergebnisse einer orientierenden Literaturrecherche dargestellt werden. Dort werden positive Fallberichte sowie eine tierexperimentelle
Arbeit über einen positiven therapeutischen Effekt von Cannabidiol auf das zwanghafte Verhalten von Mäusen angeführt. Weitere
Veröffentlichungen zu Fallberichten nennt Herr A. in dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten Arztfragebogen vom 28.08.2018.
Im Hinblick auf die gesetzliche Einführung des Anspruchs in Kenntnis des Fehlens eines hinreichenden Evidenzlevels für die
Wirksamkeit der Therapie mit Cannabisprodukten (vgl BT-Drs 18/8965 S 24), müssen als Indizien für eine spürbar positive Einwirkung
auf den Krankheitsverlauf auch wissenschaftliche Unterlagen mit geringer Evidenz berücksichtigt werden.
Ob eine Genehmigung nach §
31 Abs
6 SGB V nur bei Vorliegen einer vertragsärztlichen Verordnung in Betracht kommt (so Senatsbeschluss vom 19.09.2017, L 11 KR 3414/17 ER-B; aA LSG Nordrhein-Westfalen 05.01.2018, L 11 KR 405/17 B ER), bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, da der Antragsteller im Beschwerdeverfahren eine entsprechende
vertragsärztliche Verordnung vorgelegt hat (zur möglichen Bedeutung einer Genehmigung bzw einer gerichtlichen Entscheidung
für den Vergütungsanspruch des Apothekers vgl BSG 28.09.2010, B 1 KR 3/10 R, BSGE 106, 303).
Im Hinblick auf die erheblichen Kosten der Therapie mit Cannabisblüten hat der Senat keine Zweifel, dass der Antragsteller
diese nicht auslegen kann. Angesichts der bei der Standardtherapie aufgetretenen Nebenwirkungen, der von Seiten der behandelnden
Ärzte bestätigten positiven Ergebnisse der Behandlung mit Cannabisblüten auf Privatrezept in der Vergangenheit und die erheblichen
Auswirkungen auf die berufliche Zukunft des Antragstellers überwiegen die Nachteile des Antragstellers bei fehlender vorläufiger
Versorgung deutlich gegenüber dem Nachteil der Antragsgegnerin, dass die durch die vorläufige Versorgung entstehenden Kosten
ggf nicht zurückerlangt werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).