Gewährung von Krankengeld
Nahtlose Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Vorherige ärztliche Feststellung der AU
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Krankengeld (Krg) für den Zeitraum 03.12.2016 bis 06.04.2017.
Der 1971 geborene Kläger war als Beschäftigter bei der beklagten Krankenkasse versichert. Das Beschäftigungsverhältnis endete
am 30.04.2016. Ab 06.04.2016 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig. Die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde von Dr.
S. (Allgemeinmedizinische Praxisgemeinschaft mit I. W.) unter dem 08.04.2016 ausgestellt mit der Diagnose psychischer Ausnahmezustand
(F43.9). Die Beklagte gewährte dem Kläger Krg ab 01.05.2016 und teilte mit Bescheid vom 24.05.2016 mit, dass Krg iHv 52,30
EUR brutto (45,84 EUR netto) für die nachgewiesene Dauer der ärztlich attestierten AU gezahlt werde. Nachfolgend wurde die
Arbeitsunfähigkeit (AU) jeweils durchgehend weiter bescheinigt durch die Fachärztin für Allgemeinmedizin W., zuletzt bis 02.12.2016
(Freitag). Die folgende AU-Bescheinigung wurde von Dr. S. am 06.12.2016 (Dienstag) ausgestellt.
Mit Bescheid vom 07.12.2016 lehnte die Beklagte sinngemäß die Gewährung von Krg ab 03.12.2016 ab. Damit durchgehend Krg bezahlt
werden könne, müsse der Arzt spätestens am Tag nach Ende der laufenden Krankschreibung die folgende AU ausstellen. Dies hätte
hier spätestens am 05.12. erfolgen müssen, sei aber erst am 06.12.2016 passiert. Die beitragsfreie Mitgliedschaft ende mit
dem letzten Tag des Krg-Bezugs, damit ende auch der Anspruch auf Krg.
Mit Schreiben vom 12.12.2016 legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, er habe am Vormittag des 02.12.2016 die Praxisgemeinschaft
seiner Hausärztin telefonisch kontaktiert, um einen Termin für die Ausstellung einer erneuten, lückenlosen AU-Bescheinigung
zu erhalten. Ihm sei mitgeteilt worden, dass er hierfür im Laufe des kommenden Montags, 05.12.2016 in der Praxis erscheinen
solle. Dies habe er getan. Gegen 16:30 Uhr sei die Praxis entgegen der üblichen Öffnungszeiten geschlossen gewesen; auf der
Eingangstür sei ein Schild angebracht gewesen, dass die Praxis krankheitsbedingt am Nachmittag geschlossen sei. Am 06.12.2016
habe er die Praxis erneut aufgesucht. Er sehe kein Verschulden seinerseits. Wenn der komplette Praxisbetrieb eingestellt werde,
könne dies nicht zum Nachteil des Patienten gereichen. Ergänzend legte er eine AU-Bescheinigung, ausgestellt von Dr. S. auf
den 02.12.2016 vor. Die Bewilligung von Krg sei als konkludenter Dauerverwaltungsakt einzuordnen, so dass der Fortbestand
des Anspruchs nicht an die Erfüllung weiterer Obliegenheiten durch den Versicherten geknüpft werden könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.04.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bis einschließlich 02.12.2016 sei die versicherungspflichtige
Mitgliedschaft durch den Bezug von Krg erhalten geblieben. Die weitere AU sei nicht nahtlos, sondern erst am 06.12.2016 festgestellt
worden. Unerheblich sei, dass die AU durchgehend bestanden habe. Auch der Vortrag, dass die Praxis am 05.12.2016 geschlossen
gewesen sei, führe zu keiner anderen Beurteilung. Der Versicherte müsse sich rechtzeitig um eine Folgebescheinigung bemühen.
Die nachträglich vorgelegte, korrigierte AU-Bescheinigung könne nicht anerkannt werden, da diese erst im Nachhinein ausgestellt
worden sei. Am 02.12.2016 habe keine ärztliche Untersuchung stattgefunden. Ab 03.12.2016 bestehe eine freiwillige Versicherung
als Beschäftigungsloser, die keinen Anspruch auf Krg umfasse.
Gegen den ihm am 18.04.2017 zugegangenen Widerspruchsbescheid richtet sich die am 18.05.2017 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) eingelegte Klage. Der Kläger bleibt dabei, dass ein Kontakt zwischen dem Kläger und der Praxis bereits am 02.12.2016 stattgefunden
habe und somit eine fristgemäße "Vorsprache" bei den behandelnden Ärzten zu bejahen sei. Zudem stelle die Schließung der Praxis
wegen Krankheit einen Fall höherer Gewalt dar. Hierfür müsse der Kläger nicht einstehen.
Mit Urteil vom 30.01.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei ab dem 03.12.2016 nicht mehr beruhend auf seiner bis 30.04.2016 bestehenden Beschäftigung
mit einem Krg-Anspruch versichert gewesen. Diese Mitgliedschaft habe nach §
192 Abs
1 Nr
2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) nur bis 02.12.2016 bestanden. Das Versicherungsverhältnis könne bei befristeten AU-Bescheinigungen nur aufrechterhalten
werden, wenn die AU spätestens am nächsten Werktag des jeweiligen Krg-Abschnitts erneut ärztlich festgestellt werde (§
46 Satz 2
SGB V). Der Bewilligungsabschnitt für Krg habe am Freitag, 02.12.2016 geendet. Der nächste Werktag sei der 05.12.2016 gewesen,
die ärztliche Feststellung jedoch erst am 06.12.2016 erfolgt. Das Erfordernis der ärztlichen Feststellung sei restriktiv auszulegen.
Ausnahmen seien unter engen Voraussetzungen anzuerkennen, wenn die ärztliche Feststellung durch Umstände verhindert oder verzögert
werde, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen zuzurechnen seien. Ein solcher Ausnahmetatbestand sei hier nicht ersichtlich.
Die Praxisschließung am Nachmittag des 05.12.2016 entbinde den Kläger nicht von seinen Obliegenheiten. Der Versicherte habe
den Arzt - und nicht lediglich die Praxis - aufzusuchen und dem Arzt seine Beschwerden vorzutragen. Daran fehle es hier. Dem
Kläger hätte zugemutet werden können, eine weitere Arztpraxis aufzusuchen, um sein Anliegen vorzutragen. Ein Fall höherer
Gewalt sei nicht anzunehmen. Die auf den 02.12.2016 ausgestellte AU-Bescheinigung begründe keine rechtzeitige ärztliche Feststellung,
da Dr. S. diese nachträglich ausgestellt habe und der Kläger weder am 02. noch am 05.12.2016 untersucht worden sei.
Gegen das seinen Bevollmächtigten am 08.02.2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 01.03.2018 eingelegte Berufung des
Klägers. Er habe sich am 02.12.2016 in der Praxis seiner Hausärztin telefonisch gemeldet unter einer speziellen Telefonnummer
wegen Verlängerung der AU-Bescheinigung. Dort habe man ihm mitgeteilt, dass man die AU-Bescheinigung noch am gleichen Tag
ausstellen werde und es gleichgültig sei, ob diese noch am Freitag oder am Montag, 05.12.2016 abgeholt werde. Man habe ihm
geraten, erst am Montag zu kommen, da am Freitag sehr viel los sei und er lange warten müsse. Der Kläger sei daher davon ausgegangen,
dass die Datierung einer AU-Bescheinigung auf einen Zeitpunkt vor der ärztlichen Feststellung rechtlich nicht zu beanstanden
sei. Der Kläger sei überrascht gewesen, dass die Praxis am 05.12.2016 geschlossen gewesen sei, habe jedoch keine Veranlassung
gesehen, eine weitere Arztpraxis aufzusuchen. Er habe alles in seiner Macht Stehende getan, um eine lückenlose AU-Bescheinigung
zu erhalten. Die Bescheinigung sei aus nichtmedizinischen Gründen aufgrund einer falschen Rechtsauskunft der Arztpraxis irrtümlich
nicht zeitgerecht erstellt. Auch in diesem Fall sei eine Ausnahme anzuerkennen (unter Hinweis auf Bundessozialgericht (BSG) 11.05.2017, B 3 KR 12/16 R).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30.01.2018 und den Bescheid der Beklagten vom 07.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 12.04.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 03.12.2016 bis 06.04.2017
iHv 52,30 EUR brutto täglich zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger sei davon ausgegangen, dass die AU-Bescheinigung bereits vor dem Zeitpunkt seines Erscheinens in der Arztpraxis
ausgestellt worden sei und er daher keine Veranlassung gehabt habe, am 05.12.2016 eine weitere Arztpraxis aufzusuchen. Ein
derartiges Vorgehen einer Arztpraxis widerspreche der AU-Richtlinie, die bestimme, dass die Attestierung von AU nur aufgrund
einer ärztlichen Untersuchung und nicht etwa auf telefonische Anforderung erfolgen dürfe. Entsprechend sei auch der Hinweis
für die Versicherten auf den AU-Bescheinigungen formuliert. Dem Kläger hätten sich somit Zweifel aufdrängen müssen, so dass
er gehalten gewesen sei, Rücksprache bei der Beklagten zu halten. Auch der Hinweis auf das Urteil des BSG vom 11.05.2017 führe zu keiner anderen Beurteilung. Das BSG fordere einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt am maßgeblichen Tag, welcher hier unstreitig nicht stattgefunden habe.
Der Senat hat Frau W. schriftlich als sachverständige Zeugin vernommen. Diese hat unter dem 24.06.2018 mitgeteilt, dass es
in der Praxis eine Telefonnummer gebe, unter der bei Angabe personenbezogener Daten Anforderungen für Rezepte, Überweisungen
und ggf Verlängerung der AU-Bescheinigung abgegeben werden könnten. Diese würden nicht persönlich entgegengenommen, sondern
aufgezeichnet mit der Angabe, dass die Bearbeitung zwei Tage dauern könne. Der Kläger habe sich am 02.12.2016 in der Praxis
gemeldet. Da sie selbst sich in Urlaub befunden habe, sei die AU-Bescheinigung durch Dr. S. ausgestellt worden. Ob dem Kläger
eine Auskunft erteilt worden sei, wie angegeben, könne sie nicht beantworten. Es könne auch nicht mehr nachvollzogen werden,
welche Mitarbeiterin ggf eine derartige Auskunft erteilt hätte; dies entspreche jedoch sicher nicht dem gängigen Vorgehen
der Praxis. Am Montag 05.12.2016 sei die Praxis von 7:30 bis 14:00 Uhr geöffnet und danach wegen Krankheit eines ärztlichen
Kollegen geschlossen gewesen.
Mit Schreiben vom 26.06.2018 hat die Berichterstatterin die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Zurückweisung der Berufung
durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter nach §
153 Abs
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) beabsichtigt ist. In der verlängerten Frist zur Stellungnahme hat sich der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom
22.08.2018 gegen eine Entscheidung durch Beschluss ausgesprochen, da der Sachverhalt noch nicht vollständig ermittelt sei.
Mit weiterem Schreiben vom 07.09.2018 hat er vier Zeugen benannt zum Beweis der Tatsache, dass es der gängigen Vorgehensweise
in der Praxis von Dr. W. entspreche, dass telefonisch um die Ausstellung einer Folgebescheinigung gebeten werden könne, welche
auf den Tag des Anrufs ausgestellt werde ohne Begutachtung durch den Arzt und die auch nach Tagen noch abgeholt werden könne.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider
Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und damit zulässig, sie ist in der Sache jedoch nicht
begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 07.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 12.04.2017 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung
von Krg über den 02.12.2016 hinaus.
Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß
§
153 Abs
4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten
sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden. Gründe für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung liegen auch unter Berücksichtigung
des Vortrags des Bevollmächtigten des Klägers nicht vor. Entgegen seiner Auffassung ist der Sachverhalt vollständig geklärt
(dazu unten).
Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Krg sind die §§
44 ff Sozialgesetzbuch
SGB V. Nach §
44 Abs
1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär
behandelt werden. Der Anspruch auf Krg entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung
von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an (§
46 Satz 1 Nr 2
SGB V idF des GKV-VSG vom 16.07.2015 mWv 23.07.2015, BGBl I, 1211).
Der Anspruch auf Krg bleibt jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere AU wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt
wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der AU erfolgt;
Samstage gelten nicht als Werktage (§
46 Satz 2
SGB V). Grundsätzlich setzt daher der Anspruch auf Krg die vorherige ärztliche Feststellung der AU voraus. Dem Attest des behandelnden
Arztes mit der Feststellung der AU kommt lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage
für den über den Krg-Bezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet, ohne dass Krankenkasse und Gerichte an den
Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind (BSG 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 7).
Die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs, also nicht nur die AU, sondern auch die ärztliche Feststellung der AU, müssen bei
zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krg-Gewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen
(st Rspr BSG 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 12; BSG 16.12.2014, B 1 KR 19/14 R, B 1 KR 25/14 R und B 1 KR 37/14 R). Zudem muss der Versicherte die AU und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und seiner
Krankenkasse gemäß §
49 Abs
1 Nr
5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).
Die ärztliche Feststellung der AU ist keine reine Formalität, sondern Voraussetzung der Entstehung des Anspruchs auf Krg.
Mit dem Erfordernis vorgeschalteter ärztlich festzustellender AU sollen beim Krg Missbrauch und praktische Schwierigkeiten
vermieden werden, zu denen die nachträgliche Behauptung der AU und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten. Als
Regelfall geht das Gesetz davon aus, dass der in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte Versicherte selbst die notwendigen
Schritte unternimmt, um die mögliche AU feststellen zu lassen und seine Ansprüche zu wahren. Mit Blick darauf muss die AU
nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Krankenkasse vor jeder erneuten Inanspruchnahme des Krg auch dann angezeigt werden, wenn sie seit ihrem Beginn ununterbrochen
bestanden hat. Auch dann muss der Versicherte die Fortdauer der AU grundsätzlich rechtzeitig spätestens am nächsten Werktag
nach Ablauf der Befristung der bisherigen Attestierung ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse melden, wenn er
das Erlöschen oder Ruhen des Leistungsanspruchs vermeiden will. Sowohl bei der ärztlichen Feststellung als auch der Meldung
der AU handelt es sich um eine Obliegenheit des Versicherten; die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Feststellung
oder Meldung sind deshalb grundsätzlich von ihm zu tragen. Regelmäßig ist danach die Regelung des §
46 Satz 1 Nr 2
SGB V strikt zu handhaben (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04, BSGE 95, 219, SozR 4-2500 § 46 Nr 1; vgl auch BSG 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R, juris). Der Gesetzgeber hat mit der Änderung in §
46 SGB V durch das GKV-VSG diese Rechtslage und die Rechtsprechung des BSG ausdrücklich bestätigt und hierzu nur eine Erleichterung bezweckt (BT-Drs 18/4095, S 80), so dass diese Rechtsprechung ohne
Einschränkung auch für die hier geltende Fassung des §
46 Satz 1 Nr 2
SGB V Anwendung findet (Senatsurteil vom 23.05.2017, L 11 KR4869/16).
Das bei Entstehen eines Anspruchs auf Krankengeld bestehende Versicherungsverhältnis bestimmt, wer in welchem Umfang als "Versicherter"
Anspruch auf Krg hat. Die Mitgliedschaft des Klägers als Beschäftigter (§
5 Abs
1 Nr
1 SGB V) blieb über den Bezug von Krg nach §
192 Abs
1 Nr
2 SGB V nur bis zum 02.12.2016 erhalten. Will ein Versicherter seine Mitgliedschaft als Beschäftigter in der gesetzlichen Krankenversicherung
über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus durch einen Anspruch auf Krg aufrechterhalten, muss er seine AU für jeden
Krankengeldbewilligungsabschnitt erneut rechtzeitig ärztlich feststellen lassen (vgl BSG 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 6). Dies ist hier nach dem 02.12.2016 nicht rechtzeitig erfolgt. Am Tag der erneuten ärztlichen Feststellung der AU, dem
06.12.2016, war der Kläger nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert. Ab diesem Zeitpunkt war der Kläger freiwillig versichert
(§
188 Abs
4 Satz 1
SGB V) ohne Anspruch auf Krg.
Zur Überzeugung des Senats ist auch kein Sachverhalt gegeben, bei dem die AU-Feststellung für einen weiteren Bewilligungsabschnitt
ausnahmsweise hätte nachgeholt werden können. Nach der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine verspätete Feststellung der
AU dem Versicherten nicht entgegengehalten werden kann, wenn Geschäftsunfähigkeit besteht, ein gesetzlicher Vertreter nicht
vorhanden war und wenn der Versicherte auf Grund dieses Umstandes nicht in der Lage gewesen ist, die für die Feststellung
der Arbeitsunfähigkeit obligatorischen Handlungen vorzunehmen (BSG 22.06.1966, 3 RK 14/64, BSGE 25,76). Ein solcher Fall lag hier ersichtlich nicht vor. Aber auch bei Erstreckung dieser Ausnahmefallgruppe auf (vorübergehende)
zumindest vergleichbare Zustände, in welchen der Versicherte krankheitsbedingt zB im Rahmen einer schweren Depression (vgl
hierzu SG Aachen 14.03.2017, S 13 KR 312/16, juris) nicht in der Lage zu den für eine Feststellung der AU erforderlichen Handlungen ist, ergibt sich für den konkreten
Fall keine andere Beurteilung. Eine vergleichbar außergewöhnliche Situation, die den Versicherten gleichsam körperlich handlungsunfähig
macht, wird in der Literatur etwa diskutiert bei Bergunfällen mit Rettung erst nach einigen Tagen oder bei Ohnmachtsanfällen
Alleinstehender mit Auffindung Tage später (vgl Sonnhoff in juris-PK
SGB V, §
46 RdNr 42). Ein derartiger Fall ist hier ersichtlich nicht gegeben.
In Erweiterung dieser bereits seit langem anerkannten Ausnahmefälle hat das BSG auch dann einen Anspruch auf Krg bejaht, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare zur ärztlichen
Feststellung der Arbeitsunfähigkeit getan hat, die Feststellung aber wegen der nichtmedizinisch begründeten Fehlvorstellung
des Vertragsarztes unterblieben ist, die AU könne krankengeldunschädlich auch noch rückwirkend im Nachhinein attestiert werden
(BSG 11.05.2017, B 3 KR 22/15 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 16). Auch ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor.
Der Kläger hätte spätestens am 05.12.2016 eine neue AU-Feststellung bewirken müssen. Unstreitig hat ein Arzt-Patienten-Kontakt
mit Frau W. oder Dr. S. weder am 02. noch am 05.12.2016 stattgefunden, sondern erst am Folgetag, dem 06.12.2016. Die genannte
Ausnahmerechtsprechung des BSG greift jedoch nur in den Fällen, in denen ein Versicherter entsprechend der gesetzlichen Vorgaben innerhalb des zeitlichen
Rahmens einer zuvor attestierten AU einen Vertragsarzt zu dem Zweck aufgesucht hat, für die Weitergewährung von Krg eine ärztliche
AU-Folgebescheinigung zu erlangen, dazu ein Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden hat, die begehrte Erteilung einer solchen
Bescheinigung aber gleichwohl unterbleibt (BSG 11.05.2017, B 3 KR 22/15 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 16). Diese Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, lässt sich aber nicht auf Fälle übertragen, in denen der Versicherte
- wie hier der Kläger - den Arzt (und nicht nur die Praxis in Abwesenheit des Arztes) erst nach Ablauf der bestätigten AU
aufsucht (ebenso Senatsurteile vom 06.02.2018, L 11 KR 1039/17 und 15.05.2018, L 11 KR 4179/17). Auch wenn Konstellationen denkbar sind, in denen selbst bei Fehlen eines Arzt-Patienten-Kontakts dem Versicherten möglicherweise
eine Obliegenheitsverletzung nicht vorgeworfen werden kann (dazu LSG Nordrhein-Westfalen 26.04.2018, L 16 KR 353/17, BeckRS 2018, 15899), liegt ein derartiger Ausnahmefall hier nicht vor. Der Kläger hat nach seinem eigenen Vorbringen die
ärztliche Praxis am 05.12.2016 erst gegen 16:30 Uhr aufgesucht, ohne dass er einen Termin hatte. Zu diesem Zeitpunkt war die
Praxis nach der Aussage von Dr. W. wegen Krankheit geschlossen. In einem derartigen Fall geht es zu Lasten des Versicherten,
wenn er "auf den letzten Drücker" ohne konkreten Termin die hausärztliche Praxis aufsucht. Weitere Bemühungen, an diesem Tag
einen anderen Vertragsarzt zur Feststellung der AU aufzusuchen, hat der Kläger nicht unternommen. Damit hat der Kläger nicht
alles ihm Zumutbare getan, um seinen Obliegenheiten zur rechtzeitigen Feststellung der AU zu genügen. Ein Fall "höherer Gewalt"
ist nicht ersichtlich.
Im Übrigen fällt auf, dass der Kläger seinen Vortrag im Verlauf des Verfahrens in seinem Sinne zumindest deutlich angepasst
hat. In seinem Widerspruchsschreiben vom 12.12.2016 hat er lediglich ausgeführt, er habe in der Praxis am 02.12.2016 angerufen,
um einen Termin für die Ausstellung einer AU-Bescheinigung zu bekommen. Laut Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem
SG vom 30.01.2018 hat er angegeben, ihm sei mitgeteilt worden, ob er am Freitag oder Montag komme, um die Bescheinigung abzuholen,
sei egal (was zutreffend wäre, da Montag, 05.12.2016 rechtzeitig gewesen wäre). Weiter ist protokolliert, dass der Kläger,
als er Dienstag die Bescheinigung abgeholt habe, gar nicht daran gedacht habe, dass diese erst auf den 06.12. ausgestellt
sein würde, da er die ganze Zeit davon ausgegangen sei, dass die Bescheinigung schon seit Freitagabend in der Praxis vorliege.
Nach seinen eigenen Einlassungen in erster Instanz handelte es sich damit um seine eigene Fehlvorstellung, nicht eine unzutreffende
Auskunft der Praxis oder gar der Ärzte - mit denen jedenfalls am 02.12. und 05.12.2016 gar kein Kontakt, auch nicht telefonisch,
bestand. Entsprechend hat Dr. S. trotz Voranfrage des Klägers vom 02.12.2016 die AU-Bescheinigung auch erst bei der Vorstellung
des Klägers am 06.12.2016 ausgestellt. Die nachträgliche, zusätzliche Ausstellung einer AU-Bescheinigung auf den 02.12.2016
durch Dr. S. erfolgte erst rückwirkend, nachdem der Kläger mit Bescheid vom 07.12.2016 über den Verlust seines Krg-Anspruchs
informiert worden war, so dass diese später vorgelegte Bescheinigung nicht akzeptiert werden kann. Keinesfalls besteht ein
schutzwürdiges Vertrauen des Klägers darauf, dass er stets ohne ärztliche Untersuchung für abgelaufene Zeiträume eine zurückdatierte
AU-Bescheinigung erhalten würde. Eine solche, jeglichen Vorgaben in den AU-Richtlinien widersprechenden Verfahrensweise wäre
als kollusives Zusammenwirken zwischen Arzt und Patient zum Nachteil der Krankenkasse anzusehen, welches den Versicherten
nicht auch noch von seinen Obliegenheiten im Verfahren der AU-Feststellung entbinden kann.
Es besteht auch kein nachgehender Leistungsanspruch für die Dauer von einem Monat aus §
19 Abs
2 Satz 1
SGB V. Nach §
19 Abs
2 Satz 1
SGB V besteht, wenn die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger endet, Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem
Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Nach der Rechtsprechung des BSG setzt ein solcher, nachgehender Anspruch voraus, dass kein anderweitiger aktueller Krankenversicherungsschutz besteht. Denn
der aus der früheren Mitgliedschaft abgeleitete Versicherungsschutz ist gegenüber Ansprüchen aus einem aktuellen Versicherungsverhältnis
grundsätzlich nachrangig, auch wenn das im Wortlaut des §
19 Abs
2 SGB V unmittelbar nicht zum Ausdruck kommt (stRspr, vgl BSG 07.05.2002, B 1 KR 24/01 R, BSGE 89, 254 = SozR 3-2500 § 19 Nr 5; BSG 16.12.2014, B 1 KR 37/14 R, BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 §
192 Nr
7). Die Anschlussversicherung nach §
188 Abs
4 Satz 1
SGB V, die keinen Anspruch auf Krg umfasst, geht daher dem nachgehenden Leistungsanspruch des §
19 Abs
2 SGB V vor.
Der Sachverhalt ist aufgeklärt. Eine weitere Befragung von Frau W. oder weiterer Zeugen ist nicht erforderlich. Der Bevollmächtigte
des Klägers hat vier weitere Fragen formuliert zum Beweis der Tatsache, dass es dem gängigen Vorgehen der Praxisgemeinschaft
entspreche, dass Verlängerungen von AU-Bescheinigungen telefonisch angefordert und nach einer Bearbeitungszeit von ein bis
zwei Tagen abgeholt werden können, sowie dass bei dem Kläger eine Indikation für die Verlängerung der AU bestanden habe und
daher auch schon zuvor Folgebescheinigungen aufgrund telefonischer Anforderung ausgestellt worden seien. Der zweite Punkt,
dass bei dem Kläger eine Indikation für die Verlängerung der AU-Bescheinigung bestanden habe, kann als wahr unterstellt werden.
Das durchgehende Vorliegen von AU ohne rechtzeitige ärztliche Feststellung reicht jedoch für den Anspruch auf Krg bekanntermaßen
nicht aus. Auf die übrigen Fragen ("Weshalb entspricht es nicht dem gängigen Vorgehen der Praxisgemeinschaft,.", "Werden Rezepte,
Überweisungen und Folgebescheinigungen lediglich ausgestellt, wenn die Patienten diese spezielle Telefonnummer wählen? ...",
"Weshalb wurde die AU-Bescheinigung vom 02.12.2016 durch ihren Kollegen Dr. F. S. zurückdatiert?") kommt es nicht an. Gleiches
gilt für die Behauptung, es entspreche gängiger Verfahrensweise in der Praxis Dr. W., dass ohne ärztliche Untersuchung AU-Bescheinigungen
ausgestellt würden und nachträglich abgeholt werden könnten, wofür weiterer Zeugenbeweis angeboten wird. Selbst wenn dies
der Fall wäre - was Dr. W. bestritten hat - wäre dies als kollusives Zusammenwirken zwischen Arzt und Versichertem zu Lasten
der Krankenkasse anzusehen, das jedenfalls nicht zu einer Entlastung des Versicherten von seinen Obliegenheiten im Rahmen
der AU-Feststellung führen kann. Die Behauptung kann damit als wahr unterstellt werden, ohne dass sich am Ergebnis der Entscheidung
etwas ändern würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG).