Anspruch auf Altersrente für Frauen; rückwirkenden Aufhebung des Rentenbescheids wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze;
grobe Fahrlässigkeit bei unterlassener Mitteilung von Einkünften
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der rückwirkenden Aufhebung des Rentenbescheids (Altersrente für Frauen) vom
30. August 2002 aufgrund der Erzielung eines Hinzuverdienstes durch die Klägerin für den Zeitraum 1. März 2003 bis 31. Mai
2006 und eine daraus resultierende Reduzierung der Rente auf eine Teilrente in Höhe von zwei Dritteln einer Vollrente.
Die 1942 geborene Klägerin hat nach ihren eigenen Angaben nach acht Jahren Hauptschule von April 1957 bis März 1960 eine Ausbildung
zur Friseuse absolviert und mit dem Gesellenbrief abgeschlossen. Im Anschluss daran war sie bis 1964 im erlernten Beruf, von
1964 bis 1970 als Datentypistin, nach Zeiten der Kindererziehung von 1974 bis 1978 erneut als Datentypistin, von 1979 bis
1983 als Sachbearbeiterin mit EDV und von 1983 bis Juli 1997 als EDV-Datentypistin beschäftigt. Ab 1. August 1998 war die
Klägerin bis August 2002 als kaufmännische Angestellte in einem Steuerberatungsbüro tätig.
Mit Antrag vom 18. Juli 2002 begehrte die Klägerin die Gewährung von Altersrente für Frauen als Vollrente. Hierbei gab sie
an, nicht geringfügig beschäftigt (325 Euro-Beschäftigung) zu sein. Ein Bezug von Sozialhilfeleistungen wurde verneint.
Mit Bescheid vom 30. August 2002 gewährte die Beklagte der Klägerin antragsgemäß Altersrente für Frauen als Vollrente ab 1.
September 2002 in Höhe eines monatlichen Zahlbetrags von 654,20 Euro. In dem Bescheid wird darauf hingewiesen, dass eine Rente
wegen Alters bis zum Ablauf des Monats der Vollendung des 65. Lebensjahres bei gleichzeitiger Ausübung einer Beschäftigung
oder selbstständigen Tätigkeit nur geleistet werden könne, wenn das erzielte Einkommen (Bruttoverdienst aus Beschäftigung
bzw. Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit) sich im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Hinzuverdienstmöglichkeiten halte. Die
monatliche Hinzuverdienstgrenze für die Rente wegen Alters in Höhe der Vollrente betrage 325 Euro. Es bestünde bis zur Vollendung
des 65. Lebensjahres die gesetzliche Verpflichtung, der Beklagten die Aufnahme oder Ausübung einer über diesen Rahmen hinausgehenden
Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit bzw. den Bezug von vergleichbaren Einkommen in entsprechender Höhe unverzüglich
mitzuteilen.
Mit Schreiben vom 27. Juni 2006 wurde der Beklagten von einer Betriebsprüferin im Außendienst mitgeteilt, dass die Klägerin
ab dem 1. April 2003 statt bisher 325 Euro jetzt 400 Euro monatlich als Aushilfe in einer Steuerkanzlei erhalte. Die zuständige
Steuerberaterin habe erklärt, dass bei der neuen Gehaltszahlung ab April 2003 der Altersrentenbezug übersehen worden sei.
Es wurden Lohnabrechnungen übersandt, aus denen sich ein Brutto-/Nettolohn für eine Tätigkeit als Büro-Aushilfe in Höhe von
monatlich 400 Euro ab April 2003 bis Mai 2006 ergibt.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2006 gewährte die Beklagte der Klägerin Altersrente als Teilrente in Höhe von zwei Dritteln der
Vollrente ab 1. September 2006. Die Neuberechnung erfolge, weil sich der Umfang der Rente (Vollrente bzw. Teilrente) geändert
habe. Der Rentenbescheid vom 30. August 2002 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für die Zukunft ab 1. September
2006 nach § 48 SGB X aufgehoben.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2006 hörte die Beklagte die Klägerin zu der beabsichtigten teilweisen Aufhebung des Bescheids vom
30. August 2002 ab 1. April 2003 bis 31. August 2006 und einer Rückforderung in Höhe von 8.938,29 Euro an. Für das Kalenderjahr
2003 habe eine monatliche Hinzuverdienstgrenze von 340 Euro, für die Kalenderjahre 2004 und 2005 von 345 Euro sowie ab 1.
Januar 2006 von 350 Euro gegolten. Die Klägerin habe mit ihrem Einkommen in Höhe von 400 Euro diese Hinzuverdienstgrenze überschritten.
Sie sei auch ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht, auf die sie hingewiesen worden sei, nicht nachgekommen. Es wurde ihr die
Möglichkeit zur Stellungnahme auch in Bezug auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben.
Mit ihrem Widerspruch vom 25. Juli 2006 gegen den Bescheid vom 17. Juli 2006 machte die Klägerin geltend, ab 1. Juni 2006
sei die Aushilfstätigkeit auf 350 Euro reduziert worden. Deshalb stünde ihr ab Juni 2006 die Vollrente zu. Sie legte Lohnabrechnungen
für die Monate Juni und Juli 2006 vor, aus denen sich ein Brutto-/Nettolohn in Höhe von 350 Euro monatlich ergibt.
Sie teilte im Rahmen des Anhörungsverfahrens mit, sie habe am 1. Januar 2003 ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis aufgenommen.
Hierbei habe sie geglaubt, dass die Versicherungspflichtgrenze von 400 Euro identisch mit der Hinzuverdienstgrenze bei Altersrenten
sei. In diesem Glauben sei sie auch von dritter Seite bestärkt worden. Die gesetzliche Änderung vom 1. April 2003 - Auseinanderfallen
der Hinzuverdienstgrenze und der Versicherungspflichtgrenze - sei von ihr nicht wahrgenommen worden. Sie habe zum 1. April
2003 ihre Nebentätigkeit von bisher 325 Euro auf 400 Euro voll in dem Bewusstsein erhöht, keine Hinzuverdienstgrenze zu überschreiten.
Die Kompliziertheit der Materie und die permanenten Änderungen seien für einen normalen Bürger nicht mehr nachvollziehbar.
Eine Rückzahlung in Höhe von 8.938,29 Euro bedeute für sie eine erhebliche Härte. Ihre Altersrente und das Einkommen aus der
Nebentätigkeit seien ihre einzigen positiven Einkünfte. Aus der Vermietung erziele sie negative Einkünfte (7.674,- Euro).
Die Mieteinnahmen deckten gerade die laufenden Kosten des Vermietungsobjekts. Sie bitte daher, den Rückforderungsanspruch
auf die Differenz zwischen der jeweiligen Hinzuverdienstgrenze und 400 Euro zu beschränken.
Mit angefochtenem Bescheid vom 11. August 2006 hob die Beklagte den Bescheid vom 30. August 2002 hinsichtlich der Rentenhöhe
ab 1. April 2003 gemäß § 48 SGB X auf. Hierbei gewährte die Beklagte der Klägerin die Altersrente als Teilrente in Höhe von zwei Dritteln der Vollrente ab
1. April 2003 bis 31. Mai 2006 sowie erneut ab 1. September 2006. Für die Zeit ab 1. Juni 2006 bis 31. August 2006 sei die
Rente nicht zu zahlen. Die entstandene Überzahlung in Höhe von 8.287,32 Euro sei zu erstatten. Die Klägerin habe durch den
Bescheid vom 30. August 2002 gewusst, dass sie der Beklagten die Aufnahme oder Ausübung einer über die Hinzuverdienstgrenze
hinausgehende Beschäftigung unverzüglich mitzuteilen habe. Auch sei sie über die geltenden Hinzuverdienstgrenzen informiert
gewesen. Eine Mitteilung der Klägerin sei jedoch unterblieben. Diese sei jedoch gerade im Hinblick auf ständige Rechtsänderungen
und eine Vielzahl von gesetzlichen Regelungen erforderlich gewesen. Im Hinblick auf die nicht nur geringfügige Überschreitung
der geltenden Hinzuverdienstgrenze sei die Minderung der Überzahlungshöhe auf die Differenz zwischen der jeweiligen Hinzuverdienstgrenze
und dem von der Klägerin erzielten Verdienst von 400 Euro nicht zulässig. Soweit Sozialhilfebedürftigkeit bestehe, werde um
Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung gebeten.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin erneut geltend, dass sie ab 1. Juni 2006 eine Aushilfstätigkeit
nur noch mit monatlich 350 Euro ausübe. Sie bat darum, im Wege einer Ermessensentscheidung den Rückforderungsanspruch auf
den "Mehrwert" zu beschränken. Es liege bei ihr eine so genannte atypische Fallgestaltung vor. Der Arbeitgeber (A. GmbH) bestätigte,
dass die Klägerin seit dem 1. Juni 2006 bis auf weiteres zu 350 Euro beschäftigt sei.
Mit weiterem angefochtenem Bescheid vom 13. Dezember 2006 gewährte die Beklagte der Klägerin nunmehr die Rente ab 1. Juni
2006 in Höhe der Vollrente. Für die Zeit ab 1. April 2003 bis 31. Mai 2006 werde die Rente als Teilrente in Höhe von zwei
Dritteln der Vollrente gewährt. Die Überzahlung für den Zeitraum 1. April 2003 bis 31. Januar 2007 betrage 7.202,34 Euro.
Der überzahlte Betrag sei zu erstatten. Ergänzend werde daraufhingewiesen, dass bei einem Wechsel von einer Teilrente wegen
Alters in eine Vollrente ein Zuschlag an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn der Rente wegen Alters zu gewähren sei.
Die maschinelle Umsetzung der Zuschlagsberechnung werde in einem weiteren Bescheid erfolgen.
Daraufhin bat die Klägerin unter Hinweis auf ihre Unkenntnis von der Rechtslage um eine Ermessensentscheidung zu ihren Gunsten.
Mit Schreiben vom 9. Januar 2007 forderte die Beklagte die Klägerin erneut unter Übersendung eines Vordrucks zur Darlegung
ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse auf. In ihrer Stellungnahme hierzu verwies die Klägerin darauf, sie habe im Zeitraum 1.
April 2003 bis 31. Mai 2006 2.110 Euro zu Unrecht verdient. Dies ergebe eine Rentenkürzung in Höhe von 8.287,23 Euro. Dies
sei nicht nachzuvollziehen. Um einen Rentenbescheid lesen und verstehen zu können, müsse man ein Fachmann sein. Sie könne
das nicht. Die darin enthaltenen Mitteilungen habe sie nicht verstanden. In Anbetracht ihres Nichtwissens, ihrer persönlichen
finanziellen Lage und der Kompliziertheit des Rentenrechts bitte sie um eine Beschränkung der Rückforderung auf 2.110.- Euro.
Sie legte einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 vor, aus dem sich ein zu versteuerndes Einkommen der Eheleute A.
in Höhe von 26.872.- Euro ergibt. In einer aktuellen Darstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse berichtet sie von monatlichen
Einnahmen der Eheleute A. in Höhe von insgesamt 7.483 Euro bei Ausgaben in Höhe von insgesamt 6.261.- Euro sowie von einem
Vermögen von insgesamt 412.000.- Euro (davon 22.000,- Euro Bankguthaben) bei Schulden in Höhe von 391.138.- Euro.
Mit weiterem Bescheid vom 2. März 2007 errechnete die Beklagte einen auf 655,99 Euro erhöhten Rentenzahlbetrag für die Zeit
ab 1. April 2007 sowie einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 76,55 Euro für den Zeitraum 1. Juni 2006 bis 31. März 2007 unter
Zugrundelegung eines Zuschlags an Entgeltpunkten für Arbeitsentgelt aus geringfügiger versicherungsfreier Beschäftigung nach
Beginn einer Rente wegen Alters sowie eines geänderten Beitragssatzes zur Krankenversicherung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2007 hat die Beklagte den Widerspruch gegen die Bescheide vom 11. August 2006 und 4.
Dezember 2006 zurückgewiesen. Die Klägerin sei im Rentenbescheid vom 30. August 2003 darauf hingewiesen worden, dass Einkünfte
aus einer Beschäftigung Einfluss auf die Höhe der Rente bzw. den Rentenanspruch dem Grunde nach hätten. Der Bescheid habe
ausführliche Hinweise zu der maßgebenden Hinzuverdienstgrenze und den Einkünften, die Einflüsse auf die Höhe der Rente haben,
enthalten. Die Klägerin habe auch die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Es sei von einem Leistungsempfänger
zu verlangen, dass er Unterlagen, die erkennbar wichtige Hinweise enthalten, aufbewahre und sich anhand dieser Unterlagen
wesentliche Umstände ins Gedächtnis rufe. Ein atypischer Fall sei nicht gegeben. Es lägen keine besonderen Umstände vor, die
eine Ermessensentscheidung zu ihren Gunsten erfordere. Die Beklagte treffe kein Mitverschulden an der rechtswidrigen Leistung.
Auch nach der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse sei nicht davon auszugehen, dass die Rückforderung mit einer wirtschaftlichen
Härte verbunden sei. Die Summe der Einnahmen übersteige in erheblichen Umfang die Summe der Ausgaben. Im Rahmen des Ermessens
könne daher weder ganz noch teilweise von der Erstattung des überzahlten Betrags abgesehen werden. Die Beklagte sei verpflichtet,
das Vermögen der Versichertengemeinschaft treuhänderisch nach besten Wissen und Gewissen zu verwalten.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie sei in dem Glauben gewesen, die Hinzuverdienstgrenze des
§
34 Abs.
3 SGB VI entspreche der Geringfügigkeitsgrenze des §
8 SGB IV in Höhe von 400 Euro. Für einen juristischen Laien sei eine solche Verwechslung nicht ungewöhnlich. Ihr könne nicht der Vorwurf
gemacht werden, sie hätte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Für das Bejahen des Vorliegens einer
groben Fahrlässigkeit müsste der Klägerin ohne weitere Überlegungen klar gewesen sein, dass sie den betreffenden Umstand hätte
mitteilen müssen. Dies sei für sie keineswegs klar gewesen. Sie habe ihre Unterlagen immer ihrem Steuerberater zur Bearbeitung
gegeben. Die Information über die Hinzuverdienstgrenze in dem Bescheid vom 30. August 2002 habe schon einen längeren Zeitraum
zurückgelegen, als sie am 1. April 2003 ihre Nebentätigkeit auf 400 Euro erhöht habe. Bei ihr liege daher nur leichte Fahrlässigkeit
vor. Auch erlaube es die persönliche finanzielle Lage nicht, den streitgegenständlichen Rückforderungsbetrag zu erstatten.
Die Altersrente und das Einkommen aus ihrer Nebentätigkeit seien die einzigen positiven Einkünfte der Klägerin. Eine Rückzahlung
würde eine unzumutbare Härte darstellen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei auch der Irrtum der Klägerin zu berücksichtigen.
Im vorliegenden Fall sprächen gegen die Rücknahme des Verwaltungsaktes die Unverhältnismäßigkeit der Höhe der Rückforderung
und der Umstand, dass die Klägerin ihrer Mitteilungspflicht lediglich deshalb nicht nachgekommen sei, da sie keine Kenntnis
von der Hinzuverdienstgrenze hatte bzw. diese mit der Geringfügigkeitsgrenze von 400 Euro verwechselt habe. Betrachte man
den rentenschädlichen Verdienst in Höhe von 2.110.- Euro, sei der geltend gemachte Rückforderungsbetrag unverhältnismäßig.
Es liege ein atypischer Fall vor.
Mit Urteil vom 23. Januar 2009 änderte das SG die Bescheide der Beklagten vom 11. August 2006 und 4. Dezember 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni
2007 insoweit ab, als der Rentenbescheid vom 30. August 2002 nur in Höhe des rentenschädlichen Mehrverdienstes der Klägerin
in Höhe von 2.110.- Euro aufgehoben wird. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
Der Bezug von Arbeitseinkommen in Höhe von monatlich 400 Euro von April 2003 bis Mai 2006 sei eine wesentliche, für die Klägerin
nachteilige Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X. Die Hinzuverdienstgrenze des §
34 Abs.
2 S. 1
SGB VI für eine Vollrente sei damit überschritten worden. Die Beklagte sei gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X auch berechtigt gewesen, den Bescheid vom 30. August 2002 rückwirkend ab 1. April 2003 aufzuheben, da die Klägerin nach Erlass
des Bescheids Einkommen erzielt habe, das zur Minderung des Anspruchs geführt habe. Ein atypischer Fall, der die Beklagte
zur Ausübung von Ermessen zwinge, liege nicht vor. Auch sei die Einjahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X eingehalten worden. Auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X dürfe jedoch nach der Rechtsprechung des BSG nur in Höhe des die Hinzuverdienstgrenze übersteigenden Teils des Arbeitsentgelts
aufgehoben werden, mithin also nur in Höhe von 2110.- Euro. Eine weitergehende Aufhebung wäre nur möglich, wenn die Voraussetzungen
der Nrn. 2 und 4 des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X erfüllt seien. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Klägerin sei ihrer Mitteilungspflicht weder vorsätzlich noch grobfahrlässig
nicht nachgekommen. Zum Zeitpunkt des Beginns der Rente seien die Hinzuverdienstgrenze für eine Vollrente nach §
34 SGBVI und die Geringfügigkeitsgrenze nach §
8 SGB IV identisch gewesen. Dementsprechend habe sich der Hinzuverdienst der Klägerin bis einschließlich März 2003 im Rahmen der für
eine Altersrente wie für eine geringfügige Beschäftigung geltenden Grenze von 325 Euro gehalten. Zum 1. April 2003 sei die
Verdienstgrenze für eine geringfügige entlohnte Beschäftigung auf 400 Euro heraufgesetzt worden, die Hinzuverdienstgrenze
für eine Altersrente als Vollrente lediglich auf 340 Euro. Die Verwechslung beziehungsweise Gleichsetzung dieser beiden Grenzen
durch die juristisch nicht vorgebildete Klägerin und die deshalb unterbliebene Benachrichtigung der Beklagten könne nicht
als Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes bewertet werden. Es handele sich vielmehr um einen plausiblen Irrtum,
der zwar fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig gewesen sei.
Der Gesetzgeber habe durch Gesetz vom 8. April 2008 die Hinzuverdienstgrenze rückwirkend zum 1. Januar 2008 auf 400 Euro mit
der Begründung angehoben, die Differenzierung zwischen diesen beiden Grenzen sei für viele Rentner nicht nachvollziehbar.
Diese gingen davon aus, dass sie neben ihrer Rente eine geringfügige Beschäftigung ausüben dürften, so dass es in einer nicht
unerheblichen Zahl von Fällen zur Überzahlungen komme. Der Umstand, dass die unterschiedliche Höhe der beiden Grenzen bei
zahlreichen Rentnern zu Irritationen geführt habe, mache deutlich, dass bei der Klägerin keine grobe Fahrlässigkeit vorliege.
Hiergegen hat die Beklagte mit der Begründung Berufung eingelegt, die Klägerin habe nicht berechtigterweise davon ausgehen
dürfen, dass für ihre Altersrente die Geringfügigkeitsgrenze nach §
8 SGB IV und nicht die Hinzuverdienstgrenze nach §
34 SGB VI gelte. In den Hinweisen des Bescheids vom 30. August 2002 werde an keiner Stelle von einer Geringfügigkeitsgrenze, sondern
stets von einer Hinzuverdienstgrenze gesprochen. Die Klägerin habe daher keine Veranlassung zu der Annahme gehabt, für sie
gelte die Geringfügigkeitsgrenze.
Die Klägerin hat mit Telefax vom 10. März 2010 Stellung genommen und hierin auf die Entscheidungsgründe des Urteils des SG Bezug genommen. Zu beachten sei insbesondere, dass die Hinzuverdienstgrenze und die Geringfügigkeitsgrenze zum Zeitpunkt
der Rentenbewilligung identisch gewesen seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Januar 2009 aufzuheben und die Klage gegen die Bescheide vom 11. August 2006
und 4. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni 2007 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die angefochtenen Bescheide vom 11. August und 4. Dezember 2006 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni 2007 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die
Beklagte war gemäß §§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; 50 SGB X i.V.m. §
34 Abs.
2,
3 SGB VI berechtigt, den Rentenbescheid vom 30. August 2002 mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben und den gesamten überzahlten
Betrag in Höhe von 7.202,34 Euro zurückzufordern. Eine Begrenzung des zu erstattenden Betrags auf die Höhe des die Hinzuverdienstgrenze
übersteigenden Teils des Arbeitsentgelts, wie er vom SG vorgenommen wurde, kommt nach Auffassung des erkennenden Senats nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X erfüllt sind.
In Bezug auf die Aufhebungsvoraussetzungen der § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X in Verbindung mit §
34 Abs.
2,
3 SGB VI, § 48 Abs. 4 SGB X folgt der Senat zunächst vollumfänglich den überzeugenden Ausführungen des SG und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§§
153 Abs.
1,
136 Abs.
3 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -).
Zwischen den Beteiligten ist alleine noch strittig, ob ein Rückforderungsanspruch der Beklagten für die Vergangenheit nicht
nur auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X, sondern auch auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X gestützt werden kann.
Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, kommt eine Begrenzung des Nachzahlungsbetrags auf die Höhe des die Hinzuverdienstgrenze
übersteigenden Teils des Arbeitsentgelts, hier also auf 2.110.- Euro, allein dann in Betracht, wenn sich der Rückforderungsanspruch
der Beklagten nur auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X stützen lässt. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 23. März 1995 (Az. 13 RJ 39/94, in juris) diese Begrenzung eines aus § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X hergeleiteten Rückforderungsanspruchs zum einen mit dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X begründet, wonach der Verwaltungsakt nur aufgehoben werden solle, "soweit" Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das
zum Wegfall oder Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Ein anderes Ergebnis wäre zum anderen unbillig und mit dem vom
Vertrauensschutz geprägten Grundgedanken des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X nicht zu vereinbaren.
Diese Begrenzung gilt jedoch - wie sich aus dem zitierten Urteil des BSG ebenfalls entnehmen lässt - dann nicht, wenn sich
die Aufhebung des Verwaltungsaktes auch mit den in § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 oder 4 SGB X niedergelegten Gründen begründen lässt. In diesen Fallgestaltungen, in denen dem Betroffenen eine vorsätzliche oder grob
fahrlässige Verletzung von Mitwirkungspflichten bzw. Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von dem (teilweisen) Wegfall
des Rentenanspruchs zur Last zu legen ist, lässt sich eine derartige Begrenzung weder aus dem Wortlaut entnehmen noch erscheint
das Ergebnis unbillig. Denn ein Betroffener, dem Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit entgegenzuhalten ist, kann sich nicht auf
Vertrauensschutz berufen.
Der Senat ist der Auffassung, dass die rückwirkende Aufhebung des Rentenbescheids durch § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X gedeckt ist. Nach dieser Bestimmung soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben
werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger
Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Die Klägerin hat die ihr mit Bescheid
vom 30. August 2002 bekannt gemachte Pflicht zur Mitteilung ihres Einkommens grob fahrlässig verletzt. Grobe Fahrlässigkeit
liegt vor, wenn dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen. Hierbei ist sind
auch die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen zu berücksichtigen (sog. subjektiver
Fahrlässigkeitsbegriff; KassKomm-Steinwedel, § 45 SGB X Rn. 39).
Das Außerachtlassen von gesetzlichen Vorschriften, auf die vom Versicherungsträger gesondert hingewiesen wurde, ist im Allgemeinen
grob fahrlässig, es sei denn, dass der Betroffene nach seiner Persönlichkeitsstruktur und nach seinem Bildungsstand die Vorschrift
nicht verstanden hat (BSG in BSGE 44, 264). Die Beklagte hat eindeutige und deutliche Hinweise auf die Hinzuverdienstgrenzen sowie auf die gesetzliche Verpflichtung
gegeben, das Erzielen von Hinzuverdienst über der Hinzuverdienstgrenze von 325 Euro der Beklagten mitzuteilen. Der Senat hat
bei Würdigung des durchaus sachkundigen Vortrags der Klägerin im gesamten Verfahren sowie unter Berücksichtigung des Umstands,
dass die Klägerin nach ihren eigenen Angaben eine Lehre erfolgreich absolviert hat und über viele Jahre im Büro als kaufmännische
Angestellte tätig war, keinen Zweifel daran, dass sie in der Lage war, diese Hinweise der Beklagten zu verstehen.
Der Einwand der Klägerin, sie habe die Hinzuverdienstgrenze mit der Geringfügigkeitsgrenze gemäß §
8 SGB IV verwechselt, kann den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht entkräften. Wie die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen
hat, sind in den verwendeten Antragsformularen sowie im Rentenbescheid vom 30. August 2002 keinerlei Hinweise auf eine Geringfügigkeitsgrenze
enthalten. Stets ist nur von einer Hinzuverdienstgrenze die Rede. Einen Ansatzpunkt für eine derartige Verwechslung gibt es
also nicht. Der Klägerin ist zuzugestehen, dass das Sozialrecht kompliziert und nur schwer überschaubar ist. Gerade diese
Erkenntnis hätte aber Anlass für die Klägerin sein müssen, sich möglichst vor Erhöhung ihres Einkommens auf 400 Euro mit der
Beklagten in Verbindung zu setzen, um sich über die daraus resultierenden rentenrechtlichen Konsequenzen zu informieren. Wer
sich in der komplizierten Materie des Sozialrechts auf Vermutungen verlässt, anstelle den klaren und unmissverständlichen
Hinweisen der Beklagten zu folgen und eine schlichte Meldung über die Veränderung in den Verhältnissen an den Rentenversicherungsträger
zu erstatten, handelt nach Auffassung des Senats grob fahrlässig. Insoweit entlastet die Klägerin auch nicht, dass sie nach
ihren eigenen Angaben immer ihre Unterlagen ihrem Steuerberater überlassen hat und sich - ausweislich ihrer Aussage in der
mündlichen Verhandlung - auf dessen Aussage, die Hinzuverdienstgrenze sei auf 400 Euro gestiegen, verlassen habe. Steuerberater
sind zur Beratung in Rentenangelegenheiten, die keinerlei Bezug zu steuerrechtlichen Fragen aufweisen, ersichtlich nicht berufen.
An dieser Einschätzung ändert sich auch dadurch nichts, dass - wie sich aus der vom SG in Bezug genommenen Begründung zum Gesetz vom 8. April 2008 (BGBl I S. 681), mit dem die Hinzuverdienstgrenze für eine Vollrente auf 400 Euro angehoben und damit eine Vereinheitlichung mit der Geringfügigkeitsgrenze
herbeigeführt wurde, ergibt - eine nicht unerhebliche Zahl von Versicherten sich wie die Klägerin verhalten hat. Ein grob
fahrlässiges Verhalten wird nicht durch den Umstand nur leicht fahrlässig, dass es von vielen Personen an den Tag gelegt wird.
Insoweit gilt im Rentenversicherungsrecht nichts anderes als im Straßenverkehr.
Die Hinweise im Bescheid vom 30. August 2002 lagen zum Zeitpunkt der Erhöhung des Einkommens auf 400 Euro zum 1. März 2003
auch noch nicht so lange zurück, dass sich die Klägerin hieran nicht mehr hieran hätte erinnern können. Jedenfalls wäre die
Klägerin gehalten gewesen, sich vor der Ausweitung ihrer beruflichen Tätigkeiten durch eine Lektüre dieses Bescheids ihre
Mitwirkungspflichten wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Schließlich teilt der Senat die Auffassung des SG, dass ein atypischer Fall, der die Beklagte zur Ausübung von Ermessen zwingen würde, hier nicht gegeben ist. Entgegen der
Ansicht der Klägerin resultiert das Vorliegen eines atypischen Falles nicht aus dem Missverhältnis zwischen Mehrverdienst
und Höhe der Rückzahlungsverpflichtung. Dieses Ergebnis kann vielmehr in zahlreichen Fällen auftreten, da der Gesetzgeber
im Rahmen des §
34 Abs.
2,
3 SGB VI eine pauschalierende Regelung getroffen hat, die unabhängig von dem Ausmaß des Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze eine
Reduzierung auf eine Teilrente in Höhe von zwei Dritteln bzw. ein Drittel der Vollrente vorgesehen hat.
Auch ist nicht erkennbar, dass die Klägerin durch die Rückforderung im Nachhinein vermehrt sozialhilfebedürftig würde (vgl.
insoweit BSG, aaO., m.w.N.). Die gemeinsamen Einkünfte der Klägerin und ihres Ehemanns in Höhe von 7.483 Euro übersteigen
die Ausgaben in Höhe von insgesamt 6.261.- Euro bei weitem. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei dem Ansatz der Ausgaben
bereits ein großzügiger Ansatz von 1.500,- Euro monatlich für allgemeine Lebenshaltungskosten enthalten ist. Hinzu kommt ein
Bankguthaben in Höhe von 22.000.- Euro bei im Übrigen im Wesentlichen ausgeglichenen Vermögensverhältnissen (Eigentum an Grundstücken
auf der einen, Schulden auf der anderen Seite). Angesichts dieser Einkommens- und Vermögensverhältnisse kann keine Rede davon
sein, dass die Klägerin durch die Rückforderung im Nachhinein (vermehrt) sozialhilfebedürftig werden würde. Auch ist für den
Senat nicht erkenntlich, warum die Rückforderung für die Klägerin eine unzumutbare Härte sein sollte.
Selbst wenn man einen atypischen Fall annehmen sollte, ist darauf zu verweisen, dass die Beklagte sachgerechte Ermessenserwägungen
angestellt hat. Sie hat auf die unzweifelhaft bestehende Verpflichtung hingewiesen, die ihr anvertrauten Versichertengelder
sorgfältig zu verwalten. Bei ihrer Entscheidung hat sie auch zutreffend berücksichtigt, dass die Beklagte selbst keinerlei
Verschulden an der Überzahlung trifft. Schließlich hat die Klägerin selbst keine Gründe mitgeteilt, die der Beklagten Anlass
gegeben hätten, von einer Rückforderung zumindest teilweise Abstand zu nehmen. Insbesondere machen auch die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse der Klägerin eine Reduzierung des zu erstattenden Betrags im Wege der Ermessensausübung nicht zwingend
erforderlich. Die von der Beklagten hilfsweise vorgenommenen Ermessensabwägungen sind daher nicht zu beanstanden.
Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil des SG aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§
193 SGG) berücksichtigt, dass die Klägerin im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist. Dem Umstand, dass die Klägerin im Widerspruchsverfahren
teilweise (für die Zukunft) erfolgreich gewesen ist, kommt bei der Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens angesichts
des Umstands, dass die Klägerin im Widerspruchsverfahren noch nicht anwaltlich vertreten war, keine durchgreifende Bedeutung
zu.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.