Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Beendigung des sozialgerichtlichen Verfahrens
Entscheidungsreife des PKH-Verfahrens
Gründe
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Bf.) begehrt mit ihrer Beschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein
inzwischen erledigtes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die 1968 geborene Bf. erhielt mit ihrem 1996 geborenen Sohn D. im Jahr 2013 zeitweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Bg.). Beide erzielten Einkünfte, die Bf. aus zwei geringfügigen Tätigkeiten (Firmen
M. und V.) und Kindergeld, ihr Sohn aus einer Berufsausbildung und Unterhalt.
In ihrem Weiterbewilligungsantrag vom November 2013 gab die Bf. an, seit 01.11.2013 nicht mehr bei der Firma M. zu arbeiten
und legte Gehaltsabrechnungen bis einschließlich September 2013 sowie Kontoauszüge vor. Der Bg. bewilligte der Bf. auf dieser
Grundlage für die Zeit vom 01.11.2013 bis zum 30.04.2014 monatliche Leistungen zwischen 99,63 EUR und 110 EUR (Bescheid vom
05.12.2013). Für ihren Sohn errechnete sich danach kein Anspruch. Die Bf. wurde aufgefordert, noch Gehaltsabrechnungen ihres
Arbeitgebers V. von Oktober und November 2013 sowie eine aktuelle Gehaltsabrechnung ihres Sohnes vorzulegen. Dem kam die Bf.
nicht nach. Nach Aufnahme einer Tätigkeit durch die Bf. im Dezember 2013 wurden aus diesem Bescheid ab dem 01.01.2014 keine
Leistungen mehr bezahlt, ohne dass dies in den Akten dokumentiert wurde.
Mit Weiterbewilligungsantrag vom 18.02.2014 legte die Bf. einen Arbeitsvertrag mit dem D. J. (DJH) vom 09.12.2013 bis zum
08.12.2014 vor und eine Kündigung zum 28.02.2014. Beigefügt waren außerdem eine Lohnabrechnung für Januar 2014 des DJH sowie
Kontoauszüge ab Dezember 2013. Sie gab an, weiterhin mit ihrem Sohn in Bedarfsgemeinschaft zu leben.
Mit Schreiben vom 24.02.2014 forderte der Bg. von ihr noch Gehaltsabrechnungen von V. von Oktober 2013 bis Februar 2014, des
DJH von Dezember 2013 und Februar 2014, Gehaltsabrechnungen des Sohnes ab September 2013 bis Februar 2014 und Kontoauszüge
des Sohnes der letzten 6 Monate.
Am 06.03.2014 legte der Bevollmächtigte der Bf. die Gehaltsabrechnungen von V. bis einschließlich Dezember 2013 vor und erklärte,
dass dieses Arbeitsverhältnis bereits beendet sei und dass das DJH den Februar noch nicht abgerechnet habe. Unterlagen des
Sohnes seien schwer zu erlangen. Die Lohnabrechnungen des DJH für Dezember 2013 sowie des Sohnes von September 2013 bis Februar
2014 wurden am 12.03.2014 nachgereicht. Der Bg. erklärte hierzu, dass die Aufgabe der Tätigkeit bei V. nicht mitgeteilt worden
sei und dass zur korrekten Anrechnung der Einkünfte die Kontoauszüge erforderlich seien.
Nach Eingang der Lohnabrechnung der Bf. für Februar 2014 sowie von Kontoauszügen ab 01.01.2014 forderte der Bg. sie unter
Fristsetzung bis 29.04.2014 und Hinweis auf die Möglichkeit der Versagung der Leistungen auf, die Kontoauszüge ihres Sohnes
ab 01.10.2013 bis laufend und die Sozialversicherungsabmeldungen von V. und des DJH vorzulegen (Schreiben vom 11.04.2014).
Am 22.04.2014 wandte sich die Bf. mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtschutz an das Sozialgericht München. Sie beantragte,
im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes anzuordnen, dass der Bg. ihr 429,67 EUR zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen
hat.
Gleichzeitig beantragte die Bf., ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., B-Stadt, zu bewilligen. Eine
ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Bf. sowie ein aktueller Kontoauszug waren
beigefügt. Außerdem gab sie eine eidesstattliche Versicherung dahingehend ab, dass sie über keinerlei Mittel zur Bestreitung
ihres Lebensunterhalts mehr verfüge und auch ihr Kontokorrentkredit ausgeschöpft sei.
Mit Schreiben vom 23.04.2014 forderte das Gericht den Bg. dazu auf, sich zum Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und zum
Antrag auf Prozesskostenhilfe bis zum 30.04.2014 zu äußern.
Nachdem der Bevollmächtigte der Bf. mit Schreiben vom 29.04.2014 Kontoauszüge des Sohnes für die Monate Januar bis April 2013
vorgelegt und erklärt hatte, dass weiterhin keine Bescheinigung der Firma V. bezüglich des Vertragsendes vorliege, erließ
der Bg. noch am selben Tag einen Bewilligungsbescheid für die Zeit vom 01.05.2014 bis zum 31.10.2014, mit dem er der Bf. Leistungen
in Höhe von insgesamt 317 EUR monatlich bewilligte. Zugleich berechnete er die Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom
01.11.2013 bis zum 30.04.2014 unter Berücksichtigung der nachgewiesenen Einkünfte neu und zahlte die sich danach ergebenden
Beträge ab dem 01.01.2014 nach. Ebenfalls noch am 29.04.2014 erklärte der Bevollmächtigte der Bf. den Eilantrag für erledigt.
Mit Beschluss vom 30.05.2014 lehnte das Sozialgericht München den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab, da zu dem
maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung hinreichender Erfolgsaussichten im Sinne des §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO), der sog. Entscheidungsreife, bereits Erledigung eingetreten sei. Entscheidungsreife sei nicht bereits mit Eingang des vollständigen,
also bewilligungsreifen Antrags einschließlich der gemäß §
117 Abs.
2 ZPO erforderlichen Erklärung sowie den nötigen Belegen gegeben, sondern erst dann, wenn dem Prozessgegner eine angemessene Zeit
zur Stellungnahme gegeben worden sei. Im sozialgerichtlichen Verfahren sei eine Stellungnahme des Prozessgegners unverzichtbar,
da ohne dessen Äußerung und dessen Akten eine Beurteilung der Erfolgsaussichten ausschließlich auf die Angaben des Prozesskostenhilfeantragstellers
gestützt werden könnte und damit ein Prozesskostenhilfeantragsteller durch unzutreffende oder beschönigende Angaben die Gewährung
von Prozesskostenhilfe und damit eine unberechtigte Prozessfinanzierung auf Staatskosten erreichen könnte (Bayerisches Landessozialgericht,
Beschluss vom 19. März 2009 - L 7 AS 64/09 B PKH -). Hinzu komme, dass dem Antrag keine Belege beigefügt gewesen seien.
Gegen den dem Bevollmächtigten der Bf. am 05.06.2014 zugestellten Beschluss hat dieser am 20.06.2014 Beschwerde zum Bayerischen
Landessozialgericht eingelegt. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sei für die Bf. notwendig gewesen, um eine Lebensgrundlage
zu erlangen. Die Behauptung, dass die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe erst nach Anhörung der Gegenseite erfolgen
könne, entspreche nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das erst die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe
verlange bevor ein Rechtsanwalt zur Vorlage einer Anspruchsbegründung verpflichtet worden sei. Ein Rechtsanwalt könne nicht
verpflichtet werden, ohne Gegenleistung Anträge zu verfassen, die notwendig seien, um untätige Behörden zu Zahlungen zu bewegen.
Die nachträgliche Erfüllung der Forderung könne nicht dazu führen, dass auch der Antrag nachträglich als unbegründet eingestuft
werde. Bezüglich der Belege sei es üblich, diese, soweit erforderlich, nachzufordern. Zur eigentlichen Problematik, nämlich
die Verweigerung von Leistungen wegen fehlender Unterlagen von Dritten, die keine Leistungen beziehen, noch dazu rückwirkend
für Monate vor dem Leistungsbezug, habe sich das Sozialgericht nicht geäußert.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 18.07.2014 zur Beschwerde Stellung genommen und beantragt, diese zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge
Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Der Beschwerdewert von 750 EUR (§
172 Abs.
3 Nr.
2b SGG i.d.F ab 25.10.2013) wird erreicht.
Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht hätte auch noch nach Beendigung des sozialgerichtlichen Verfahrens Prozesskostenhilfe
bewilligen müssen, weil der Prozesskostenhilfeantrag im Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens entscheidungsreif war.
Nach §
73a SGG i.V.m. §
114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur
zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf
ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt
erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist (§
121 Abs.
2 S. 1
ZPO).
Prozesskostenhilfe wird regelmäßig für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung gewährt. Grundsätzlich scheidet die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe aus, wenn die Instanz, für die Prozesskostenhilfe begehrt wird, bereits beendet ist. Ausnahmsweise
kommt die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe allerdings auch noch nach Abschluss der Instanz in Betracht, wenn
sie bereits vor Beendigung des Verfahrens hätte bewilligt werden müssen. Ein entsprechender Anspruch setzt voraus, dass der
Prozesskostenhilfeantrag zum Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens im Sinn der Bewilligung entscheidungsreif war (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 14.04.2010, 1 BvR 362/10, [...] Rn. 13 f.).
Entscheidungsreife tritt dann ein, wenn dem Gericht ein vollständiger und damit bewilligungsreifer Antrag auf Prozesskostenhilfe
vorliegt. Die antragstellende Partei muss alle Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass das Gericht die Berechtigung des
gestellten Antrags prüfen kann. Da die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von der hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten
Rechtsverfolgung wie auch davon abhängt, dass die Partei die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten
aufbringen kann (§
114 Satz 1
ZPO), setzt ein bewilligungsreifer Antrag zweierlei voraus. Das Gericht muss über die ordnungsgemäß ausgefüllte Erklärung über
die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit den erforderlichen Belegen verfügen (§
117 Abs.
2 ZPO), wobei diese Unterlagen zu einem Zeitpunkt eingereicht worden sein müssen, als das Verfahren noch nicht beendet war. Außerdem
setzt ein vollständiger und damit bewilligungsreifer Antrag die Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe der Beweismittel
voraus (§
117 Abs.
1 Satz 2
ZPO). Erst wenn dem Gericht eine substantiierte Darstellung des Streitverhältnisses mit Schilderung des Sachverhalts und einer
zumindest knappen Begründung der Klage bzw. des (Eil-) Antrags vorliegt, kann es die hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten
Rechtsverfolgung prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.04.2010, 1 BvR 362/10).
Eine Stellungnahme des Prozessgegners zum Prozesskostenhilfeantrag ist dagegen nicht Voraussetzung für einen bewilligungsreifen
Antrag (vgl. BayLSG, Beschluss vom 19.03.2009, L 7 AS 64/09, [...] Rn. 17, aber widersprüchlich, vgl. Rn. 15). Zwar ist dem Prozessgegner vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§
118 Abs.
1 Satz 1
ZPO). Daraus folgt aber nicht, dass erst mit dieser Stellungnahme des Gegners oder erst mit Ablauf einer vom Gericht gesetzten
Frist zur Stellungnahme der Antrag auf Prozesskostenhilfe entscheidungsreif würde. Abgesehen davon, dass anderenfalls auch
die Frage der Länge der Frist zur Stellungnahme in einer nicht zu rechtfertigenden Weise entscheidungsrelevante Bedeutung
gewinnen würde, ist es aus Sicht des Senats nicht begründbar, den Zeitpunkt der Entscheidungsreife eines Prozesskostenhilfeantrags
von einer zusätzlichen Hürde abhängig zu machen, auf die die Prozesskostenhilfe beantragende Partei keinen Einfluss hat. Wie
der vorliegende Fall zeigt, könnte sich dies in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise zum Nachteil der rechtschutzsuchenden
unbemittelten Partei auswirken.
Den ausführlich begründeten Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz auf Prozesskostenhilfe waren eine ordnungsgemäß und vollständig
ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Bf. sowie eine eidesstattliche Versicherung
und ein aktueller Kontoauszug beigefügt. Darüber hinausgehende Unterlagen sind vom Gericht nicht angefordert worden (vgl.
§
118 Abs.
2 S. 1
ZPO). Die Bf. hat ihren Antrag schlüssig damit begründet, dass ihr, obgleich sie alle verfügbaren Unterlagen vorgelegt habe,
weiterhin keine Leistungen bewilligt würden und auch die bereits bewilligten Leistungen nicht mehr bezahlt würden. Sie hat
die Korrespondenz mit dem Bg. vorgelegt und erklärt, dass ihr Sohn, für den noch Nachweise angefordert würden, selbst nicht
bedürftig sei, und keine Leistungen beanspruche. Vor diesem Hintergrund und in Verbindung mit der eidesstattlichen Versicherung
konnte dem Begehren eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht im Sinn des §
114 ZPO abgesprochen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
73a SGG i. V. m. §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.