Tatbestand:
Streitig ist, inwieweit die Beklagte berechtigt ist, eine Widerspruchsgebühr von 100 EUR bei Erfolglosigkeit des Widerspruchsverfahrens
zu erheben.
Die Klägerin ist zugelassene Vertragsärztin. Gegen den Honorarbescheid für das Quartal 2/2005 legte sie Widerspruch ein. Dieser
wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.3.2007 zurückgewiesen, wobei in Ziffer 2 des Bescheides eine Widerspruchsgebühr von
100 EUR festgesetzt wurde.
Gegen diese Festsetzung klagte die Klägerin beim Sozialgericht München (SG). Sie führte aus, dass durch § 64 Abs. 1 SGB X die Kostenfreiheit des Verfahrens gewährleistet und damit die Erhebung einer Widerspruchsgebühr ausgeschlossen sei. Eine
Kompetenz zur Erhebung von Gebühren ergebe sich auch nicht aus §
81 Abs.
1 Nr.
5 SGB V.
Mit Urteil vom 14.7.2009 wies das SG die Klage ab und ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Berufung zu. Gemäß §
37 SGB I könne von den Normen des SGB X durch spezielle Regelungen in den anderen Büchern des Sozialgesetzbuchs abgewichen werden. §
81 Abs.
1 S. 1 Nr.
5 SGB V sei entsprechend auszulegen.
Die Klägerin legte Berufung ein und trug vor, die Beklagte wolle lediglich einen Teil ihrer Gemeinkosten auf die Berufungsklägerin
abwälzen. Jedenfalls könne für die Durchführung und Erledigung von originären Aufgaben der Kassenärztlichen Vereinigungen
keine Gebühr erhoben werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.7.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 14.3.2007 in Ziffer 2 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie trägt insbesondere vor, dass §
81 Abs.
1 S. 1 Nr.
5 SGB V eine Ermächtigung zum Erlass von Abgabensatzungen enthalte, die als Spezialregelung auch entgegen § 64 Abs. 1 SGB X die Erhebung von Gebühren erlaube. Es handle sich insoweit um eine Sonderregelung im Sinne von §
37 S. 1
SGB I.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Beklagtenakte und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Sozialgericht München zugelassene Berufung ist unbegründet. Die Klägerin wird durch die Nummer 2 des Widerspruchsbescheides
vom 14.3.2007 nicht in ihren Rechten verletzt. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Damit war die Berufung
der Klägerin zurückzuweisen.
Die Auferlegung einer Widerspruchsgebühr von 100 EUR ist ein belastender Verwaltungsakt. Nach dem Grundsatz des Vorbehalts
des Gesetzes als wesentlichem Element des Rechtsstaatsprinzips bedarf diese Belastung einer Rechtsgrundlage.
a. Rechtsgrundlage der Widerspruchsgebühr ist § 1 Abs. 1 Buchst. b der Gebührenordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (GO) in Verbindung mit Abschnitt II Nummer 1 der Anlage zur GO.
Die Gebührenordnung ist formell und materiell rechtmäßig. Sie beruht auf § 24 Abs. 3 der Satzung der Beklagten als Ermächtigungsnorm.
Danach kann die Beklagte für Widerspruchsverfahren, soweit sie nicht erfolgreich sind, Gebühren erheben, wobei die Gebührensätze
nach dem Verwaltungsaufwand (Kostendeckungsprinzip) zu bemessen sind. Von dieser Ermächtigung hat die Vertreterversammlung
beim Erlass der Gebührenordnung vom 1.7.2005 durch Beschluss vom 20.6.2005 Gebrauch gemacht.
§ 24 Abs. 3 der Satzung der Beklagten verstößt seinerseits nicht gegen höherrangiges Recht. Die Satzungsermächtigung, mit
der der Beklagten als Körperschaft öffentlichen Rechts (§
77 Abs.
5 SGB V) Satzungsautonomie eingeräumt wird, verpflichtet diese in §
81 Abs.
1 S. 1 Nr.
5 SGB V, die Aufbringung und Verwaltung der Mittel zu regeln.
§
81 Abs.
1 S. 1 Nr.
5 SGB V umfasst bereits nach dem Wortlaut nicht lediglich die Erhebung von Beiträgen im Sinne eines Verwaltungskostenbeitrags, sondern
auch die Erhebung von Umlagen und Gebühren. Anders als §
98 Abs.
2 Nr.
4 SGB V ("Verfahrensgebühren") spricht das Gesetz nicht von "Verwaltungskostenbeiträgen", sondern weitergehend von der "Aufbringung
der Mittel", und räumt damit der Beklagten im Rahmen ihrer Satzungsautonomie einen weiten Gestaltungsspielraum ein.
Ein systematischer Vergleich mit anderen Büchern des Sozialgesetzbuchs bestätigt, dass der Terminus "Aufbringung der Mittel"
als Oberbegriff verwendet wird. Nach §
20 Abs.
1 SGB IV werden die Mittel der Sozialversicherung durch Beiträge, Zuschüsse und durch sonstige Einnahmen aufgebracht. Dem entsprechend
sprechen §
340 SGB III von Beiträgen, Umlagen, Bundesmitteln und sonstigen Einnahmen, §
220 SGB V für den Bereich der Krankenversicherung und §
54 SGB XI für den Bereich der Pflegeversicherung von Beiträgen und sonstige Einnahmen. Nach § 14 KSVG umfasst die Aufbringung der Mittel die Beitragsanteile der Versicherten sowie die Künstlersozialabgabe und den Bundeszuschuss.
§
81 Abs.
1 S. 1 Nr.
5 SGB V erlaubt also auch die Gebührenerhebung (ebenso Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1.9.2004, L5 KA 1529/03).
Soweit § 24 Abs. 3 S. 1 der Satzung der Beklagten für erfolglose Widerspruchsverfahren die Erhebung von Gebühren vorsieht,
überschreitet er den Umfang dieser Ermächtigung nicht.
Die Beklagte hat von der Ermächtigung des §
81 Abs.
1 S. 1 Nummer
5 SGB V in einer Weise Gebrauch gemacht, die den Grundsätzen des Rechts der Gebührenerhebung entspricht. Wesentliche Leitlinien sind
das Kostendeckungsprinzip und das Äquivalenzprinzip. In § 24 Abs. 3 S. 1 der Satzung hat die Beklagte ausdrücklich auf das
Kostendeckungsprinzip Bezug genommen. Dass die Kosten für die Durchführung eines nicht erfolgreichen Widerspruchsverfahrens
mit 100 EUR pauschaliert werden, ist im Rahmen der Satzungsautonomie, die der Beklagten einen weiten Gestaltungsspielraum
einräumt, zu akzeptieren, da im Einzelfall die Feststellung der konkreten Kosten für die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens
nur mit hohem Aufwand möglich ist.
b. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung schließt § 64 Abs. 1 SGB X die Erhebung einer Widerspruchsgebühr nicht aus. Nach §
37 S. 1
SGB I ist § 64 Abs. 1 SGB X nämlich nur anwendbar, soweit in den weiteren Büchern des Sozialgesetzbuches nichts Abweichendes bestimmt ist. Die Ermächtigungsnorm
des §
81 Abs.1 Nr. 5
SGB V ist jedoch eine abweichende Regelung i. S. d. §
37 S. 1
SGB I.
Verdrängende Wirkung kommt einer Norm dann zu, wenn sich aus ihrem Sinn und Zweck bei Berücksichtigung der zugrunde liegenden
Interessenbewertung ergibt, dass sie die von ihr erfassten Sachverhalte eigenständig und abweichend regeln will und ihr insofern
eine eigene, abschließende Regelung zu entnehmen ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 24.8.1993, 6 RKa 20/93, SozR 3 1300 § 45 Nr. 22) oder sich Abweichungen aus dem Sinnzusammenhang ergeben (BT-Drs. 7/868 S. 29 zu § 37), also bei
abweichenden Strukturprinzipien.
§
81 Abs.
1 S. 1 Nr.
5 SGB V ist insoweit eine Sonderregelung, als durch diese Norm den Kassenärztlichen Vereinigungen Satzungsautonomie auch hinsichtlich
der Aufbringung der Mittel gewährt wird, während der für Sozialversicherungsträger geltende §
34 SGB IV diesen hinsichtlich der Aufbringung der Mittel keinen autonomen Gestaltungsspielraum im Rahmen der Selbstverwaltung einräumt,
da die Aufbringung der Mittel umfassend in den einzelnen Sozialgesetzbüchern geregelt ist. §
81 Abs.
1 Nr.
5 SGB V ist insoweit ein lex specialis, das eine von §
34 SGB IV abweichende, eigenständige Regelung zur Finanzierung trifft. Aufgrund dieser speziellen gesetzlichen Regelung sind im Rahmen
der Satzungsautonomie gem. §
37 SGB I Abweichungen von § 64 Abs. 1 SGB X möglich.
Außerdem ist die mitgliedschaftliche Stellung von Vertragsärzten in der Kassenärztlichen Vereinigung strukturell nicht vergleichbar
mit der Stellung Sozialversicherter und -leis-tungsberechtigter im Verhältnis zum Leistungsträger. Bei letzteren steht das
Ziel des Sozialgesetzbuches, eine möglichst weitgehende Verwirklichung sozialer Rechte zu erreichen (§
2 Abs.
2 SGB I) und allen Berechtigten eine Durchsetzung ihrer Ansprüche zu erleichtern, im Zentrum. Zu diesem Zweck soll auch die durch
§ 64 SGB X gewährleistete Kostenfreiheit des Verfahrens beitragen. Demgegenüber ist im Bereich des Leistungserbringungsrechts, insbesondere
im Bereich des Vertragsarztrechts, eine kostenmäßige Privilegierung der betroffenen Leistungserbringer beziehungsweise Vertragsärzte
nicht erforderlich. Konsequenterweise führte der Gesetzgeber wegen dieses strukturellen Unterschieds auch mit §
197 a SGG für den nichtprivilegierten Personenkreis die Kostenpflicht des Gerichtsverfahrens ein.
Da § 24 Abs. 3 S. 1 der Satzung und die entsprechenden Vorschriften der Gebührenordnung (§
1 Absatz
1b) auf einer gesetzlichen Sonderregelung i.S.v. §
37 S. 1
SGB I beruhen, verstoßen sie nicht gegen § 64 Abs. 1 SGB X.
c. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin schließt eine moderate Widerspruchsgebühr von 100 EUR auch nicht den Rechtsschutz
im Sinne von Artikel
19 Abs.
4 Grundgesetz aus. Beim betroffenen Personenkreis erschwert eine derartige Gebühr den Zugang zu den Gerichten nicht in unsachgemäßer und
unzumutbarer Weise (vergleiche Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6.2.1979, 2 BvL 5/76).
d. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a
SGG, 154 Abs. 2
VwGO.
e. Die Revision war zuzulassen, da das Verhältnis von §
81 Abs.
1 Nr.
5 SGB V zu § 64 Abs. 1 SGB X bisher nicht höchstrichterlich geklärt ist.