Gründe:
I. In dem am Sozialgericht Regensburg (SG) unter dem Az.: S 7 SB 513/09 anhängig gewesenen Rechtsstreit des Klägers und jetzigen Beschwerdeführers (Bf) gegen den Freistaat Bayern erstellte am 04.01.2010
Dr. V., prakt. Ärztin, Psychotherapie, ein Gutachten zur Höhe des Grades der Behinderung (GdB). Dabei kam die Sachverständige
zu der Einschätzung, dass eine krankheitswertige depressive Verstimmung des Bf nicht nachweisbar sei und eine Antriebsstörung
nicht vorliege. Den Gesamt-GdB schätzte sie auf 50.
Gegen dieses Gutachten wandten die Bevollmächtigten des Bf ein, dass beim Bf sehr wohl eine Antriebsstörung vorliege.
In dem vom Bf gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) beantragten Gutachten durch Prof. Dr. P., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, kam der Sachverständige am 11.09.2010
zu dem Ergebnis, dass beim Bf eine Anpassungsstörung mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen vorliege. Den
Einzel-GdB für die seelische Störung schätzte er auf 20, den Gesamt-GdB auf 60.
Im Gerichtsbescheid vom 08.12.2010 schloss sich das SG der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. P. nicht an; die Ausführungen des Sachverständigen seien widersprüchlich. In dem
sich daran anschließenden, vom Bf angestrengten Berufungsverfahren vor dem Bayer. Landessozialgericht (LSG), Az.: L 15 SB 17/11, holte das LSG zur Aufklärung der widersprüchlichen gutachtlichen Feststellungen zu einer möglichen psychischen Störung des
Bf ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei Herrn R. ein. Dieser sah im Gutachten vom 08.08.2011 beim Bf eine leichte
depressive Verstimmung im Rahmen einer Anpassungsstörung, die er mit einem GdB von 20 bewertete. Den Gesamt-GdB schätzte er
ab Untersuchung auf 90, wobei dafür maßgeblich eine Hörminderung war, die sich zwischenzeitlich wesentlich verschlechtert
hatte.
Die Beteiligten einigten sich vergleichsweise auf einen GdB von 70 ab dem 25.11.2010; dabei wurde u.a. für eine seelische
Störung ein Einzel-GdB von 20, wie ihn auch der Sachverständige Prof. Dr. P. festgestellt hatte, zugrunde gelegt.
Mit Schreiben vom 01.12.2011 haben die Bevollmächtigten des Bf beim SG beantragt, die Kosten für das gemäß §
109 SGG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. P. der Staatskasse aufzuerlegen.
Mit Beschluss vom 20.12.2011 hat das SG diesen Antrag abgelehnt. Das Gutachten des Prof. Dr. P. habe über das von Amts wegen eingeholte Gutachten von Dr. V. hinaus
keine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts gebracht. Das SG habe sich bei seiner Entscheidung allein auf die Ausführungen der Dr. V. gestützt. Das Gutachten des Prof. Dr. P. sei damit
nicht beweiserheblich gewesen.
Am 27.01.2012 haben die Bevollmächtigten des Bf gegen den Ihnen am 28.12.2011 zugestellten Beschluss Beschwerde eingelegt.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die vom SG ausgesprochene Ablehnung einer Übernahme der Kosten für das Gutachten des Prof. Dr. P. auf die Staatskasse ist ermessensfehlerhaft.
Die Kosten sind vielmehr auf die Staatskasse zu übernehmen.
Nach §
109 Abs.
1 Satz 1
SGG muss auf Antrag des behinderten Menschen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann - wie dies im vorliegenden
Fall auch erfolgt ist - davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten dafür vorschießt und vorbehaltlich
einer anderen Entscheidung des Gerichts auch endgültig trägt (§
109 Abs.
1 Satz 2
SGG). Eine "andere Entscheidung" in diesem Sinn hat der Bf beim SG beantragt.
Die Entscheidung darüber, ob die Kosten eines gemäß §
109 SGG eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse zu übernehmen sind, ist eine Ermessensentscheidung (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig,
ders., Leitherer,
SGG, 9. Aufl., §
109, Rn. 16) des Gerichts, das das Gutachten angefordert hat (vgl. Keller, aaO., § 109, Rn. 18). Bei der Ermessensentscheidung
über die Kostenübernahme auf die Staatskasse ist zu berücksichtigen, ob das Gutachten die Sachaufklärung objektiv wesentlich
gefördert und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens gewonnen hat (vgl. Keller,
aaO., § 109, Rn. 16a). Entscheidend ist dabei, ob durch das Gutachten neue beweiserhebliche Gesichtspunkte zu Tage getreten
sind oder die Beurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Beteiligten überzeugendere Grundlage gestellt
worden ist. Von einer Förderung der Sachaufklärung ist regelmäßig dann auszugehen, wenn das Gutachten gemäß §
109 SGG weitere Ermittlungen von Amts wegen erforderlich gemacht hat (vgl. Bayer. LSG, Beschluss vom 19.08.1999, Az.: L 18 B 303/96 V). Nur dann, wenn in einem solchen Fall das von Amts wegen eingeholte Gutachten lediglich die Unrichtigkeit des Gutachtens
nach §
109 SGG bestätigt, ohne wesentliche, darüber hinausgehende zusätzliche Erkenntnisse zu bringen, ist eine Kostenübernahme auf die
Staatskasse nicht angezeigt (vgl. Udsching, Besonderheiten des Sachverständigenbeweises im sozialgerichtlichen Verfahren,
NZS 1992, 50, 55). Denn in einem solchen Fall hat, wie sich im Rahmen des anschließend von Amts wegen eingeholten Gutachtens und damit
im Nachhinein zeigt, kein objektiver Grund für weitere Ermittlungen von Amts wegen bestanden. Vielmehr hat in einem solchen
Fall mit dem Gutachten gemäß §
109 SGG nur ein tatsächlich unzutreffendes Gutachten zunächst den falschen Eindruck vermittelt, dass weitere Ermittlungen erforderlich
wären. Dass sich dieser Eindruck erst nachträglich durch das von Amts wegen eingeholte Gutachten als falsch herausgestellt
hat, kann nicht dazu führen, dass die Kosten für das Gutachten gemäß §
109 SGG auf die Staatskasse zu übernehmen wären. Würde man dies anders sehen, hätte dies faktisch zur Konsequenz, dass ein tatsächlich
weder zur Sachaufklärung beitragendes noch entscheidungserhebliches Gutachten allein deshalb aus der Staatskasse zu bezahlen
wäre, weil es inhaltlich falsch gewesen ist. Dass ein derartiges Ergebnis nicht akzeptabel wäre, zumal es eine durch nichts
zu rechtfertigende Besserstellung gegenüber einem Kläger bedeuten würde, dessen gemäß §
109 SGG benannter Sachverständiger sorgfältig arbeitet und damit nicht den Anschein der Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen weckt
mit der Konsequenz, dass die Kosten für dieses Gutachten wegen des fehlenden Beitrags zur Sachaufklärung und Entscheidungserheblichkeit
nicht auf die Staatskasse zu übernehmen wären, bedarf keiner weiteren Erläuterungen.
Nicht entscheidend ist, ob das Gutachten den Rechtsstreit in einem für den Antragsteller günstigen Sinn beeinflusst hat. Kein
maßgeblicher Gesichtspunkt für eine Ermessensausübung im Sinne eines Antragsstellers ist es auch, wenn dieser nach Bestätigung
der Ergebnisse, wie sie der von Amts wegen bestellte Sachverständige festgestellt hat, durch den gemäß §
109 SGG benannten Gutachter die Klage oder Berufung zurücknimmt. Denn mit der Kostenübernahme auf die Staatskasse bzw. der Ablehnung
der Kostenübernahme darf keine Belohnung bzw. Sanktionierung eines bestimmten prozessualen Verhaltens erfolgen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 30.06.2006, Az.: L 5 B 3/05 SB SF).
Eine teilweise Kostenübernahme ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand regelmäßig
nicht sachgerecht (vgl. Keller, aaO., § 109, Rn. 16a) und wird daher überhaupt nur in seltenen Fällen in Betracht gezogen
werden können.
Der Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren ist strittig. Einerseits wird die Ansicht vertreten, dass die erstinstanzliche Entscheidung
im Beschwerdeverfahren voll, d.h. nicht nur auf Ermessensfehler, überprüfbar sei (vgl. z.B. Keller, aaO., § 109, Rn. 22).
Andererseits wird von einer beschränkten Nachprüfbarkeit nur dahingehend ausgegangen, ob die Voraussetzungen und die Grenzen
des Ermessens richtig bestimmt und eingehalten worden sind (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 15.12.2008, Az.: L 1 B 961/08 R; vom 13.11.2009, Az.: L 13 R 898/09 B; vom 18.01.2012, Az.: L 2 U 221/11 B).
Im vorliegenden Fall kann die Frage des Prüfungsumfangs offenbleiben, da das SG bei der von ihm getroffenen Ermessensentscheidung übersehen hat, dass das gemäß §
109 SGG eingeholte Gutachten einen wesentlichen Beitrag zur Sachaufklärung und damit auch zur Erledigung des Rechtsstreits geliefert
hat, und damit ein Ermessensfehler vorliegt.
Zwar ist die Ausübung des Ermessens durch das SG isoliert betrachtet mit Blick auf das erstinstanzliche Hauptsacheverfahren und den Gerichtsbescheid vom 08.12.2010 samt den
darin enthaltenen Ausführungen zum Gutachten des Prof. Dr. P. nicht zu beanstanden. Es trifft zu, wenn das SG im angegriffenen Beschluss vom 20.12.2011 ausführt, dass sich das SG im Gerichtsbescheid vom 08.12.2010 alleine auf die Ausführungen der Dr. V. - und nicht des Prof. Dr. P. - gestützt hat und
damit das gemäß §
109 SGG eingeholte Gutachten für das SG auch nicht beweiserheblich gewesen ist. Das SG hätte sich aber bei seinen Ermessenserwägungen nicht auf das sozialgerichtliche Verfahren beschränken dürfen, sondern auch
das sich anschließende Berufungsverfahren einbeziehen müssen. Es hätte prüfen müssen, ob das gemäß §
109 SGG eingeholte Gutachten für das gerichtliche Verfahren in seiner Gesamtheit zur Sachaufklärung beigetragen hat und entscheidungserheblich
geworden ist. Denn bei der Beantwortung der Frage, ob das Gutachten gemäß §
109 SGG zur weiteren Sachaufklärung beigetragen hat und entscheidungserheblich geworden ist, darf nicht allein auf das erstinstanzliche
Verfahren geblickt werden; vielmehr ist es ausreichend, wenn der Beitrag zur Sachaufklärung und die Entscheidungserheblichkeit
erst im Berufungsverfahren erkannt worden sind (vgl. Bayer. LSG, Beschluss vom 13.06.2006, Az.: L 18 B 351/06 SB). Das SG hat aber bei seinen Ermessenserwägungen außer acht gelassen, dass das Gutachten des Prof. Dr. P. - auch wenn das SG dies bei seinem Gerichtsbescheid noch nicht so gesehen hat - eine weitere Sachaufklärung gebracht hat. Diese hat im gerichtlichen
Verfahren, das sich aus dem sozialgerichtlichen Verfahren und dem sich anschließenden Berufungsverfahren zusammensetzt, Anlass
für weitere Ermittlungen von Amts wegen durch das Berufungsgericht gegeben und ist entscheidungserheblich geworden. Denn das
Gutachten gemäß §
109 SGG und die darin enthaltenen Abweichungen vom Gutachten der Dr. V. waren für das Berufungsgericht Grund, in weitere Beweiserhebungen
von Amts wegen einzutreten und ein weiteres nervenärztliches Gutachten einzuholen. In diesem weiteren Gutachten sind die Feststellungen
des Sachverständigen gemäß §
109 SGG, die insofern gegenüber den zuvor von Amts wegen gewonnenen Erkenntnissen neu waren, als eine seelische Störung mit einem
GdB von 20 festgestellt worden war, die das SG aber nicht für überzeugend gehalten hat und ihnen daher nicht gefolgt ist, als zutreffend bestätigt und anschließend auch
vom Beklagten anerkannt worden. Damit hat das Gutachten gemäß §
109 SGG die weitere Sachaufklärung ohne jeden Zweifel gefördert. Im Übrigen ist das Gutachten des Prof. Dr. P. auch insofern entscheidungserheblich
geworden, als der von ihm angenommene GdB von 20 für die seelische Störung auch in den von den Beteiligten abgeschossenen
Vergleich seinen Eingang gefunden hat.
Dass der im Wege eines Vergleichs vereinbarte GdB von mehr als 40 im Wesentlichen auf der zwischenzeitlich erfolgten Feststellung
einer weiteren Behinderung, nicht aber auf der Einschätzung des Gesamt-GdB durch den Sachverständigen Prof. Dr. P. beruht,
ist ohne Entscheidungsrelevanz. Dies ändert nichts daran, dass die Feststellungen des Sachverständigen gemäß §
109 SGG zur weiteren Sachaufklärung und Erledigung beigetragen haben. Für eine nur teilweise Kostenübernahme ist daher, auch angesichts
der Einheitlichkeit des Streitgegenstands (Höhe des GdB), kein Raum.
Alles andere als eine Entscheidung, die Kosten für das Gutachten gemäß §
109 SGG durch Prof. Dr. P. in voller Höhe auf die Staatskasse zu übernehmen, wäre daher ermessensfehlerhaft.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 Abs.
1 SGG (vgl. LSG, Beschluss vom 09.02.2009, Az.: L 15 SB 12/09 B).
Diese Entscheidung ist gemäß §
177 SGG endgültig.