Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger im Zeitraum vom 01.09.2005 bis zum 31.12.2005 Anspruch auf Krankengeldzahlungen
durch die Beklagte hat.
Der 1952 geborene Kläger war seit 1992 als Bezirkskaminkehrermeister selbständig tätig und bei der Beklagten freiwillig versichert.
In der gesetzlichen Rentenversicherung bestand eine Pflichtversicherung nach §
2 Satz 1 Ziffer 8
SGB VI. Über die Satzung der Beklagten hatte der Kläger einen Anspruch auf Krankengeld ab Beginn des 29. Tages der Arbeitsunfähigkeit
(§ 10 der Kassensatzung -Krankengeld- i.d. im Februar 2005 geltenden Fassung). Ab dem 24.02.2005 war der Kläger arbeitsunfähig
erkrankt, so dass die Beklagte nach Ablauf der Karenzfrist ab dem 24.03.2005 Krankengeld zahlte. Wegen seines Gesundheitszustandes
stellte der Kläger am 15.04.2005 bei der zuständigen Landesversicherungsanstalt (LVA) Unterfranken einen Antrag auf Versichertenrente
und beantragte am 20.04.2005 bei seinem Dienstherrn die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand.
Die LVA Unterfranken gewährte zwar mit Rentenbescheid vom 30.08.2005 dem Kläger eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung,
teilte aber gleichzeitig mit, dass die Rente ab dem 01.09.2005 (Rentenbeginn) nicht zur Auszahlung gelange. Auch der Beklagten
gab die LVA die Rentengewährung mit Schreiben vom 30.08.2005 (Eingang 05.09.2005) bekannt. Aus der Rentenberechnung der LVA
folgt, dass die monatliche Rente in Höhe von 1.035,87 Euro nicht gezahlt werden konnte, weil der zulässige Hinzuverdienst
des Klägers den in §
96 a SGB VI angegebenen Wert überschritten.
Mit Schreiben vom 14.10.2005 teilte die beklagte Krankenkasse dem Kläger mit, dass die Krankengeldzahlung mit dem 31.08.2005
eingestellt werde, da er ab diesem Zeitpunkt eine Rente erhalte. Hierauf gab der Kläger am 25.10.2005 an, dass seine selbständige
Tätigkeit als Kaminkehrer noch fort bestehe und er daher keine Rente erhalte. Eine entsprechende Gewerbeabmeldung werde er
der Beklagten zukommen lassen. Die Beklagte bestätigte mit Bescheid vom 08.11.2005 die Einstellung des Krankengeldes zum 01.09.2005.
Der Widerspruch des Klägers vom 17.11.2005 wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 28.03.2006 zurückgewiesen.
Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Anspruch auf Krankengeld für Versicherte, die Rente wegen voller Erwerbsminderung
beziehen, vom Beginn dieser Leistung an ende (§
50 Abs.
1 Nr.
1 SGB V). Ansprüche auf Sozialleistungen seien mit ihrem Entstehen fällig, also sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes
bestimmten Voraussetzungen vorlägen (§
40 Abs.
1 i.V.m. §
41 SGB I).
Am 25.04.2006 erhob der Kläger Klage und ließ dazu vortragen, er sei am 01.01.2006 in den Ruhestand versetzt worden sei. Erst
ab diesem Zeitpunkt habe er Leistungen der Rentenversicherung wegen voller Erwerbsminderung bezogen. Die Versagung des Krankengeldanspruchs
im Zeitraum 01.09.2005 bis 31.12.2005 sei unrechtmäßig, da im Rahmen des §
50 Abs.
1 Satz 1
SGB V auf den Zeitpunkt abzustellen sei, von dem ab die Leistung inhaltlich umfänglich bewilligt werde und vom Versicherten auch
beansprucht werden könne. Im Fall des Ruhens der Rentenleistung sei nicht von einem Beginn auszugehen. Auch liege beim Kläger
kein Doppelbezug von zweckgleichen Leistungen vor. Im Übrigen hätten sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene den Kläger
darauf hinweisen müssen, dass er durch Rücknahme seines Rentenantrags (und spätere Neustellung) eine Auszahlung des Krankengeldes
hätte erreichen können. Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches seien daher gegeben.
Mit Urteil vom 15.01.2008 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe sich zutreffend darauf berufen, dass beim Kläger ab dem 01.09.2005 der Bezug einer
Rente wegen voller Erwerbsminderung und ein entsprechender Leistungsbeginn gegeben waren. Die Tatsache, dass wegen des Hinzuverdienstes
eine Anrechnung erfolgt sei und die Rentenhöhe einen Zahlbetrag von 0 Euro aufwiesen habe, hindere die Anwendung dieser Vorschrift
nicht. Auch seien die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht gegeben. Ein Beratungsfehler sei nicht
ersichtlich, da eine Beratung des Klägers zur Rentenantragstellung in den Akten nicht dokumentiert sei. Auch sei es weder
für die Beklagte noch für die Beigeladene offenkundig gewesen, dass die frühzeitige Rentenantragstellung für den Kläger einen
Nachteil darstellte.
Gegen das Urteil vom 15.01.2008 richtet sich die Berufung des Klägers. Ergänzend zum bisherigen Vorbringen weist sein Bevollmächtigter
darauf hin, dass die Beklagte grundsätzlich das Recht gehabt hätte, den Kläger nach §
51 Abs.
1 SGB V aufzufordern, innerhalb einer Frist von zehn Wochen einen Antrag auf Leistung zur medizinischen Rehabilitation zu stellen
und damit die Leistung von Krankengeld zu limitieren. Da die Beklagte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe,
hätte sie den Kläger aber jedenfalls auf die Möglichkeit der Rücknahme des Rentenantrags hinweisen müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 15.01.2008 und den zugrundeliegenden Bescheid der Beklagten vom 08.11.2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Krankengeld über
den 31.08.2005 hinaus bis einschließlich 31.12.2005 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf das Urteil des Sozialgerichts und ihren Widerspruchsbescheid vom 28.03.2006. Ergänzend trägt sie vor, dass
der Kläger einen Krankengeldanspruch in Höhe von 82,25 EUR brutto gehabt hätte. Eine Anrechnung von Einnahmen aus seiner selbstständigen
Tätigkeit wäre nicht erfolgt.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den weiteren Inhalt der beigezogenen Akten sowie der gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
144,
151 SGG).
In der Sache selbst ist die Berufung unbegründet, da der Kläger unter keinem Gesichtpunkt einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld
im streitgegenständlichen Zeitraum hat.
Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse
stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden (§
44 Abs.
1 SGB V). Unstrittig ist, dass der Kläger sowohl im Zeitraum bis zum 31.08.2005 als auch ab dem 01.09.2005 aufgrund seines Gesundheitszustandes
nicht mehr in der Lage war, seiner Tätigkeit als Bezirkskaminkehrermeister nachzukommen und daher arbeitsunfähig war. Der
hieraus folgende Anspruch des Klägers auf Krankengeld endete aber am 31.08.2005, da die Beigeladene mit rechtskräftigem Bescheid
vom 30.08.2005 ab diesem Zeitpunkt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt hatte.
Nach der Regelung des §
50 Abs.
1 Satz 1 Ziffer 1
SGB V ist die Zahlung von Krankengeld ausgeschlossen, wenn Versicherte Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen; ein Anspruch
auf Krankengeld endet dann vom Beginn dieser Leistung an. Anders als etwa bei einer bewilligten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
(§
50 Abs.
2 Ziffer 2
SGB V), bei der gegebenenfalls ein Krankengeldspitzbetrag gezahlt werden kann, ist in einem solchen Fall eine Krankengeldleistung
im Sinne einer rechtsvernichtenden Einwendung gänzlich ausgeschlossen (vgl. Noftz in Hauck/Haines,
SGB V, §
50 Rdnr. 42).
Dem steht nicht entgegen, dass die Rentenleistung zunächst wegen Anrechnung von Hinzuverdienst nach §
96a SGB VI aus der weiter fortbestehenden selbstständigen Tätigkeit des Klägers nicht gezahlt wurde und der Kläger durch den Wegfall
des Krankengeldes erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen musste.
Das "Beziehen" einer Rente im Sinne des §
50 Abs.
1 SGB V setzt nicht notwendigerweise auch deren Auszahlung voraus. Zwar ist der Wortlaut insoweit nicht eindeutig und könnte im allgemeinen
Sprachgebrauch sogar eher für eine tatsächliche Leistung sprechen, die dem Versicherten zu Gute kommt. Auch liegt beim Kläger
kein Doppelbezug von Leistungen vor, der durch die Regelung des §
50 Abs.
1 SGB V vermieden werden soll.
Gleichwohl legen es Sinn und Zweck der Regelung nahe, eine klare Trennung zwischen der Krankengeldzahlung durch die Krankenversicherung
und der Rentenleistung durch den Rentenversicherungsträger vorzunehmen. Zu Recht hat das Sozialgericht nämlich darauf hingewiesen,
dass das Vorbringen der Klägerseite zu dem widersinnigen Ergebnis führen würde, dass bei einer anteiligen (geringen) Rentenauszahlung
in Folge einer Teilanrechnung nach §
96a SGB VI der Krankengeldanspruch nach §
50 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB V in jedem Fall ausgeschlossen wäre ("endet vom Beginn dieser Leistung an"). Erst bei einer vollen Anrechnung der Rente wie
im vorliegenden Fall (Rente: 0 Euro), würde danach der Krankendanspruch erhalten bleiben - dann aber in voller Höhe. Eine
solche kaum vertretbare Rechtsfolge kann vom Gesetzgeber nicht gewollt sein. Eine allgemein befriedigenden Regelung kann daher
nur gefunden werden, wenn das Krankengeld gänzlich entfällt, sobald die Rente im Grundsatz beansprucht werden kann - ohne
dass es im Einzelnen auf die Höhe der Rentenzahlung ankommt.
Im übrigen spricht auch das sonstige Ineinandergreifen von Krankengeld und Erwerbsminderungsrente dafür, dass der Gesetzgebers
durch die Regelungen der §§
49 bis
51 SGB V die Zuständigkeiten mehrerer Leistungsträger konkretisieren und von einander abzugrenzen wollte (vgl. Noftz, aaO., §
51, Rdnr. 5). So kann nach §
51 Abs.
1 SGB V die Krankenkasse einem Versicherten, dessen Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von 10 Wochen
setzen, innerhalb der ein Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen
ist. Hierdurch können die Kassen bei Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit auf Dauer eingeschränkt ist, eine Begrenzung ihrer
eigenen Leistungspflicht erreichen; in solchen Fällen soll nämlich nach dem Willen des Gesetzgebers die Rentenversicherung
für die weitere Rehabilitation zuständig sein.
Für einen Ausschluss des Krankengeldanspruches spricht schließlich auch, dass im Rahmen der Durchführung der Anrechnung des
Hinzuverdienstes sichergestellt ist, dass dem Versicherten weiter ein Einkommen zur Verfügung steht, das in der Höhe volle
Erwerbseinkommensersatzfunktion hat (vgl. Noftz, aaO., § 50 Rn. 40a).
In der Rechtsprechung des BSG war- soweit ersichtlich - die vorliegende Fallkonstellation noch nicht Gegenstand einer Entscheidung.
In Zusammenhang mit einer rückwirkenden Bewilligung von Erwerbsminderungsrente bei gleichzeitigem Krankengeldanspruch hat
das BSG jedoch entschieden, dass ein "Beziehen" der Rente bereits dann vorliegt, wenn der Anspruch jedenfalls feststeht und
formal eine Bewilligung der Leistung durch den Leistungsträger erfolgt ist (Urteil des BSG vom 09.08.1995, Az.: B 13 RJ 43/94, SozR 3-2500, § 50 Nr. 3). Danach setzt der Bezug nicht notwendig voraus, dass die Leistung auch tatsächlich vom Versicherungsträger
erbracht wird und dem Versicherten zufließt (so auch Höfler, Kassler Kommentar, § 50 Rn. 4a, Noftz, aaO., § 50 Rn. 34). Entsprechendes
hat auch für den Fall zu gelten, dass die Leistung tatsächlich nicht zufließen kann, weil ein Anrechnungstatbestand nach §
96a SGB VI einschlägig ist. Auf die Höhe des Anspruches kommt es nämlich im Rahmen von §
50 Abs.
1 im Gegensatz zu Abs.
2 SGB V gerade nicht an.
Der Kläger kann auch keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend machen. Er hat hierzu vortragen lassen, er sei
weder von der Beklagten noch von der Beigeladenen darauf hingewiesen worden, dass allein durch eine Rücknahme des Rentenantrags
die Krankengeldansprüche hätten realisiert werden können. Eine solche Rücknahme wäre aber nach der Rechtsprechung des BSG
noch bis zur Bestandskraft des Rentenbescheids möglich gewesen (Urteil des BSG vom 09.08.1995, aaO.).
Wie vom SG zutreffend festgestellt, enthalten die Akten keinen Hinweis, dass sich der Kläger wegen seines Krankengeldes bzw. Rentenanspruches
an die Beklagte bzw. Beigeladene gewandt hatte und anlässlich dieser Beratung eine falsche Auskunft erhalten hat. Eine Schlechterfüllung
des Beratungs- oder Auskunftsanspruchs des Klägers (§§
14,
15 SGB I) liegt daher nicht vor. Auch bestand keine Rechtspflicht der Beklagten bzw. der Beigeladenen zu einer sogenannten "Spontanberatung",
das heißt zu einer konkreten individuellen Beratung ohne Beratungsbegehren. Dies würde voraussetzen, dass sich eine klar zu
Tage liegende Gestaltungsmöglichkeit zu Gunsten des Versicherten aufdrängte (vgl. grundlegendes Urteil des BSG vom 26.10.1994,
SozR 3-1200 § 14 Nr. 16). Dies ist hier aber aufgrund des komplexen Sachverhaltes unter Einbeziehung verschiedener Sozialleistungsträger
nicht der Fall. Darüber hinaus besteht keine Pflicht der Sozialleistungsträger, bei Konkurrenz verschiedener Leistungsansprüche
von sich aus auf andere möglicherweise günstigere Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 16.06.2006 ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Entscheidung ist zur Revision zuzulassen, da die Rechtssache wegen der noch nicht obergerichtlich geklärten Frage, inwieweit
eine volle Anrechnung des Hinzuverdienstes (§96 a
SGB VI) das Konkurrenzverhältnis von Krankengeld- und Rentenanspruch beeinflusst, grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs.
1 Ziffer. 1
SGG).