Einstweiliger Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren; sofortige Vollziehbarkeit von Beitragsbescheiden
Gründe:
I. Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Mitgliedschaft in und Beitragspflicht zu den Antragsgegnerinnen.
Die 1973 geborene Antragstellerin (Ast.) ist die Tochter der Eheleute H. und C. A ... Diese waren Inhaber eines Pferdebetriebes
in A-Stadt. Zusammen mit ihrem Vater gründete die Ast. zum 01.07.1992 die "H. A. Gesellschaft Bürgerlichen Rechts", an welcher
sie 20% und ihr Vater 80% Anteile hatte und die zum Zweck die Bewirtschaftung der ca 280 ha großen nach dem Fall der Mauer
erworbenen Landwirtschaft in B./Thüringen hatte. Die Ast. durchlief vom 01.08.1993 bis 31.07.1995 eine Ausbildung zur Pferdewirtin,
während welcher sie bei der AOK krankenversichert war sowie daran anschließend bis 31.07.1997 eine weitere Ausbildung zur
Industriekauffrau bei der in A-Stadt gelegenen Firma H. GmbH ihres Vaters. Dort ist die Ast. noch immer beschäftigt. Wegen
des Vorranges der Beschäftigungen als Auszubildende sowie der anschließenden Berufsausübung blieb die Ast. gesetzlich Krankenversicherte
der AOK, der BKK C. sowie zuletzt der mh plus BKK. Der entsprechende letzte Bescheid zur Vorrangversicherung datiert vom 10.11.2004.
Nach dem Tod des H. A. im März 2005 wurde seine Ehefrau C. gemäß Handelsregistereintrag vom 09.09.2005 alleinige Geschäftsführerin
und Gesellschafterin der H. GmbH, während der 80%-Anteil der A. GbR der Ast. zufiel.
Mit Bescheid vom 26.03.2009/Widerspruchsbescheid vom 07.09.2009 stellten die Antragsgegnerinnen (Ag.) fest, dass ab 01.05.2009
wegen landwirtschaftlicher Unternehmerschaft Versicherungspflicht der Ast. bei ihnen bestehe.
Dagegen hat die Ast. Widerspruch und Klage erhoben und zugleich vor dem Sozialgericht Bayreuth (SG) Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Sie sei weiterhin
hauptberuflich Beschäftigte der H. GmbH, die Inhaberschaft der A. GbR trete dahinter zurück, wie ein Einkommensvergleich anhand
der aktuellen Steuerbescheide ergebe. Sie sei als einzige mit den Büroangelegenheiten der H. GmbH vertraut, was ihre ganze
Arbeitskraft in Anspruch nehme. Dahinter trete die nur gelegentlich aufgesuchte und rund 50 km entfernt gelegene Landwirtschaft
zurück. Die Ag. haben erwidert, die Ast. betreibe eine umfangreiche Landwirtschaft, was sich aus der Betriebsgröße sowie dem
Erhalt von Fördermitteln iHv 110.000 EUR ergebe.
Das SG hat das Klageverfahren ausgesetzt und den Antrag mit Beschluss vom 17.08.2009 abgewiesen. Zur Begründung des Beschlusses
hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, in Beitragssachen sei die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ausgeschlossen, Gründe davon
abzuweichen seien nicht erkennbar. Der Bescheid sei nicht offenbar rechtswidrig. Die Ast. vermenge Entscheidungen zur landwirtschaftlichen
Alterskasse mit denen der landwirtschaftlichen Krankenkasse. Die in B. gelegene Landwirtschaft der Ast. überschreite die Mindestgröße,
so dass per Gesetz Versicherungspflicht bei den Ag. eingetreten sei. Die Höhe der Einkünfte seien unbeachtlich. Zudem beschäftige
die Ast. auf landwirtschaftliche Arbeitnehmer. Sie habe 2008 landwirtschaftliche Fördermittel von über 110.000 EUR erhalten.
Nachteile aus der Mitgliedschaft seien nicht erkennbar, zumal die Ag. am 01.07.2009 verbindlich erklärt hätten, bis zum Abschluss
des Widerspruchsverfahrens vom Beitragseinzug abzusehen.
Dagegen hat die Ast. Beschwerde eingelegt und zur Begründung wiederholend vorgebracht, die Landwirtschaft in B. werde extensiv
von Arbeitnehmern und Fremdfirmen bewirtschaftet, wobei sie selbst kaum vor Ort sei. Ihre Tätigkeit bestehe in einer vorrangigen
Beschäftigung bei der H. GmbH und in Bezug auf die Landwirtschaft in einer Art Vermögensverwaltung, so dass sie nicht landwirtschaftliche
Unternehmerin sei. Der wirtschaftliche und zeitliche Aufwand der landwirtschaftlichen Tätigkeiten trete hinter den wirtschaftlichen
und zeitlichen Aufwand der Hauptbeschäftigung weit zurück. Die bisherige Krankenkasse habe nicht ihr Einverständnis mit der
Vorrangversicherung der Ag. erklärt, diese sei zudem beizuladen. Die Kostenentscheidung des SG sei unzutreffend, weil die Ast. prozessual als Versicherte und nicht als Unternehmerin tätig werde.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 17.08.2009 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid
der Antragsgegnerinnen vom 26.03.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2009 herzustellen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Gegen die Streitwertfestsetzung des Sozialgerichts vom 17.08.2009 hat die Ast. Erinnerung eingelegt. Sie nehme als Versicherte
und nicht als Unternehmerin gerichtliche Hilfe in Anspruch und zähle damit zum kostenprivilegierten Personenkreis.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG), aber nur hinsichtlich der Kostenentscheidung begründet. In der Folge ist auch der Streitwertbeschluss vom 17.08.2009 aufzuheben.
1. Mit dem streitigen Bescheid vom 26.03.2009 haben die Ag. festgestellt, dass die Ast. in der landwirtschaftlichen Kranken-
und Pflegekasse als Unternehmerin versicherungspflichtig ist. Diese Entscheidung begegnet keinen Bedenken, die ein Abweichen
von der grundsätzlichen Vollziehbarkeit von Beitragsbescheiden
(§
86a Abs.2 Nr.1
SGG) rechtfertigen könnten. Zudem ist eine Härte aus dem Sofortvollzug nicht erkennbar.
Bei gesetzlichem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches gegen einen Beitragspflichtbescheid gemäß §
86a Abs.2 Nr.1
SGG - wie vorliegend - kann die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise von Gerichts wegen angeordnet werden,
§
86 Abs.1 Nr.2
SGG. Die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes steht im Ermessen des Gerichts ("kann") und erfordert eine Interessensabwägung
der relevanten öffentlichen und privaten Belange bei Gewährung oder Nichtgewährung des vorläufigen Rechtsschutzes sowie eine
Abschätzung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung
wäre z.B. anzunehmen, falls sich ohne weiteres und in jeder vernünftigen Zweifel ausschließenden Weise erkenne ließe, dass
der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und die Rechtsverfolgung des Bürgers keinen Erfolg verspricht (BT-Drs. 14/5943 unter
Bezugnahme auf Bundesverwaltungsgericht NJW 1974, 1294).
Im Rahmen der für das Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung ergibt sich, dass die Ag. den angefochtenen Bescheid
als zuständige Behörde formell, verfahrensmäßig und auf die Rechtsprechung des BSG gestützt zutreffend erlassen hat. Mit dem
Übergang des ursprünglich ihrem Vater gehörenden 80%-Anteil an der H. A. Gesellschaft Bürgerlichen Rechts auf die Ast. ist
diese Alleininhaberin und entsprechend dem Gesellschaftsvertrag vom 30.06.1992 auch Alleinbetreiberin des landwirtschaftlichen
Anwesens in 98673 B./Thüringen geworden. Damit ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten,
die dem letzten Vorrangsversicherungs-Bescheid der Ag. vom 10.11.2004 zu Grunde gelegen hatten. Die Ag. waren deshalb gem.
§ 48 Abs 1 SGB X berechtigt und verpflichtet, mit dem strittigen Bescheid mit Wirkung ab 01.05.2009 - also mit Wirkung für die Zukunft - die
geänderte Beitragspflicht festzustellen. Eventuelle Verfahrensmängel in Form von fehlender vorheriger Anhörung sind im Laufe
des Widerspruchsverfahrens geheilt (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).
Ohne Zweifel ist die Ast. als Alleininhaberin und -betreiberin des Anwesens in B. landwirtschaftliche Unternehmerin iSd §
2 Abs. 1 Nr 1 KVLG 1989. Sie ist Arbeitgeberin der dortigen Beschäftigten, erzielt - positive oder negative - Einkünfte aus dieser Landwirtschaft
und erhält für deren Betreib unbestritten landwirtschaftliche Fördermittel von zuletzt sechsstelliger Höhe pro Jahr. Mit einer
Fläche von 279,47 ha und einem Hektarwert von 856,98 überschreitet die Landwirtschaft zudem die gesetzlichen Grenzwertgrößen
deutlich.
Es ist entgegen der Auffassung der Ast. im vorliegenden Verfahren auch kein Fortbestand der Vorrangversicherung wegen einer
anderweitigen Beschäftigung erkennbar. Aus der Internetpräsenz der H. GmbH ergibt sich, dass in B. eine Deutsch-Angus-Mutterkuhherde
bewirtschaftet wird bestehend aus 125 Muttertieren, den Nachzuchtkälbern sowie gekürten Zuchtbullen. Verkauft wird Angus-Fleisch
an Privat- und Geschäftskunden. An gleicher Stelle wird in B. als Ergänzung zur Pferdehaltung in A-Stadt eine Aufzucht von
Hengstanwärtern, Junghengsten und Stutfohlen auf 100 ha Wechselweiden beschrieben. Daraus, aus der Höhe der Jahresförderung
sowie aus der Gesamtwirtschaftsfläche ergibt sich, dass die Ast. die entsprechende Bewirtschaftung nur mit erheblichem persönlichen
und zeitlichen Aufwand betreiben kann, der hinter dem einer abhängigen Beschäftigung zurücktreten müsste. Hinzukommt, dass
auf der Homepage der H. GmbH Werbung für das Gestüt und die Zucht in B. betrieben wird und als Kontaktadresse gestuet.g.@h.
angegeben ist. Daraus entnimmt der Senat, dass die Ast. auch während ihrer Bürotätigkeit für die H. GmbH ohne weiteres Geschäfte
des Gestüts sowie des Zuchtbetriebs in B. wahrnimmt. Dies entspricht auch der typischen Tätigkeit in einem Familienverbund
von Mutter und Tochter, wobei besonderes Gewicht auf die Allein-Inhaberschaft und -Geschäftsführerstellung der Mutter der
Ast. zu legen ist.
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist zusammenfassend kein Grund ersichtlich, von der grundsätzlichen Regelung der sofortigen
Vollziehbarkeit von Beitragsbescheiden (§
86a Abs.2 Nr.1
SGG) abzuweichen. Die Ast hat darüber hinaus auch im Beschwerdeverfahren nicht dargelegt, inwieweit ihr durch die Beitragspflicht
zu den Ag. eine wirtschaftliche Notlage entstehen könnte, die nur durch die Aussetzung der Vollziehung zu verhindern wäre.
Dies gilt umso mehr als im Falle der Beitragspflicht zur bisherigen Krankenkasse ein Beitragsausgleich ohne weiteres durchzuführen
wäre.
Wegen der Eilbedürftigkeit im vorliegenden Verfahren und aus dem Gedanken der Kostenminderungspflicht hat der Senat von einer
Beiladung der bisherigen Krankenkasse der Ast. abgesehen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,193
SGG. Die Ast. macht vorliegend geltend, nicht (landwirtschaftliche) Unternehmerin, sondern beitragspflichtige Beschäftigte zu
sein. Es liegt also eine Rechtsstreitigkeit einer Versicherten vor. In der Folge ist §
183 SGG anzuwenden, selbst wenn im Ergebnis die Klägerin als Unternehmerin anzusehen ist (vgl. Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Aufl., Rdn 5a zu §
183). Andernfalls könnte der gesetzlichen Gerichtskostenfreiheit für Versicherte nicht ausreichend Geltung verschafft werden.
Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts ist deshalb aufzuheben und zu entscheiden, dass im gesamten Verfahren außergerichtliche
Kosten nicht zu erstatten sind.
Damit erweist sich gleichzeitig das Rechtsmittel der Ast. gegen den Streitwertbeschluss des SG als begründet. Insoweit ergeht die Entscheidung gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 68 Abs 3 GKG.
Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht eröffnet, §
177 SGG, § 68 Abs 1 S 3 GKG iVm § 66 Abs 3 S 3 GKG.