Besetzung des Gerichts im sozialgerichtlichen Verfahren; Übertragung der Berufung auf den Berichterstatter
Tatbestand:
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 18.03.1998 lehnte die Beklagte eine Durchbrechung der Bindungswirkung einer früheren
Leistungsgewährung (Herabbemessung vom 19.06.1992) ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf sie mit Widerspruchsbescheid
vom 30.11.1998 als unzulässig.
Durch Bescheid vom 19.06.1992 stellte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 10.06.1992 bis
zum 21.08.1992 (Ablauf des Bewilligungsabschnittes) mit wöchentlich 301,80 DM fest und erbrachte dementsprechende Leistungen.
Wesentliches Berechnungselement war ein gerundetes wöchentliches Bemessungsentgelt (BE) von 750,- DM (gegenüber früher von
1010,- DM), dem unter anderem ein am 11.05.1992 nach einer persönlichen Untersuchung des Klägers durch die Arbeitsamtsärztin
R. erstellten Gutachten ermitteltes körperliches Leistungsvermögen zu Grunde gelegt worden ist. Danach lagen beim Kläger zahlreiche
Gesundheitsstörungen mit arbeitsmedizinischer Bedeutung vor.
Gegen den o. g. Bescheid vom 19.06.1992 legte der Kläger Widerspruch ein, später Klage und Berufung, die erst mit Urteil vom
18.12.2009 (Az.: L 8 AL 198/97) im Wesentlichen - unter Bestätigung der Herabstufung im Bemessungsentgelt - zurückgewiesen wurde. Inzwischen sind zahlreiche
Folgebescheide ergangen, die Gegenstand des oben genannten Rechtsstreits geworden sind.
Schon am 12.02.1995 hatte der Kläger auf eine Besserung seines Gesundheitszustands hingewiesen und einen Bescheid des Versorgungsamtes
A-Stadt vom 22.10.1993 sowie verschiedene Bewerbungsunterlagen vorgelegt. Die Beklagte bekundete dazu, dass die Herabstufung
vornehmlich wegen der Dauer der Arbeitslosigkeit, die erfolglosen Vermittlungsbemühungen durch das Arbeitsamt sowie die eigenen
negativ verlaufenen Bewerbungen des Klägers neben den gesundheitlichen Einschränkungen erfolgt sei. Nach einem weiteren von
ihr eingeholten Gutachten (R. vom 26.07.1995) sei gegenüber dem Vorgutachten von 1992 in körperlicher und psychischer Hinsicht
eine Stabilisierung eingetreten. So sei nach dem durchgeführten Augentest auch zu etwa 50 % der Arbeitszeit Bildschirmarbeit
möglich. Nach einem Gutachten des Dr. E. vom 25.11.1996 sowie dem augenfachärztlichen Zusatzgutachten Dr. K. vom 23.10.1996,
angefertigt wegen einer beabsichtigten Fortbildungsmaßnahme, bestanden keine Einwände gegen Bildschirmarbeit.
Am 11.12.1996 und 20.08.1997 beantragte der Kläger die Anhebung seines Bemessungsentgeltes nach "§§ 44, 48 SGB X" und erhob zunächst eine Untätigkeitsklage (Az.: S 35 AL 1858/97) beim Sozialgericht München (SG). Mit Bescheid vom 18.03.1998 lehnte die Beklagte eine Durchbrechung der Bindungswirkung ihrer früheren Herabbemessung ab.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch verwarf sie mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.1998 als unzulässig.
Die dagegen vom Kläger eingelegt Klage (Az.: S 35 AL 13/98), wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 23.11.2000 zurück. Die Klage sei wegen anderweitiger Rechtshändigkeit unzulässig und bereits Gegenstand
des anhängigen Berufungsverfahrens aus dem Jahre 1997 geworden.
Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht - LSG - (Az.: L 8 AL 376/00) eingelegt. Der Berichterstatter hat mit Schreiben vom 17.06.2008 und 09.09.2008 auf die Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels
sowie nochmals auf die Ausführungen der Beklagten im Schreiben vom 29.12.2004 hingewiesen. Dem Kläger ist auch angetragen
worden, den Rechtsstreit zu erledigen. Schließlich hat am 19.11.2008 eine Erörterung stattgefunden, wobei dem Kläger nochmals
die Unzulässigkeit der Klage verdeutlicht worden ist.
Mit Beschluss vom 19.11.2008 hat der Senat dieses Berufungsverfahren mit dem Berufungsverfahren L 8 AL 198/97 verbunden, mit Beschluss vom 17.12.2008 wieder abgetrennt und vertagt, weil der Klägerbevollmächtigte für dieses Verfahren
nicht rechtzeitig geladen worden ist.
Der Senat hat mit Urteil vom 18.12. 2009 die Berufung auch hinsichtlich der Klage gegen den Bescheid vom 08.03.1998 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 30.11.1998 zurückgewiesen. Es hat diese Bescheide als verfahrensgegenständlich in den früheren
Klageverfahren angesehen. Es hat weiter ausgeführt, dass hinsichtlich des Klageverfahrens S 35 AL 13/98 bzw. Berufungsverfahren L 8 AL 376/00 noch eine gesonderte Berufungsentscheidung zu ergehen habe.
Der Kläger stellt den Antrag,
1. Der Gerichtsbescheid vom 11.10.2000, Az. S 35 AL 13/99, wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 18. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November
1998 aufzuheben und dem Kläger ab dem Zeitpunkt des Wegfalls der Gründe, die zur Herabsetzung der Höhe der Arbeitslosenhilfe
geführt haben, Arbeitslosenhilfe in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Die am 23.11.2000 eingelegte Berufung ist statthaft. Sie bedurfte gemäß §
144 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.d.F. des Art. 8 Nr.
5 nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes vom 11.01.1993 nicht der Zulassung. Danach bedarf die Berufung nur dann der
Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des
Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft,
1.000,- DM nicht übersteigt. Dies ist hier nicht der Fall. Ebenso betrifft die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen
für mehr als ein Jahr (§
144 Abs.
1 Satz 2
SGG).
Das Gericht war auch ordnungsgemäß besetzt. Gemäß der seit 01.04.2008 geltenden Vorschrift des §
153 Abs.
5 SGG kann der Senat in den Fällen des §
105 Abs.
2 S. 1
SGG durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen. Dies ist hier mit Beschluss vom 19.12.2008, bereits nach dem
ab oben genannten Datum geltenden Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 28.03.2008
geschehen. An dessen Anwendbarkeit auf Altfälle bestehen keine Zweifel (vgl. Art. 5 des o. g. Gesetzes bzw. die Grundsätze
des intertemporalen Prozessrechts).
Der Gerichtsbescheid des SG mit Abweisung der Klage erging zurecht.
In sachlicher Hinsicht ist eine solche Prüfung bereits durch das mit Urteil des erkennenden Senats vom 18.12.2008 abgeschlossenen
Verfahrens erfolgt. Denn dort handelte es sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, bei der sich der Prüfungszeitraum
über die gesamte Zeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung erstreckt. Demnach waren alle dem Kläger zustehenden Leistungsansprüche
in allen im Berechnungselementen, so auch in der Richtigkeit des Bemessungsentgeltes, mithin das gesamte Versicherungsrechtsverhältnisses
zu überprüfen. Gerade daher zeigt sich, dass die Klage damals schon wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit des Verfahrens
L 8 AL 198/97 unzulässig war. Mit seinem hier gestellten Antrag verlangt der Kläger erneut die Kassation des Bescheides vom 18.03.1998,
deren aber bereits damals kraft Gesetzes (§
96 SGG) Gegenstand des genannten Berufungsverfahrens geworden ist.
Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind Im Übrigen rechtmäßig. Danach ist Gegenstand der Ausgangsbescheid in der
Gestalt, die er im Widerspruchsbescheid gefunden hat. Im Widerspruchsbescheid vom 30.11.1998 ist aber eindeutig als Regelung
ausgesagt, dass ein Rechtsbehelf unzulässig ist, weil der gestellte Leistungsantrag noch weiterhin offen war.
Richtig ist zwar, dass der Bescheid vom 19.07.1992 trotz seiner Anfechtung durch den Kläger eine relative Bindungswirkung
entfaltet hat und insoweit von der Beklagten für sich nur unter den Voraussetzungen der § 44 ff. SGB X zurückgenommen werden durfte. Für den Kläger aber ist dieser Bescheid nicht bindend geworden.
Der Kläger kann gemäß § 44 Abs. 1 SGB X als Rechtsfolge nur verlangen, dass der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit
zurückzunehmen ist. Nach Beseitigung der Bindungswirkung aber wäre der Rechtszustand nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit
der Verwaltung entsprechend dem dem Kläger rechtmäßig zustehenden Anspruch zu regeln. Genau dieses Ziel verfolgte der Kläger
aber bereits mit dem durch Urteil vom 18.12.2009 (Az.: L 8 AL 198/97) beendete Verfahren.
Darüber hinaus ist für den Kläger auch (im Sinne einer Tatbestandsvoraussetzung von § 44 SGB X) der Bescheid vom 09.06.1992 nicht unanfechtbar geworden. Denn gemäß § 39 Abs. 1 SGB X (Wirksamkeit des Verwaltungsakts) wird ein Verwaltungsakt zwar gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von
ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird. Er bleibt auch gemäß § 39 Abs. 2 SGB X wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere
Weise erledigt ist. Die Wirksamkeit hängt aber vor der Akzeptanz der Beteiligten ab. So regelt § 62 SGB X (Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte), dass für förmliche Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte, wenn der Sozialrechtsweg gegeben
ist, das
Sozialgerichtsgesetz gelten, wenn der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, die
Verwaltungsgerichtsordnung und die zu ihrer Ausführung ergangenen Rechtsvorschriften, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. §
77 SGG wiederum regelt, dass der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend ist, wenn der gegen einen Verwaltungsakt
gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird.
Demnach war hier auch nicht in einem eigenständigen Verfahren zu prüfen, ob sich entsprechend §
44 SGB I im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen
worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu
Unrecht erhoben worden sind. Dasselbe gilt im Übrigen auch für § 48 SGB X. Normzweck des § 48 Abs 1 SGB X ist es, im Spannungsfeld zwischen den rechtsstaatlichen Prinzipien der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns und dem Vertrauen
des Bürgers in die Unveränderbarkeit eines Bescheides (BSGE 65, 185, 186 = SozR 1300
§ 48 Nr. 57), dem Grundsatz zur Geltung zu verhelfen, dass in die Zukunft wirkende Entscheidungen dann nicht mehr binden können,
wenn sich die Verhältnisse ändern, auf denen sie beruhten (vgl. §
323 Abs
1 ZPO). Es geht also um die Anpassung eines Verwaltungsaktes. Bei Vorliegen einer wesentlichen Änderung ist dieser ab dem Zeitpunkt
der Änderung der Verhältnisse an die geänderten Umstände anzupassen.
Demgemäß ist die Berufung zurückzuweisen. Sie hatte keinen Erfolg.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§
193 SGG).
Gemäß §
192 Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und das Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 waren
Verschuldenskosten in pauschaler Höhe von 250,- Euro (§
184 Abs.
2 SGG) festzusetzen. Sowohl der Kläger wie sein Bevollmächtigter sind vom Vorsitzenden des Senats mehrfach (u.a. auch in einer
mündlichen Verhandlung, die hierfür aber seit der o. g. Änderung des Sozialgerichtsverfahrens nicht mehr erforderlich wäre)
auf die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung bei Weiterführung des Rechtsstreites hingewiesen worden. Ihnen wurde mehrfach
bedeutet, dass die rechtliche Prüfung, die vom Kläger angestrebt war, bereits im Urteil vom 18.12.2008 erfolgt ist. Dort ist
insbesondere auf Seiten 10 ff. dargelegt, dass die angefochtenen Bescheide Gegenstand der Überprüfung geworden sind. Schließlich
ist auch auf Seiten 27 ff. dieses Urteils (III 5.5) dargelegt, dass über den gesamten Überprüfungszeitraum seines Versicherungsrechtsverhältnisses
hinaus keine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen beim Kläger eingetreten ist, die zu einem anderen Bemessungsentgelt
geführt hätten. Dies ist vom Kläger nicht akzeptiert und mit Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht angegangen
worden. Damit steht dem Kläger mit seinem Begehren weiterhin eine rechtliche Überprüfung offen. Für einen weiteren Urteilsspruch
kommt ihm kein Rechtsschutzbedürfnis mehr zu. Dies hat sein Bevollmächtigter, dessen Einsicht ihm zuzurechnen ist, auch erkannt
und konnte dem nichts entgegensetzen. Damit sind alle Voraussetzungen eines Tatbestands gemäß §
193 SGG gegeben.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.