Wirksamkeit einer Klagerücknahme
Keine Anfechtung nach Vorschriften des bürgerlichen Rechts
Ausnahmsweiser Widerruf
Rechtlich unzutreffender richterlicher Hinweis
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, eine von ihm erhobene Klage sei wirksam zurückgenommen worden.
Der 1987 geborene Kläger ist französischer Staatsangehöriger. Er hat am 25. Februar 2013 bei dem Sozialgericht eine Klage
gegen den Bescheid des Beklagten vom 11. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2013 erhoben,
mit dem der Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II mit der Begründung abgelehnt hatte, der Kläger habe ein Aufenthaltsrecht
nur zur Arbeitsuche und sei daher nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) von Leistungen ausgeschlossen. Hierzu ist der Kläger persönlich bei dem Sozialgericht erschienen und hat erklärt, im Fall
einer mündlichen Verhandlung sei ein Dolmetscher für Französisch notwendig. Das Verfahren ist bei dem Sozialgericht Berlin
unter dem Aktenzeichen S 128 AS 4271/13 geführt worden.
Das Sozialgericht hat dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2013, dem Kläger am 1. August 2013 zugestellt, mitgeteilt, auch
nach nochmaliger Durchsicht der Akten bestünden aus Sicht des Gerichts keine Erfolgsaussichten für die Klage. Der Anspruch
auf Arbeitslosengeld II scheitere an §
7 Abs.
1 Satz 2 Nr.
2 SGG. Das Gericht rege daher an, die Klage zurückzunehmen. Das Sozialgericht hat dem Schreiben ein Formular beigefügt, dass mit
dem Begriff "Erledigungserklärung" überschrieben gewesen und in dem zu dem hier maßgeblichen Aktenzeichen der folgende Satz
enthalten gewesen ist: "In meinem Rechtsstreit gegen Jobcenter Berlin Lichtenberg nehme ich die Klage zurück.". Hierzu hat
das Sozialgericht in seinem Schreiben vom 23. Juli 2013 ausgeführt, zur Klagerücknahme fülle der Kläger bitte das beiliegende
Formular aus und sende es persönlich unterschrieben an das Gericht zurück. Im nachfolgenden Satz des sozialgerichtlichen Schreibens
ist die Aufforderung zu einer Mitwirkungshandlung für den Fall enthalten, dass der Kläger die Klage aufrechterhalten wolle.
Am 20. August 2013 ist bei dem Sozialgericht die von dem Kläger persönlich am 5. August 2013 unterschriebene Erledigungserklärung
eingegangen. Das Klageverfahren ist daraufhin von dem Sozialgericht als erledigt ausgetragen worden.
Am 2. Juni 2014 hat sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Benennung des Aktenzeichens S 128 AS 4271/13 mit Schriftsatz vom selben Tag für den Kläger bestellt und einen Sachantrag gegen den Bescheid des Beklagten vom 11. Februar
2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2013 gestellt. Das Sozialgericht hat den Prozessbevollmächtigten
des Klägers mit Schreiben vom 3. Juni 2014 darauf hingewiesen, das Klageverfahren sei durch Klagerücknahmeerklärung vom 5.
August 2013 bereits erledigt und daher werde auf den Schriftsatz vom 2. Juni 2014 nichts weiter veranlasst. Mit Schriftsatz
vom 10. Juni 2014 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Fortsetzung des Verfahrens beantragt verbunden mit der Bitte,
ihm die Klagerücknahmeerklärung zu übersenden, da diese hier nicht nachvollzogen werden könne und der Kläger ihn, den Prozessbevollmächtigten,
ausdrücklich beauftragt habe, in diesem Verfahren tätig zu werden. Das Sozialgericht hat daraufhin das Verfahren unter dem
aus dem Rubrum ersichtlichen Aktenzeichen neu eingetragen.
Mit Schriftsatz vom 18. August 2014 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt, die von dem Kläger unter dem 5. August
2013 abgegebene Erklärung sei offensichtlich unwirksam. Ausweislich der eingereichten Klageschrift benötige der Kläger einen
Dolmetscher. Aus welchem Grund ihm dann die Klagerücknahme ohne Übersetzung derselben nahe gelegt worden sei, sei für den
Kläger nicht nachvollziehbar und auch nicht verständlich gewesen. Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2015 hat der Prozessbevollmächtigte
des Klägers vorgetragen, dass die Klagerücknahme des Klägers für das Gericht und den Beklagten im Zeitpunkt des Zugangs als
Versehen offenbar gewesen sei und es daher mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar sei, den Kläger an dieser Prozesshandlung
festzuhalten. Der Kläger habe, was dem Sozialgericht auch bekannt gewesen sei, große Schwierigkeiten, den Sinn der Entscheidung
des Beklagten zu verstehen. Auch habe der Kläger das gerichtliche Schreiben vom 23. Juli 2013 nicht verstanden. Der Kläger
habe bereits bei Klageerhebung darauf hingewiesen, auf einen französischen Dolmetscher angewiesen zu sein. Dass dies nicht
allein für die mündliche Verhandlung habe gelten können, erscheine in Anbetracht der schriftlichen Ausführungen des Klägers
offensichtlich.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 1. April 2016 festgestellt, dass die Klage zum
Aktenzeichen S 128 AS 4271/13 wirksam zurückgenommen worden ist. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass hier eine wirksame Klagerücknahme
vorliege. Die Rücknahme sei auch nicht unwirksam oder anfechtbar. Willensmängel seien bei der Klagerücknahme als Prozesshandlung
im übergeordneten Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich unbeachtlich, eine Anfechtung analog §
119 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB) komme nach allgemeiner Ansicht nicht in Betracht. Auch ein Restitutionsgrund im Sinne von §
580 der
Zivilprozessordnung (
ZPO), der zum nachträglichen Widerruf berechtigen würde, sei weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Insbesondere sei mit
dem gerichtlichen Schreiben vom 23. Juli 2013 kein unzulässiger Druck auf den Kläger ausgeübt worden. Dem Ergebnis stehe auch
nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Ein Verstoß dagegen ergebe sich insbesondere nicht aus dem Grund, dass
der Kläger unzutreffend über die Unzulässigkeit der Klage belehrt worden wäre, denn der gerichtliche Hinweis habe sich allein
auf die Begründetheit der Klage bezogen. Die Treuwidrigkeit folge auch nicht daraus, dass die Rücknahme für das Gericht und
den Gegner im Zeitpunkt des Zugangs des klägerischen Schreibens als Versehen offenbar gewesen sei. Dass der Kläger bei Klageerhebung
auf Deutsch angegeben habe, für eine mündliche Verhandlung ein Dolmetscher zu benötigen, könne hieran nichts ändern. Insbesondere
nach Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks habe das Gericht davon ausgehen können, dass der Kläger im Falle von Verständnisschwierigkeiten
Hilfe einholen würde, bevor er eine unterschriebene Erklärung abgebe.
Gegen den ihm am 11. April 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12. April 2016 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz
vom 21. Mai 2016 hat der Kläger insoweit einen Sachantrag formuliert und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die
Klagerücknahme nicht wirksam erfolgt sei.
Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat die Berufung durch Beschluss vom 28. Juli 2016 gemäß §
153 Abs.
5 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) dem Berichterstatter übertragen.
Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2017 hat der Kläger die unterlassene Beiladung des Sozialhilfeträgers sowie die Verletzung
des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs durch das Sozialgericht gerügt. Im Übrigen hat er vorgetragen, zum Widerruf der Klagerücknahmeerklärung
analog §
580 Nr. 7
ZPO berechtigt zu sein. Durch das richterliche Hinweisschreiben habe der Kammervorsitzende seine aus §
106 SGG folgende richterliche Fürsorge- und Hinweispflicht verletzt. In Ansehung dessen, dass zur hier streitigen Rechtsfrage zwei
Revisionsverfahren anhängig gewesen seien, sei die Anregung zur Klagerücknahme nicht sachdienlich gewesen. Die Revisionsverfahren
seien auch gerichtsbekannt gewesen, so dass zu Rechtsstreitigkeiten mit der hier entscheidenden Rechtsfrage zahlreiche fast
identische richterliche Hinweise zum Ruhen des Verfahrens ergangen seien.
Auf gerichtlichen Hinweis hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Juni 2016 beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. April 2016 aufzuheben und festzustellen, dass der bei dem Sozialgericht
unter dem Aktenzeichen S 128 AS 4271/13 geführte Rechtsstreit auch weiterhin anhängig ist.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
Die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung weder selbst erschienen
noch vertreten gewesen sind, weil sie mit der ihnen jeweils ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit
hingewiesen worden sind.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist in Ergebnis wie Begründung zutreffend.
Zulässiger Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein, ob das Sozialgericht mit dem angegriffenen Gerichtsbescheid zu Recht
die Erledigung des Verfahrens festgestellt hat (vgl. Urteil des Senats vom 12. Juni 2015 - L 25 AS 2538/14 - n. v.). Der Rechtsstreit in der Sache wäre auch dann nicht zur Entscheidung bei dem Senat anhängig geworden, wenn er sich
nicht durch Klagerücknahme gemäß §
102 Abs.
2 SGG erledigt hätte. In diesem Fall bedürfte es daher auch keiner Zurückverweisung der Sache nach §
159 SGG (wie hier Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. März 2013 - L 1 KR 450/12 WA; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 2013 - L 5 KR 605/12; Bayerisches LSG, Urteil vom 12. Juli 2011 - L 11 AS 582/10; Sächsisches LSG, Urteil vom 28. Februar 2013 - L 7 AS 523/09; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 17. Juli 2014 - L 5 AS 612/13; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30. August 2011 - L 9 AS 61/10; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. August 2012 - L 3 AS 133/12; für eine Zurückverweisung der Sache nach §
159 SGG dagegen - jeweils ohne nähere Begründung - LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Mai 2011 - L 13 SB 32/11; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Juli 2011 - L 11 KR 1429/11; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10. Juli 2012 - L 7 AS 776/11; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 - L 5 AS 217/10 -; für das Revisionsverfahren: Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 58/09 R - alle bei juris). Bezieht sich die Entscheidung auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Prozessrechtsverhältnisses
(in der Hauptsache) als solches, so wird mit ihr nämlich keine Entscheidung innerhalb dieses Klageverfahrens in der Sache
getroffen. Das Berufungsgericht kann daher allein über die Richtigkeit dieser Feststellung als verfahrensrechtliche Vorfrage
entscheiden, nicht aber über den - bei falscher Entscheidung des Sozialgerichts - nach wie vor in erster Instanz anhängigen
Rechtsstreit in der Sache (so zutreffend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. März 2013, a. a. O.). Bei dem Zwischenstreit
über die Erledigung oder Fortsetzung des Verfahrens handelt es sich insofern um ein vom Ausgangverfahren zu differenzierendes,
selbständiges Verfahren (Bayerisches LSG, a. a. O.; Sächsisches LSG, a. a. O.).
Die danach (allein) zulässige Feststellungsklage ist aber nicht begründet. Das unter dem Aktenzeichen S 128 AS 4271/13 beim Sozialgericht Berlin geführte Verfahren ist durch Klagerücknahme gemäß §
102 Abs.
1 SGG beendet.
Nach §
102 Abs.
1 Satz 1
SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der
Hauptsache (§
102 Abs.
1 Satz 2
SGG). Für Prozesserklärungen wie eine Klagerücknahme gelten die allgemeinen Auslegungsregeln. Dabei ist nach dem in §
133 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im öffentlichen Recht und im Prozessrecht gilt, bei der Auslegung
von Erklärungen nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen. Bei der Auslegung
sind zudem das aus Artikel
3 Abs.
1 des
Grundgesetzes (
GG) abzuleitende Willkürverbot, das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Artikel
19 Abs.
4 GG und das Rechtsstaatsprinzip zu beachten. Das Rechtsstaatsprinzip verbietet es dem Richter, das Verfahrensrecht so auszulegen
und anzuwenden, dass den Beteiligten der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelinstanzen
in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird. Eine angemessene Auslegung dient also
zugleich der Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. BSG, Beschluss vom 15. Juni 2016 - B 4 AS 651/15 B - juris). Dass die Erklärung des Klägers vom 5. August 2013, dem Gericht am 20. August 2013 zugegangen, als Klagerücknahme
auszulegen ist, kann nach vorstehenden Auslegungsregeln nicht in Frage stehen. Die in dem vorgedruckten Formular enthaltene
Erklärung ist unmissverständlich. Wird eine solche Erklärung von dem Kläger unterschrieben, kann dies nur so verstanden werden,
dass er sich vorstehende Erklärung zu eigen macht, sie also abgeben will. Dafür spricht hier auch der Gesamtzusammenhang,
in dem diese Erklärung steht. Denn das Sozialgericht hat den Kläger mit seinem Schreiben vom 23. Juli 2013 recht eingehend
darauf hingewiesen, dass und warum die Klage aus Sicht des Sozialgerichts keine Erfolgsaussichten haben dürfte. Es hat in
diesem Zusammenhang angeregt, die Klage zurückzunehmen und hierzu das entsprechende Formular übersandt. Dieses Schreiben ist
dem Kläger am 1. August 2013 zugestellt worden, so dass seine im engen zeitlichen Zusammenhang abgegebene Erklärung als unmittelbare
Reaktion auf das sozialgerichtliche Schreiben anzusehen ist.
Der Kläger kann sich von der Klagerücknahme auch nachträglich nicht mehr lösen. Die Klagerücknahme kann, weil sie eine Prozesshandlung
ist, mit der der Erklärende den Prozess unmittelbar gestaltet, nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. nur BSG, Urteil vom 14. Juni 1978 - 9/10 RV 31/77; Beschluss vom 19. März 2002 - B 9 V 75/01 B; Beschluss vom 4. November 2009 - B 14 AS 81/08 B - alle bei juris), der sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, grundsätzlich nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen
Rechts angefochten werden.
Auch für einen Widerruf der Klagerücknahme ist im vorliegenden Fall kein Raum. Denn der Widerruf einer Klagerücknahme kommt
entsprechend der Rechtsprechung des BSG ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn Gründe vorliegen, die gemäß §
179 SGG i. V. m. §§
579,
580 ZPO zur Wiederaufnahme eines rechtskräftig beendeten Verfahrens berechtigen würden (BSG, Urteil vom 24. April 1980 - 9 RV 16/79 - juris). Derartige Gründe liegen hier jedoch nicht vor. Dies gilt zum einen für die Fälle des §
579 Abs.
1 ZPO, der die Nichtigkeitsklage regelt, aber auch für den die Restitutionsklage regelnden §
580 ZPO. Soweit der Kläger eine Analogie des §
580 Nr. 7
ZPO in Erwägung zieht, folgt der Senat dem nicht. Denn ungeachtet einer insoweit fehlenden planwidrigen Regelungslücke vermag
der Senat in keiner Weise eine Vergleichbarkeit des vorliegenden Falles mit den in §
580 Nr. 7
ZPO geregelten Fällen zu erkennen. Die Ausführungen des Klägers in diesem Zusammenhang betreffen eher die Frage, inwieweit es
gegen Treu und Glauben verstoßen könnte, ihn an der Klagerücknahmeerklärung festzuhalten, worauf noch einzugehen sein wird.
Soweit eine Widerrufsmöglichkeit bei falschem Hinweis auf die vermeintliche Unzulässigkeit einer Klage oder bei einem offensichtlichen
Versehen des Erklärenden erwogen wird (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
102, Rn. 7c), kann offen bleiben, inwieweit solche Fallkonstellationen tatsächlich einen Widerruf ermöglichen können. Denn solche
Fälle liegen hier nicht vor. Das Sozialgericht hat den Kläger nicht fehlerhaft auf eine vermeintliche Unzulässigkeit der Klage
verwiesen (vgl. dazu Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 6. Juli 2005 - XI R 15/04 - juris). Auch liegt hier kein Fall vor, in dem die Klagerücknahmeerklärung des Klägers für das Gericht und für den Prozessgegner
sogleich als Versehen offenbar gewesen ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 15. Juni 2005 - 9 C 8/04; Urteil vom 6. Dezember 1996 - 8 C 33/95 - beide bei juris - erörtert unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben; enger Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 26.
September 2007 - XII ZB 80/07 - NJW-RR 2008, 85 - Rücknahmeerklärung unwirksam, wenn eine durch einen Prozessbevollmächtigten erklärte Rücknahme zu dem wirklichen Willen
des Rechtsmittelführers in Widerspruch stand und der Irrtum des Prozessbevollmächtigten, auf dem diese Erklärung beruhte,
für den Rechtsmittelgegner und das Gericht offensichtlich war).
Schließlich ist die Klagerücknahme hier auch nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausnahmsweise unbeachtlich oder
widerruflich (vgl. Leitherer, a. a. O.). Dies gilt auch und gerade, soweit der Kläger einen Verstoß der Fürsorge- und Hinweispflicht
durch das Sozialgericht rügt.
Allerdings hat der Vorsitzende gemäß §
106 Abs.
1 SGG darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben
tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben
werden. Diese Regelung ist Ausdruck der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichtes gegenüber den Beteiligten (vgl. nur Leitherer,
a. a. O., §
106, Rn. 2; Kühl in Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Auflage 2014, §
106, Rn. 2). Daraus folgt indes nicht, dass jede Prozesserklärung, die aufgrund eines möglicherweise auch rechtlich unzutreffenden
richterlichen Hinweises getroffen worden ist, rechtlich unbeachtlich oder widerruflich ist. Die in diesem Zusammenhang bei
fehlerhaften richterlichen Hinweisen zur Unzulässigkeit einer Klage ergangene Rechtsprechung des BFH fußt wesentlich auf der
Sonderregelung des § 72 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ("Wird nachträglich die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht, so gilt §
56 Abs.
3 sinngemäß."), die im
SGG keine Entsprechung findet und daher für das sozialgerichtliche Verfahren auch nicht fruchtbar gemacht werden kann (vgl. Harks,
jurisPR-SozR 6/2014 Anm. 1; Herbert in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 8. Auflage 2015, § 72, Rn. 21; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1981 - 6 C 70/80 - BeckRS 1981, 31244349 - kein Widerruf einer Klagerücknahme, wenn der Kläger zur Rücknahme der Klage durch eine unrichtige
Belehrung des Verwaltungsgerichts über die Versäumung der Klagefrist veranlasst worden ist). Jenseits dieser Sonderregelung
in der FGO gibt es keinen Anlass dafür, den Rechtsmittelführer dann nicht an seiner verfahrensbeendenden Erklärung festzuhalten, wenn
diese auf unzutreffenden richterlichen Hinweisen beruht. Denn die unwiderruflich verfahrensbeendende Wirkung der Rücknahme
einer Klage oder eines sonstigen Rechtsmittels ist kein Formalismus, sondern unerlässlich, um Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Prozesshandlungen der Parteien, die die Einleitung oder Beendigung eines Verfahrens betreffen, vertragen keinen Schwebezustand
(vgl. BGH, a. a. O.). Mit dem Gebot der Rechtssicherheit wäre es nicht vereinbar, wollte man eine Rücknahmeerklärung dann
für unbeachtlich halten, wenn sie auf fehlerhaften richterlichen (materiell-)rechtlichen Hinweisen beruht, zumal dies die
im Einzelfall möglicherweise schwierig zu beantwortende Frage aufwirft, wann richterliche Hinweise tatsächlich rechtsfehlerhaft
sind (vgl. dazu Harks, a. a. O.). Ob vorliegend beispielsweise der Hinweis des Sozialgerichts auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II so falsch gewesen ist, mag zweifelhaft sein. Der Kläger meint, diese Regelung sei auf ihn unanwendbar, weil er sich auf das
Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) berufen könne. Dies wiederum dürfte im vorliegend maßgeblichen Zeitraum (der Leistungsantrag
des Klägers bei dem Beklagten datiert auf den 7. Februar 2013) nicht der Fall gewesen sein, weil der von der Bundesregierung
bezogen auf SGB II-Leistungen erklärte Vorbehalt zum EFA vom 19. Dezember 2011 eine wirksame Einschränkung der Inländergleichbehandlung bewirkte
(vgl. nur BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 43/15 R - juris). Ob das Sozialgericht bei Erteilung seines richterlichen Hinweises tatsächlich auch die - ja immer noch hoch umstrittene
- Möglichkeit einer Verurteilung des Sozialhilfeträgers im Blick haben musste, mag man bezweifeln. Der von dem Kläger als
vorzugswürdig erachtete Hinweis, das Verfahren bis zur höchstrichterlichen Klärung der maßgeblichen Rechtsfragen ruhen zu
lassen, wäre denkbar gewesen, macht den Hinweis des Sozialgerichts aber nicht "falsch". Schließlich hätte die Klage unter
Umständen auch mangels Hilfebedürftigkeit des Klägers jedenfalls teilweise dann ohne Erfolg bleiben müssen, sollte der Kläger
tatsächlich - wie der ihn betreffende Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. Mai 2014 (L 14 AS 969/14 B ER) nahe legt - ab dem 15. März 2013 zu einem monatlichen Bruttolohn von 1.500,- Euro abhängig beschäftigt gewesen sein.
Es bleibt mithin festzuhalten, dass eine Klagerücknahme auch eines rechtlich nicht Vertretenen und rechtlich Unkundigen grundsätzlich
auch dann wirksam, unanfechtbar und unwiderruflich ist, wenn sie auf einen richterlichen Hinweis hin erfolgt, der rechtlich
unzutreffend ist. Der Senat lässt mangels Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Fall offen, ob dies auch dann gilt, wenn
sich der richterliche Hinweis auf die vermeintliche Unzulässigkeit eines Rechtsmittels bezieht, merkt aber an, dass er auch
für diesen Fall dazu neigt, von einer wirksamen, unanfechtbaren und unwiderruflichen prozessbeendenden Erklärung auszugehen
(a. A. für diesen Fall LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Mai 2015 - L 29 AS 2719/14 WA - juris). Ob ausnahmsweise anderes gilt, wenn das Gericht auf den Kläger unzulässigen Druck ausgeübt hat, kann offen bleiben.
Allerdings dürfte dies auf extreme Ausnahmefälle beschränkt sein (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Mai 2010 - 2 AZR 544/08 - juris - dort Anfechtung nach §
123 Abs.
1 BGB wegen widerrechtlicher Drohung bejaht). Hier sind Anhaltspunkte für einen solchen Ausnahmefall nicht ersichtlich. Denn das
Gericht hat die Klagerücknahme lediglich angeregt und dem Kläger zudem für den Fall, dass er die Klage aufrechterhalten wolle,
Mitwirkungshandlungen auferlegt.
Schließlich rechtfertigen auch etwaige Sprachschwierigkeiten des Klägers hier nicht die Annahme, die Klagerücknahme sei ausnahmsweise
nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unwirksam. Zwar waren dem Sozialgericht sprachliche Probleme des Klägers bekannt,
weil der Kläger schon bei Klageerhebung darauf hingewiesen hatte, im Fall einer mündlichen Verhandlung sei ein Dolmetscher
für Französisch notwendig. Ungeachtet dessen war es mit Blick auf §
61 Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
184 Satz 1 des
Gerichtsverfassungsgesetzes hier nicht zu beanstanden, dass das Sozialgericht das Schreiben vom 23. Juli 2013 in deutscher Sprache abgefasst hat. Soweit
der Kläger dieses Schreiben nicht oder nicht richtig verstanden hat, hätte er Hilfe in Anspruch nehmen müssen, um diesen Mangel
zu beheben. In diesem Zusammenhang verweist der Senat auf Ausführungen des BSG zur Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei vorgetragenen Sprachschwierigkeiten, nach denen der Betroffene auf
die Befragung eines Übersetzers oder eines anderen Mitbürgers, der Deutsch lesen kann, verwiesen worden ist (BSG, Beschluss vom 21. September 1981 - 9 BV 218/81 - juris). Dass Sprachschwierigkeiten durch Inanspruchnahme von Dolmetschern überwindbar sind, hat das BSG auch an anderer Stelle dargelegt (Beschluss vom 14. Juli 1992 - 11 BAr 43/92 - Beweislastverteilung zugunsten des Klägers wegen Sprachschwierigkeiten verneint; Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 77/09 R - grobe Fahrlässigkeit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch trotz vorgetragener Sprachschwierigkeiten bejaht).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG nicht vorliegen.