SGB-II-Leistungen
Bestimmtheitserfordernis des Verfügungssatzes
Begrenzung rückwirkender Leistungen
4-Jahres-Frist
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Nachzahlung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Dezember 2012 von insgesamt 4.010,32 Euro (3.448 Euro und 562,32 Euro).
Die im Oktober 1960 geborene Klägerin ist die Mutter des im Februar 1988 geborenen C-E, der bis 31. Mai 2010 bei der Klägerin
wohnte, und der im November 2001 geborenen S M, die im oben genannten Zeitraum bei der Klägerin lebte.
Die Klägerin erhielt während dieses Zeitraumes Kindergeld für S M von 184 Euro monatlich. Die Bewilligung des für C- E bewilligten
Kindergeldes wurde mit Ablauf des Monats Februar 2011 aufgehoben (Bescheid der Familienkasse Berlin-Mitte vom 13. Dezember
2010).
Auf deren Anträge, in denen jeweils der Bezug von Kindergeld in Höhe von 184 Euro monatlich für S M angegeben worden war,
hatte der Beklagte der Klägerin und S M Leistungen nach dem SGB II, dabei für die Klägerin vom 1. Dezember 2010 bis 31. Mai 2011 von 297,93 Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts und von
241,87 Euro für Unterkunft und Heizung (Bescheid vom 27. Oktober 2010), vom 1. Juni 2011 bis 30. November 2011 von 303,61
Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts und von 241,87 Euro für Unterkunft und Heizung (Bescheid vom 16. Mai 2011), vom 1.
Dezember 2011 bis 31. Mai 2012 von 303,61 Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts und von 241,87 Euro für Unterkunft und Heizung
(Bescheid vom 26. Oktober 2011) sowie vom 1. Februar 2012 bis 29. Februar 2012 von 313,94 Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts
und von 241,87 Euro für Unterkunft und Heizung (Änderungsbescheid vom 30. April 2011), vom 1. Juni 2012 bis 30. November 2012
von 313,94 Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts und von 241,87 Euro für Unterkunft und Heizung (Bescheid vom 30. April
2012), vom 1. November 2012 bis 30. November 2012 258,06 Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts und von 241,87 Euro für Unterkunft
und Heizung (Änderungsbescheid vom 17. Oktober 2012), und vom 1. Dezember 2012 bis 31. Mai 2013 258,06 Euro zur Sicherung
des Lebensunterhalts und 241,87 Euro für Unterkunft und Heizung (Bescheid vom 29. Oktober 2012) bewilligt.
Im Februar 2014 fragte die Klägerin beim Beklagten zum Änderungsbescheid vom 17. Januar 2014 (Leistungen für die Zeit vom
1. Dezember 2013 bis 31. Mai 2014 betreffend) an, warum ihr Kindergeld von zweimal 184 Euro angerechnet werde, obwohl sie
nur für ihre Tochter Kindergeld erhalte. Sie legte die Bescheinigung der Familienkasse Berlin-Brandenburg vom 28. Januar 2014,
den Bescheid der Familienkasse Berlin-Mitte vom 13. Dezember 2010 und die Bescheinigung der Familienkasse Berlin-Brandenburg
vom 21. Februar 2014 vor.
Mit Schreiben vom 10. März 2014 teilte der Beklagte der Klägerin folgendes mit: "Das Einkommen aus Kindergeld für ihr Kind
C-D wurde bis 28. Februar 2011 begrenzt. Die Anrechnung erfolgte bei Ihnen. Sie erhalten somit eine Nachzahlung. Die Änderungsbescheide
rückwirkend ab 1. März 2011 erhalten sie in den nächsten Tagen."
Mit Änderungsbescheiden vom 10. März 2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin und S M höhere Leistungen für die Zeit vom
1. Januar 2013 bis 31. Mai 2014 und verfügte die sich daraus ergebenden Nachzahlungen.
Mit Schreiben vom 10. März 2014 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass der Sachverhalt nochmals geprüft werde, ob eine
Nachzahlung für den Zeitraum vom 1. März 2011 bis 31. Dezember 2012 erfolgen könne. Das Schreiben vom 10. März 2014, welches
am 10. März 2014 persönlich ausgehändigt worden sei, sei somit gegenstandslos.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dieser Bescheid vom 10. März 2014 sei rechtswidrig. Mit
Schreiben vom 10. März 2014 sei eine Änderung rückwirkend ab 1. März 2011 dem Grunde nach bereits zugesagt worden. Seine Aufhebung
bzw. Rücknahme als begünstigendes Schreiben sei bei unveränderter Tatsachen- und Rechtslage nur unter bestimmten Bedingungen
möglich, deren Voraussetzungen nicht vorlägen.
Mit Schreiben vom 23. Mai 2014 hob der Beklagte daraufhin das Schreiben vom 10. März 2014 auf. Zugleich kündigte er die Übersendung
der Änderungsbescheide für den Zeitraum vom 1. März 2011 bis 31. Dezember 2012 an.
Mit Änderungsbescheiden vom 4. Juni 2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin und S M jeweils unter entsprechender Erhöhung
der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (bei unveränderten Leistungen für Unterkunft und Heizung) für die Zeit vom
1. März 2011 bis 30. November 2011 weitere 154 Euro monatlich, vom 1. Januar 2012 bis 31. Oktober 2012 weitere 154 Euro monatlich
und vom 1. November 2012 bis 31. Dezember 2012 weitere 184 Euro monatlich, wobei er für die Klägerin diese Leistungen wie
folgt festsetzte: vom 1. März 2011 bis 31. Mai 2011 von 408,00 Euro, vom 1. Juni 2011 bis 30. November 2011 von 408,00 Euro,
vom 1. Januar 2012 bis 31. Mai 2012 von 418,88 Euro, vom 1. Juni 2012 bis 31. Oktober 2012 von 418,88 Euro, vom 1. November
2012 bis 31. Dezember 2012 von 383,44 Euro. Es wurde außerdem jeweils verfügt, dass eine Nachzahlung nicht erfolgt. Zur Begründung
ist angegeben, dass der jeweilige Zeitraum außerhalb des Zeitraumes von einem Jahr nach § 40 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 4 SGB X liege.
Mit weiterem Änderungsbescheid vom 4. Juni 2014, der der Klägerin nicht zuging, bewilligte der Beklagte der Klägerin und S
M jeweils unter entsprechender Erhöhung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (bei unveränderten Leistungen für
Unterkunft und Heizung) für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 31. Dezember 2011 weitere 154 Euro, wobei er für die Klägerin
diese Leistungen auf 408,00 Euro festsetzte. Dieser Bescheid enthält ebenfalls die Verfügung, dass eine Nachzahlung nicht
erfolgt.
Die Klägerin und S M legten gegen alle Änderungsbescheide vom 4. Juni 2014, einschließlich desjenigen den Leistungszeitraum
Dezember 2011 betreffend, um dessen Übersendung noch gebeten wurde, Widerspruch ein und kündigten eine Leistungsklage auf
Auszahlung der nachbewilligten Beträge an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2014 verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 4. Juni 2014
Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 31. Dezember 2011 betreffend als unzulässig: Aus dem Vortrag ergebe sich,
dass dieser Bescheid nicht bekanntgegeben worden sei, so dass der Verwaltungsakt bereits nicht wirksam geworden sei.
Mit der am 30. Juni 2014 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin Verurteilung des Beklagten zu den bereits
nachbewilligten SGB II-Leistungen für die Leistungszeiträume März 2011 bis November 2011 und von Januar 2012 bis Dezember 2012 von insgesamt 3.294
Euro begehrt.
Sie hat gemeint, der Auszahlungsanspruch ergebe sich aus der schriftlichen Zusicherung vom 10. März 2014. Darin habe der Beklagte
ausdrücklich zugesichert, dass eine Nachzahlung für die Zeit ab 1. März 2011 erfolge.
Mit Änderungsbescheiden vom 14. August 2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin und S M jeweils unter entsprechender Erhöhung
der Leistungen für Unterkunft und Heizung (bei unveränderten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts) für die Zeit vom
1. März 2011 bis 31. Dezember 2012 weitere 25,56 Euro monatlich, wobei er für die Klägerin diese Leistungen auf 254,65 Euro
festsetzte. Es wurde außerdem jeweils verfügt, dass eine Nachzahlung nicht erfolgt. Zur Begründung ist angegeben, dass der
jeweilige Zeitraum außerhalb des Zeitraumes von einem Jahr nach § 40 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 4 SGB X liege.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2014 wies der Beklagte den Widerspruch gegen die Änderungsbescheide vom 4. Juni 2014
in der Fassung der Änderungsbescheide vom 14. August 2014 für die Zeit vom März 2011 bis November 2011 und Januar 2012 bis
Dezember 2012 zurück: Die Leistungen seien für den genannten Zeitraum nunmehr in richtiger Höhe bewilligt. Sofern sich der
Widerspruch gegen die nicht erfolgte Auszahlung der nachbewilligten Leistungen richte, sei er unzulässig, da es sich bei einer
Auszahlung um keinen Verwaltungsakt handele.
Am 4. September 2014 hat die Klägerin ihre Klage hinsichtlich des Leistungszeitraumes Dezember 2011 erweitert und Zahlung
weiterer 154 Euro begehrt. Sie hat darauf hingewiesen, dass zwar der Änderungsbescheid vom 14. August 2014, nicht jedoch der
Änderungsbescheid vom 4. Juni 2014 vorliege.
Am 22. September 2014 hat die Klägerin ihre Klage auf die Änderungsbescheide vom 14. August 2014 und den Widerspruchsbescheid
vom 29. August 2014 erweitert. Sie hat dazu vorgetragen, diese Klageerweiterung sei sachgerecht, weil die "Mitteilung" "eine
Nachzahlung erfolgt jedoch nicht ..." wohl doch als Verwaltungsakt aufzufassen sei. Durch die Änderungsbescheide vom 14. August
2014 erhöhten sich die streitigen monatlichen Nachzahlbeträge um jeweils 25,56 Euro.
Im Übrigen hat die Klägerin vorgetragen: Bei verständiger Auslegung sei das Schreiben vom 10. März 2014 als Zusicherung zu
verstehen. Aus Empfängersicht sei eine Nachzahlung für die Zeit ab 1. März 2011 zugesichert worden. Bereits aus den Bescheiden
vom 4. Juni 2014 selbst ergebe sich ein Auszahlungsanspruch. Der Satz, "Eine Nachzahlung erfolgt jedoch nicht", dürfte gerade
keinen Verfügungs- und Verwaltungsakt-Charakter haben. Es sei auch eine telelogische Reduktion von § 40 Abs. 1 SGB II geboten, soweit es um Bescheide gehe, bei denen die Rechtswidrigkeit bei Erlass vorgelegen habe und im Wesentlichen kein
Verschulden beim Antragsteller vorliege. Der Gesetzgeber habe der Verwaltung keinen "Persilschein" für ein grob sorgfaltswidriges
Verhalten erteilen wollen.
Der Beklagte hat gemeint, aus dem Bescheid vom 10. März 2014 ergebe sich nicht, dass eine Nachzahlung für die Zeit ab dem
1. März 2011 erfolgen werde. Eine solche zeitliche Zusicherung enthalte dieser Bescheid nicht.
Mit Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Klage sei dahingehend auszulegen,
dass sich die Klägerin im Wege der Anfechtungsklage gegen die Entscheidungen des Beklagten vom 4. Juni 2014 sowie vom 14.
August 2014 wende, soweit diese für die Zeiträume vom 1. März 2011 bis 31. Dezember 2012 bestimmten, dass eine Nachzahlung
der bewilligten zusätzlichen Leistungen nicht erfolge. Darüber hinaus mache die Klägerin zugleich die Auszahlung der für diese
Zeiträume zusätzlich bewilligten Leistungen im Wege der Leistungsklage geltend. Diese Klagen seien insoweit zulässig, als
sie sich auf die Nichtzahlung der zusätzlich für die Klägerin bewilligten Leistungen beziehe. Soweit sich die Klage möglicherweise
sinngemäß auch gegen die Regelung über die Nichtauszahlung der für die Tochter der Klägerin bewilligten Mehrleistungen wende,
sei sie als unzulässig zu erachten. Gleiches gelte auch insofern, als die Klägerin mit ihrer Leistungsklage die Auszahlung
der ihrer Tochter zusätzlich zuerkannten Leistungen begehre, da es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II um individuelle Leistungsansprüche handele, die nicht die Klägerin für ihre Tochter geltend machen könne. Die Klage sei jedoch
insgesamt als unbegründet abzuweisen. Im Hinblick auf die erhobene Anfechtungsklage folge dies daraus, dass die Regelung bezüglich
der Nichtauszahlung der mit den Bescheiden vom 4. Juni 2014 und 14. August 2014 dem Wortlaut nach zusätzlich bewilligten weiteren
Leistungen unmittelbar aus den in den Bescheiden zitierten Regelungen resultiere und keinen rechtlichen Bedenken des Gerichts
zu begegnen vermöge. Dieses Ergebnis stehe nicht im Widerspruch zu dem Wortlaut der Bescheide, wonach höhere Leistungen als
zuvor bewilligt worden seien. Vielmehr sei aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung erkennbar, dass es sich hierbei nicht um
Regelungen handele, mit denen tatsächliche durchsetzbare Leistungsansprüche der Klägerin begründet werden sollten. Die Leistungsklage
sei ebenfalls unbegründet, denn weder folge ein entsprechender Zahlungsanspruch aus den Bescheiden vom 4. Juni 2014 bzw. vom
14. August 2014, da diese die Regelung enthielten, dass eine Auszahlung der dem Wortlaut nach zusätzlich bewilligten Leistungen
nicht erfolgen werde. Ebenso könne die Leistungsklage nicht auf das Schreiben vom 10. März 2014 gestützt werden, da dieses
gerade keine konkrete Regelung über die Nachzahlung der im Streit stehenden Zahlungsansprüche beinhalte.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 11. März 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 13. April 2015,
einem Montag, eingelegte Berufung der Klägerin.
Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, für die Zeit
vom 1. März 2011 bis 31. Dezember 2012 insgesamt 4.010,32 Euro nachzuzahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
und die Verwaltungsakten des Beklagten (bzw. ...), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben hierzu ihr Einverständnis erklärt (§
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Leistungen nach dem
SGB II für die Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Dezember 2012 in Höhe von insgesamt 4.010,32 Euro. Ein solcher Anspruch folgt weder
aus dem Gesetz noch aus Entscheidungen des Beklagten. Insoweit kann dahinstehen, ob mangels Bekanntgabe des Änderungsbescheides
vom 4. Juni 2014 betreffend Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 31. Dezember 2011 die Klage für diesen Zeitraum
zulässig ist, ob die (erst am 22. September 2014 erhobene) Klage gegen den Änderungsbescheid vom 14. August 2014 betreffend
Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 31. Dezember 2011 ungeachtet der Notwendigkeit der Einlegung eines fristgerechten
Widerspruchs zulässig ist und ob die Klägerin die ihrer Tochter bewilligten Leistungen in eigenem Namen, also in gewillkürter
Prozessstandschaft, mit zulässiger Klage fordern kann.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem
Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht
oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung
für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Ergänzend bestimmt § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II, dass § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X mit der Maßgabe gilt, dass anstelle des Zeitraums vom 4 Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
§ 44 Abs. 4 SGB X ordnet an: Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den
Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht.
Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres angerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt
die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle
der Rücknahme der Antrag.
Es ist weder ersichtlich noch von der Klägerin vorgetragen, dass sie vor Februar 2014 eine Überprüfung der bis dahin ergangenen
Bescheide begehrt hätte. Vielmehr wandte sich die Klägerin erstmals im Februar 2014 anlässlich des Änderungsbescheides vom
17. Januar 2014 an den Beklagten mit der Bitte um Prüfung, weswegen Kindergeld zweimal in Höhe von 184 angerechnet werde.
Angesichts dessen errechnet sich der Zeitraum von einem Jahr ab dem 1. Januar 2013.
Leistungen vor dem 1. Januar 2013 kann die Klägerin mithin nach dem Gesetz nicht verlangen.
Die Änderungsbescheide vom 4. Juni 2014 und vom 14. August 2014 entsprechen dieser Rechtslage.
Mit diesen Änderungsbescheiden werden die ihnen entgegenstehenden bestandskräftig gewordenen Bescheide und Änderungsbescheide
unter bewilligender Festsetzung des der Klägerin zustehenden Leistungsanspruchs für die Vergangenheit zurückgenommen. Zugleich
ist jedoch verfügt, dass Nachzahlungen nicht erfolgen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich bei letztgenannter Entscheidung um einen Verwaltungsakt.
Nach § 31 Satz 1 SGB X ist Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles
auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn mit dieser Entscheidung ist bestimmt, dass ungeachtet der für die Vergangenheit ab
1. März 2011 bis 31. Dezember 2012 erfolgten Rücknahme unter bewilligender Festsetzung des zustehenden Leistungsanspruches
für diesen Zeitraum rückwirkend (gleichwohl) keine Leistungen erbracht werden.
Aus dem Schreiben vom 10. März 2014 ergibt sich nichts anderes.
Es kann hierbei dahinstehen, ob in diesem Schreiben überhaupt ein Verwaltungsakt nach § 31 Satz 1 SGB X zum Leistungsanspruch der Klägerin oder zumindest eine Zusicherung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X, also eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen (Zusicherung),
enthalten ist.
Aus den für entsprechend anwendbar erklärten Vorschriften über Verwaltungsakte in § 34 Abs. 2 SGB X ist zwar zu schließen, dass das Gesetz die Zusage (und damit die Zusicherung) nicht als Verwaltungsakt ansieht, denn § 34 Abs. 2 SGB X wäre ansonsten überflüssig. Ungeachtet dessen folgt aus § 34 Abs. 2 SGB X, dass eine Zusage (und damit eine Zusicherung) vom Gesetz als Verwaltungsakt ähnlich behandelt wird, was es rechtfertigt,
die Zusage (und damit die Zusicherung) grundsätzlich einem Verwaltungsakt gleichzustellen, soweit aus der Rechtsnatur der
Zusage (und damit der Zusicherung) nichts Abweichendes resultiert (so für die Zusicherung nach § 38 Verwaltungsverfahrensgesetz: Bundesverwaltungsgericht - BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2004 - 9 b 111/03, Rdnr. 3, zitiert nach juris).
Daraus folgt, dass eine Zusicherung ebenso wie ein Verwaltungsakt zu ihrer Wirksamkeit inhaltlich hinreichend bestimmt sein
muss (§ 33 Abs. 1 SGB X).
Es ermangelt dem Schreiben vom 10. März 2014 jedenfalls an der erforderlichen inhaltlichen Bestimmtheit.
Das Bestimmtheitserfordernis als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt zum einen, dass der Verfügungssatz eines
Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten
eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen muss, sein Verhalten daran auszurichten. Mithin muss aus dem Verfügungssatz
für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 20/09 R, Rdnr. 13, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr. 2; BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 -B 14 AS 153/10 R, Rdnr. 31, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr. 2). Zum anderen muss der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung
bilden (BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 - B 14 AS 153/10, Rdnr. 31).
Entscheidungen über bzw. zu einem Anspruch auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld sind mithin hinreichend bestimmt, wenn
die Höhe der Leistung, der Zeitraum, für den die Leistung zustehen soll und der Anspruchsinhaber dieser so konkretisierten
Leistung widerspruchsfrei feststellbar sind.
Ausgehend davon ist nach dem Schreiben vom 10. März 2014 offen, in welcher Höhe und für welche Zeiträume die Klägerin eine
Nachzahlung erhält. Dieses Schreiben beschränkt sich auf die Feststellung, dass die Klägerin eine Nachzahlung erhält. Deren
Höhe ist diesem Schreiben auch nicht andeutungsweise zu entnehmen. Diesem Schreiben ist ebenfalls nicht zu entnehmen, für
welche Zeiträume diese Nachzahlung erfolgen soll. Der nachfolgende Satz, wonach die Klägerin die Änderungsbescheide rückwirkend
ab 1. März 2011 erhalten werde, enthält zum einen lediglich die Mitteilung, dass Änderungsbescheide erteilt werden, und zum
anderen die Mitteilung, dass dies rückwirkend zum 1. März 2011 geschieht. Zum Inhalt dieser Änderungsbescheide wird im Schreiben
vom 10. März 2014 nichts ausgeführt. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass in diesen Änderungsbescheiden rückwirkend
ab 1. März 2011 eine Nachzahlung erfolgen wird. Bei verständiger Auslegung des Schreibens vom 10. März 2014 muss der Empfänger
angesichts der Unbestimmtheit hinsichtlich der genannten erforderlichen Regelungen davon ausgehen, dass über die Höhe der
Nachzahlung und den Zeitraum, für den diese Nachzahlung erfolgen wird, erst verbindlich mit den angekündigten Änderungsbescheiden
entschieden wird. Auch wenn, wie von der Klägerin ergänzend im Berufungsverfahren vorgetragen, auf die "potentielle Empfängersicht"
und nicht auf die "Sicht eines sozialrechtlich spezialisierten Volljuristen" abzustellen ist, ergibt sich nichts anderes.
Wie bereits oben ausgeführt, stellt der Senat auf die Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und gerade nicht
auf die Sicht eines sozialrechtlich spezialisierten Volljuristen ab. Auch wenn nicht auf die Sicht eines verständigen Empfängers,
sondern auf die konkrete subjektive Sicht der Klägerin, worauf wohl das klägerische Vorbringen im Berufungsverfahren mit der
Bezugnahme auf die "potentielle Empfängersicht" abzielt, abgestellt würde, ergäbe sich nichts anderes. Das Schreiben vom 10.
März 2014 enthält unbestritten die Feststellung, dass die Klägerin eine Nachzahlung erhält. Allerdings vermag die Klägerin
abgestellt auf ihre subjektive Sicht eben auch nicht aufzuzeigen, in welcher Höhe und für welche Zeiträume sie diesem Schreiben
eine Nachzahlung entnommen hat. Selbst im Berufungsverfahren trägt sie dazu nichts vor.
Eine von der Klägerin beanspruchte teleologische Reduktion von § 40 Abs. 1 SGB II kommt nicht in Betracht. Eine teleologische Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit
des Gesetzes voraus (Bundesgerichtshof - BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, Rdnr. 22, zitiert nach juris, abgedruckt in BGHZ 179, 27; BSG, Urteil vom 20. Mai 2014 - B 10 EG 9/13 R, Rdnr. 19, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 116, 54 = SozR 4-7837 § 2 Nr. 28). Eine solche Regelungslücke kann hier nicht festgestellt werden. Es fehlen Anhaltspunkte für eine
dem Wortlaut und Systematik entgegenstehende Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Es liegt kein Sachverhalt vor, der vom Normzweck
der Vorschrift nicht erfasst ist. Der in § 40 Abs. 1 SGB II in Bezug genommene § 44 SGB X knüpft in § 44 Abs. 1 SGB X an einen rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakt an. Dabei wird nicht nach der "Qualität" der (etwa im Sinne einer
gewöhnlichen oder einer besonders schwerwiegenden) Rechtswidrigkeit differenziert. Dementsprechend beschränkt § 44 Abs. 4 SGB X die Leistung bei allen rechtswidrigen Verwaltungsakten auf einen Zeitraum von bis zu vier Jahren. Aus der Entstehungsgeschichte
des § 44 Abs. 4 SGB X wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Begrenzung rückwirkender Leistungen auf prinzipiell vier Jahre bewusst in dieser
Vorschrift verankert hat (BSG, Urteil vom 9. September 1986 - 11a RA 28/85, Rdnr. 13, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 60, 245 = SozR 1300 § 44 Nr. 24, unter Bezugnahme auf die Begründung des Regierungsentwurfs zu dem jetzigen § 44 Abs. 4 SGB X in Bundestag-Drucksache 8/2034, S. 34). Die von der Klägerin vorgetragene Vermutung, der Gesetzgeber habe bei etwa grob sorgfaltswidrigem
Verhalten der Verwaltung keine zeitliche Beschränkung gewollt, entbehrt daher einer entsprechenden Anknüpfung in der Gesetzesbegründung.
Die zum 1. April 2011 in Kraft getretenen Vorschrift des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II bestimmt, dass abweichend von § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II die Vorschrift des § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X mit der Maßgabe gilt, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt. Diese Sonderregelung
gegenüber § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X hat der Gesetzgeber u. a. damit begründet, dass die steuerfinanzierten Leistungen des SGB II der Sicherung des Lebensunterhalts dienten und dabei im besonderen Maße die Deckung gegenwärtiger Bedarfe bewirken sollen
(Bundestag-Drucksache 17/3404, S. 114). Die "Qualität" der Rechtswidrigkeit ist hingegen auch insoweit nicht maßgebend gewesen.
Daraus wird ersichtlich, dass im Bereich des SGB II erst recht keine Veranlassung besteht, Leistungen über den Zeitraum von einem Jahr hinaus zu erbringen.
Die Klägerin kann somit Zahlung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Dezember 2012 nicht verlangen.
Die Berufung muss mithin erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 Abs.
1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG) nicht vorliegen.