SGB-II-Leistungen
Kosten der Unterkunft und Heizung
Nicht erforderlicher Umzug
Deckelung des anzuerkennenden Bedarfs
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Juli 2011.
Die geborene Klägerin, die seit Januar 2005 ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezieht, wohnte bis zum 30. November 2008 in einer Wohnung in der Estraße in Berlin (1 Zimmer, 37,89 m2, zuletzt 200,00
EUR Kaltmiete, 57,00 EUR Vorauszahlung Betriebskosten, 63,00 EUR Abschlag für eine Gasetagenheizung). Eine im Sommer 2009
für das Kalenderjahr 2008 erstellte Betriebskostenabrechnung ergab ein Guthaben in Höhe von (iHv) 65,57 EUR. Im Dezember 2008
wohnte die Klägerin vorübergehend zur Untermiete in einem Zimmer in der Straße. Zum 1. Januar 2009 schloss sie einen Mietvertrag
über die im Rubrum bezeichnete Wohnung (1 Zimmer, ca. 29,20 m2, Kaltmiete 260,00 EUR, Vorauszahlungen kalte Betriebskosten
40,00 EUR und Wärme 30,00 EUR). Die Wohnung verfügt über eine dezentrale Warmwasseraufbereitung (elektrischer Durchlauferhitzer).
Wegen des nicht als erforderlich anerkannten Umzuges, den die Klägerin mit wachsendem Lärmpegel begründet hatte, berücksichtigte
der Beklagte ab Januar 2009 eine Miete iHv 285,42 EUR, die sich aus der alten Bruttokaltmiete (257,00 EUR) und - wegen der
Gasetagenheizung - aus geschätzten Heizkosten iHv 28,42 EUR (37,89 m2 x 0,75 EUR/m²) zusammensetzte.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 19. Juli 2010 für den Zeitraum vom 1. August 2010 bis 31. Januar 2011
sowie mit Bescheid vom 17. Januar 2011 für den Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011 Leistungen nach dem SGB II iHv monatlich 220,41 EUR für die Kosten für Unterkunft und Heizung (das anrechenbare Einkommen der Klägerin lag über dem
Regelbedarf). Den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 17. Januar 2011 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 6. April 2011 als unbegründet zurück. Der Umzug sei nicht erforderlich gewesen, so dass gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II Kosten der Unterkunft und Heizung nur in Höhe der bisher zu tragenden Aufwendungen zu berücksichtigen seien. Hiergegen hat
die Klägerin am 9. Mai 2011 bei dem Sozialgericht (SG) Berlin Klage erhoben, welche zum Aktenzeichen (Az.) S 169 AS 12562/11 registriert wurde.
Mit zwei Änderungsbescheiden vom 25. März 2011 bewilligte der Beklagte der Klägerin aufgrund der rückwirkenden Neufestsetzung
der Regelbedarfe zum 1. Januar 2011 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. bis 31. Januar 2011 sowie vom 1. Februar bis 31. Juli 2011 iHv jeweils monatlich 225,41 EUR für die Kosten
für Unterkunft und Heizung. Den gegen beide Bescheide am 2. Mai 2011 erhobenen Widerspruch der Klägerin verwarf der Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2011 als unzulässig. Ausweislich der ausdrücklichen Hinweise in den Bescheiden erfolge
lediglich eine Änderung der Regelleistung, nicht jedoch eine Entscheidung zur Höhe der berücksichtigten Kosten für Unterkunft
und Heizung. Da sich der Widerspruch ausdrücklich nur gegen die Höhe der Kosten der Unterkunft richte, sei dieser im Ergebnis
als unzulässig zu verwerfen. Auch würden die Bescheide nach § 37 Abs. 2 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als am 28. März 2011 bekannt gegeben gelten. Der am 2. Mai 2011 eingegangene Widerspruch sei verspätet und als unzulässig
zu verwerfen.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 31. Mai 2011 bei dem SG Berlin zwei Klagen erhoben, und zwar bezüglich
des Zeitraums vom 1. bis 31. Januar 2011 zum Az. S 37 AS 14345/11 und bezüglich des Zeitraums vom 1. Februar bis 31. Juli 2011 zum Az. S 38 AS 14346/11.
Das SG Berlin hat die drei Klageverfahren im Verhandlungstermin am 11. November 2011 zu dem Verfahren S 37 AS 14350/11 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und den Beklagten - antragsgemäß - mit Urteil vom 11. November 2011
unter Abänderung der Bescheide vom 17. Januar 2011 und 25. März 2011 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 6. April
2011 und 9. Mai 2011 verurteilt, seit Januar 2011 Unterkunfts- und Heizkosten iHv 330,00 EUR zuzüglich 8,00 EUR Mehrbedarf
für Warmwasser nach § 21 Abs. 7 SGB II zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Einwand der Verfristung gegen die Bescheide vom 25. März 2011 gehe ins
Leere, da der Beklagte den Zeitpunkt der zentral aus Nürnberg versandten Bescheide nicht nennen könne bzw. diesen Zeitpunkt
deutlich später als auf den 28. März 2011 ansetze. Die Klagen seien auch im Übrigen vollumfänglich zulässig. Die Bescheide
vom 25. März 2011 regelten die Höhe der seit Januar 2011 zu gewährenden Kosten für Unterkunft und Heizung konstitutiv. Die
Klagen seien auch begründet. Zwar folge die Kammer dem Beklagten dahin, dass der Umzug nicht erforderlich im Sinne (iS) von
§ 22 Abs. 1 S. 2 SGB II gewesen sei. Nach der Berliner Verkehrslärmkarte lägen die Werte in der Estraße tagsüber im Bereich 65-70 Dezibel, woraus
ohne besondere und zusätzliche Belastungen keine Erforderlichkeit des 2009 erfolgten Umzugs hergeleitet werden könne. Sollte
übermäßiger Lärm mit baulichen Gegebenheiten der Wohnung zusammen gehangen haben, gehe eine Mängelrüge beim Vermieter einem
Umzug grundsätzlich vor. Solche Mängel habe die Klägerin nicht geltend gemacht. Hinzu komme, dass die Verkehrslärmwerte in
der Nstraße im Bereich der F Allee denen in der Estraßeentsprächen. Vor allem sei diese Straße nachts sehr belebt, und der
Fahrzeuglärm werde durch das Kopfsteinpflaster verstärkt. Daher sei § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II anwendbar, nach dem die für die neue Wohnung zu übernehmenden Kosten zunächst auf die zuletzt gewährten Bedarfe zu begrenzen
seien. Der Abschluss eines befristeten Untermietverhältnisses führe zu keinem anderen Ergebnis. Es handele sich insoweit nur
um eine Folge der nicht notwendigen Kündigung der Wohnung Estraße als Übergangslösung bis zum Bezug der jetzigen Wohnung.
Die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II könne allerdings nicht als dauerhafte Festschreibung verstanden werden. Dies ginge weit über den Zweck der Verhinderung einer
unberechtigten Leistungsoptimierung hinaus. Die Mietkappung des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II ende spätestens mit der Entstehung eines wichtigen Umzugsgrundes. Solche Gründe seien allerdings nicht festzustellen. Für
die Nettokaltmiete sei festzustellen, dass sich die Mieten für kleine Wohnungen (in Berlin) kontinuierlich überdurchschnittlich
erhöht hätten, was die Senatsverwaltung bewogen hätte, ab März 2009 den Richtwert für 1-Personen-Haushalte von 360,00 auf
378,00 EUR zu erhöhen. Angesichts der fortschreitenden Preisentwicklung im Bezirk Friedrichshain sei es für die Zeit ab 2011
in jedem Fall angemessen, gegenüber dem Jahr 2008 eine Preissteigerung von 10 % (= 220,00 EUR) anzusetzen. Unter Berücksichtigung
der Preissteigerung für Betriebskosten und Erhöhung der Gaspreise sowie der aktuellen Preise bei der GASAG für den von der
Klägerin genutzten Komfort-Tarif sei gegenüber den 2008 verlangten 63,00 EUR ein Abschlag von 72,00 EUR anzusetzen. Dies ergebe
einen Gesamtwert der dynamisierten Bedarfe iHv 332,92 EUR, der über den tatsächlichen Bedarfen der Klägerin liege. Auch stehe
ihr nach § 23 Abs. 7 SGB II iVm § 77 SGB II seit Januar 2011 ein Mehrbedarf für die dezentrale Warmwasserbereitung iHv 8,00 EUR monatlich zu. Die Berufung sei wegen
grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen gewesen.
Gegen das ihm am 22. November 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 19. Dezember 2011 bei dem Landessozialgericht (LSG)
Berlin-Brandenburg Berufung eingelegt. Das Urteil leide unter einem Verfahrensmangel, weil nur der Zeitraum vom 1. Januar
bis 31. Juli 2011 streitgegenständlich gewesen sei und das SG den Beklagten gleichwohl dazu verurteilt habe, der Klägerin seit Januar 2011 Unterkunfts- und Heizkosten sowie eine Warmwasserpauschale
zu gewähren. Der streitige Zeitraum sei nur im Tatbestand, nicht jedoch in den Gründen oder im Tenor des Urteils genannt.
Nachdem der Beklagte seine Rechtsauffassung, dass keine Dynamisierung vorzunehmen sei, in Reaktion auf die Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) aufgegeben hatte, hat er zuletzt geltend gemacht, dass ein schlüssiges Konzept zu angemessenen Unterkunftskosten jedenfalls
durch das "Schifferdecker-Modell" zur Verfügung stehe. Er erachte eine Dynamisierung ab Januar 2011 um 4,2 %, d.h. von 285,42
EUR (alt) auf 303,32 EUR (neu) bruttowarm für angemessen.
Der Beklagte beantragt das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2011 aufzuheben, soweit der Beklagte für den
Zeitraum vom 01. Januar bis zum 31. Juli 2011 zur Gewährung höherer Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung unter
Berücksichtigung entsprechender monatlicher Kosten von mehr als 303,32 EUR zzgl. eines Mehrbedarfs in Höhe von 8,00 EUR für
die Warmwasseraufbereitung sowie zur Bewilligung weiterer Leistungen für den Zeitraum ab dem 01. August 2011 verurteilt worden
ist, und die Klagen im Übrigen abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung ist das angefochtene Urteil rechtmäßig. Auch sie gehe davon aus, dass der hier gegenständliche Zeitraum
1. Januar bis 31. Juli 2011 sei. Auf die Erforderlichkeit des Umzuges komme es letztlich gar nicht an. Da das so genannte
Schifferdecker-Modell keine kommunale Richtlinie zu den angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung darstelle, seien die
tatsächlichen Unterkunftskosten zu übernehmen.
Der Beklagte hat mit Änderungsbescheid vom 30. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2012
eine "Einkommenskorrektur" vorgenommen und für Juli 2011 Leistungen nach dem SGB II als Kosten für Unterkunft und Heizung iHv 245,57 EUR bewilligt.
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2012 hat er die Übernahme der Betriebskostenabrechnung
für den Zeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2010 abgelehnt.
Schließlich hat der Beklagte "in teilweiser Ausführung des Urteils" mit Änderungsbescheiden vom 10. Januar 2012 einen Mehrbedarf
für Warmwasser nach § 21 Abs. 7 SGB II iHv 8,00 EUR monatlich berücksichtigt und Leistungen nach dem SGB II für Unterkunft und Heizung iHv 233,41 EUR für Januar 2011 und für Februar bis Juni 2011 sowie iHv 253,57 für Juli 2011 gewährt.
Die Klägerin hat Betriebskostenabrechnungen vom 27. Oktober 2011 (Umlagerechnung 2010) und 30. November 2012 (Umlagerechnung
2011; darin ausgewiesene Heizkosten der Klägerin für 2011 iHv 384,71 EUR) vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten aller verbundenen Verfahren und auf die Verwaltungsakte des Beklagten
verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung der Klägerin ist statthaft. Das LSG ist an die Zulassung der Berufung im angefochtenen
Urteil gebunden (siehe §
144 Abs.
3 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
In prozessual statthafter Weise ist im Berufungsverfahren nur über die Höhe der Bedarfe der Klägerin für Unterkunft und Heizung
nach § 22 Abs. 1 SGB II (zur Eigenständig- und Abtrennbarkeit der Bedarfe für Unterkunft und Heizung als Streitgegenstand siehe nur BSG, Urteile vom 4. Juni 2014, B 14 AS 42/13 R, vom 06. August 2014, B 4 AS 55/13 R, beide juris) in dem Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Juli 2011 zu entscheiden. Denn die in den drei verbundenen Klagen angefochtenen
Bescheide regeln allein die Höhe des Leistungsanspruchs in diesem Zeitraum. Zwar ergibt sich die zeitliche Begrenzung des
streitgegenständlichen Zeitraums auf die Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 2011 so nicht aus dem Tenor, wohl aber aus den Gründen
des angefochtenen Urteils. Für den streitigen Zeitraum liegt auch keine bestandskräftige Entscheidung vor; insbesondere nicht
für Januar 2011. Entgegen der vom Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2011 vertretenen Auffassung war der Widerspruch
gegen die Änderungsbescheide vom 25. März 2011 (rückwirkende Neufeststellung der Regelbedarfe zum 1. Januar 2011) nicht unzulässig.
Denn die Änderungsbescheide verlautbaren in ihren Verfügungsätzen die Höhe des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II als Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Der Regelungsgehalt erschöpft sich gerade nicht in der Verlautbarung einer Anpassung
der Regelbedarfe (die zudem nicht zur Auszahlung gelangten). Zudem war auch die Widerspruchsfrist gewahrt. Der Beklagte kann
den Tag der Aufgabe zur Post nicht belegen, so dass schon aus diesem Grund die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 SGB X nicht greift. Auch behauptet die Klägerin in ihrem Widerspruchsschreiben einen Zugang der Änderungsbescheide am 28. April
2011.
Die Bewilligungszeiträume nach dem 31. Juli 2011 betreffenden Leistungs- und Änderungsbescheide des Beklagten werden weder
in direkter noch in analoger Anwendung des §
96 SGG Gegenstand des Verfahrens (vgl. dazu bereits BSG, Urteile vom 7. November 2006, B 7b AS 10/06 R und B 7b AS 14/06 R, juris). Dies gilt auch für den die Übernahme der Betriebskostennachforderung für das Abrechnungsjahr 2010 ablehnenden
Bescheid vom 7. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2012, denn die Nachforderung ist im November
2011 fällig und kann daher nur für diesen Monat ein Bedarf für Unterkunft und Heizung sein (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2010, B 4 AS 62/09 R, juris). Hingegen regelt der Änderungsbescheid vom 30. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.
Januar 2012, mit dem der Beklagte eine "Korrektur" der Einkommensanrechnung vorgenommen und für Juli 2011 EUR 245,57 bewilligt
hat, unmittelbar die Höhe des hier streitigen Leistungsanspruchs nach dem SGB II als Bedarfe für Unterkunft und Heizung und ist nach §
96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Die vom Beklagten "in teilweiser Umsetzung" des angefochtenen Urteils verlautbarten Änderungsbescheide
vom 10. Januar 2012 über die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Warmwasser nach § 23 Abs. 7 SGB II iHv monatlich 8,00 EUR und die Gewährung von Leistungen iHv monatlich 233,42 EUR für Januar 2011 und für Februar bis Juni
2011 sowie iHv 253,57 für Juli 2011 sind prozessual keine Ausführungsbescheide (vgl. dazu BSG, Urteile vom 11. Dezember 2007, B 8/9b SO 20/06 R, vom 20. Oktober 2005, B 7a/7 AL 76/04 R, beide juris). Sie regeln vielmehr
die Höhe des streitigen Leistungsanspruchs und sind nach §
96 SGG ebenfalls Gegenstand des Verfahrens geworden.
Die Berufung des Beklagten ist im beantragten Umfang begründet. Die vom SG angenommene "Dynamisierung" der nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II "gedeckelten" Bedarfe für Unterkunft und Heizung erweist sich der Höhe nach als rechtswidrig begünstigend. Auf die der Höhe
nach beschränkte Berufung des Beklagten waren daher zum einen das angefochtene Urteil des SG Berlin vom 11. November 2011,
zum anderen der Bescheid des Beklagten vom 17. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. April 2011, die
Bescheide vom 25. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2011 und der Änderungsbescheide vom 10. Januar
2012 sowie der Änderungsbescheid vom 30. September 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2012 zu ändern
und der Beklagte - antragsgemäß - zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Juli 2011 unter Ansatz
eines Mehrbedarfs für die Warmwasseraufbereitung iHv 8,00 EUR sowie unter Ansatz von Kosten für Unterkunft und Heizung iHv
monatlich 303,32 EUR höhere Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren (zum Erlass eines Grundurteils
siehe BSG, Urteil vom 16. April 2013, B 14 AS 71/12 R, juris, Rn. 14).
Nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung wird für den Fall, dass sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen, nur der bisherige Bedarf anerkannt. Zeitlich ist als Bezugspunkt der Zeitpunkt
des Umzugs maßgeblich. Die Gesamtmieten (Kaltmiete/Betriebskosten/Heizkosten) der alten und der neuen Wohnung zu diesem Zeitpunkt
sind dabei zu vergleichen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2016, B 4 AS 12/15 R, juris, Rn. 13). Die Erforderlichkeit des Umzugs ist in zwei Schritten daran zu messen, ob der Auszug aus der bisherigen
Wohnung notwendig oder aus sonstigen Gründen erforderlich ist. In einem weiteren Schritt ist festzustellen, ob die Kosten
gerade der von dem Hilfebedürftigen gewählten neuen Wohnung in Ansehung der Erforderlichkeit eines Umzugs angemessen sind
(BSG, Urteil vom 17. Februar 2016, aaO., Rn. 15; unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 6/14 R, juris). Auch bei mangelnder Erforderlichkeit des Umzugs hat eine Deckelung des anzuerkennenden Bedarfs für Unterkunft
und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II in Höhe des bisherigen Bedarfs jedoch nur dann zu erfolgen, wenn für den örtlichen Vergleichsraum zutreffend ermittelte abstrakte
Angemessenheitsgrenzen bestehen (BSG, aaO., Rn. 18).
Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II erfüllt.
Zeitlicher Bezugspunkt ist zur Überzeugung des Senats der Auszug der Klägerin zum 30. November 2008 aus der Wohnung in der
Estraße 52. Dem lediglich vorübergehenden Wohnen zur Untermiete in einem Zimmer in der R Straße im Dezember 2008 kommt insoweit
rechtlich keine Bedeutung zu, da die Klägerin hier lediglich für einen Monat untergekommen war, nachdem der Mietvertrag für
die Wohnung in der Estraße abgelaufen war, sie jedoch noch keine neue Wohnung gefunden hatte. Ein Vergleich der für die neue
Wohnung iHv 330,00 EUR zu zahlende Bruttowarmmiete zu der zuletzt in der Estraße iHv 320,00 EUR fälligen zeigt, dass sich
die Unterkunftskosten infolge des Umzugs erhöht haben. Die gilt erst recht dann, wenn in die Betrachtung die der Klägerin
für das Kalenderjahr 2008 erstatteten Betriebskosten iHv 65,57 EUR einbezogen werden.
Der Auszug aus der bisherigen Wohnung war weder notwendig noch erforderlich. Insoweit folgt der Senat der Begründung des angefochtenen
Urteils und sieht gemäß §
153 Abs.
2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Der demnach grundsätzlich zulässigen Deckelung des anzuerkennenden Bedarfs für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II auf die Höhe des bisherigen Bedarfs steht nicht entgegen, dass für den örtlichen Vergleichsraum (hier: Stadtgebiet von Berlin)
keine durch den Beklagten rechtmäßig ermittelten abstrakten Angemessenheitsgrenzen bestehen. Die für den Beklagten im Innenverhältnis
verbindlichen Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 35 und 36 SGB XII (AV-Wohnen) bzw. die Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem
Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Wohnaufwendungenverordnung - WAV) stellen keine schlüssigen Konzepte iS der Rechtsprechung des BSG dar (zur AV-Wohnen siehe BSG, Urteil vom 13. April 2011, B 14 AS 85/09 R, juris; zur WAV siehe BSG, Urteil vom 4. Juni 2014, B 14 AS 53/13 R, juris). Zur Überzeugung des Senats lassen sich jedoch im hier vorliegenden Fall abstrakte Angemessenheitsgrenzen ab dem
Jahr des Auszugs (2008) bis zum streitigen Zeitraum (2011) durch ein schlüssiges Konzept ermitteln. Denn das BSG schließt in seinen Urteilen vom 29. April 2015 (aaO.) und vom 17. Februar 2016 (aaO.) nicht aus, dass bei fehlenden schlüssigen
Konzepten der Grundsicherungsträger die abstrakten kommunalen Angemessenheitsgrenzen gleichwohl vom Gericht selbst ermittelt
werden können. Vielmehr stellt das BSG entscheidungserheblich darauf ab, dass zutreffend ermittelte Angemessenheitsgrenzen für die Unterkunfts- und Heizkosten bestehen
(Urteil vom 29. April 2015, aaO., Leitsatz; Urteil vom 17. Februar 2016, aaO., Rn. 18 und Rn. 20). Im Anwendungsbereich des
§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist zudem für Berlin höchstrichterlich entschieden, dass die abstrakt angemessene Bruttokaltmiete grundsätzlich aus den Grundlagendaten
der für Berlin vorliegenden qualifizierten Mietspiegel gewonnen werden kann (so schon Urteil des BSG vom 13. April 2011, aaO.).
Somit sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung der Klägerin im streitigen Zeitraum einerseits nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II zu deckeln, andererseits jedoch zu dynamisieren, wobei Maßstab der Dynamisierung die nach dem schlüssigen Konzept ermittelte
Angemessenheitsgrenze ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2016, aaO., Rn. 23). Hieraus folgt zur Überzeugung des Senats zugleich, dass nicht eine Bruttowarmmiete
zu dynamisieren ist - wie dies der Beklagte vornimmt -, sondern eine getrennte Betrachtung für die Bruttokaltmiete auf der
einen Seite und für die Heizkosten auf der anderen Seite erforderlich ist.
Aus den Grundlagendaten der qualifizierten Mietspiegel für Berlin für die Jahre 2007, 2009 und 2011 können abstrakt angemessene
Bruttokaltmieten für den hier vorliegenden 1-Personen-Haushalt in folgenden Höhen ermittelt werden (vgl. nur Schifferdecker/Irgang/Silbermann,
Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 2010, 28; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 28. Juli 2016, L 32 AS 1945/14 [Berliner Mietspiegel 2011], vom 13. Januar 2016, L 10 AS 480/12 [Berliner Mietspiegel 2009], vom 10. Mai 2012, L 32 AS 741/11 [Berliner Mietspiegel 2007 und 2009]):
2007: 305,60 EUR
2009: 308,50 EUR
Steigerung ggü. 2007 um 2,90 EUR = 0,95 % (ger.)
2011: 322,50 EUR
Steigerung ggü. 2009 um 14,00 EUR = 4,54 % (ger.)
Bisher ist nicht höchstrichterlich geklärt, ob der zu dynamisierende Ausgangsbetrag (hier: Bruttokaltmiete) ausschließlich
aus den tatsächlichen Verhältnissen im Bezugszeitpunkt zu ermitteln ist oder etwaige Betriebskostenguthaben bzw. -nachforderungen
bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz zu berücksichtigen sind. Für letzteres spricht, dass derartige Gutschriften
bzw. -nachforderungen grundsätzlich rechtserhebliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen sind (vgl. zu den Nachforderungen
BSG, Urteile vom 22. März 2010, B 4 AS 62/09 R, vom 20. Dezember 2011, B 4 AS 9/11 R, beide juris). Im hier zu entscheidenden Fall kann diese Rechtsfrage jedoch dahingestellt bleiben. Zugunsten der Klägerin
legt der Senat als Ausgangsbetrag die im Bezugszeitpunkt tatsächlich angefallene Bruttokaltmiete iHv 257,00 EUR (200,00 EUR
Kaltmiete, 57,00 EUR Vorauszahlung Betriebskosten) und nicht einen sich unter Berücksichtigung der Betriebskostenerstattung
für das Jahr 2008 ergebenden geringeren Betrag (siehe dazu die Hinweise im Verhandlungstermin am 23. Januar 2017) zugrunde.
Dies benachteiligt auch nicht den Beklagten, denn er hat sein Berufungsbegehren der Höhe nach begrenzt.
Der Ausgangsbetrag (Bruttokaltmiete), der dem Anwendungsbereich des Mietspiegels 2007 unterfällt, ist demnach wie folgt zu
dynamisieren:
Ausgangsbetrag
|
257,00 EUR
|
Steigerung um 0,95 %
|
259,44 EUR
|
Steigerung um 4,54 %
|
271,22 EUR
|
Die sich aus dem Mietspiegel 2011 ergebende Dynamisierung ist erst für Anspruchszeiträume ab 1. Juni 2011 zu berücksichtigen.
Denn maßgeblich ist der Mietspiegel, der zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Amtsblatt Berlin veröffentlicht
ist, für Bewilligungszeiträume ab dem jeweiligen Veröffentlichungsmonat (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 65/09 R, juris, Rn. 28): Mietspiegel 2007 Amtsblatt für Berlin 2007, Nr. 30 vom 11. Juli 2007; Mietspiegel 2009 Amtsblatt für Berlin
2009, Nr. 27 vom 24. Juni 2009; Mietspiegel 2011 Amtsblatt für Berlin 2011, Nr. 22 vom 30. Mai 2011.
Die Angemessenheit der Heizkosten ist grundsätzlich getrennt zu prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2009, B 14 AS 36/08 R, juris). Für den streitigen Zeitraum betrug die Vorauszahlung für Wärme zunächst 30,00 EUR monatlich. Nach der Betriebskostenabrechnung
für das Jahr 2011 vom 30. November 2012 betragen die tatsächlichen Heizkosten für den streitigen Zeitraum 32,06 EUR monatlich
(384,71 EUR / 12). Zur Überzeugung des Senats ist die mit der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2011 eingetretene Änderung
in den tatsächlichen Verhältnissen im Rahmen der hier zu entscheidenden Anfechtungs- und Leistungsklage zu berücksichtigen.
Zur Bestimmung des Grenzwertes für unangemessene Heizkosten zieht der Senat dabei mit dem BSG (vgl. nur Urteil vom 12. Juni 2013, B 14 AS 60/12 R, juris) den bundesweiten Heizspiegel heran. Sowohl nach dem bundesweiten Heizspiegel 2011 (Vergleichswerte für das Abrechnungsjahr
2010) als auch nach dem bundesweiten Heizspiegel 2012 (Vergleichswerte für das Abrechnungsjahr 2011) erweisen sich die tatsächlichen
Heizkosten der Klägerin als angemessen (Gesamtwohnfläche > 1.000 m2, Beheizung mit Gas) und sind somit in voller Höhe übernahmefähig.
Weitere Heizkosten (bis zur "Angemessenheitsgrenze") sind zur Überzeugung des Senats dagegen nicht zu berücksichtigen. Dies
würde einerseits dem allgemeinen Grundsatz widersprechen, dass Bedarfe für Heizung nur bis zur tatsächlichen Höhe berücksichtigungsfähig
sind, und andererseits im Ergebnis auf eine (nicht zulässige) Betrachtung einer angemessenen Gesamtmiete hinauslaufen.
Somit ergeben sich folgende dynamisierte angemessene Bedarfe für Unterkunft und Heizung im streitigen Zeitraum:
Die vom Beklagten als angemessen erachteten dynamisierten Bedarfe für Unterkunft und Heizung iHv monatlich 303,32 EUR sind
höher als die vom Senat ermittelten Beträge und daher entsprechend dem insoweit beschränkten Berufungsantrag des Beklagten
zugrunde zu legen. Den der Klägerin nach § 21 Abs. 7 SGB II zustehenden Mehrbedarf für die Warmwasseraufbereitung hat der Beklagte inzwischen anerkannt und der Klägerin gewährt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.