Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer Krankenhausbehandlung. Die Klägerin behandelte im Zeitraum 22.01.2016 bis
23.05.2016 einen im Jahr 1952 geborenen Versicherten der Beklagten.
Unter anderem im Auftrag der Beklagten führte der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) am 24.06.2016 eine Strukturanalyse
bezüglich des Krankenhauses der Klägerin im Hinblick auf die aufwendige intensivmedizinische Komplexbehandlung OPS 8-98f durch.
Im Ergebnis verneinte der MDK das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Prozedur im Haus der Klägerin.
Die Rechnung der streitigen Behandlung, die unter anderem eine Kodierung der OPS 8-98f beinhaltete, wurde durch die Beklagte
zunächst am 07.07.2016 in Höhe von 120.564,78EUR bezahlt. Gleichzeitig beauftragte die Beklagte den MDK mit der Überprüfung
des streitigen Behandlungsfalles im Hinblick auf Behandlungsdauer, Kodierung von Hauptdiagnose sowie der abgerechneten Prozeduren,
was der Klägerin am 05.07.2016 mitgeteilt worden war.
Mit weiterer Strukturanalyse vom 02.09.2016 stellte der MDK erneut fest, dass die Strukturvoraussetzungen der Abrechenbarkeit
des OPS 8-98f nicht erfüllt seien.
Mit Gutachten vom 07.11.2016 stellte der MDK im Hinblick auf den hier streitigen Behandlungsfall fest, dass die Hauptdiagnose
zu ändern sei. Auch seien bestimmte Prozeduren zu streichen und der Versicherte habe bereits vier Tage früher entlassen werden
können. Aus alledem ergebe sich die Diagnosis Related Group (DRG) A36B. Diese sei statt der von der Klägerin kodierten DRG
F36C heranzuziehen. Die grundsätzliche Kodierbarkeit der Prozedur 8-98f wurde durch den MDK dabei nicht beanstandet, wobei
das Gutachten den Zusatz enthält: "Aussagen in Gutachten zu OPS-Komplexbehandlungen beziehen sich nicht auf Strukturvorgaben
einer OPS-Komplexbehandlung."
Auf Basis des MDK-Gutachtens und unter Berücksichtigung der vom MDK kodierten DRG A36B erließ die Klägerin zunächst eine neue
Rechnung in Höhe von 106.287,15 EUR. Es fand eine Rückbuchung der ursprünglich gezahlten Rechnungssumme statt und in der Folge
wies die Beklagte im Rechnungsavis am 11.07.2017 die neue Rechnungssumme vollständig erneut an.
Nach erneuter Kontaktaufnahme im April 2018 verrechnete die Beklagte sodann am 03.05.2018 einen Betrag von EUR 28.617,86 mit
unstreitig bestehenden Forderungen der Klägerin. Dies entspricht dem Betrag, um den die Rechnungssumme zu reduzieren wäre,
sofern die Prozedur 8-98f aus der Kodierung herausgestrichen würde.
Die Klägerin hat am 17.12.2018 Klage erhoben. Sie beruft sich auf die Unzulässigkeit der Aufrechnung. Diese verstoße gegen
das Aufrechnungsverbot aus §
11 Abs.
5 des Hamburger Landesvertrages zu §
112 SGB V vom 19.12.2002 (Landesvertrag).
Nach dem Vortrag der Beklagten hätten die Strukturvoraussetzungen nicht vorgelegen und die Beklagte habe auch nicht gegen
den Landesvertrag verstoßen. Es habe ein Ausnahmefall gemäß § 6 Abs. 5 des Landesvertrags vorgelegen, da der MDK von der Beklagten
beauftragt worden sei. Außerdem habe die Klägerin gewusst, dass die Strukturvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Damit
beruhe die Zahlung der Beklagten auf von der Klägerin zu vertretenden unzutreffenden Angaben.
Mit Urteil vom 03. März 2020 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von EUR 28.617,86
nebst 5% Zinsen seit dem 03.05.2018 zu zahlen. Das Sozialgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, dass der Anspruch der Klägerin
auf Zahlung von EUR 28.617,86 gegen die Beklagte nicht durch Aufrechnung der Beklagten erloschen sei. Die Beklagte habe nicht
eigene Erstattungsansprüche wegen Überzahlungen bezüglich der Krankenhausbehandlung der Versicherten der Beklagten im Wege
der Aufrechnung geltend machen dürfen. Das Sozialgericht hat dabei offengelassen, ob ein Erstattungsanspruch bestehe, gleichzeitig
aber festgestellt, dass jedenfalls ein Aufrechnungsverbot zum Tragen komme. Zudem sei weder der Anwendungsbereich der PrüfvV
eröffnet noch eine Ausnahmeregelung bezüglich des grundsätzlichen Aufrechnungsverbots erfüllt. Der Anwendungsbereich der PrüfvV
sei nicht eröffnet, da die Beklagte die Aufrechnung nicht aufgrund einer gutachterlichen Stellungnahme nach §
275 Abs.
1c SGB V vorgenommen habe, sondern sich auf eine abstrakt durchgeführte Strukturanalyse bezüglich der Abrechenbarkeit des streitigen
OPS 8-98f.20 durch die Klägerin berufe. Das Ergebnis sei jedoch bereits vor der Neuabrechnung bekannt gewesen. Zudem greife
keine Ausnahme, da es sich weder um eine unbestrittene/rechtskräftig festgestellte Forderung handele, noch § 6 Abs.5 Landesvertrag
mangels Ursächlichkeit oder § 11 Abs.5 S.2 Landesvertrag mangels Einzelfallentscheidung des MDK erfüllt sei.
Gegen das am 14.04.2020 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 03.03.2020 hat die Beklagte am 08.05.2020 Berufung
eingelegt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 3. März 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung der Berufung beruft sich die Beklagte weitgehend auf ihre Angaben im erstinstanzlichen Verfahren. Demnach ist
sie weiterhin der Auffassung, dass die Aufrechnung rechtmäßig gewesen sei. Ein grundsätzliches Aufrechnungsverbot stehe nicht
entgegen. Zur Begründung führt sie an, dass § 11 Abs. 5 Landesvertrag eine Aufrechnung auch mit streitigen Gegenforderungen
erlaube, wenn der MDK im Rahmen seiner Begutachtung die Voraussetzungen für eine Rückforderung festgestellt habe. Dies sei
hier auch der Fall gewesen. § 11 Abs. 5 Landesvertrag sei nämlich entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht auf eine
Einzelfallbegutachtung des MDK beschränkt, es sei lediglich eine Begutachtung durch den MDK gefordert. Diese sei durch die
Begutachtung des MDK im Rahmen der Strukturanalyse zu der Abrechenbarkeit des streitigen OPS-Codes 8-98f.20 durch die Klägerin
erfolgt. Darüber hinaus sei § 11 Abs. 5 Landesvertrag zusammen mit § 6 Abs. 5 Landesvertrag erfüllt, da die Zahlung auf vom
Krankenhaus zu vertretenden unzulässigen Angaben beruht habe, da die Klägerin zumindest konkludent durch die Abrechnung des
streitigen OPS 8-98f behauptet habe, so abrechnen zu dürfen, obwohl die Strukturvoraussetzungen dafür laut MDK-Gutachten nicht
vorgelegen hätten. Eine dahingehende Befristung in § 6 Abs. 5 S. 3 Landesvertrag wäre zudem unter Verweis auf das BSG Urteil vom 19.04.2016 (B 1 KR 33/15 R) rechtlich unzulässig. Zwar drehe sich dieses um eine andere Norm, sei jedoch auf diese ebenfalls anzuwenden. Zudem würde
das Gericht seine Begründung unzulässiger Weise auf § 11 Abs. 2 Landesvertrag stützen. Dieser sei unwirksam. Die Beklagte
stützt sich dabei auf das Urteil des BSG vom 19.04.2016 (B 1 KR 33/15 R). Außerdem ist sie der Auffassung, dass die Regelung des Aufrechnungsverbotes im Landesvertrag an sich schon unzulässig und
nichtig sei. Es fehle an einer gesetzlichen Ermächtigung zur Vereinbarung eines Aufrechnungsverbotes. §
112 Abs.
1,
2 Nr.
1 SGB V erfasse nicht die Durchsetzung eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf ihren Vortrag in der ersten Instanz. Insgesamt hätte
ein Aufrechnungsverbot vorgelegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streit- und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung der Klage
stattgegeben. Hierauf wird grundsätzlich Bezug genommen.
Wie das Sozialgericht richtig festgestellt hat, muss das Bestehen der Rückforderung in Höhe von EUR 28.617,86 nicht geprüft
werden, wenn ein Aufrechnungsverbot bestanden hat. Dies ist hier der Fall.
Generell sind die Voraussetzungen des Aufrechnungsverbotes nach § 11 Abs. 5 Landesvertrag erfüllt. Es handelt sich bei der
Aufrechnung der Beklagten unstrittig um eine Aufrechnung der hier streitigen Forderung mit Forderungen der Klägerin aus anderen
Abrechnungsfällen der Beteiligten.
Nach §
112 Abs.
1, Abs.
2 Nr.
2 SGB V ist entgegen der Auffassung der Beklagten das Aufrechnungsverbot im Landesvertrag nicht unzulässig. Schließlich lässt §
112 Abs.
2 SGB V Regelungen zur Abrechnung ausdrücklich zu und es ist nicht ersichtlich, warum Regelungen zur Aufrechnung - auch wenn es Regelungen
sind, die Aufrechnungen nicht zulassen - nicht dazu gehören sollten.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nicht ersichtlich, weshalb der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch von der
Vorschrift des §
112 Abs.1, Abs.
2 Nr.
2 SGB V nicht erfasst sein soll. Das von der Beklagten angeführte Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.10.2016 (B 1 KR 9/16 R) bezieht sich dabei nur auf die Unwirksamkeit von Aufrechnungsverboten in einer Pflegesatzvereinbarung. Deren Inhalt ist
jedoch in § 11 Abs. 1 KHEngG abschließend festgelegt und umfasst nicht eine Ermächtigung zur Regelung von Abrechnungsfragen.
Damit sind der Vertrag nach §
112 SGB V und die Pflegesatzvereinbarung nicht vergleichbar (vgl. auch LSG NRW, Urt. v. 08.042019 - L 10 KR 723/17).
Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, weshalb der Anwendungsbereich der PrüfvV nicht eröffnet ist und damit die dortigen
Abrechnungsregelungen nicht anwendbar sind. Zudem ist auch der Wortlaut der Norm eindeutig. Der Anwendungsbereich der PrüfvV
ergibt sich aus § 17c Abs. 2 S. 1 KHG, der sich auf §
275 Abs.
1c SGB V bezieht. §
275 Abs.
1c SGB V bezieht sich wiederum auf §
275 Abs.
1 SGB V. Nach dem Wortlaut des §
275 Abs.
1 SGB V sind "die Krankenkassen [ ] in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der
Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, [ ...] eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) einzuholen.". Schon aus dem Wortlaut "dem Krankheitsverlauf" und "der
Erkrankung" ist zu schließen, dass es sich dabei um eine Einzelfallbegutachtung handeln muss. Da es sich vorliegend nicht
um eine Einzelfallprüfung, sondern eine abstrakte Strukturanalyse des MDK gehandelt hat, ist der Anwendungsbereich des § 17c Abs.2 S.1 KHG nicht erfüllt und die PrüfvV nicht anwendbar.
Nach § 11 Abs. 5 Landesvertrag ist eine Aufrechnung mit Forderungen oder Gegenforderungen aus anderen Abrechnungsfällen ausgeschlossen,
es sei denn, es handelt sich um unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Gegenforderungen oder um die Fälle des § 6
Abs. 5 dieses Vertrages oder einen Fall des § 11 Abs. 5 S. 2 Landesvertrag.
Es handelt sich bei der Rückforderung, die die Gegenforderung der Beklagten darstellt, weder um eine unbestrittene Gegenforderung
noch um eine rechtskräftig festgestellte.
In § 6 Abs. 5 des Landesvertrages sind die Anforderungen geregelt, die für eine Rückforderung der Behandlungskosten durch
die Krankenkasse gelten sollen. Demnach kommt als einzige Alternative dessen lit. a) in Betracht, wonach die Zahlung der Krankenkasse
auf vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden Angaben beruht hat. Dazu hat die Beklagte angeführt, dass es von der Klägerin
zu vertreten sei, dass diese unzulässiger Weise den OPS-Code 8-98f.20 abgerechnet habe, obwohl sie gewusst habe, dass sie
diesen nicht abrechnen durfte.
Das Ergebnis der Strukturanalyse des MDK ist durch die Klägerin in diesem Verfahren nicht bestritten worden. Die Abrechnung
nach dem OPS-Codes war damit eine unzutreffende Angabe.
Ob die unzutreffenden Angaben von der Klägerin zu vertreten sind, kann aber letztlich dahinstehen. Denn zumindest beruht die
Zahlung der Beklagten nicht auf den Angaben der Klägerin. Der Beklagten muss tatsächlich zumindest bei der Begleichung der
zweiten Rechnung bewusst gewesen sein, dass die Abrechnung des OPS-Codes nicht hätte erfolgen dürfen. Damit beruhte die Zahlung
nicht auf den unzutreffenden Angaben, wie auch das Sozialgericht in der ersten Instanz bereits ausgeführt hat. Es liegt dabei
fern, mit der Beklagten davon auszugehen, dass nur das Wissen des konkreten Sachbearbeiters entscheidend ist. Damit wäre für
die Beklagte von Vorteil, möglichst viele Mitarbeiter möglichst uninformiert zu lassen.
Das Sozialgericht hat schließlich auch zutreffend festgestellt, dass kein Fall des § 11 Abs. 5 S. 2 Landesvertrag vorliegt.
Danach ist ausnahmsweise eine Verrechnung mit anderen Abrechnungsfällen möglich, wenn der Medizinische Dienst der Krankenkassen
im Rahmen seiner Begutachtung die Voraussetzung für die Rückforderung der Krankenkasse festgestellt hat.
Der Wortlaut bezieht sich allerdings auf die Feststellung der "Voraussetzungen für die Rückforderung". Bei der Strukturanalyse
handelte es sich ausweislich des in der Verwaltungsakte der Beklagten beigefügten Abdrucks um eine Analyse, die sämtliche
Krankenhäuser in Hamburg betraf und so auch das Krankenhaus der Klägerin. In der Analyse wurde lediglich allgemein festgestellt,
dass "die Erfüllung der Strukturvoraussetzungen gem. OPS 8-98f [ ] für das A.- Hamburg [ ] nicht bestätigt" werden kann. Konkrete
Rückforderungen oder falsche Abrechnungen wurden dort jedoch nicht festgestellt.
Die Vertragsparteien des Landesvertrages konnten mit der Formulierung in § 11 Abs. 5 S. 2 auch gar nicht die Strukturprüfungen
meinen. Denn diese gab es zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht. Die Einbeziehung der Strukturprüfung wäre daher
nur im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung möglich. Dafür sieht der Senat jedoch vor dem Hintergrund der Möglichkeit einer
ausdrücklichen Vertragsänderung und dem Umstand, dass es sich um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handelt, keine ausreichende
Grundlage. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber in §
275d Abs.
4 SGB V nunmehr für die Zeit ab 2021 eine ausdrückliche Regelung zu der Frage der Abrechenbarkeit von Leistungen geschaffen hat,
die Gegenstand einer Strukturprüfung waren. Auch dies deutet darauf hin, dass zuvor die Feststellungen einer Strukturprüfung
keine unmittelbare Auswirkung auf die Abrechenbarkeit der betroffenen Leistung haben sollte.
Die Strukturanalyse des MDK ist damit nicht geeignet, eine Ausnahme des Aufrechnungsverbotes nach § 11 Abs. 5 S. 2 des Landesvertrages
zu erfüllen.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Vortrag der Beklagten zur Wirksamkeit von § 11 Abs. 2 des Landesvertrages irrelevant
ist. Das Sozialgericht hat eine Verbindung zu dieser Regelung lediglich hergestellt, um die Systematik des Landesvertrages
bezüglich des Begutachtungsregimes des MDK zu beschreiben. In dem zitierten Urteil des BSG vom 19.04.2016 (B 1 KR 33/15 R) ging es maßgeblich um die Unwirksamkeit des §11 Abs. 2 Landesvertrag aufgrund der darin getroffenen Fristenregelung. Diese
ist für den vorliegenden Fall jedoch ohne Bedeutung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 VwGO. Die Revision wurde aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.