Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung von Normen zur Festsetzung eines abgesenkten Regelsatzes für Alleinstehende
in Gemeinschaftsunterkünften und den Anwendungsvorrang von Unionsgrundrechten
Anforderungen an den Verfügungssatz eines Leistungsbescheides bei der Gewährung von Leistungen als Sachleistung
Anforderungen an die Statthaftigkeit der Beschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren bei monatsweiser Bewilligung von Leistungen
Gründe
I.
Der 1968 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und erstmalig am 11. Mai 2019 in die Bundesrepublik Deutschland
eingereist. Er stellte am 7. August 2019 bei der Außenstelle C-Stadt des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag,
über den noch nicht entschieden worden ist. Seit März 2020 – nach entsprechender Zuweisung durch das Regierungspräsidium Darmstadt
mit Zuweisungsbescheid vom 2. März 2020 – bezieht er Leistungen nach dem
AsylbLG vom Antragsgegner. Der Antragsteller ist in einer vom Antragsgegner bereitgestellten Gemeinschaftsunterkunft untergebracht.
Er ist Inhaber einer Aufenthaltsgestattung.
Der Antragsteller leidet nach seinen unwidersprochen gebliebenen Angaben unter Morbus Parkinson und lebt in der Gemeinschaftsunterkunft
A-Straße, A-Stadt, auf Distanz zu den übrigen sehr viel jüngeren Mitbewohnern. Er lebt in einem Einzelzimmer mit eigener Küchenzeile.
Lediglich das Bad teilt er sich mit einer vierköpfigen türkischen Familie mit zwei Kindern, die in dem Zimmer gegenüber leben.
Mit der Familie teilt er sich weder Hygieneartikel noch Nahrungsmittel oder anderes.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 2. März 2020 für den Monat März 2020 Leistungen anteilig in
Höhe von 171,29 €, für den Monat April 2020 in Höhe von 316 € (Leistungen nach §
3a Abs.
1 AsylbLG: 139 € und Leistungen nach §
3a Abs.
2 AsylbLG: 177 €; vgl. Behördenakte des Antragsgegners, Teilbereich HLU, Bl. 9 f.). In dem auf die betragsmäßige Bewilligung folgenden
Absatz heißt es: „Den Betrag für den laufenden Monat haben wir zur Zahlung angewiesen. Die Beträge für die Folgemonate werden
wir jeweils monatlich im Voraus an die in der Anlage aufgeführten Zahlungsempfänger überweisen, solange sich ihre persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert haben.“ Hinsichtlich der Gewährung der Leistungen über den Monat April 2020
hinaus wird im Bescheid vom 2. März 2020 unter „Allgemeine Hinweise“ ausgeführt: „Die bewilligte(n) Leistung(en) wird (werden)
zunächst nur für einen Monat und unter dem Vorbehalt gewährt, dass sich die vom Leistungsempfänger angegebenen und der Bewilligung
zugrunde gelegten Verhältnissen nicht ändern. Ist der Leistungsbezug befristet, so endet die Zahlung mit Ablauf des angegebenen
Zeitpunktes. Tritt keine Änderung ein, so erfolgt – ohne Antrag – aufgrund stillschweigender monatlicher Neubewilligung die
Weiterzahlung der bisher bewilligten Leistung (en) in der in diesem Bescheid angegebenen Höhe. Treten jedoch Änderungen in
den Verhältnissen ein und erfolgt dadurch eine gesetzlich nicht gerechtfertigte Zahlung, so ist diese zu erstatten, soweit
sie der Leistungsempfänger zu vertreten hat.“
Für die Zeit ab Mai 2020 wurden die Leistungen entsprechend der Berechnung für April 2020 in dem Bescheid vom 2. März 2020
zur Auszahlung gebracht.
Am 1. Oktober 2020 erhob der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 28. September 2020 beim Antragsgegner
Widerspruch gegen die Leistungsgewährung „im Zeitraum ab 1. Mai 2020“. Über den Widerspruch wurde bislang nicht entschieden.
Am 7. Oktober 2020 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers mit weiterem Schriftsatz vom 28. September 2020 die Überprüfung
der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. März 2020 bis 30. April 2020 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).
Mit Bescheid vom 14. Januar 2021 (Bl. 2/68 der Verwaltungsakte) änderte der Antragsgegner die Bewilligungen für November,
Dezember 2020 und Januar 2021 dahingehend, dass ab 12. November 2020 Leistungen gemäß §
2 AsylbLG Regelbedarfsstufe 2 gewährt wurden. Ab 1. Januar 2021 wurde die gesetzliche Regelsatzanhebung berücksichtigt. Im Berechnungsbogen
finden sich darüber hinaus die Abzüge „abzgl. Pauschale insgesamt“ i.H.v. 31,12 € bzw. 31,60 € und „abzgl. Kürzung: sonstige
Gründe (in Notiz vermerken!)“ i.H.v. 24,44 €. Der Bescheid enthält die gleichen Formulierungen unter „Allgemeine Hinweise“
wie der Bescheid vom 2. März 2020. Der Antragsteller hat hiergegen Widerspruch eingelegt, aber die Rechtsauffassung vertreten,
der Bescheid sei nach §
86 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.
Bereits am 1. Oktober 2020 hat der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht Darmstadt
gestellt.
Gegenüber dem Sozialgericht hat er vorgetragen, dass die Einstufung wegen seiner Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft
in der Regelbedarfsstufe 2, welche sonst nur für Partner in einem gemeinsamen Haushalt gelte, verfassungswidrig sei, was er
ausführlich unter Auswertung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und jüngster erst- und zweitinstanzlicher Entscheidungen
sowie rechtswissenschaftlicher Literatur zur hiesigen Problematik begründet hat (Bl. 3 bis 17 d.A.). Nunmehr stünden ihm Leistungen
analog zu denen des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) zu.
Der Antragsgegner hat auf LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Februar 2020 – L 7 AY 4273/19 ER-B – und LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 2. März 2020 - L 15 AY 2/20 B ER – verwiesen und hat sich den Inhalt der Entscheidungen zu Eigen gemacht.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 7. Januar 2021 abgelehnt. Der zulässige Antrag sei unbegründet. Der Antragsteller
habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Dem vom Antragsteller geltend gemachten Anspruch auf höhere Leistungen
nach dem
AsylbLG für die Zeit ab der Antragstellung bei Gericht stehe die Bestandskraft des Bewilligungsbescheides des Antragsgegners vom
2. März 2020 und die damit verbundene Bindewirkung für die Beteiligten entgegen. Bei dem Bescheid der Antragsgegnerin vom
2. März 2020 handele es sich um einen Dauerverwaltungsakt mit Wirkung über die ausdrücklich benannten Monate März und April
2020 hinaus. Dies ergebe sich bei objektiver Betrachtung des Bescheids vom 2. März 2020 aus der Sicht eines verständigen Empfängers
dieser Willenserklärung des Antragsgegners. Mit diesem Verwaltungsakt seien zwar zunächst lediglich Leistungen gemäß §§
3,
3a AsylbLG für die Monate März 2020 (171,29 €) und April 2020 (316,00 €) bewilligt worden. Die weitere, im Text des Bescheides enthaltenen
Formulierung über die Geltungsdauer spreche jedoch letztlich für eine zeitlich nicht befristete Wirkung des Bescheides über
den Monat April 2020 hinaus. Der Antragsgegner habe aufgrund der gewählten Formulierung die Leistungsgewährung gerade nicht
befristet, sondern unter die Bedingung gestellt, dass diese fortgelten soll, solange sich die Verhältnisse nicht änderten.
Aus dieser, dem Verfügungssatz des Bescheides zuzurechnenden Passage ergebe sich für einen objektiven Empfänger dieser Willenserklärung
die dauerhafte Wirkung der Leistungsgewährung. Die Dauerwirkung der Leistungsbewilligung entfalle auch nicht wieder durch
die Erklärung bzw. Ankündigung im Bereich „Allgemeine Hinweise“, dass eine derartige „Weiterzahlung“ aufgrund nicht antragsabhängiger
„stillschweigender monatlicher Neubewilligung“ erfolgen werde. Denn diese Formulierungen seien nicht geeignet, den hinsichtlich
der dauerhaften Bewilligung eindeutigen Verfügungssatz des Bescheids zu relativeren. Es fehle am nötigen Zusammenhang mit
dem Verfügungssatz des Bescheids, so dass hieraus eine Einschränkung der Bewilligung bei objektiver Betrachtung des Erklärungswillens
nicht im erforderlichen Umfang hergeleitet werden könne. Darüber hinaus lasse schon die für diesen Bereich des Bescheids gewählte
Überschrift für einen objektiven Empfänger darauf schließen, dass darin keine die Reichweite der vorherigen Verfügung ändernden
Regelungen enthalten seien. Die Kammer gehe von einer Aushändigung des Bescheides am 2. März 2020 aus, so dass dieser im April
2020 in Bestandskraft erwachsen und damit für die Beteiligten bindend geworden sei. Der Bestandskraft dieses mit einer ordnungsgemäßen
Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheides stehe der Widerspruch des Bevollmächtigten des Antragstellers, welcher beim Antragsgegner
am 1. Oktober 2020 eingegangen sei, nicht entgegen. Diese Widerspruchserhebung liege evident außerhalb der Widerspruchsfrist
des §
84 Abs.
1 SGG. Bei dem anwaltlich vertretenen Antragsteller habe dieser Widerspruch auch nicht in einen Antrag nach § 44 SGB X (Überprüfungsantrag) umgedeutet werden müssen. Dies zeige schon der Umstand, dass der Bevollmächtigte des Antragstellers
wenige Tage nach der Widerspruchserhebung explizit einen solchen Antrag bezogen auf andere Teile der Leistungsgewährung aufgrund
des Bescheides vom 2. März 2020 gestellt habe. Auch der Überprüfungsantrag, welcher am 7. Oktober 2020 beim Antragsgegner
eingegangen sei, führe nicht zu einem Rechtsverhältnis, welches im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes
einer Regelung nach §
86b Abs.
2 SGG zugänglich wäre. Dieser Überprüfungsantrag sei nach seinem eindeutigen Wortlaut auf die Monate März und April 2020 beschränkt.
Auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Leistungsbemessung aufgrund der Regelbedarfsstufe 2 sowohl im Bereich der §§
3,
3a AsylbLG, wie auch §
2 AsylbLG kommt es daher im vorliegenden Verfahren nicht mehr entscheidend an. Die Kammer weise jedoch darauf hin, dass dem Antragsteller
wohl tatsächlich zwischenzeitlich Leistungen nach §
2 AsylbLG zustehen dürften, wenn dieser nicht zwischenzeitlich die Dauer des Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst habe.
Der Auskunft aus dem Ausländerzentralregister (vgl. Akte des Antragsgegners, Teilbereich ST, Seite 2) sei zu entnehmen, dass
die Ersteinreise des Antragstellers in das Bundesgebiet am 11. Mai 2019 erfolgt sei. Die 18-monatige Wartefrist des §
2 Abs.
1 Satz 1
AsylbLG dürfte damit nach der Überzeugung der Kammer im November 2020 abgelaufen sein. Nach der Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts
sei die Beschwerde nach §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG ausgeschlossen.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers zum Hessischen Landessozialgericht ist am 17. Januar 2021 beim Sozialgericht
Darmstadt eingegangen.
Der Antragsteller trägt vor, die Beschwerde sei statthaft. Auszugehen sei von einer Beschwer von zwölf Monaten (Hinweis auf
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12. September 2019 – L 8 AY 12/19 B ER). Trotz der Teilabhilfe seien vom 1. Oktober
2020 bis 30. September 2021 Leistungen in Höhe von 1.117,34 € streitig (Aufstellung Bl. 96 d.A.), da nicht nur die Regelbedarfsstufe
1, sondern auch eine abgezogene Pauschale streitig seien. Die Leistungsbewilligung ab 1. Mai 2020 sei noch anfechtbar gewesen.
Es handele sich beim Bescheid vom 2. März 2020 nach dem unmissverständlichen Wortlaut nicht um einen Dauerverwaltungsakt.
Bei der Beschwer seien die unverständlichen „Abzüge“ und „Pauschalen“ im Bescheid vom 14. Januar 2021 zu berücksichtigen,
gegen die sich der Antragsteller ebenfalls wende.
Er sei der mit Abstand der älteste Bewohner in der Unterkunft. Dementsprechend seien die Interessen auch nicht dieselben wie
die der anderen Bewohner. Da er alleine aufgrund seines Alters zur COVID-19-Risikogruppe gehöre, meide er soziale Kontakte
„wo nur möglich“. Kontakt pflege er zu zwei ehrenamtlich engagierten Damen aus A-Stadt. Dieser Kontakt finde aufgrund der
Pandemie gerade nur telefonisch statt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Januar 2021 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers
vom 28. September 2020 - Az: xxxxx1 - unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen in verfassungsgemäßer
Höhe in der Regelbedarfsstufe 1 ab Eingang dieses Antrages bei Gericht zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Er trägt vor, die Beschwer im Eilverfahren sei auf maximal drei Monate zu begrenzen. Der Antragsteller verweise demgegenüber
auf die Beschwer der Hauptsache. Seit der Entscheidung des BSG vom 8. Februar 2007 – B 9b AY 1/06 R – gelte, dass laufende Leistungen im Zweifel durch Dauerverwaltungsakt erlassen würden.
II.
Die Beschwerde ist (1.) zulässig und (2.) weitgehend begründet.
1. Die Beschwerde ist insbesondere nach §
172 Abs.
3 Nr.
1 i.V.m. §
144 Abs.
1 SGG statthaft. Hiernach ist die Beschwerde ausgeschlossen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache
die Berufung der Zulassung bedürfte, u.a. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst-
oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt. Bei der Wertberechnung ist
nicht auf den Streitgegenstand einer tatsächlich anhängigen Hauptsache abzustellen. Auszugehen ist von dem Wert des Streitgegenstandes,
über den das Sozialgericht tatsächlich entschieden hat. Weicht der Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von dem Antrag
im Hauptsacheverfahren ab, ist im Rahmen von §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG auf das Begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und auf den dortigen Beschwerdewert abzustellen, nicht auf
den des Hauptsacheverfahrens (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Mai 2012 – L 20 AS 647/12 B ER –, juris Rn. 20; Karl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG – Stand: 15. Juni 2020 -, §
172 Rn. 139 f.). Sind laufende Leistungen streitgegenständlich, so ist danach zu differenzieren, ob es sich – z.B. bei einer
nach Auffassung des Antragstellers zu geringen Leistungsbewilligung – um einen abgeschlossenen Zeitraum handelt, bei der das
Ende des Bewilligungszeitraums eine Zäsur bildet, oder aber, ob zukunftsoffen Leistungen begehrt werden. Bei einem zukunftsoffenen
Antrag ist die Beschwer nicht etwa auf die Versagung von Leistungen beschränkt, die bis zum Datum der erstinstanzlichen Entscheidung
beansprucht werden. Beschwert ist der Antragsteller auch dadurch, dass ihm darüber hinaus Leistungen für die Zukunft versagt
werden. In Konkretisierung seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung (dazu zuletzt Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2020 –
L 4 AY 22/20 B ER –, juris Rn. 15) geht der Senat für den Fall einer mit einem Widerspruch angegriffenen monatsweisen Bewilligung,
bei der die Folgemonate nach §
86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werden (Senatsurteil vom 22. Juli 2020 – L 4 AY 8/17 –, juris Rn. 36 ; BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8 AY 11/07 R –, juris, Rn. 10; vgl. auch BSG, Urteil vom 14. April 2011 – B 8 SO 12/09 R –, SozR 4-3500 § 82 Nr. 7; zuletzt BSG, Urteil vom 9. Dezember 2016 – B 8 SO 14/15 R –, juris Rn. 11), dann von einem 12-Monats-Zeitraum aus, wenn zum Zeitpunkt
der Einlegung der Beschwerde noch nicht über den Widerspruch entschieden worden ist (im Erg. auch LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 9. Juli 2020 – L 8 AY 52/20 B ER –, juris Rn. 15 m.w.N.). Eine solche pauschale Betrachtungsweise erscheint
sachgerecht, denn eine konkrete Prognose, welchen Zeitraum der Antragsteller für den Zeitraum nach Einleitung des Beschwerdeverfahrens
noch maximal beanspruchen könnte, führt zu höchst zufälligen Ergebnissen. Da es sich bei Leistungen nach dem
AsylbLG nicht um rentengleiche Dauerleistungen handelt, zieht der Senat als Begrenzung jedenfalls für das Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes die Wertung des §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG heran.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts handelt es sich beim Bescheid vom 2. März 2020 nicht um einen Dauerverwaltungsakt,
der dazu führen könnte, dass ein im Mai 2020 eingelegter Widerspruch verfristet wäre. Vielmehr wurden mit diesem Bescheid
nur Leistungen für März und April 2020 gewährt; in den Folgemonaten wurden durch Auszahlung konkludent Leistungen monatsweise
bewilligt.
Bei der Abgrenzung von monatsweisen Bewilligungen zu Dauerverwaltungsakten über den Monat hinaus geht der Senat von folgenden
Auslegungsgrundsätzen aus: Ob und in welchem Umfang eine Leistungsbewilligung einen Dauerverwaltungsakt darstellt, ist durch
Auslegung am Maßstab des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln (vgl. zum objektiven Empfängerhorizont BSG, Urteil vom 27. Mai 2014 – B 8 SO 26/12 R –, juris Rn. 16). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat
folgt, kann der objektive Regelungsgehalt eines Bescheids im Bereich des
AsylbLG zeitlich auf einen Monat beschränkt sein, wenn die Bewilligung z.B. „ab dem 1. Juli 2003" bewilligt, die Bewilligung aber
auf den Monat beschränkt mit dem folgenden Zusatz versehen ist: „Werden aufgrund gleich gebliebener Verhältnisse Leistungen
für künftige Zeiträume durch Überweisung bewilligt, entsprechen die Berechnung und Festsetzung der Einzelansprüche denen des
vorliegenden Bescheides“ (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 11; mit der die Rechtsauffassung aus BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 – B 9b AY 1/06 R – teilweise aufgegeben wurde). Die Bewilligung für die Folgemonate erfolgt dann
monatsweise nicht schriftlich, sondern nach § 33 Abs. 2 SGB X auf andere Weise jeweils konkludent durch Überweisung (BSG a.a.O.). Der erkennende Senat hat zudem bereits entschieden, dass eine Formulierung wie „Die festgesetzte Hilfe wird grundsätzlich
für einen Monat bewilligt. Zahlungen, die dieser Bewilligung folgen, stellen eine Neubewilligung dar“, für eine monatsweise
Bewilligung spricht (Beschluss vom 21. September 2018 – L 4 AY 10/18 B ER). Demgegenüber ist die Bezeichnung eines Bescheides
als „Änderungsbescheid“ ein Umstand, der für einen Dauerverwaltungsakt sprechen kann (Senatsbeschlüsse vom 18. Juni 2019,
– L 4 SO 107/19 B ER –, vom 23. März 2017 – L 4 SO 36/17 B ER und L 4 SO 37/17 B ER –). Die Formulierung „bis auf weiteres“
im Verfügungssatz ohne eine weitere einschränkende Formulierung spricht auch dann für einen Dauerverwaltungsakt, wenn im Übrigen
im Verfügungssatz oder den Anlagen lediglich eine Berechnung oder eine Bezifferung für einen bestimmten Leistungsmonat genannt
wird.
Gemessen an diesem Maßstab handelt es sich beim Bescheid vom 2. März 2020 nicht um einen zukunftsoffen gestalteten Dauerverwaltungsakt.
Im Verfügungssatz sind die beiden geregelten Monate eindeutig benannt. Aus der vom Sozialgericht hervorgehobenen Formulierung
in Zusammenschau mit den „Allgemeinen Hinweisen“ geht zudem eindeutig hervor, dass Zahlungen auch ohne schriftlichen Bescheid
bei unverändert gebliebenen Verhältnissen erfolgen werden, diese wiederum aber nur mit konkludenten monatsweise Bewilligungen
einher gehen: „Tritt keine Änderung ein, so erfolgt – ohne Antrag – aufgrund stillschweigender monatlicher Neubewilligung
die Weiterzahlung der bisher bewilligten Leistung (en) in der in diesem Bescheid angegebenen Höhe.“ Die übrigen Formulierungen
weisen nur auf die Modalitäten der Weiterzahlung, nicht aber der Weiterbewilligung hin. Hinsichtlich des Vorbringens des Antragsgegners
ist darauf hinzuweisen, dass es eine Auslegungsvermutung als Dauerverwaltungsakt nicht gibt. Soweit das vom Antragsgegner
zitierte Urteil des Bundessozialgerichts vom 8. Februar 2007 – B 9b AY 1/06 R – in diese Richtung verstanden werden könnte,
hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts inzwischen in einer Reihe von Entscheidungen (siehe oben), beginnend mit BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 11 weitere Präzisierungen vorgenommen. Die gesetzliche Wertung u.a. aus
§
14 AsylbLG, dass Entscheidungen über Leistungen nach dem
AsylbLG im Normalfall als Dauerverwaltungsakte ergehen, ist demnach ein den objektiven Empfängerhorizont beeinflussender Faktor,
der sich aber nicht generell zu einer Auslegungsvermutung verdichtet.
Auf dieser Auslegungsgrundlage ist der die Beschwer prägende Streitgegenstand die teilweise Leistungsversagung ab Mai 2021,
die mit einem Widerspruch angegriffen wurde, über den noch nicht entschieden worden ist. Die Folgezeiträume sind nach §
86 SGG analog Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens geworden. Der Bescheid vom 14. Januar 2021 markiert keine Zäsur. Zwar kann
unter hier nicht weiter darzustellenden Umständen der Wechsel in der Bewilligungspraxis von monatsweisen Bewilligungen auf
längere Bewilligungszeiträume insbesondere im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Widerspruch über die vorausgehenden
Zeiträume eine maßgebliche Zäsur für die Beschwer darstellen. Vorliegend wurde aber noch nicht über den Widerspruch entschieden.
Auch der Bescheid vom 14. Januar 2021 erläutert sein Verhältnis zum laufenden Widerspruchsverfahren nicht. Er beschränkt sich
auf drei Änderungen der (monatsweisen s.o.) Bewilligungen für die Monate November, Dezember 2020 und Januar 2021. Die Bewilligungen
ab Februar 2021 erfolgen ausweislich der „Allgemeinen Hinweise“ wieder konkludent monatlich. Allein die Bezugnahme auf eine
mit dem Sozialgericht rechtsirrige „Änderung des Bescheides vom 2. März 2020“ und die Bezeichnung als „Änderungsbescheid“
schlägt demgegenüber nicht durch. Auch dieser Bescheid ist §
86 SGG analog Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen die Bewilligungen seit Mai 2020 geworden.
Mithin ist die Beschwer wie folgt zu berechnen:
Monat
|
bewilligt
|
beantragt
|
Differenz
|
Oktober 2020
|
316 €
(139 € + 177 €)
|
351 €
(153 € +198 €)
|
35 €
|
1. – 11.November 2020
|
115,97 €
|
128,70 €
|
12,73 €
|
12. – 30. November 2020
|
211,18 €
|
273,60 €
|
62,42 €
(Summe Nov.: 75,15 €)
|
Dezember 2020
|
333,44 €
|
432 €
|
98,56 €
|
ab Januar 2021
|
344,96 €
|
446 €
|
101,04 €
|
Summe bis einschl. Sept. 2021 (12 Monate)
|
|
|
1.118,07 €
|
Es besteht ein der Regelungsanordnung zugängliches Rechtsverhältnis, da das Widerspruchsverfahren gegen die konkludente Leistungsbewilligung
für Mai 2020 noch nicht abgeschlossen ist und alle Bewilligungen für die Folgezeiträume bislang Gegenstand des Widerspruchsverfahrens
geworden sind. Der Widerspruch vom 1. Oktober 2020 war wegen der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung bezüglich des nur konkludent
ergangenen Verwaltungsakts nicht verfristet.
2. Der Antrag ist am Maßstab von §
86b Abs.
2 SGG weitgehend begründet. Am o.g. Maßstab bestehend insbesondere eine hinreichende Aussicht, dass der Antragsteller in der Hauptsache
mit Erfolg seinen Anspruch durchsetzt; ein Anordnungsanspruch (2.a)) und ein Anordnungsgrund (2.b)) sind glaubhaft gemacht.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 1 und
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch
in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund).
Nach §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
Diese Anforderungen sind im Lichte der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) zu konkretisieren (zum Folgenden: BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 –, juris, Rn. 10 m.w.N.). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit
ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht
möglich – etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher
Aufklärungsmaßnahmen bedürfte –, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt. Übernimmt das einstweilige Rechtsschutzverfahren
allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung
der Beteiligten, müssen die Gerichte bei den Anforderungen an die Glaubhaftmachung zur Begründung von Leistungen zur Existenzsicherung
in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Bedeutung des Grundrechts aus Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG Rechnung tragen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung haben sich am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen
Rechtsschutzbegehren verfolgt wird.
a) Gemessen an diesem Maßstab hat der Antragsteller für den Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis 11. November 2020 die Voraussetzungen
eines Anordnungsanspruchs aus §§
3,
3a AsylbLG und für den nachfolgenden Zeitraum ab 12. November 2020 aus §
2 AsylbLG auf Gewährung der Leistungen glaubhaft gemacht, die alleinstehenden Erwachsenen ohne die Differenzierung nach Wohnung oder
Gemeinschaftsunterkunft zustehen. Eine verfassungskonforme Auslegung der §§
3,
3a AsylbLG bzw. §
2 AsylbLG ist geboten (2.a)aa)(1)) und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch möglich (2.a)aa)(2)). Zudem führt der Anwendungsvorrang
von Art. 1 und 20 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (GRC) i.V.m. Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 der Richtlinie 2013/33/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen
Schutz beantragen (Aufnahme-RL) zur Anwendung zur Regelbedarfsstufe 1 (dazu 2.a)bb)). Der Senat verkennt dabei nicht, dass
sich sowohl bei der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung als auch bei der Reichweite des Anwendungsvorrangs der
Unionsgrundrechte in Verbindung mit dem Gesetzgebungsauftrag aus Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 Aufnahme-RL um schwierige und streitige
Rechtsfragen handelt, geht aber in der Summe zweier unabhängig voneinander für die Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 streitender
Rechtssätze von einer hinreichenden Erfolgsaussicht aus.
Nach §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 AsylbLG beträgt der notwendige persönliche Bedarf, wenn er vollständig durch Geldleistungen gedeckt wird, monatlich für erwachsene
Leistungsberechtigte, die in einer Wohnung im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (RBEG) leben
und für die nicht Nummer 2 Buchstabe a oder Nummer 3 Buchstabe a gelten, sowie für jugendliche Leistungsberechtigte, die nicht
mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung leben, je 162 € (nach der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2019 über die Höhe
der Leistungssätze nach §
3a Absatz
4 des
Asylbewerberleistungsgesetzes <BGBl. I, 1429> für die Zeit ab 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020: 153 €); nach §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG beträgt der notwendige persönliche Bedarf für erwachsene Leistungsberechtigte 146 € (bis 31. Dezember 2020: 139 €), wenn
sie nicht in einer Wohnung leben, weil sie in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder nicht nur kurzfristig in einer vergleichbaren sonstigen Unterkunft untergebracht sind.
Wird nach §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 AsylbLG der notwendige Bedarf nach §
3 Absatz
1 Satz 1 mit Ausnahme der Bedarfe für Unterkunft, Heizung, Hausrat, Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie vollständig
durch Geldleistungen gedeckt, so beträgt dieser monatlich für erwachsene Leistungsberechtigte, die in einer Wohnung im Sinne
von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes leben und für die nicht Nummer 2 Buchstabe a oder Nummer 3 Buchstabe
a gelten je 202 € (bis 31. Dezember 2020: 198 €); nach §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG beträgt der notwendige Bedarf für erwachsene Leistungsberechtigte je 182 € (bis 31. Dezember 2020: 174 €), wenn sie nicht
in einer Wohnung leben, weil sie in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder nicht nur kurzfristig in einer vergleichbaren sonstigen Unterkunft untergebracht sind.
Abweichend von den §§
3 und
4 sowie 6 bis 7 sind nach §
2 Abs.
1 Satz 1
AsylbLG das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und Teil 2 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im
Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. § 28 SGB XII i.V.m. dem RBEG und den §§ 28a, 40 SGB XII findet nach §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG auf Leistungsberechtigte nach Satz 1 mit den Maßgaben entsprechende Anwendung, dass bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft
im Sinne von § 53 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Abs. 1 AsylG für jede erwachsene Person ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird.
Die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des
AsylbLG und die Leistungsberechtigung dem Grunde nach gemäß §§
3,
3a AsylbLG bzw. §
2 AsylbLG ist zwischen den Beteiligten unstreitig und auch nach Auffassung des Senats im Übrigen unzweifelhaft.
Der Höhe nach beruft sich nach summarischer Prüfung der Antragsgegner zu Unrecht auf §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG. Diese Ausnahmeregelungen zum Grundsatz, dass Alleinstehende Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 bzw. der vergleichbaren
Stufe des §
3a AsylbLG beziehen, dürften entweder einer verfassungskonformen Auslegung zu unterziehen sein und wären dann nach dem Auslegungsergebnis
nicht erfüllt oder aber wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unanwendbar.
aa)(1) Der Senat hegt erhebliche Zweifel daran, dass §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG bei wortlautgetreuer Auslegung verfassungsgemäß wären.
Das
Grundgesetz garantiert mit Art.
1 Abs.
1 GG in Verbindung mit Art.
20 Abs.
1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Art.
1 Abs.
1 GG begründet diesen Anspruch; das Sozialstaatsgebot des Art.
20 Abs.
1 GG erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, ein menschenwürdiges Existenzminimum tatsächlich zu sichern (BVerfGE 125, 175 <222>; 132, 134 <159>; 137, 34 <72>; BVerfGE 142, 353, <369 f.>; BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, Rn. 118). Es widerspräche dem nicht relativierbaren Gebot der Unantastbarkeit, wenn nur ein Minimum unterhalb dessen gesichert
würde, was der Gesetzgeber bereits als Minimum normiert hat; insbesondere lässt sich die Gewährleistung aus Art.
1 Abs.
1 in Verbindung mit Art.
20 Abs.
1 GG nicht in einen „Kernbereich“ der physischen und einen „Randbereich“ der sozialen Existenz aufspalten. Der Gesetzgeber kann
auch weder für einen internen Ausgleich noch zur Rechtfertigung einer Leistungsminderung auf die Summen verweisen, die in
der pauschalen Berechnung der Grundsicherungsleistungen für die soziokulturellen Bedarfe veranschlagt werden, denn die physische
und soziokulturelle Existenz werden durch Art.
1 Abs.
1 in Verbindung mit Art.
20 Abs.
1 GG einheitlich geschützt (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, Rn. 119, juris).
Damit ist nicht jede Differenzierung ausgeschlossen. Werden hinsichtlich bestimmter Personengruppen unterschiedliche Methoden
zugrunde gelegt, muss dies sachlich zu rechtfertigen sein (vgl. BVerfGE 125, 175 <225>). Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen
berücksichtigen will, ist eine Differenzierung möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer
Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen
Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann (BVerfGE 132, 134 <164 Rn. 73>).
Für die vorliegend zu überprüfenden Normen zur Festsetzung eines abgesenkten Regelsatzes von Alleinstehenden in Gemeinschaftsunterkünften
ist eine derartige Empirie in Gestalt eines in einem transparenten Verfahren gefundenen Belegs für eine signifikante Bedarfsabweichung
nicht ersichtlich. In der Gesetzesbegründung wird lediglich ausgeführt (BT-Drs. 19/10052, S. 24): „Der in der Bedarfsstufe
2 für Paarhaushalte zum Ausdruck kommende Gedanke der Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften „aus einem Topf“ (…) lässt
sich auf Leistungsberechtigte übertragen, die in Sammelunterkünften bestimmte Räumlichkeiten (Küche, Sanitär- und Aufenthaltsräume
etc.) gemeinsam nutzen. Auch hier ermöglicht die gemeinschaftliche Nutzung von Wohnraum Synergieeffekte, da bestimmte haushaltsbezogene
Aufwendungen nicht von jedem Leistungsberechtigten alleine zu tragen sind, sondern auf die Gemeinschaft der Bewohner aufgeteilt
beziehungsweise von ihnen gemeinsam getragen werden. Dies betrifft etwa die persönlichen Bedarfe an Mediennutzung, da Festnetz-
oder Internetanschlüsse in Sammelunterkünften regelmäßig zur gemeinschaftlichen Nutzung bereitgestellt werden. Weitere Einsparungen
ergeben sich unter den genannten Voraussetzungen durch die Möglichkeit zur gemeinsamen Nutzung oder zum Austausch bei den
Bedarfen an Freizeit, Unterhaltung und Kultur (Abteilung 9 der EVS 2013). Bei einer Unterbringung in Sammelunterkünften bestehen
zudem Einspareffekte beim notwendigen Bedarf an Nahrung (Abteilung 1 der EVS 2013), etwa indem Lebensmittel oder zumindest
der Küchengrundbedarf in größeren Mengen gemeinsam eingekauft und in den Gemeinschaftsküchen gemeinsam genutzt werden. Die
sich hieraus für die erwachsenen Bewohner von Sammelunterkünften erzielbaren Ersparnisse sind mit den Einspareffekten in Paarhaushalten
im Ergebnis vergleichbar. Das Absenken der Regelleistung aufgrund des gemeinsamen Wirtschaftens in häuslicher Gemeinschaft
kann als Orientierung von Sozialleistungen an der Bedürftigkeit auch im Sinne des sozialen Rechtsstaats gerechtfertigt werden
(BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 – juris, Rn. 53). Bei der Regelung zur Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen liegt es im Entscheidungsspielraum des
Gesetzgebers, für seine Einschätzung der notwendigen existenzsichernden Leistungen in Orientierung an der tatsächlichen Bedarfslage
eine typisierende Einschätzung der Verhältnisse vorzunehmen, die nicht sachwidrig erscheint. Diese Einschätzung hat die Bundesregierung
mit der Annahme getroffen, dass es den Bewohnern einer Sammelunterkunft durch gemeinsames Wirtschaften möglich und zumutbar
ist, die dargestellten Einspareffekte zu erzielen, die mit denen von Paarhaushalten vergleichbar sind. Ein Zusammenwirtschaften
über die bloße Teilung von unterkunftsbezogenen Leistungen hinaus kann von den Leistungsberechtigten nach dem
AsylbLG, die in Sammelunterkünften untergebracht sind, erwartet werden. Die Leistungsberechtigten befinden sich im Asylverfahren
ungeachtet ihrer Herkunft in derselben Lebenssituation und bilden der Sache nach eine Schicksalsgemeinschaft. (…) In dieser
zeitlichen und räumlichen Sondersituation haben sie die Obliegenheit, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um miteinander
in der Sammelunterkunft auszukommen. Nicht wenige Leistungsberechtigte sind zudem als Familie in der Sammelunterkunft untergebracht,
so dass die für Paarhaushalte ermittelten Einspareffekte bei ihnen ohnehin bestehen. Unterstützt wird dies auch dadurch, dass
die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe in Sammelunterkünften, um Konflikte zu vermeiden, berücksichtigt werden soll. Sofern
die in einer Sammelunterkunft untergebrachten Personen wegen auftretender Konflikte nicht mehr zumutbar zusammen wirtschaften
können, ermöglicht die Sammelunterkunft Lösungen innerhalb des Hauses oder gemeinsam mit einer anderen Sammelunterkunft, ohne
die grundsätzliche Möglichkeit von Einsparanstrengungen für alle Leistungsberechtigten in Frage zu stellen.“
Während sich bei Paarhaushalten der Gesetzgeber auf verschiedene Studien berufen kann, die Einspareffekte von etwa 10 Prozent
pro Person nahelegen (BT-Drs. 18/9984, S. 84 ff.), gibt es einen derartigen Studienstand für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften
nicht; in der Begründung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuchs (BT-Drs. 18/9984, S. 84) wird ausgeführt: „Mangels gesicherter anderweitiger Erkenntnisse, wird auch Erwachsenen,
die nicht allein leben, bei denen aber aufgrund des Zusammenlebens mit Anderen ein Minderbedarf zu vermuten ist, der Regelbedarf
für Alleinlebende zugeordnet, weil der Minderbedarf nicht für alle denkbaren Fallkonstellationen hinreichend fundiert quantifiziert
werden kann.“ Eine bessere Datenlage ergibt sich auch nicht aus den obenzitierten Materialen zum Dritten Gesetz zur Änderung
des
Asylbewerberleistungsgesetzes. Der Deutsche Caritasverband, der bundesweit seit vielen Jahren Flüchtlingsunterkünfte betreibt, führt in seiner Stellungnahme
zur hier maßgeblichen Gesetzesnovelle nachvollziehbar aus (Deutscher Caritasverband, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines
Dritten Gesetzes zur Änderung des
Asylbewerberleistungsgesetzes, 29.3.2019, S. 6): „Allein die Fluktuation in Flüchtlingsunterkünften verhindert üblicherweise den Aufbau eines solchen Näheverhältnisses.
Dass Bewohner(innen) regelmäßig aus unterschiedlichen Herkunftsregionen und Kulturen stammen, woraus sich Verständigungsschwierigkeiten
und zum Teil sogar Konflikte ergeben können, steht als weiterer Faktor einem gemeinsamen Wirtschaften entgegen. Hinzu kommt,
dass sich laut Gesetzesbegründung die zu erwartenden Einspareffekte auch dadurch ergeben sollen, dass „Wohnraum gemeinsam
genutzt wird, im Haushalt vorhandene Gebrauchsgüter gemeinsam angeschafft und genutzt werden“ (…). Leistungen dafür sind aber
schon in der Bedarfsstufe 1 nicht enthalten, da sie gesondert erbracht werden (…). Daher können sich hier keine Einspareffekte
für die Betroffenen ergeben. Auch mit Blick auf den notwendigen persönlichen Bedarf verbietet sich die vorgesehene Leistungsminderung.
Aufgrund des Bezuges von Sachleistungen ist dieser Betrag oftmals die einzige Möglichkeit, selbstbestimmt über einen Teil
des eigenen Lebens zu entscheiden und Autonomie zu erleben. Dass auch Notunterkünfte, in denen regelmäßig eine behelfsmäßige
Unterbringung ohne jeden Synergieeffekt für die Bewohner(innen) erfolgt und die sich nach allen Erfahrungen nicht für eine
dauerhafte oder längere Unterbringung eignen, einbezogen werden, erschließt sich ebenfalls nicht“ (vgl. dazu auch SG Hannover,
Beschluss vom 20. Dezember 2019 – S 53 AY 107/19 –, Rn. 10, juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10. Juni 2020
– L 9 AY 22/19 B ER–, juris, Rn. 17 ff.). Die Annahme, dass bei Konflikten die Sammelunterkunft Lösungen innerhalb des Hauses
oder gemeinsam mit einer anderen Sammelunterkunft ermögliche, sodass die grundsätzliche Möglichkeit von Einsparanstrengungen
für alle Leistungsberechtigten nicht in Frage gestellt sei (BT-Drs. 19/10052, S. 24), ist nicht belegt. Eine Änderung der
Unterbringungssituation ist regelmäßig erst dann zu erwarten, wenn es zu handfesten Gewalttätigkeiten kommt (vgl. Leopold,
in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. 2020,
AsylbLG §
3 Rn. 27).
Die vom Gesetzgeber zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 –, BVerfGE 142, 353) trägt die Annahmen und Typisierungen nicht, die der Regelung zugrunde liegen. Zwar ist es hiernach nicht zu beanstanden,
zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz anerkannte Sozialleistungen in Orientierung an der Bedürftigkeit der Betroffenen
pauschal um Einsparungen zu kürzen, die im familiären häuslichen Zusammenleben typisch sind (vgl. BVerfGE 125, 175 <230 f.>; BVerfGE 137, 34 <83>; BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 –, BVerfGE 142, 353, zitiert nach juris Rn. 52). Es ist hinreichend plausibel, dass jedenfalls in einem Haushalt zusammenlebende Familienangehörige
umfassend „aus einem Topf“ wirtschaften (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 –, BVerfGE 142, 353, zitiert nach juris Rn. 53). Das hat zur Folge, dass zwei in einem solchen Näheverhältnis zusammenlebende Personen einen
finanziellen Mindestbedarf haben, der unter dem Doppelten des Bedarfs einer alleinwirtschaftenden Person liegt (vgl. BVerfGE
75, 382 <394>; 87, 234 <256>). Daher kann die familiäre Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft durchaus Anknüpfungspunkt für wirtschaftliche
Rechtsfolgen sein, sofern damit keine Benachteiligung von Ehe oder Familie einhergeht, die mit Art.
6 Abs.
1 GG nicht vereinbar wäre.
Der Gesetzgeber überspannt mit seiner Bezugnahme auf die vorstehend zitierte Entscheidung aber seinen Gestaltungsspielraum
in Bezug auf typisierende Annahmen ohne empirische Belege. Denn das Bundesverfassungsgericht hat die geringere Regelleistung
für junge Erwachsene im gemeinsamen Haushalt mit den Eltern nur unter engen Voraussetzungen auf der Grundlage bloßer Typizität
und Plausibilität als verfassungsgemäß angesehen: So knüpft das Bundesverfassungsgericht maßgeblich an das tatsächliche Bestehen
eines (familiären) Näheverhältnisses an, dass in der hiesigen Konstellation regelmäßig fehlt. Zudem sah es in der Altersgrenze
von 25 Jahren dort einen statistisch hinreichend abgesicherten Grund: „Der Gesetzgeber orientiert sich mit dem Ende des 25.
Lebensjahres an einem häufigen, jedenfalls nicht untypischen Zeitpunkt des Erreichens ökonomischer Eigenständigkeit sowie
am empirisch belegten längeren Verbleib von Kindern im Elternhaus (vgl. Statistisches Bundesamt, Datenreport 2006, Auszug
aus Teil II "Lebenssituation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen", S. 545 ff. und "Frauen und Männer in verschiedenen
Lebensphasen", 2010, S. 10)“ (BVerfG a.a.O. Rn. 59). Schließlich war entscheidend, dass die zur Überprüfung anstehende gesetzliche
Regelung eine Reaktion auf eine Bedarfsunterdeckung zuließ: „Entscheidend ist damit, dass eine Unterdeckung tatsächlich verhindert
wird. Das ist vorliegend der Fall, weil das Kind im Fall der Verweigerung der Existenzsicherung durch den Vater entweder nicht
in die Bedarfsgemeinschaft einbezogen und folglich kein Einkommen und Vermögen angerechnet wird, oder aber ein Auszug aus
der häuslichen Gemeinschaft ohne leistungsrechtlich nachteilige Folge möglich ist.“ (BVerfG a.a.O. Rn. 64). Auch diese Annahme
zeigt, dass der Gesetzgeber bei der Annahme fehlgeht, der Beschluss vom 27. Juli 2016 stelle einen Maßstab auf, der den hier
in Rede stehenden Regelungen Verfassungskonformität attestiert (so u.a. auch SG Hannover, Beschluss vom 20. Dezember 2019
– S 53 AY 107/19 –, juris Rn. 21).
Zudem sind die beispielhaften Bezugnahmen auf Ersparnisse in den Abteilungen 1, 8 und 9 der EVS 2013 nicht aus sich heraus
plausibel. Auch der Senat ist davon überzeugt, dass ein gemeinsames Wirtschaften bei Lebensmitteln sowie Freizeit und Kultur
ohne ein Näheverhältnis nicht der Lebenswirklichkeit entspricht. Wenn auf Einsparpotenziale bei der Telekommunikation hingewiesen
wird, so wird in der Praxis bei Asylbewerbern nicht von einem verminderten, sondern von einem höheren Telekommunikationsbedarf
ausgegangen (vgl. auch zum Folgenden: Anja Lederer, Gutachtliche Stellungnahme zum Anspruch auf kostenfreien Zugang zum Internet
in Unterkünften für Geflüchtete, 27. April 2020, S. 4). Schutzsuchenden bleibt aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltsstatus
oftmals der Zugang zu längerfristigen und damit preisgünstigeren Telekommunikationsverträgen verschlossen bzw. ihnen stehen
lediglich teure Prepaid-Datentarife offen. Gruppentarife gibt es in der Regel nur für Familien und sie sind darüber hinaus
in der Regel mit einer langen Laufzeit versehen, sodass sie für Personen in Sammelunterkünften mit hoher Fluktuation ungeeignet
sind. Selbst wenn in einzelnen Unterkünften ein WLAN-Zugang als Sachleistung bereitgestellt wird, so werden allein dadurch
nicht alle Positionen der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für Nachrichtenübermittlung (Abteilung 8) abgedeckt (SG
Landshut, Urteil vom 16. Dezember 2016 – S 11 AY 74/16 –, juris, Rn. 25 f., 42). Insbesondere ändert dies nichts an den hohen
Ausgaben für ein Mobiltelefon samt Vertrag oder Prepaid-Tarif (Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins BT-Ausschussdrucksache
18(11)849, S. 87). Viele der in Abteilung 9 genannten Gebrauchsgüter und Freizeitkosten eignen sich schon ihrer Natur nach
nicht zur gemeinsamen Nutzung. Downloads und Apps lassen sich untereinander nicht austauschen und teilen, gleiches gilt für
die Verbrauchsgüter wie Schreibwaren und Zeichenmaterial. Auch der gemeinsame Besuch von Freizeit- und Sportveranstaltungen
birgt kein Einsparpotenzial, da Gruppenrabatte allenfalls für sehr große Gruppen greifen.
Sollten die Ausführungen aus der Entwurfsbegründung zur Obliegenheit des gemeinsamen Wirtschaftens dahingehend zu verstehen
sein, dass bei einer Bedarfsunterdeckung die einander fremden Betroffenen darauf zu verweisen sind, „Wirtschaftskollektive“
zu bilden, vermag dies am o.g. Maßstab bereits nicht zu überzeugen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass trotz entsprechender
politischer Diskussion der Gesetzgeber bislang zu Recht keine Versuche unternommen hat, Wohngemeinschaften in den Grundsicherungssystemen
zum gemeinsamen Wirtschaften zu verpflichten. Nach wie vor ist die Regelbedarfsstufe 1 auch anzuwenden, wenn mehrere Leistungsberechtigte
in einer Wohnung leben (Mehrpersonenkonstellationen), es sei denn es handelt sich um Partner (vgl. BT-Drs. 19/10052, S. 23).
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund erweist sich die Differenzierung der §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG als willkürnahe.
Zudem ist es der einzelnen Person nicht möglich, die sog. „Obliegenheit“ von sich aus zu erfüllen. Sie ist vielmehr auf die
Mitwirkung der anderen in der Sammelunterkunft lebenden Menschen angewiesen, um die Einspareffekte tatsächlich zu erzielen,
ohne einen Rechtsanspruch auf eine solche Mitwirkung gegen sie zu haben. Auch insofern besteht ein Unterschied zu Personen,
die in einer Paarbeziehung leben. Denn diese haben jedenfalls die Möglichkeit, die Gemeinschaft zu verlassen und dadurch die
Anwendbarkeit der Regelbedarfsstufe 1 herbeizuführen (SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020 – S 11 AY 39/20 –, juris Rn.
45). Bewohner einer Gemeinschaftsunterkunft trifft nach § 53 AsylG regelmäßig die Pflicht zum Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft, nachdem sie die Aufnahmeeinrichtung verlassen haben.
Die beiden vom Antragsgegner zitierten Entscheidungen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Februar 2020 – L 7 AY 4273/19
ER-B – und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. März 2020 – L 15 AY 2/20 B ER –) sind argumentativ unergiebig. Beide Entscheidungen
setzen sich mit der Verfassungswidrigkeit der Normen nicht auseinander, sondern verweisen lediglich auf die Gesetzesbindung
der Gerichte und das Normverwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass bei wortlautgetreuer Auslegung der Gesetzgeber ohne sachlichen Grund sein eigenes,
mit dem RBEG geschaffenes Prinzip durchbrechen würde, wonach „die Neuabgrenzung der Regelbedarfsstufen für Erwachsene (…)
auf der einfachen Unterscheidung [basiert], ob Erwachsene allein oder in einer Mehrpersonenkonstellation in einer Wohnung
leben und im Falle der Mehrpersonenkonstellation, ob sie als Partner zusammenleben.“ Denn „tatsächlich sollte es nach dem
Willen des Gesetzgebers allein auf die tatsächliche und nachweisbare finanzielle Beteiligung an der Haushaltsführung ankommen“
(BT-Drs. 18/9984, S. 84).
(2) Unterstellt der Senat für die weitere Prüfung die Verfassungswidrigkeit einer wortlautgetreuen Auslegung der genannten
Vorschriften, so erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die genannten Regelungen einer verfassungskonformen Auslegung dahingehend
zugänglich sind, dass sie im Wege der teleologischen Reduktion (ergebnisgleich: ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal) nicht
auf Wohnsituationen Anwendung finden, in denen die Betroffenen nicht tatsächlich mit zumindest einer Person zusammen wirtschaften
(so LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10. Juni 2020 - L 9 AY 22/19 B ER - juris Rn. 19; SG Berlin, Beschluss vom 19.
Mai 2020 - S 90 AY 57/20 ER - juris Rn. 28 ff. - zumindest während der COVID-19- Pandemie; SG Bremen, Beschluss vom 3. Juli
2020 – S 39 AY 55/20 ER –, juris; SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020 – S 11 AY 39/20 –, juris; SG Marburg, Beschluss
vom 28. August 2020 - S 9 AY 20/20 ER - juris Rn. 58 ; SG München, Beschluss vom 10. Februar 2020 - S 42 AY 82/19 ER - juris
Rn. 56 f.; vgl. auch Frerichs in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, §
3a AsylbLG Rn. 44; im Ergebnis auch (u.a. im Wege Folgenabwägung): Sächsisches LSG, Beschluss vom 23. März 2020 – L 8 AY 4/20 B ER –
juris Rn. 38; SG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14. Januar 2020 – S 30 AY 26/19 ER –, juris; SG Hannover, Beschluss vom
20. Dezember 2019 – S 53 AY 107/19 –, juris; SG Kassel, Beschluss vom 13. Juli 2020 – S 12 AY 20/20 ER). Damit korrespondiert
eine Analogie, wonach §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 a)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 a)
AsylbLG auf die Wohnsituationen Anwendung finden, in denen die Betroffenen nicht tatsächlich mit zumindest einer Person zusammen
wirtschaften bzw. die Ausnahmevorschrift des §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG im Wege der teleologischen Reduktion keine Anwendung findet, sodass §
2 Abs.
1 Satz 1 und Abs.
2 AsylbLG anzuwenden sind. Insoweit bedürfte es der Prüfung im Einzelfall, ob eine „tatsächliche und nachweisbare finanzielle Beteiligung
an der (gemeinsamen) Haushaltsführung“ im Sinne der Konzeption des RBEG vorliegt (Frerichs, in: jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, §
3a AsylbLG Rn. 44), d.h. ob der Leistungsberechtigte mit anderen zusammenlebt und wirtschaftet (z.B. gemeinsame Einkäufe und Essenszubereitung)
und hierdurch geringere Bedarfe etwa an Lebensmitteln, aber auch an Freizeit, Unterhaltung und Kultur bestehen. Zweifel gingen
zu Lasten des Leistungsträgers nach dem
AsylbLG (Träger der objektiven Beweislast).
Die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung ergeben sich aus den anerkannten Auslegungsmethoden. Ein Normverständnis, das
im Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers steht, kann auch im Wege der verfassungskonformen
Auslegung nicht begründet werden (BVerfGE 130, 372 <397 ff.> m.w.N.).
Das Ziel von §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG ist es gerade, etwaige finanzielle Vorteile von zusammenlebenden Personen einzubeziehen. Dieses Ziel wird durch die teleologische
Reduktion oder ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, das auf tatsächliches gemeinsames Wirtschaften abstellt, erfüllt. Eine
solche verfassungskonforme Auslegung hilft verfassungswidrige Härten für den Fall zu vermeiden, dass Betroffene tatsächlich
keine wirtschaftlichen Vorteile durch das Zusammenleben erlangen. Es verbleiben auch nach verfassungskonformer Auslegung hinreichende
Anwendungsfälle für die Regelung.
Allerdings hat sich der 8. Senat des LSG Niedersachen-Bremen trotz erheblicher Zweifel an der Verfassungskonformität von §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG mit beachtlichen Argumenten gegen die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung gewandt (Beschluss vom 9. Juli 2020
- L 8 AY 52/20 B ER -, juris Rn. 30): „Die Vorschriften stellen - in Abgrenzung zu einem Leben in einer Wohnung - auf eine
gemeinschaftliche Unterbringung ab, ohne dass sie eine gemeinschaftliche Haushaltsführung voraussetzen. Selbst bei Annahme
eines solch (ungeschriebenen) Tatbestandsmerkmals würde in diesen Fällen eine (direkte) Anwendung der Bedarfsstufe 1 nach
§
3a Abs.
1 Nr.
1, Abs.
2 Nr.
1 AsylbLG gleichwohl problematisch sein, weil die Betroffenen nicht - wie es die Normen aber voraussetzen - in einer Wohnung i.S. des
§ 8 Abs. 1 RBEG leben, sondern - nach wie vor - in einer Sammelunterkunft (hier Gemeinschaftsunterkunft). Mit dem seit 2017
geltenden RBEG hat sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Regelbedarfsstufen auch bewusst von der Anknüpfung an eine
eigene Haushaltsführung verabschiedet, weil in der Vergangenheit nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht worden sei,
dass es für die Bestimmung der maßgeblichen Regelbedarfsstufe auf die Tragung der haushaltsbezogenen Verbrauchsausgaben ankommen
solle (…). Nach der Gesetzesbegründung zu §
3a AsylbLG setzt der Gesetzgeber (…) auch nicht unbedingt tatsächliche Einspareffekte voraus, sondern nur die Möglichkeit, dass sie
„zumutbar“ zu erzielen sind. Die Untergebrachten treffe insoweit die „Obliegenheit, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen,
um miteinander in der Sammelunterkunft auszukommen (…).“
Diese Zweifel, ob die methodischen Grenzen der verfassungskonformen Auslegung überschritten werden, stellt der Senat im einstweiligen
Rechtsschutz jedoch zurück.
Zum einen wird in der Entwurfsbegründung im maßgeblichen Absatz auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen aus BVerfG, Beschluss
vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 – juris, Rn. 53 Bezug genommen (BT-Drs. 19/10052, S. 24). Insoweit bestehen bei einer Gesamtschau Zweifel daran, dass allein
wegen der Betonung der Obliegenheit, „alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um miteinander in der Sammelunterkunft
auszukommen“, dem Gesetzgeber unterstellt werden soll, er möchte damit Ausnahmslosigkeit im Sinne auch verfassungswidriger
Ergebnisse erzielen. Zum anderen geht zwar nicht der Gesetzgeber, jedoch die Bundesregierung als Entwurfsverfasser der Erwägungen,
die gegen eine verfassungskonforme Auslegung sprechen, aktuell von der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung aus
(BT-Drs. 19/20984, S. 4): „Vor dem Hintergrund der im Gesetzgebungsprozess nicht vorhersehbaren Pandemie-Situation vertritt
die Bundesregierung indes die Auffassung, dass in Ausnahmefällen eine teleologische Reduktion des §
3a Absatz
1 Nummer
2b sowie Absatz
2 Nummer
2b AsylbLG übergangsweise in Betracht kommen kann. Eine teleologische Reduktion der Norm mit der Folge der Anwendung der Bedarfsstufe
1 nach §§ 3a Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 2 Nummer 1
AsylbLG kommt dabei in Betracht, soweit unter Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles, insbesondere der spezifischen räumlichen
und organisatorischen Umstände in den einzelnen Sammelunterkünften, aus Gründen des Infektionsschutzes erforderliche Maßnahmen
ergriffen wurden, die die Möglichkeit eines gemeinsamen Wirtschaftens in erheblichem Umfang einschränken.“ Zwar ist diese
Meinungsäußerung der Bundesregierung nicht auslegungsleitend. Angesichts der Vielzahl gewichtiger Stimmen, die für eine verfassungskonforme
Auslegung sprechen und angesichts einer Verwaltungspraxis, die in einzelnen Landkreisen beginnt, wegen der COVID-19-Pandemie
der Stellungnahme der Bundesregierung entsprechend zu handeln, kann der Senat in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
die hinreichenden Erfolgsaussichten allein wegen methodischer Bedenken nicht verneinen. Vielmehr erscheint es durchaus möglich,
dass der Weg über die verfassungskonforme Auslegung sich trotz der methodischen Bedenken zur vorherrschenden Rechtsansicht
entwickeln wird.
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine verfassungskonforme Regelbedarfsbemessung nicht über §
6 Abs.
1 AsylbLG erfolgen kann. Nach Wortlaut und Systematik der Vorschrift ist die Gewährung wiederkehrender pauschalierter Geldleistungen
über diese Vorschrift ausgeschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 25. Oktober 2018 – B 7 AY 1/18 R –, juris Rn. 17).
(3) Die Voraussetzungen der verfassungskonform ausgelegten §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG sind nicht erfüllt (zur daraus folgenden Anspruchshöhe siehe unten cc)).
Nach seinen unwidersprochen gebliebenen, für den Senat nachvollziehbaren Ausführungen, lebt der Antragsteller in der Gemeinschaftsunterkunft
auf Distanz zu den übrigen sehr viel jüngeren Mitbewohnern. Er lebt in einem Einzelzimmer mit eigener Küchenzeile. Lediglich
das Bad teilt er sich mit einer vierköpfigen türkischen Familie mit zwei Kindern, die in dem Zimmer gegenüber leben. Mit der
Familie teilt er sich weder Hygieneartikel noch Nahrungsmittel oder anderes. Angesichts der Wohnsituation in der Gemeinschaftsunterkunft,
die durch jeweils eigene Küchenbereiche gekennzeichnet ist, liegt ein gemeinsames Kochen mit der benachbarten Familie auch
praktisch eher fern.
bb) §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG sind bei wortlautgetreuer Auslegung nach summarischer Prüfung nicht mit Art. 1 GRC, Art. 20 GRC i.V.m. Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 Aufnahme-RL zu vereinbaren (dazu bb)(1), (2)und (3)). Wegen des gleichzeitigen
Verstoßes gegen Unionsgrundrechte greift hier nicht lediglich die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, die den gleichen
Restzweifeln unterliegt wie die verfassungskonforme Auslegung. Vielmehr führt der Anwendungsvorrang von Art. 1 und Art. 20
GRC zur Nichtanwendung der unionsrechtswidrigen Ausnahmeregelungen der §
3a Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG und zur wohnsituationsunabhängigen Anwendung der Regelbedarfsstufen bei Alleinstehenden (dazu bb)(4)).
(1) Der Antragsteller unterfällt nach Art. 3 Abs. 1 Aufnahme-RL dem persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie. Der afghanische
Staatsangehörige hat am 7. August 2019 einen Asylantrag gestellt; mithin ist er ein Drittstaatsangehöriger, der im Hoheitsgebiet
eines Mitgliedstaats internationalen Schutz beantragt hat (zum Antrag auf internationalen Schutz i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Aufnahme-RL siehe § 13 Abs. 2 AsylG); er ist Inhaber einer Aufenthaltsgestattung, mithin darf er als Antragsteller im Hoheitsgebiet i.S.d. Art. 3 Abs. 1 letzter
Hs. Aufnahme-RL verbleiben.
(2) Nach summarischer Prüfung sind §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG nicht mit dem von Art. 1 GRC, Art. 20 GRC i.V.m. Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 Aufnahme-RL geforderten Leistungsniveau in Einklang zu bringen. Die Mitgliedstaaten
sorgen nach Art. 17 Abs. 2 Aufnahme-RL dafür, dass die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen einem angemessenen
Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern
gewährleistet; die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass dieser Lebensstandard gewährleistet ist, wenn es sich um schutzbedürftige
Personen im Sinne von Art. 21 Aufnahme-RL und um in Haft befindliche Personen handelt. Wenn die Mitgliedstaaten im Rahmen
der Aufnahme materielle Leistungen in Form von Geldleistungen oder Gutscheinen gewähren, bemisst sich deren Umfang nach Art.
17 Abs. 5 Aufnahme-RL auf Grundlage des Leistungsniveaus, das der betreffende Mitgliedstaat nach Maßgabe der einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften oder nach den Gepflogenheiten anwendet, um eigenen Staatsangehörigen einen angemessenen Lebensstandard
zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten können Antragstellern in dieser Hinsicht eine weniger günstige Behandlung im Vergleich
mit eigenen Staatsangehörigen zuteil werden lassen, insbesondere wenn materielle Unterstützung teilweise in Form von Sachleistungen
gewährt wird oder wenn das auf eigene Staatsangehörige anzuwendende Leistungsniveau darauf abzielt, einen Lebensstandard zu
gewährleisten, der über dem nach dieser Richtlinie für Antragsteller vorgeschriebenen Lebensstandard liegt (Art. 17 Abs. 5
Satz 2 Aufnahme-RL). Nach Art. 1 GRC ist die Würde des Menschen unantastbar; sie ist zu achten und zu schützen. Gemäß Art.
20 GRC sind alle Personen vor dem Gesetz gleich.
Den Mitgliedstaaten verbleibt nach Art. 17 Aufnahme-RL ein weiter Gestaltungsspielraum. Obwohl nach Erwägungsgrund Nr. 11
die Regelung auf die Herstellung vergleichbarer Lebensbedingungen von Asylantragstellern in allen Mitgliedstaaten abzielt,
schreibt die Norm kein europaweit einheitliches Leistungsniveau vor. Das Leistungsniveau richtet sich vielmehr nach dem, was
im jeweiligen nationalen Kontext als angemessen anzusehen ist (Hruschka, ZIAS 2020, 113 <117>). Es kommt auf die individuelle Bedarfsdeckung an (Peek/Tsourdi, in: Hailbronner/Thym, EU Immgration and Asylum Law,
2nd ed. 2016, Art. 17 Rn. 11), was auch der Hinweis auf die besondere Schutzbedürftigkeit in Art. 17 Abs. 2 2. Unterabsatz
Aufnahme-RL und die Bedarfsabhängigkeit nach Art. 17 Abs. 3 Aufnahme-RL nahelegen. Dabei hat der „angemessene Lebensstandard“
in Art. 17 Abs. 2 Aufnahme-RL als unionsautonom auszulegender Rechtsbegriff gleichwohl die Funktion, materielle Vorgaben für
die Bestimmung des Leistungsniveaus durch die Mitgliedstaaten zu machen, da die Vorschrift einen engen Bezug zum Schutz der
Menschenwürde aufweist. Dies zeigen die Erwägungsgründe Nr. 11, 18 und 25 der Aufnahme-RL, die explizit auf den menschenwürdigen
Lebensstandard rekurrieren, der zudem über die rein physische Existenzsicherung hinausgeht (Janda, in: Wollenschläger (Hrsg.),
Europäischer Freizügigkeitsraum, EnzEuR Bd. 10, 2. Aufl. 2021, § 25 Rn. 57 m.w.N.). In der Literatur herrscht Einigkeit dahingehend,
dass damit auch das materielle Minimum für soziale Interaktion und Selbstbestimmung in der Gemeinschaft mitumfasst ist (Peek/Tsourdi,
in: Hailbronner/Thym, EU Immgration and Asylum Law, 2nd ed. 2016, Art. 17 Rn. 12 m.w.N.; vgl. auch Janda, in: Wollenschläger
a.a.O., § 25 Rn. 57). Auch der Gerichtshof der Europäischen Union leitet wesentliche Elemente eines Anspruchs auf Sicherung
des angemessenen Lebensstandards aus der Menschenwürdegarantie her (vgl. auch EuGH, Urteil vom 12. November 2019 – Rs. C-233/18 – Haqbin, juris Rn. 46): Aus Nr. 11 der Erwägungsgründe, wonach u.a. Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern festgelegt
werden sollen, die diesen im Normalfall ein menschenwürdiges Leben ermöglichen, folgt, dass die Höhe der finanziellen Unterstützung
für ein menschenwürdiges Leben ausreichen muss (EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014, Rs. C-79/13 – Saciri, juris Rn. 39 f. zur Vorgängervorschrift). Zudem stehen die allgemeine Systematik, der Zweck der Aufnahme-RL und
das Gebot nach Art. 1 GRC, die Menschenwürde zu achten und zu schützen, dem entgegen, dass einem Asylbewerber, und sei es
auch nur vorübergehend, der mit den in dieser Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird (EuGH,
Urteil vom 27. Februar 2014, Rs. C-79/13 – Saciri, juris Rn. 35; vgl. Urteil vom 27. September 2012 – Cimade und GISTI –, juris Rn. 56, beide zur Vorläuferrichtlinie).
Der Senat sieht in Art. 17 Aufnahme-RL mithin eine Konkretisierung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums, der nicht nur auf der Basis des
Grundgesetzes, sondern auch im Unionsrecht seine Wurzel im grundrechtlichen Menschenwürdeschutz, nämlich in Art.
1 GRC, hat (zur Vergleichbarkeit: Janda, ZESAR 2014, 434 <437>). Aus der Menschenwürdefundierung des Anspruchs und aus dem
allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 20 GRC folgt bereits primärrechtlich das in Art. 17 Abs. 5 Aufnahme-RL niedergelegte Prinzip,
dass die mitgliedstaatliche Festlegung der bedarfsdeckenden Leistungshöhe zur Gewährleistung des „angemessenen Lebensstandards“
nicht ohne sachlichen Grund vom für Inländer gewährten Standard abweichen darf. Die „Gewährleistung“ des angemessenen Lebensstandards
enthält die Garantie, dass die Mitgliedstaaten einen solchen Lebensstandard dauerhaft und ohne Unterbrechung sicherstellen
müssen (EuGH, Urteil vom 12. November 2019 - Rs. C-233/18 – Haqbin, juris Rn. 50 zu Art. 20 Abs. 5 Aufnahme-RL), d.h. im Falle der Bedürftigkeit „müssen“ lückenlos die Art. 17 Abs.
5 Aufnahme-RL genügenden Leistungen gewährt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 – Rs. C-924/19 PPU und C-925/19 PPU – FMS u.a., juris Rn. 253 f.; Hruschka, in: Wollenschläger (Hrsg.), Europäischer Freizügigkeitsraum, EnzEuR Bd. 10, 2.
Aufl. 2021, § 25 Rn. 167).
Ähnlich wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –) ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Ausnahme von diesen Grundsätzen, nämlich eine
partielle Unterdeckung des angemessenen Lebensstandards, nur unter strengen Voraussetzungen mit Art. 1 GRC vereinbar, nämlich
nur soweit eine Unterdeckung sekundärrechtlich vorgesehen ist (z.B. die Sanktionen nach Art. 20 Aufnahme-RL) und das Verhältnismäßigkeitsprinzip
gewahrt wird (EuGH, Urteil vom 12. November 2019 - Rs. C 233/18 – Haqbin). Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprüfung markiert Art. 1 GRC nach der Rechtsprechung des EuGH eine absolute Untergrenze:
Auch bei der Verhängung einer Sanktion ist es mit Art. 1 GRC unvereinbar, wenn der Betroffene in eine Situation extremer materieller
Not gerät, die es ihm nicht erlaubt, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie etwa eine Unterkunft zu finden, sich
zu ernähren, zu kleiden und zu waschen, und die seine physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder ihn in einen
Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre und zugleich einen Verstoß gegen Art. 4 GRC darstellte
(vgl. EuGH, Urteil vom 12. November 2019 – Rs. C-233/18 – Haqbin, juris Rn. 46). Zu unterscheiden ist also – im Unterschied zu Art.
1 Abs.
1 i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG – der Menschenwürdeschutz als materielle Leitlinie zur Bestimmung des angemessenen Lebensstandards einerseits und der gleichsam
abwägungsfeste „Menschenwürdekern“, der auch durch eine Sanktion nicht betroffen werden darf (die Stufung diskutierend: Peek/Tsourdi,
in: Hailbronner/Thym, EU Immgration and Asylum Law, 2nd ed. 2016, Art. 17 Rn. 13 ff.). Daraus darf aber nicht der Fehlschluss
gezogen werden, dass der Bereich, der oberhalb dieser absoluten Untergrenze liegt, zur Disposition des nationalen Gesetzgebers
stünde, solange die Minderleistung nur verhältnismäßig sei. In Verbindung mit der „Gewährleistung“ nach Art. 17 Abs. 2 Aufnahme-RL
folgt aus dieser Dogmatik für den Senat vielmehr, dass zwischen einer bedarfsbezogenen Differenzierung, die insbesondere nach
Art. 17 Abs. 5 Aufnahme-RL sachlich gerechtfertigt sein muss, und einer Sanktion als echte Unterdeckung, die am Maßstab von
Art. 20 Aufnahme-RL einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung und der o.g. Untergrenze unterliegt, zu unterscheiden ist.
Da es vorliegend nicht um eine Sanktion geht, kann sich eine Rechtfertigung für die niedrigere Leistungshöhe allein aus den
Anforderungen aus Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 Aufnahme-RL i.V.m. Art. 1 und 20 GRC an eine generell-abstrakte Leistungsdifferenzierung
ergeben. Ausdrücklich genannte Rechtfertigungsgründe aus Art. 17 Abs. 5 Aufnahme-RL für einen gegenüber dem Leistungssystem
für Inländer niedrigeren Leistungssatz sind die Sachleistungserbringung sowie eine im mitgliedstaatlichen Grundsicherungssystem
angelegten Überschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums. Die in Art. 17 Abs. 5 Aufnahme-RL genannten Gründe für Abweichungen
sind aber nicht abschließend („insbesondere“). Wegen des auch im Unionsrecht angelegten Bedarfsdeckungsgrundsatzes hält der
Senat auch solche Differenzierungen für gerechtfertigt, die gerade die abweichende Bedarfssituation von Schutzsuchenden betreffen,
vergleichbar dem o.g., vom Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 132, 134 konkretisierten Maßstab. In Zusammenschau mit dem Erfordernis einer lückenlosen und bedarfsdeckenden „Gewährleistung“ des
angemessenen Lebensunterhalts sind aber auch nur solche Differenzierungen „nach unten“ gegenüber dem Leistungsniveau für Inländer
zu rechtfertigen, die in der individuellen Bedarfssituation der Antragstellerinnen und Antragsteller als um internationalen
Schutz nachsuchende Personen begründet sind.
(3) Gemessen an diesem Maßstab sind die Leistungshöhen der §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG nach summarischer Prüfung unionsrechtswidrig. Wie oben gezeigt, beruht die geringere Regelleistungshöhe von 90 Prozent gegenüber
in einer Wohnung lebenden Alleinstehenden nicht auf dem Unterschied zwischen Sach- und Geldleistungsgewährung i.S.d. Art.
17 Abs. 5 Aufnahme-RL. Sie betrifft ausnahmslos die Geldleistungsgewährung. Sie entstehen auch unabhängig von der Sachleistungsgewährung
in Gestalt der Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft (zu den bereits herausgerechneten weiteren Bedarfen siehe unten
cc). Wie ebenfalls bereits im Rahmen der verfassungsrechtlichen Würdigung geprüft, beruht die zehnprozentige Absenkung weder
auf der Kürzung einer über dem Existenzminimum liegenden Zielsetzung des Leistungssystems, denn das RBEG, das der Leistungshöhe
zugrunde liegt, dient gerade der Bemessung des menschenwürdigen Existenzminimums, noch ist sie durch die besondere Bedarfssituation
der Asylbewerberinnen und Asylbewerber gerechtfertigt. Selbst wenn man davon ausginge, dass insoweit jeder sachliche Grund
mit Bedarfsbezug ausreichte, so fehlte es an einem solchen, da der Gesetzgeber ohne empirische Grundlage sein eigenes Bemessungssystem
zur Bestimmung der Regelbedarfsstufen durchbrochen hat. Denn der Gesetzgeber fordert im Vergleich zu anderen Anwendungsfällen
der Regelbedarfsstufe 2 bzw. der Parallelregelungen in §
3a AsylbLG nicht das tatsächliche gemeinsame Wirtschaften als Voraussetzung. Zudem fehlt am Maßstab von Art. 20 GRC, der auch Gleichheit gegenüber dem Gesetzgeber garantiert, der sachliche Grund für eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
mit anderen alleinstehenden Antragstellerinnen und Antragstellern, denn es ist nicht nachvollziehbar, warum in einer Gemeinschaftsunterkunft
lebende alleinstehende, um internationalen Schutz suchende Personen niedrigere Leistungen erhalten als in einer Wohngemeinschaft
lebende, alleinstehende Personen in der gleichen Situation.
(4) In der Rechtsfolge ist der Senat verpflichtet, die Normen, die gegenüber Regelbedarfsstufe 1 (bzw. deren Äquivalent in
§
3a AsylbLG) zu einer Absenkung führen, unangewendet zu lassen.
Zwar handelt es sich bei Art. 17 Aufnahme-RL bei isolierter Betrachtung um einen von den mitgliedstaatlichen Gerichten nicht
unmittelbar anwendbaren Gesetzgebungsauftrag. Diese isolierte Betrachtung hätte zur Folge, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte
nach vorherrschender Ansicht spätestens nach Ablauf der Umsetzungsfrist nur die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung
hätten. Wäre eine solche nach dem mitgliedstaatlichen Methodenstandard nicht möglich, so käme eine Nichtanwendung einer nationalen
Rechtsvorschrift im Wege des Anwendungsvorrangs nicht in Betracht, vielmehr wäre die betreffende Person auf Schadensersatz
wegen Nichtumsetzung der Richtlinie zu verweisen (vgl. zum Ganzen und zum Meinungsstand: Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV,
3. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV Rn. 108; Calliess/Kahl/Puttler, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 4 EUV Rn. 96-100, eine Verwerfungsbefugnis des mitgliedstaatlichen Gerichts unabhängig von der unmittelbaren Anwendbarkeit befürwortend).
Indes wurde oben gezeigt, dass Art. 17 Aufnahme-RL im Wesentlichen nur Art. 1 GRC und Art. 20 GRC konkretisiert. Die Chartagrundrechte
aus Art. 1 und Art. 20 GRC sind unmittelbar einklagbare subjektive Rechte (zu Art. 1 Jarass, GRC, 4. Aufl. 2021, Art. 1 Rn.
2 und Art. 20 Rn. 2, jeweils m.w.N.). Sie sind vorliegend für den Senat als mitgliedstaatliches Gericht bindend anzuwenden,
da es sich bei der Frage, ob §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG dem Gesetzgebungsauftrag aus Art. 17 Aufnahme-RL genügen, um eine Frage der „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 letzter Hs.
GRC handelt. Die aus den Chartagrundrechten hergeleiteten subjektivrechtlichen Rechtssätze sind mit Anwendungsvorrang bei
der Rechtsanwendung durch die mitgliedstaatlichen Gerichte ausgestattet; es besteht die Rechtspflicht zur Beachtung des Anwendungsvorrangs
durch die mitgliedstaatlichen Gerichte (vgl. Art. 4 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union – EUV). Dies gilt auch dann, wenn die Anwendung der Grundrechte der GRC nach Art. 51 GRC gerade durch eine nicht unmittelbar anwendbare
Richtlinienvorschrift begründet wird (so zum Parallelproblem fehlender unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie im horizontalen
Verhältnis und Art. 21 GRC: EuGH, Urteil vom 19. Januar 2010, Rs. C-555/07 – Kücükdevici, Slg.2010, I-365, zitiert nach juris Rn. 21 ff., 53; vgl. bereits Urteil vom 22. November 2005, Rs. C-144/04 – Mangoldt, Slg. 2005, I-9981, zit. nach juris Rn. 76-77). Entsprechendes gilt für den Fall der methodisch nicht möglichen
richtlinienkonformen Auslegung, nämlich der Anwendungsvorrang des den entsprechenden Rechtssatz enthaltenden Unionsgrundrechts
(vgl. ausf. EuGH, Urteil vom 17. April 2018, Rs. C-414/16 – Egenberger, juris, Rn. 75 bis 81).
Rechtsfolge des Anwendungsvorrangs ist die Nichtanwendung des die Unionsrechtswidrigkeit begründenden Tatbestandsmerkmals
oder der Teilnorm. Da es sich nach der Systematik des
AsylbLG – wie insbesondere die Binnensystematik des §
2 AsylbLG und das grundsicherungsrechtliche System der Regelbedarfsbemessung zeigen – bei §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG um Ausnahmevorschriften handelt, ist der Antragsteller so zu stellen, dass auf ihn die Vorschriften über Alleinstehende Anwendung
finden, die nicht in Gemeinschaftsunterkünften wohnen.
cc) Da entweder die Voraussetzungen der verfassungskonform ausgelegten §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 b)
AsylbLG und §
2 Abs.
1 Satz 4 Nr.
1 AsylbLG nicht erfüllt sind oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts der Antragsteller so gestellt werden muss wie Alleinstehende,
die nicht in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, bemisst sich die Leistungshöhe nach §
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 a)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 a)
AsylbLG bzw. §
2 Abs.
1 Satz 1, Abs.
2 AsylbLG.
Für den Zeitraum bis einschließlich 11. November 2020 führt dies zu einem um 35 € (Oktober 2020) und 12,73 € (§
3a Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 a)
AsylbLG, §
3a Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 a)
AsylbLG, anteilig für November 2020) höheren Anspruch (vgl. die obige Tabelle).
Für den Zeitraum vom 12. November 2020 bis 31. Dezember 2020 ist der Anspruch aus §
2 AsylbLG wie folgt zu berechnen, wobei die nachfolgende Berechnung eine Bindungswirkung nur für dieses Eilverfahren beansprucht: Auszugehen
ist von Regelbedarfsstufe 1 i.H.v. 432 € abzüglich zumindest faktischer Sachleistungsgewährung der Abteilung 4 EVS i.H.v.
35,01 €, grundsätzlich abzüglich etwaiger weiterer Sachleistungsgewährungen nach §
2 Abs.
2 AsylbLG. Insoweit geht der Senat davon aus, dass beim Antragsteller die Bedarfe der Abteilung 4 EVS (Wohnen, Energie und Haushaltsinstandhaltung)
vollständig als Sachleistung gedeckt wurden und auch gedeckt werden. Insoweit wirkt sich die Unbestimmtheit und Unvollständigkeit
der Leistungsgewährung im Bescheid vom 14. Januar 2021 (dazu gleich), der nur Abzüge ausweist, aber keine entsprechende Sachleistungsgewährung
enthält, jedenfalls am Maßstab eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht aus. Der Senat konnte davon ausgehen,
dass dieser Bedarf vollständig faktisch gedeckt ist und auch weiterhin vollständig gedeckt wird. Etwas Anderes gilt für die
Rechnungsposition mit der Bezeichnung „abzgl. Kürzung: sonstige Gründe (in Notiz vermerken!)“ i.H.v. 24,44 €. Beabsichtigt
ein Leistungsträger, Leistungen nach §
2 AsylbLG auf der Grundlage von §
2 Abs.
2 AsylbLG teilweise als Sachleistung zu gewähren, so ist durch einen Verfügungssatz zu bestimmen, welche Leistungen konkret in Form
der Sachleistung gewährt werden, wenn gleichzeitig ein entsprechender Betrag von der Geldleistungsbewilligung im Übrigen abgezogen
werden soll. Trotz Anfrage des Senats hat sich der Antragsgegner nicht dazu geäußert, welche Regelung mit „abzgl. Kürzung:
sonstige Gründe (in Notiz vermerken!)“ gemeint sein soll. Sollte es sich um den Abzug der Abteilung 5 EVS handeln (Innenausstattung,
Haushaltsgeräte, laufende Haushaltsführung), die von Schwabe, ZfF 2020, 1<3> in kürzungsorientierten Fallkonstellationen mit
24,34 € (§
5 RBEG 2017) beziffert wird, was angesichts der von §
3a Abs.
2 AsylbLG vorausgesetzten Sachleistungsgewährung von Hausrat naheliegt, so fehlt hier eine entsprechende Sachleistungsbewilligung.
Der Akte kann allein eine einmalige Geldleistungsgewährung mit Bescheid vom 2. März 2020 für die Anschaffung von Geschirr
i.H.v. 29,41 € entnommen werden, die ersichtlich nicht die vom Anspruch nach §
2 AsylbLG ab November 2020 zu deckenden Bedarfe betrifft. Anders als bei den Bedarfen der Abteilung 4 kann auch hier nicht unterstellt
werden, dass der Bedarf vollständig gedeckt ist, denn der möglicherweise vom Antragsteller genutzte Hausrat macht nur einen
Teil der von der Abteilung 5 erfassten Bedarfe aus. Da es an einer Sachleistungsbewilligung im Bescheid fehlt und der Antragsgegner
sich hierzu nicht geäußert hat, kann nach dem hier anzuwendenden §
2 Abs.
2 AsylbLG auch nicht von einer entsprechenden Leistungsbestimmung in Richtung einer Sachleistung ausgegangen werden; mithin sind Geldleistungen
zu gewähren bzw. kein weiterer Abzug vorzunehmen. Nach alledem hat der Antragsteller auf der Grundlage von §
2 AsylbLG für 2020 einen Leistungsanspruch i.H.v. 396,99 € monatlich glaubhaft gemacht (432 € - 35,01 €).
Für dem Zeitraum 12. bis 30. November 2020 steht dem Anspruch von 251,43 € (19/30 von 396,99 €) eine Bewilligung von 211,18
€ gegenüber, mithin kann der Antragsteller Zahlung weiterer 40,25 € verlangen. Im Dezember 2020 ist der Anspruch i.H.v. 396,99
€ um 63,55 € höher als die gewährten Leistungen.
Entsprechendes gilt für den Zeitraum ab 1. Januar 2021, wobei sich der Senat für dieses Jahr wegen der gesetzlichen Neufestsetzung
allein an § 5 RBEG 2021 orientiert. Die Regelleistung i.H.v. 446 € war mithin nur um 36,87 € wegen der Sachleistungsgewährung
insbesondere für Haushaltsenergie u.a. zu kürzen. Der Anspruch i.H.v. 409,13 € ist damit um 64,17 € höher als die für Januar
2020 gewährten Leistungen i.H.v. 344,96 €.
b) Angesichts der Differenz der gewährten Leistungen zu den glaubhaft gemachten Anordnungsansprüchen in Höhe von zuletzt monatlich
64,17 € kann der Anordnungsgrund nicht verneint werden. Die Differenz zum Anordnungsanspruch liegt aktuell bei 14,4 Prozent
der Regelleistung und dies für einen unbestimmten Zeitraum. Zwar mag im Einzelfall auch ein höherer prozentualer Fehlbetrag
am Maßstab von Art.
19 Abs.
4 GG trotz des Gewichts der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums nach Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG hinnehmbar erscheinen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2020 – 1 BvR 1106/20 –, juris), wenn es beispielsweise um eine Einmalleistung oder geringfügige Beträge geht, deren Nichtzahlung keinen wesentlichen
Nachteil besorgen lässt; eine dauerhafte Unterdeckung von 14,4 Prozent ist aber nicht hinzunehmen.
c) Da keine besonderen Umstände ersichtlich sind und der Antragsgegner entgegen seinem Vortrag nach wie vor monatsweise Leistungen
bewilligt, befristet der Senat die einstweilige Anordnung auf den Ablauf des 31. Mai 2021, dem Ende des auf die Entscheidung
folgenden Monats. Der Senat geht davon aus, dass bei unveränderter Sachlage der Antragsgegner die hier tenorierten Leistungen
auch darüber hinaus weiter gewährt. Ebenso wie der Senat ist auch der Antragsgegner nach allgemeinen Grundsätzen (Art. 4 Abs. 3 EUV) verpflichtet, den Anwendungsvorrang des Unionsrechts zu beachten. Ungeachtet dessen wird darauf hingewiesen, dass zumindest
ein anderer hessischer Landkreis pandemiebedingt eine verfassungskonforme Auslegung der streitentscheidenden Vorschriften
praktiziert.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 SGG. Dabei berücksichtigte der Senat, dass der Antragsteller mit seinem Kernanliegen vollständig obsiegt hat. Soweit sein Antrag
bezüglich eines weiteren Abzugs im Bescheid vom 14. Januar 2021 im Ergebnis nicht vollständig erfolgreich war, waren der Antragsgegner
gleichwohl zur Kostenerstattung zu verpflichten, da er durch seine auch für Rechtskundige unverständlichen Formulierungen
zur Antragstellung Anlass gegeben hat.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.