Besorgnis der Befangenheit im sozialgerichtlichen Verfahren, frühere Strafanzeige durch den Richter gegen den Verfahrensbeteiligten
Gründe:
I. Der 1948 geborene Antragsteller (ASt.) begehrt mit seinem am 29. April 2008 beim Sozialgericht (SG) F. gestellten Eilantrag die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin (Ag.), ihn einer anderen Agentur für Arbeit (AA)
als derjenigen in F. zuzuweisen und die damit verbundenen Fahrt- und Telefonkosten zu übernehmen. Er fühle sich von der örtlichen
AA, bei der er bis zum 15. Januar 2009 mit einem Hausverbot belegt ist, in verschiedenster Weise "gemobbt".
Der nach dem Geschäftsverteilungsplan des SG für die Entscheidung des Verfahrens zuständige Richter am Sozialgericht E. machte daraufhin mit Schreiben an das Landessozialgericht
(LSG) vom 29. April 2008 - wie in früheren Verfahren des ASt. zuvor auch - Anzeige darüber, dass seine Ablehnung als Richter
in diesem Verfahren gerechtfertigt sein könnte: Der ASt. ist auf Strafanzeige des genannten Richters mit rechtskräftigem Strafbefehl
des Amtsgerichts F. vom 30. März 2000 wegen Beleidigung und übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt
worden. Diese jetzt acht Jahre zurückliegende Verurteilung könne möglicherweise geeignet sein, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit
als Richter zu rechtfertigen.
Das LSG hat die "Selbstablehnung" des Richters wegen des dargestellten Hintergrundes in früheren Verfahren (zuletzt u.a. Beschl.
v. 18.12.2002 - L 15 B 45/02 AL) als begründet angesehen.
Der ASt. und die Ag. haben zu der gegenwärtigen "Selbstanzeige" des Richters keine Stellungnahme abgegeben.
II. Der Senat hatte auf die Anzeige des Richters am Sozialgericht E. auch ohne Ablehungsgesuch eines der Beteiligten durch
Beschluss zu entscheiden (§
60 Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §
48 Zivilprozessordnung (
ZPO)). Ein Grund, der die Ablehnung des anzeigenden Richters wegen Besorgnis der Befangenheit (gegenwärtig noch) rechtfertigen
würde, liegt jedoch nicht (mehr) vor.
Gemäß §
60 Abs.
1 Satz 1
SGG gilt für die Ablehnung eines Richters §
42 ZPO entsprechend. Danach kann eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gerechtfertigt sein, wenn ein Grund vorliegt, der
geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§
42 Abs.
2 ZPO). Eine Besorgnis der Befangenheit liegt jedoch nur vor, wenn ein objektiv vernünftiger Grund gegeben ist, der den am Verfahren
Beteiligten auch von seinem Standpunkt aus befürchten lassen kann, der Richter werde nicht unparteiisch und sachlich entscheiden.
Eine rein subjektive, unvernünftige Vorstellung des Beteiligten ist daher ebenso unerheblich wie die Frage, ob der Richter
sich selbst für befangen hält oder nicht (vgl. u.a. Hüßtege, in: Thomas/Putzo,
ZPO, 28. Aufl., §
42 Rn. 9 bzw. §
48 Rn. 1, jew. m.w.N.).
Gemessen daran sind keine Gründe (mehr) ersichtlich, die eine Besorgnis der Befangenheit des Richters am Sozialgericht E.
in dem zu entscheidenden Verfahren als begründet erscheinen lassen würden. Dabei kann es der Senat dahingestellt sein lassen,
ob und unter welchen Voraussetzungen eine Strafanzeige des erkennenden Richters gegen einen Verfahrensbeteiligten überhaupt
Anlass zu einer Besorgnis der Befangenheit des Richters geben kann (dies ablehnend u.a. OLG Naumburg, Beschl. v. 2.6.2005
- 10 W 26/05; OLG Koblenz, Beschl. v. 4.9.2002 - 9 WF 606/02 = MDR 2003, 524; OLG Zweibrücken, Beschl v. 10.3.2000 - 3 W 46/00). Ebensowenig wie ein Verfahrensbeteiligter einen ihm unbequemen Richter durch Beleidigungen und/oder Strafanzeigen ausschalten
kann (st. Rspr., vgl. u.a. OLG Dresden, Beschl. v. 8.8.2001 - 10 Abl 19/01 = FamRZ 2002, 830; OLG Zweibrücken, aaO.) begründet auch die Strafanzeige eines Richters gegen einen Verfahrensbeteiligten nicht ohne Weiteres
dessen ("Selbst ")Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Das Verfassungsprinzip des gesetzlichen Richters (Art.
101 Abs.
1 Satz 2
GG) soll so vor möglichen Manipulationen geschützt werden (vgl. erneut OLG Zweibrücken, aaO.).
Im vorliegenden Fall rechtfertigt jedenfalls der inzwischen eingetretene Zeitablauf (nunmehr) eine andere Beurteilung als
in den früheren Beschlüssen: Seit der Strafanzeige des Richters und der entsprechenden Verurteilung des ASt. durch das Amtsgericht
F. sind mehr als acht Jahre vergangen. Weitere "einschlägige" Vorkommnisse sind weder vom ASt. noch von dem Richter für die
Zwischenzeit angezeigt worden und auch für den Senat nicht ersichtlich. Bereits die Rechtsordnung selbst misst aber dem seit
der Begehung einer Straftat bzw. ihrer Aburteilung eingetretenen Zeitablauf auf verschiedenste Weise z.T. erhebliche, die
Straftat in gewissem Umfang "relativierende" Bedeutung bei (vgl. u.a. §
78 Abs.
3 Nr.
5 StGB, § 46 Abs. 1 Nr. 1a BZRG). Es erscheint daher sachgerecht, den Zeitablauf - ohne Bindung an bestimmte feste Fristen - auch bei der Beurteilung möglicher
Befangenheitsgründe zu berücksichtigen, die aus einer früheren strafrechtlichen "Auseinandersetzung" "zwischen" einem Verfahrensbeteiligten
und dem erkennenden Richter resultieren könnten. So, wie die Rechtsstellung und das Amt des Richters grundsätzlich voraussetzen
mögen, dass er mit gegen ihn gerichteten beleidigenden Äußerungen in gewissem Maße umzugehen vermag und nicht allein dadurch
seine Unparteilichkeit gegenüber dem betreffenden Verfahrensbeteiligten einbüßt (so LSG Sachsen, Beschl. v. 6.2.2003 - L 3 AR 123/02 AL), kann auch von dem Verfahrensbeteilligten erwartet werden, dass er mit zunehmendem Abstand zu einer (im Übrigen von ihm
nicht angegriffenen) strafgerichtlichen Verurteilung etwaige Zweifel gegen die Unparteilichkeit des ihn seinerzeit anzeigenden
Richters überwindet, sofern nicht besondere Umstände hinzutreten. (Jedenfalls) acht Jahre nach der Verurteilung zu einer -
geringfügigen - Geldstrafe sind daher bei objektiver Betrachtung keine Gründe (mehr) ersichtlich, die allein deshalb eine
(weitere) Besorgnis der Befangenheit des Richters begründen würden.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass auch keine Gründe für einen Ausschluss des Richters von der Ausübung des Richteramtes
gem. §
60 Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
41 ZPO ersichtlich sind.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, §
177 SGG.