Anspruch auf Arbeitslosengeld; vorläufige Versagung von Arbeitslosengeld bei nicht geklärter Sperrzeit
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um die Übernahme notwendiger außergerichtlicher Kosten nach Erledigung des erstinstanzlichen Klageverfahrens.
Der 1961 geborene Kläger stand zuletzt in einem Beschäftigungsverhältnis als Kraftfahrer. Gegen die mit Schreiben vom 27.
September 2002 ausgesprochene ordentliche Kündung und gegen die am 25. Oktober 2002 ausgesprochene außerordentliche Kündigung
des Arbeitgebers waren Rechtsstreite vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Bremen anhängig.
Auf den noch im Oktober 2002 gestellten Antrag des Klägers bewilligte die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 30. April 2003 Arbeitslosengeld
(Alg) für die Zeit ab dem 12. April 2003 für die Dauer von 192 Kalendertagen. Den Leistungsbeginn und die Anspruchsdauer setzte
die Beklagte vorläufig fest, ohne Gründe für diese Einschränkung zu nennen.
Der Kläger erhob Widerspruch und trug vor, sich bereits am 28. Oktober 2002 arbeitslos gemeldet und Anspruch auf Alg für ca.
600 Kalendertage zu haben. Die Beklagte erließ daraufhin den Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 2003. Sie wies den Widerspruch
als sachlich nicht begründet zurück. Gemäß §
328 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III) könne über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch (nur)
mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorlägen, notwendige Ermittlungen noch längere Zeit in Anspruch nähmen und wenn der
Arbeitsuchende die einer sofortigen Entscheidung entgegenstehenden Umstände nicht zu vertreten habe. Hier habe das Ergebnis
der beim ArbG Bremen anhängigen Kündigungsschutzklage unmittelbar Einfluss auf die Berechtigung einer möglichen Sperrzeitanordnung.
Dasselbe gelte für die Frage, ob dem Kläger ein wichtiger Grund zur Seite gestanden habe, ein ihm am 11. November 2002 unterbreitetes
Angebot nicht verfolgt zu haben, als Berufskraftfahrer bei der Firma F. zu arbeiten. Erst wenn das Ergebnis des Kündigungsschutzprozesses
und das Ergebnis des zu den gesundheitlichen Problemen eingeschalteten Ärztlichen Dienstes vorlägen, werde endgültig bestimmt,
ob Sperrzeiten eingetreten seien.
Dagegen hat der Kläger am 21. Juli 2003 Klage zum Sozialgericht (SG) Bremen erhoben. Er hat vorgetragen, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den Beginn der Alg-Zahlungen unter einen
Vorbehalt zu stellen. Er hat sich auf den zwischenzeitlich am 27. Juni 2003 vor dem ArbG Bremen protokollierten Vergleich
bezogen, in dem es u. a. heißt, das Arbeitsverhältnis habe aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung aus krankheitsbedingten
Gründen mit Ablauf des 30. November 2002 geendet. Des weiteren hat sich der Kläger auf einen Schriftsatz vom 5. März 2003
bezogen, in dem er der Arbeitsverwaltung seine gesundheitliche Situation geschildert hatte.
Die Beklagte hat im Verlaufe des SG-Verfahrens unter dem 28. Juli 2003 vier weitere Bescheide erlassen: - Bescheid über den Eintritt einer Sperrzeit vom 20.
November 2002 bis zum 11. Februar 2003 wegen Nichtvorstellung einer am 14. November 2002 angebotenen Beschäftigung als Berufskraftfahrer
bei der Firma G., - Mitteilung über das Bestehen eines Erstattungsanspruchs für drei Teilzeiträume zwischen dem 12. Februar
und dem 31. Mai 2003 wegen parallel gewährter Hilfe zum Lebensunterhalt, - Bewilligung von Alg für die Zeit vom 12. Februar
2003 für 270 Tage und - Aufhebung der Bewilligung des Alg mit Wirkung ab dem 13. Februar 2003 wegen des Umstandes, dass der
Kläger unter der von ihm genannten Anschrift nicht erreichbar gewesen sei.
Mit ihrem Bescheid vom 29. September 2003 half die Beklagte den Widersprüchen des Klägers gegen die Anordnung der Sperrzeit
vom 20. November 2002 bis zum 11. Februar 2003 und der Festlegung des Beginns der Zahlung des Alg ab 12. Februar 2003 mit
einer Anspruchsdauer von lediglich 270 Tagen ab und erklärte gleichzeitig, die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten
auf Antrag zu erstatten (zu der nicht den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Aufhebung des Alg wegen Nichterreichbarkeit
war zwischenzeitlich der Widerspruchsbescheid vom 25. August 2003 ergangen).
Mit seinem Schriftsatz vom 5. Dezember 2003 hat der Kläger die Hauptsache für erledigt erklärt.
Den Antrag des Klägers, nach Erledigung der Hauptsache der Beklagten seine notwendigen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen,
hat das SG durch den Beschluss vom 16. Juli 2007 abgelehnt. Das SG hat ausgeführt, die Beklagte habe am 30. April 2003 bzw. am 2. Juli 2003 zu Recht noch nicht endgültig entschieden. Dem Kläger
sei zuzumuten gewesen, den Ausgang des arbeitsgerichtlichen Verfahrens sowie das Ergebnis der medizinischen Ermittlungen abzuwarten,
bevor er gerichtliche Hilfe in Anspruch nahm.
Gegen den ihm am 18. Juli 2007 zugestellten Beschluss richtet sich der Kläger mit seiner am 20. August 2007, einem Montag,
eingegangenen Beschwerde. Zu deren Begründung trägt er vor, die Beklagte habe weder im Verwaltungs- noch im Widerspruchsverfahren
von sich aus und in angemessener Zeit darauf hingewirkt, die für die Aufhebung der Sperrzeittatbestände bedeutsamen Sachverhaltselemente
aufzuklären. Er, der Kläger, sei infolge der schleppenden Bearbeitung in eine tiefe persönliche Krise gestürzt worden. Das
SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II. Die Beschwerde ist zulässig. Da das SG ihr nicht abgeholfen hat, ist nunmehr der Senat aufgerufen, über sie im Wege des Beschlusses zu entscheiden (§
176 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Die am 1. April 2008 in Kraft getretene Regelung, wonach Beschwerden gegen Kostengrundentscheidungen ausgeschlossen sind,
§
172 Abs.
3 Nr.
3 SGG i.d.F des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S.444),
ist auf den Fall des Klägers noch nicht anzuwenden. Maßgeblich ist, dass seine Beschwerde vor dem Inkrafttreten eingegangen
ist.
Die Beschwerde des Klägers ist auch begründet.
Nach §
193 Abs.
1 Satz 3
SGG hat das Gericht auf Antrag über die Kosten zu entscheiden, wenn das Verfahren wie hier auf andere Weise als durch Urteil
beendet worden ist. Diese Kostengrundentscheidung trifft das SG nach pflichtgemäßem Ermessen. Maßgeblich sind bei der Kostenentscheidung der mutmaßliche Verfahrensausgang (Erfolgsprinzip)
zu berücksichtigen und als Korrektiv nach Billigkeitsgesichtspunkten im Einzelfall der Grundsatz, dass derjenige die Kosten
zu tragen hat, der zurechenbar die Führung bzw. Fortführung des Rechtsstreits veranlasst hat (Veranlassungsprinzip; vgl. Bundessozialgericht
- BSG - SozR 3-1500 §
193 SGG Nr. 2).
Die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten - vollständig und ohne Begrenzung auf
die Führung des Widerspruchsverfahrens - zu erstatten, folgt aus dem Umstand, dass der Beklagten für die hier getroffene Vorläufigkeitsentscheidung
keine gesetzliche Grundlage zur Verfügung steht. Weder §
328 SGB III noch, wenn überhaupt daneben anwendbar, §
42 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (
SGB I) kommen in Betracht.
Die Beklagte konnte die vorläufige Entscheidung nicht auf die Grundlage des §
328 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB III stützen. Danach kann über die Erbringung von Geldleistungen u. a. dann vorläufig entschieden werden, wenn zur Feststellung
der Voraussetzungen des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die
Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und der Arbeitnehmer die Umstände, die einer
sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat. Bei den in Rede stehenden Entscheidungen der
Beklagten, nämlich der Anordnung des Ruhens des Alg-Anspruchs für einen Teilzeitraum und der Begrenzung der Anspruchsdauer,
geht es aber gerade nicht um die "Erbringung einer Geldleistung" und nicht darum, dass die Voraussetzungen für den Anspruch
"mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen". Vielmehr ist gerade das Gegenteil der Fall, weil dem Kläger das Alg für
einen Teil des ohne den Sperrzeittatbestand möglichen Anspruchszeitraums versagt und zur Grundlage gemacht wird, dass der
Anspruch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegt. Wie erwähnt kann aber als Rechtsfolge im Anwendungsbereich des
§
328 Abs.
1 Nr.
3 SGB III (nicht abgeschlossene Ermittlungen) schon vom Wortlaut "Erbringung" her nur eine positive Entscheidung in Betracht kommen
(so allein auf diese Alternative bezogen Pilz in: Gagel, Kommentar zum
SGB III - Arbeitsförderung -, §
328 Rnr. 10; ebenso, aber ohne Differenzierung für alle drei Alternativen Schmidt-De Caluwe, Vorläufige Verwaltungsakte im Arbeitsförderungsrecht
in: NZS 2001, 240, 243; dem folgend Niesel, Kommentar zum
SGB III - Sozialgesetzbuch/Arbeitsförderung -, 3. Aufl., §
328 Rnr. 4), während in den Fällen der unsicheren Rechtslage (Nrn. 1 und 2 des Absatzes 1) aus Gründen der Verfahrenserleichterung
auch vorläufige negative Entscheidungen in Erwägung gezogen werden können (so ausdrücklich Pilz aaO.).
Die von der Beklagten angeordnete Rechtsfolge, also das Ruhen des Anspruchs auf Alg nebst Minderung der Anspruchsdauer, kann
nicht mit der Erwägung begründet werden, die Sperrzeitanordnung sei als lediglich unselbständiger Teil der Alg-Bewilligung
mit der Folge anzusehen, dass dann für die insgesamt positive Entscheidung die Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des §
328 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB III "mit hinreichender Wahrscheinlichkeit" vorlägen. Denn soweit für den Sperrzeitzeitraum das Alg (vorläufig) nicht gewährt
und die Anspruchsdauer gekürzt wird, handelt es sich um eine negative (belastende) Entscheidung, die einer vorläufigen Regelung
gemäß §
328 Abs.
1 SGB III nicht zugänglich ist.
Es brauchte nicht entschieden zu werden, ob die als weitere Rechtsgrundlage der Entscheidung der Beklagten in Betracht zu
ziehende Vorschrift des §
42 SGB I überhaupt neben §
328 SGB III anwendbar ist oder aber von §
328 SGB III wegen dessen Spezialität verdrängt wird. Denn auf §
42 Abs.
1 Satz 1
SGB I kann die Beklagte ihre vorläufige Entscheidung ohnehin nicht stützen. Nach der genannten Vorschrift ist der zuständige Leistungsträger
berechtigt, Vorschüsse zu zahlen, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und lediglich zur Feststellung
seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Geht es wie im vorliegenden Fall um einen Zeitabschnitt des Ruhens
wegen eines Sperrzeittatbestandes, so geht es um den Grund des Anspruchs und nicht um dessen Höhe (anders z. B. bei unklarer
Höhe einer Einkommensanrechnung; feststehen muss der Anspruch auf einen Minimalbetrag - "logische Mark", vgl. Wagner in: juris
PK-
SGB I, §
42 Rnr. 19). Da Sperrzeittatbestände den Anspruch auf einen Zahlbetrag entfallen lassen und lediglich das Stammrecht erhalten
bleibt (vgl. wiederum Niesel aaO. § 144 Rnr. 112), kann allenfalls noch daran gedacht werden, §
42 SGB I analog auf Fälle der Unsicherheit über den Grund des Anspruchs anzuwenden. Selbst wenn man dieser Auffassung folgt (vgl.
Wagner aaO. Rnr. 22 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG in einem Ausnahmefall: Urteil vom 12. Mai 1992, Az. 2 RU 7/92), kann §
42 SGB I die Handhabung der Beklagten nicht stützen. Denn, wie bereits zu §
328 SGB III ausgeführt worden ist, ist auch hier lediglich die Rechtsfolge vorgesehen, Leistungen zu erbringen, nicht aber, Leistungen
(anteilig) zu versagen.
Von vornherein nicht in Betracht kam es, §
331 SGB III als Rechtsgrundlage für die Vorläufigkeitsentscheidung heranzuziehen. Denn während es im vorliegenden Fall um die Änderung
bzw. den Erlass eines Bescheides geht, bezieht sich §
331 SGB III nur auf das schlicht hoheitliche Handeln in Gestalt eines Auszahlungsvorganges.
Da nach alledem der Kläger in der Sache voraussichtlich Erfolg gehabt hätte und veranlasst war, am 29. Oktober 2007 Klage
zu erheben, hat die Beklagte seine Aufwendungen insgesamt zu erstatten.
Die Kosten für das Beschwerdeverfahren hat die Beklagte in entsprechender Anwendung des §
193 SGG zu tragen.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).