Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Krankengeldanspruch des Klägers anlässlich eines Wechsels der festgestellten Arbeitsunfähigkeitsdiagnose
erhalten geblieben ist.
Der damals 58-jährige Kläger war als Beschäftigter krankenversichert, seit dem 23. April 2018 unter der Diagnose S 69.9 L
G - nicht näher bezeichnete Verletzung des Handgelenkes und der Hand links - arbeitsunfähig erkrankt und mit Ablauf des April
2018 ohne Beschäftigung. Seit dem 1. Mai 2018 bezog er von der Beklagten Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 46,49 EUR
brutto (Bescheid vom 7. Mai 2018). Die Arbeitsunfähigkeit dauerte nach der Bescheinigung der Allgemeinmedizinerin L. bis zum
27. Mai 2018 an. Eine Anfrage der Beklagten vom 17. Mai 2018 beantwortete Frau L., sie erwarte Arbeitsfähigkeit ab 28. Mai
2018.
Am Montag, dem 28. Mai 2018 stellte der Orthopäde und Chirurg S. Arbeitsunfähigkeit von diesem Tag an bis zum 8. Juni 2018
wegen der Diagnose M 51.2 G - sonstige nicht näher bezeichnete Bandscheibenschäden - fest.
Mit einem formlosen Schreiben vom 21. Juni 2018 unter der Überschrift "Ihre Arbeitsunfähigkeit" teilte die Beklagte dem Kläger
mit, für die Arbeitsunfähigkeit ab 28. Mai 2018 habe die Bundesagentur für Arbeit sechs Wochen Leistungsfortzahlung zu gewähren.
Für die zu diesem Zeitpunkt neu eingetretene Arbeitsunfähigkeit "läge kein Versicherungsverhältnis mit Krankengeldanspruch"
mehr vor. "Es bestünde folglich kein Anspruch auf Krankengeld."
Dagegen wandte sich der Kläger noch im gleichen Monat mit seinem Widerspruch, wonach es sich um eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit
gehandelt habe.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2018 bezeichnete die Beklagte selbst das vorangegangene Schreiben als Bescheid. Sie erläuterte
ihre Auffassung abschließend mit der Feststellung, zum Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der neu eingetretenen Arbeitsunfähigkeit
ab dem 28. Mai 2018 habe kein Versicherungsschutz mit Krankengeldberechtigung vorgelegen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2018 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück. Sie führte
aus, der Krankengeldanspruch sei über Ende April 2018 hinaus nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V erhalten geblieben. Dies gelte aber nicht mehr für die neue Arbeitsunfähigkeit wegen Rückenschmerzen. Denn diese sei nicht
schon zu der vorherigen Arbeitsunfähigkeit hinzugetreten.
Mit der im gleichen Monat beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er sei schon am 27. Mai
2018 am Rücken erkrankt, habe aber den Arzt erst am Montag als Folgetag aufsuchen können. Zur Notaufnahme habe er nicht gehen
wollen. Da er an keinem Tag arbeitsfähig gewesen sei, bestehe der Krankengeldanspruch durchgehend. Auch insoweit sei §
46 S. 2
SGB V anzuwenden.
Mit Urteil vom 25. September 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger sei seit dem 28.
Mai 2018 bei der Beklagten nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Dies sei nach §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V über den 30. April 2018 hinaus nur bis zum 27. Mai 2018 der Fall gewesen. Für den 28. Mai 2018 habe die Versicherung nicht
mehr bestanden, weil die Arbeitsunfähigkeit nicht im Sinne von §
46 S. 2
SGB V wegen derselben Krankheit festgestellt worden sei. Für den Beginn der Arbeitsunfähigkeit wegen der neuen Erkrankung komme
es nicht auf deren Auftreten, sondern auf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Hier habe der Arzt die Möglichkeit einer
rückwirkenden Feststellung nicht genutzt. §
46 S. 2
SGB V sei nicht analog auf den vorliegenden Fall anzuwenden, weil es an einer Regelungslücke fehle. Durch das Abstellen auf dieselbe
Krankheit habe der Gesetzgeber eine bewusste Regelung getroffen.
In der nachfolgenden Zeit sei der Kläger nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V bei der Beklagten in der Auffangversicherung gewesen, ohne aber nach §
44 Abs.
2 S. 1 Nr.
1 SGB V einen Krankengeldanspruch zu erwerben. Diese Versicherung gehe auch einem nachwirkenden Leistungsanspruch aus §
19 Abs.
2 SGB V vor.
Gegen das Urteil hat der Kläger am 25. Oktober 2019 Berufung eingelegt. Er trägt ergänzend vor, bei der neuen Erkrankung habe
es sich um ein Hinzutreten im Sinne von §
48 Abs.
1 S. 2
SGB V gehandelt. Dabei müssten die Erkrankungen mindestens an einem Tag - hier dem 27. Mai 2018 - nebeneinander bestanden haben.
Folge sei die rechtliche Wertung als einheitliche durchgehende Krankheit. Entsprechend sei auch §
46 S. 2
SGB V anzuwenden. Vom 28. Mai bis zum 22. Juni 2018 habe kein (neuer) Versicherungstatbestand vorgelegen. Es sei ggf. auf den nachwirkenden
Leistungsanspruch nach §
19 Abs.
2 SGB V abzustellen.
Der Kläger hat eine Bescheinigung des Orthopäden und Unfallchirurgen S. vom 8. November 2019 vorgelegt, wonach dieser angesichts
eines arbeitsfreien Wochenendes beim Kläger Arbeitsunfähigkeit erst ab Montag ausgestellt habe. Eine Folgebescheinigung habe
er nicht ausgestellt, da über die vorangegangene Krankschreibung durch die Hausärztin nicht gesprochen worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 25. September 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2018 im Nachgang zu
deren Schreiben vom 21. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2018 aufzuheben und ihm für den
Zeitraum vom 28. Mai bis 22. Juni 2018 Krankengeld in Höhe von 46,49 EUR brutto täglich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bleibt bei ihrem Standpunkt und hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Zwischen dem 28. Mai und 22. Juni 2018
sei der Kläger dem Grunde nach über seine Ehefrau familienversichert gewesen. Diese sei nämlich als Rentenantragstellerin
selbst bei der Beklagten versichert gewesen. §
19 Abs.
2 S. 2
SGB V schließe insoweit den Anspruch des Klägers aus.
Das Gericht hat eine Erklärung des Orthopäden und Unfallchirurgen S. vom 24. April 2020 angefordert, in der er mitteilt, er
könne eine medizinische Begründung für eine Arbeitsunfähigkeit schon ab dem 27. Mai 2018 nicht liefern. Mit der Frage habe
er sich auch anfangs nicht beschäftigen müssen, weil weder eine vorherige Arbeitsunfähigkeit für ihn ersichtlich gewesen sei
noch er nach einer rückwirkenden Bescheinigung gefragt worden sei. Den Auszug aus der Krankenkartei vom 28. Mai 2018 hat er
beigefügt.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Erklärungen vom 6. Mai 2020 - die Beklagte - und vom
12. Mai 2020 - der Kläger - zugestimmt.
Bei der Entscheidung hat die Akte der Beklagten über die Arbeitsunfähigkeit - Az ... - vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidung
gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als Anfechtungsklage gegen das Schreiben vom 29. Juni 2018 gem. §
54 Abs.
1 S. 2
SGG zulässig. Denn die Beklagte verdeutlicht jedenfalls in diesem Schreiben die verbindliche Ablehnung der Krankengeldzahlung
ab 28. Mai 2018, indem sie neben der bedingungslosen Aussage, dies habe sie - am 21. Juni - so entschieden, begründet, weshalb
die Ablehnung aus ihrer Sicht zwingend ist. Damit teilt sie eine solche Entscheidung auch dann mit, wenn sie sich auf eine
vermeintlich frühere Verlautbarung der Ablehnungsentscheidung bezieht. Jedenfalls mit der Aussage, der Kläger sei ab dem 28.
Mai 2018 bei ihr nicht mehr mit Krankengeldanspruch versichert gewesen, bekundet die Beklagte im Umkehrschluss auch für sich
genommen eindeutig, ihm für die Zeit ab diesem Tag kein Krankengeld zu zahlen.
(Erst) Im Zusammenhang mit dieser Äußerung wandeln sich auch die hypothetischen Äußerungen zu einem vorgestellt erhobenen
Anspruch, die allein das Schreiben vom 21. Juni 2018 enthält, in mitgeteilte Entscheidungen um. Bei einer alleinigen Auslegung
dieses Schreibens nach seinem Inhalt enthält es keinen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 S. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X), weil die Beklagte darin keine Verbindlichkeit in Anspruch nehmende Aussage mit Rechtswirkung gegen den Kläger trifft. Das
Schreiben enthält vordergründig den Hinweis an den Kläger, er möge sich unverzüglich bei der Bundesagentur für Arbeit melden
und - so sinngemäß - dort Ansprüche geltend machen. Darin liegt eine Auskunft im Sinne von §
15 Abs.
1,
2 des
Ersten Buches des Sozialgesetzbuches. Die damit in Verbindung stehenden ausdrücklichen Meinungsäußerungen zur Frage des Krankengeldanspruchs verdeutlichen, dazu
gerade keine abschließende Aussage treffen zu müssen. Denn sie sind vollständig in den Irrealisformen des Konjunktivs gehalten
und machen allenfalls deutlich, welche Entscheidung ggf. zu treffen wäre. Folgerichtig enthält das Schreiben auch keine Rechtsbehelfsbelehrung.
Der Inhalt wandelt sich erst durch die Bezug nehmenden Sätze des Schreibens vom 29. Juni 2018, weil die Beklagte darin für
das vorangegangene Schreiben den Inhalt eines Bescheides zum Wegfall des Anspruchs auf Krankengeld für sich in Anspruch nimmt.
Denn sie legt ihr vorangehendes Schreiben im Sinne eines solchen Inhalts aus und bekundet damit zugleich ihre getroffene Entscheidung.
In der Zusammenschau ergibt sich aus den Schreiben vom 21. und 29. Juni 2018 die Verlautbarung der verbindlichen Entscheidung
über die Leistungsablehnung, die zulässige Grundlage einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach §
54 Abs.
4 SGG ist.
Der Kläger konnte die Anfechtung des Bescheides vom 29. Juni 2018 noch durch erstmalige ausdrückliche Einbeziehung im Berufungsverfahren
geltend machen, weil die durchgehende Überprüfung des Inhalts dieses Schreibens seit dem Widerspruchsverfahren erfolgt war.
Denn die inhaltliche Ablehnung des Krankengeldanspruchs ist Gegenstand der sachlichen Prüfung sowohl im Widerspruchs- als
auch im Klageverfahren gewesen und umfasste der Sache nach auch ohne die ausdrückliche Erwähnung das Schreiben vom 29. Juni
2018. Die bloß abweichende Benennung des maßgeblichen Bescheides ist demgegenüber für das Verständnis des Inhalts der erhobenen
Rechtsbehelfe nicht entscheidend, zumal das Schreiben vom 21. Juni 2018 als zuvor ausdrücklich angefochtenes Schreiben erst,
aber auch weiterhin, in der Zusammenschau mit dem Schreiben vom 29. Juni 2018 die maßgebliche anzufechtende Entscheidung ausmacht.
Der Kläger hat für den Zeitraum vom 28. Mai bis zum 22. Juni 2018 nicht den geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld gem.
§
44 Abs.
1 des
Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB V - Rechtszustand durch G. v. 17.8.2017, BGBl. I S. 2615). Denn der angesichts der ursprünglichen Versicherung als Beschäftigter nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V und fortlaufend festgestellter Arbeitsunfähigkeit unstrittig bestehende Anspruch auf Krankengeld wegen der Handverletzung
endete mit Ablauf des 27. Mai 2018 als letztem Tag bescheinigter Arbeitsunfähigkeit wegen dieser Krankheit. Denn nach §
46 S. 2
SGB V besteht der Anspruch bei Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an einem Tag nach Ablauf der zuvor bescheinigten nur dann weiter,
wenn die spätere Feststellung dieselbe Krankheit betrifft. Das ist hier nicht der Fall, weil die neue Arbeitsunfähigkeit allein
wegen eines Bandscheibenschadens festgestellt ist. Insbesondere kann ein Zusammenhang einer einheitlichen Krankheit nicht
durch einen Hinzutritt der zweiten Erkrankung zur ersten hergestellt werden. Ein Hinzutritt liegt nach §
48 Abs.
1 S. 2
SGB V nämlich mit der dort geregelten belastenden Folge nur vor, wenn die beiden Krankheiten sich während der - festgestellten
- Arbeitsunfähigkeit überschneiden. Ein solcher Hinzutritt ist nicht Gegenstand einer bis zum 27. Mai 2018 getroffenen ärztlichen
Feststellung von Arbeitsunfähigkeit. Allein auf die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit stellt
§
46 S. 2
SGB V aber ab (vgl. LSG München, Urt. v. 14.5.19 - L 4 KR 537/18 und dazu Ulmer, jurisPR - SozR 8/2020 Anm. 2). Damit bringt der Gesetzgeber gewollt zum Ausdruck, dass die bloße kalendertäglich
nicht unterbrochene Arbeitsunfähigkeit für einen fortlaufenden Krankengeldanspruch nicht ausreicht. Denn nur für diese Aussage
ergibt die Einfügung des Tatbestandsmerkmals "wegen derselben Krankheit" einen Sinn.
Wann dieselbe Krankheit betroffen ist, richtet sich nach §
46 S. 2
SGB V nicht nach den Regeln umfassender Beweiswürdigung, sondern nach der ärztlichen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit, die nach
§
46 S. 1 Nr. 2
SGB V allgemein Grundlage des Anspruchs auf Krankengeld ist. Insofern ist nur ergänzend auf die Mitteilungen der feststellenden
Ärzte zu verweisen, wonach die zunächst festgestellte Arbeitsunfähigkeit am 27. Mai 2018 geendet hat und über eine vor dem
28. Mai 2018 eingetretene Arbeitsunfähigkeit wegen der Folgeerkrankung keine Erkenntnisse vorliegen. Danach hat der Krankengeldanspruch
hier mit Ablauf des 27. Mai 2018 geendet.
Der Krankengeldanspruch ist vom 28. Mai 2018 an nicht neu entstanden, weil der Kläger von diesem Tag an nicht mit einem Anspruch
auf Krankengeld versichert war. Gem. §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V führte das Ende des Krankengeldanspruchs zum Verlust der bestehenden Mitgliedschaft. Denn nur durch den fortbestehenden Krankengeldanspruch
trat das Ende der Mitgliedschaft nicht schon durch den Verlust der Beschäftigung nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V ein. Die danach eingetretene Familienversicherung nach §
10 Abs.
1 S. 1
SGB V vermittelt nach §
44 Abs.
2 Nr.
1, 1. Halbsatz
SGB V keinen Anspruch auf Krankengeld.
Eine Versicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V trat nach §
5 Abs.
8a S. 1
SGB V wegen des Eintritts der Familienversicherung nicht ein und hätte nach §
44 Abs.
2 Nr.
1, 1. Halbsatz
SGB V ebenso wenig einen Anspruch auf Krankengeld vermittelt.
Nach §
19 Abs.
2 S. 2
SGB V schließt die Familienversicherung nachwirkende Ansprüche aus dem früheren Pflichtversicherungsverhältnis aus.
Die Kostenentscheidung nach §
193 SGG folgt hier dem Unterliegen des Klägers.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nach §
160 Abs.
2 Nr.
1,
2 SGG nicht vor, weil die Entscheidung auf der höchstrichterlichen Rechtsprechung und einem eindeutigen Gesetzestext beruht, darüber
hinaus aber auch eine bereits überholte Gesetzeslage betrifft.