Gewährung einer Rente wegen Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV
MdE von mindestens 10%
Gründe:
I.
Streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens, ob der Kläger wegen einer anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 2301 der
Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (BK 2301) Anspruch auf Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 10 vom Hundert (vH)
hat.
Der 1942 geborene Kläger bezieht von der Unfallkasse Sachsen-Anhalt aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 15. Januar 1998 eine
Verletztenrente.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2010 erkannte die Beklagte beim Kläger (mit Wirkung vom 14. September 1993) eine BK 2301 an
und lehnte einen Anspruch auf Rente ab, da die BK-Folgen keine messbare MdE bedingten. Keine Folge der BK sei die über das
Ausmaß der Hörstörung im Hochtonbereich hinaus bestehende Schwerhörigkeit beiderseits mit Ohrgeräuschen, insbesondere die
seit dem Ausscheiden aus dem beruflichen Lärm eingetretene Zunahme der Schwerhörigkeit.
Grundlage hierfür war das Urteil des Senats vom 26. August 2010 (L 6 U 154/04). Im vorausgegangenen Rechtsstreit hatten u.a. folgende Unterlagen vorgelegen:
Der Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. Sch. hatte Sprach- und Tonaudiogramme vom 25. Februar, 26. April sowie 8. Juli 1999 erstellt,
den Tonaudiogrammen vom 25. Februar 1999 nach der Drei-Frequenz-Tabelle nach Röser (1980) auf beiden Ohren keinen prozentualen
Hörverlust entnommen und hierzu erläutert: Im Tonaudiogramm vom 25. Februar 1999 verliefen die Kurven für die Luft- und Knochenleitung
beider Ohren parallel und ohne Abstand zueinander. Die Kurven bewegten sich beiderseits bei 10 dB und seien rechts bei 3 kHz
auf 50 dB sowie links bei 2 kHz auf 60 dB abgesunken. Das Sprachaudiogramm vom selben Tag habe ein Wortverstehen von 50 %
für mehrsilbige Zahlwörter bei 35 dB beidseits ergeben. Beim Einsilbertest sei es bei 60 dB rechts zu einer Verständlichkeit
von 75 % und links zu 60 % gekommen. Bei 80 dB habe der Kläger links 90 % und rechts 100 % verstanden. Bei 100 dB habe der
Wert jeweils bei 100 % gelegen. Der Hörverlust aus dem Tonaudiogramm liege nach Röser bei 0 %. Demgegenüber resultiere aus
dem Sprachaudiogramm ein beiderseitiger Hörverlust von 40 %, was nicht mit dem Tonaudiogramm zu vereinbaren sei. Ein solcher
Befund sei untypisch für eine Lärmschwerhörigkeit. Ursache könne eine zentrale Hörstörung oder Aggravation des Klägers sein
(Schreiben vom 6. August 2002 und 2. Februar 2005).
Aus den Krankenunterlagen Dr. Sch. gingen u.a. folgende Einträge hervor: 25. Februar 1999 - Hörhilfeverordnung beiderseits;
16. März 1999 Kläger möchte vorerst noch kein Hörgerät; 26. April 1999 - seit einer Woche zunehmendes Ohrenrauschen rechts
mehr als links, Tinnitus seit Jahren bekannt, habe jetzt zugenommen, Tinnitus dekompensiert; 29. April 1999 - Kläger könne
mit Tinnitus umgehen; 8. Juli 1999: Geräusche gleich, zeitweise sehr störend; 23. Oktober 2001: Tinnitus beiderseits, wechselt
in Intensität; Oktober 2002 (ohne Tagesangabe) - seit drei Tagen plötzlich Verstärkung des bekannten Ohrrauschens rechts,
akut dekompensierter Tinnitus rechts; 5. November 2002 - Geräusche wieder auf altem Niveau.
Dem Befundbericht des Internisten Dr. W. vom 9. April 1999 war u.a. zu entnehmen, dass der Kläger einen ängstlichen, vegetativ
überlagerten Eindruck gemacht habe. Laut seinen Angaben sei nach älteren Untersuchungsbefunden des Jahres 1995 durch einen
Neurologen ein depressives Syndrom mit psychosomatischen Beschwerden konstatiert worden. In seinem Gutachten vom 17. Mai 1999
hatte der Orthopäde Dr. F. u.a. wiedergegeben, dass der Schlaf des Klägers gut sei und keine Probleme bei der Kommunikation
hinsichtlich des Hörvermögens bestünden. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. L. hatte berichtet, der
Kläger habe sich bei ihm erstmals am 21. Januar 1999 vorgestellt und deutlich depressive Verstimmungszustände, Affektlabilität
und Schlafstörungen angegeben. Hintergrund sei eine komplizierte Biographie mit negativen Erfahrungen zu DDR-Zeiten. Unter
dem 5. Januar 2000 hatte der Arzt eine posttraumatische Belastungsstörung, ein beginnendes hirnorganisches Psychosyndrom,
eine Hypakusis sowie einen Tinnitus aurium beiderseits diagnostiziert. Als Beschwerdeschilderung war von ihm fehlende Belastbarkeit
sowie Konzentrationsschwäche dokumentiert und wiederum ein Zusammenhang zu einer "langwierigen" Haft in der DDR hergestellt
worden. In ihrem Gutachten vom 31. März 2000 hatte die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. L. als Angaben
des Klägers u.a. festgehalten, dass dieser seit 1983 in nervenärztlicher Behandlung und ein Stasi-Opfer sei. Bereits 1962
habe er einen Fluchtversuch unternommen und sei nachfolgend 8 Monate inhaftiert gewesen. 1987 sei er gezwungen worden, auszureisen.
Es bestünden viele Zukunftsängste, Konzentration und Gedächtnis hätten nachgelassen; beim Gehen träten Gleichgewichtsstörungen
und bei schneller Lageänderung Drehschwindel auf. Außerdem waren eine Hörminderung beiderseits, eine Hörgeräteversorgung beiderseits
und als Diagnosen eine Depression, eine chronische Belastungsstörung sowie ein Hirnleistungsabbau festgehalten worden.
Schließlich hatte die Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. R. nach Aktenlage das Gutachten vom 15. September 2006 erstattet. Diese
war nach Auswertung der Tonaudiogramme vom 25. Februar 1999 zu einem Hörverlust des Klägers beidseits von 0 % gelangt. Das
Tonaudiogramm vom 26. April 1999 zeige einen Hörverlust zwischen 10 und 15 %. Bis zum 11. Januar 2002 sei das Hörvermögen
gering abgefallen. Der weit höhere Hörverlust aus den Sprachaudiogrammen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht lärmbedingt.
Nach dem Tonaudiogramm vom 9. Juli 2004 bestehe nach der Drei-Frequenz-Tabelle nach Röser 1980 ein Hörverlust rechts von 25
% und links von 30 %, was eine MdE um 15 vH bedinge. Die Tonaudiogramme vom 25. Februar 1999 und 26. April 1999 wiesen zwar
das typische Schadensbild einer Lärmschwerhörigkeit auf. Dies sei aber den Sprachaudiogrammen nicht zu entnehmen. Insbesondere
sei das schlechte Zahlenverstehen, das den tieffrequenten Bereich repräsentiere, für eine Lärmschwerhörigkeit untypisch. Aus
den maßgeblichen Tonaudiogrammen vom 25. Februar und 26. April 1999 resultiere eine MdE um 0 vH. Fraglich sei, inwieweit unter
Berücksichtigung eines Tinnitus möglicherweise eine höhere MdE veranschlagt werden könne.
Unter dem 28. Oktober 1999 hatte der Kläger gegenüber der (Rechtsvorgängerin der) Beklagten angegeben, seit Jahren schleichend
Rauschen in den Ohren sowie Schwerhörigkeit zu verspüren. In der mündlichen Verhandlung am 25. März 2009 war von ihm mitgeteilt
worden, seit Beginn der Lärmtätigkeiten an Tinnitus zu leiden.
Gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2010 erhob der Kläger noch im selben Monat Widerspruch und rügte, die Beklagte habe das
Urteil des Senats unzureichend gewürdigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger sei bis 1993
lärmexponiert gewesen. Audiometrische Befunde lägen erst ab dem Jahr 1999 vor. Der insoweit tonaudiometrisch belegte Hörverlust
von 15 % bedinge jedoch keine MdE um mindestens 10 vH. Die nachfolgenden Veränderungen des Hörvermögens seien deshalb nicht
zu berücksichtigen, weil sich eine Lärmschwerhörigkeit nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht weiter verschlimmern könne,
wenn eine Lärmexposition nicht mehr bestehe.
Am 8. April 2011 erhob der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage und verwies zur Begründung darauf, dass nach den Feststellungen Dr. R. aus den Tonaudiogrammen vom 9. Juli
2004 Hörverluste rechts von 25 % und links von 30 % zu entnehmen seien. Unter Heranziehung der Königsteiner Empfehlung sowie
der aktuellen Literatur ergebe sich somit eine MdE um 15 vH. Zusätzlich sei der Tinnitus zu berücksichtigen. Damit stehe ihm
bereits unabhängig vom Stütztatbestand des am 15. Januar 1998 erlittenen Arbeitsunfalls Anspruch auf Verletztenrente zu. Abgesehen
davon sei der im Widerspruchsbescheid bezeichnete medizinische Erfahrungssatz unzutreffend. Denn nach F. (Das Gutachten des
Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 6. Aufl., S. 212) dürfe sich die Schwerhörigkeit nach Beendigung der Lärmexposition sehr wohl im
Rahmen der altersentsprechenden Entwicklung verschlechtern.
Mit Urteil vom 17. April 2012 wies das SG die Klage ab. Maßgeblich sei das Hörvermögen des Klägers zum Zeitpunkt der Beendigung der Lärmexposition. Auf Grundlage der
Befunde des Jahres 1999 habe bei ihm ein Hörverlust von 0 % vorgelegen, was sich aus den insoweit überzeugenden Ausführungen
Dr. Sch. vom 6. August 2002 und 2. Februar 2005 sowie Dr. R. vom 15. September 2006 ergebe. Ein Hörverlust von 0 % führe zwangsläufig
zu einer MdE um 0 %, weshalb auch kein Stützrententatbestand vorliege.
Die dagegen am 21. April 2012 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegte Berufung (L 6 U 40/12) blieb erfolglos (Urteil des Senats vom 20. November 2013).
In diesem Berufungsverfahren holte der Senat von dem Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. S. nach Aktenlage das Gutachten vom 28.
November 2012 nebst ergänzender Stellungnahme vom 26. Februar 2013 ein. Der Sachverständige bewertete die MdE im Ergebnis
mit unter 10 vH und legte hierzu dar: Die in den Tonaudiogrammen vom 9. Juli 2004 verzeichnete signifikante Verschlechterung
des Hörvermögens nach dem Ende der Lärmtätigkeit sei der BK nicht zuzurechnen. Denn unumstößliche wissenschaftliche Erkenntnis
sei, dass eine Lärmschwerhörigkeit nach dem Wegfall der Lärmursache nicht weiter fortschreiten könne. Der Kläger habe das
von ihm angeführte Zitat aus Feldmann/Brusis (Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 7. Aufl. 2012, S. 116), mit dem dem
Gutachter lediglich ein mögliches Szenario aufgezeigt werde, insoweit missverstanden. Dies zeigten etwa die Ausführung im
gleichen Buch auf S. 266 bzw. der Aufsatz von Brusis mit dem Titel "Eine Lärmschwerhörigkeit kann sich nach dem Ende der Lärmexposition
nicht weiter verschlimmern!" (Gutachten + Recht 2010, 666), den der Sachverständige seinem Gutachten anfügte. Auf Grundlage der Tonaudiogramme vom 25. Februar und 26. April 1999 ergebe
sich ein Hörverlust von deutlich unter 10 % und damit eine MdE um deutlich unter 10 vH. Da die Sprachaudiogramme keine plausiblen
Messdaten lieferten, könnten sie nicht herangezogen werden. Nach der Königsteiner Empfehlung gehöre Tinnitus nicht zu den
vorherrschenden Symptomen einer Lärmschwerhörigkeit, könne mit ihr jedoch vergesellschaftet sein. Typischerweise trete Tinnitus
erst viele Jahre nach beruflicher Lärmbelastung auf. Demgegenüber leide der Kläger nach seinen Angaben seit Beginn der Lärmexposition
an Ohrgeräuschen. Werde nichtsdestotrotz unterstellt, dass der Tinnitus BK-Folge sei, resultiere insoweit eine MdE um unter
10 vH. Auch zusammen führten der lärmbedingte Hörverlust und der lärmbedingte Tinnitus zu keiner MdE um 10 vH, da die Einzel-MdE
für den Hörverlust mit deutlich unter 10 vH zu bemessen sei. Eine wissenschaftliche Vorgabe, wonach sich bei Einzel-MdEen
von jeweils unter 10 vH für eine lärmbedingte Hörstörung und einen lärmbedingten Tinnitus automatisch eine Gesamt-MdE um 10
vH ergebe, existiere nicht. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen seien Ohrgeräusche, die nicht permanent vorhanden
seien, für die MdE-Bemessung irrelevant. Eine entsprechende Situation sei vorliegend gegeben, da kein ausreichender Leidensdruck
zu belegen sei. So habe der Tinnitus außerhalb des HNO-ärztlichen Fachgebiets bei verschiedenen ärztlichen Untersuchungen
entweder gar keine oder nur eine stark untergeordnete Rolle gespielt. In den Gutachten von Dr. F. sowie Dipl.-Med. L. und
dem Bericht Dr. W. fänden sich keine Hinweise auf Tinnitusbeschwerden. Dipl.-Med. L. habe unter dem 5. Januar 2000 zwar einen
Tinnitus aurium beiderseits mitgeteilt. Bezüglich der Krankheitsvorgeschichte habe er jedoch wiederum auf die Biographie mit
der Inhaftierung abgehoben und zudem u.a. eine Depression diagnostiziert. Diese Umstände könnten einen entsprechenden Leidensdruck
unabhängig von der BK erklären. Zudem belege die deutliche Zunahme der Innenohrschwerhörigkeit nach Ende der Lärmarbeit, dass
neben der Lärmschwerhörigkeit auch eine nicht berufsbedingte Schwerhörigkeit vorliege, die als weitere konkurrierende Ursache
des Tinnitus in Betracht komme.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die Überprüfung des Bescheides vom 21. Dezember 2010.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2014 lehnte die Beklagte eine Rücknahme ihres Bescheides vom 21. Dezember 2010 ab. Die Prüfung habe
ergeben, dass bei seinem Erlass weder das Recht fehlerhaft angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden
sei. Nach fachärztlicher Auswertung liege unter Berücksichtigung der einschlägigen Maßstäbe keine messbare MdE vor.
Den hiergegen am 29. Juli 2014 erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit am 31. Oktober 2014 zur Post gegebenen
Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2014 als unbegründet zurück.
Am 4. Dezember 2014 hat der Kläger vor dem SG Magdeburg Klage erhoben. Aus der Anerkennung der BK 2301 müsse die Konsequenz
gezogen werden, dass mindestens eine MdE um 10 vH bzw. ein Hörverlust von 20 % vorliege. Hinzu komme ein dekompensierter Tinnitus,
der die Lärmschwerhörigkeit verstärke (und umgekehrt).
Mit Urteil vom 17. Dezember 2015 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Aus der Anerkennung der BK 2301 folge nicht zugleich eine MdE
um mindestens 10 vH. Anderes lasse sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus dem von ihm zitierten Urteil des Bundessozialgerichts
vom 4. Dezember 2011 (B 2 U 35/00 R - SozR 3-8440 Nr. 50 Nr. 1) ableiten, das sich mit der Nr. 50 der BK-Liste der DDR befasse und vorliegend nicht einschlägig
sei. Beim Kläger bestehe berufsbedingt eine geringfügige Hochtoninnenohrschwerhörigkeit beiderseits, die zu keiner messbaren
MdE führe. Ein Tinnitus habe nach den überzeugenden Ausführungen der Dres. S. nicht mit der dafür notwendigen Wahrscheinlichkeit
als berufsbedingt festgestellt werden können. Die nach dem Ausscheiden aus der Lärmexposition eingetretene Verschlechterung
des Hörvermögens sei der anerkannten BK 2301 nicht zuzurechnen. Damit ergebe sich aus ihr kein Anspruch auf Verletztenrente.
Gegen das ihm am 4. Januar 2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. Februar 2016 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Berufung eingelegt und unter umfangreicher Wiederholung seines bisherigen Vorbringens an der Meinung festgehalten, ihm stehe
wegen der anerkannten BK 2301 Anspruch auf Verletztenrente zu.
Der Kläger beantragt seinem Vorbringen nach,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 17. Dezember 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2014 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2014 aufzuheben und diese zu verpflichten, ihm unter Abänderung des Bescheides
vom 21. Dezember 2010 wegen der Lärmschwerhörigkeit vom 15. September 1993 an Verletztenrente nach einer MdE um mindestens
10 vH zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidungen für zutreffend.
Unter dem 8. September 2016 sind die Beteiligten zu der Absicht des Senats, über die Berufung im Beschlusswege zu entscheiden
und diese zurückzuweisen, gehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen. Insbesondere wird insoweit auf die Gerichtsakten des
vorausgegangenen Berufungsverfahrens L 6 U 40/12 verwiesen.
II.
Die nach den §§
143,
144 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§
151 Abs.
1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Nach §
153 Abs.
4 Satz 1
SGG kann der Senat außer in den - hier nicht gegebenen - Fällen des §
105 Abs.
2 Satz 1
SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich hält. So liegt es hier. Bereits im Berufungsverfahren L 6 U 40/12 sowie insbesondere im Termin der mündlichen Verhandlung am 20. November 2013 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre jeweiligen
Sichtweisen darzulegen und hiervon auch umfangreich Gebrauch gemacht. Vor diesem Hintergrund erscheint die Anberaumung eines
nochmaligen Verhandlungstermins zur wiederholten Erläuterung der rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen bei gleich gebliebenem
Sachverhalt entbehrlich. Zur Absicht des Senats, über den Rechtsstreit gemäß §
153 Abs.
4 SGG zu entscheiden, sind die Beteiligten gehört worden (§
153 Abs.
4 Satz 2
SGG) und haben insoweit keine Einwände erhoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2014 beschwert den
Kläger nicht im Sinne der §§
157,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG, weil die Beklagte darin zutreffend die Abänderung ihres Bescheides vom 21. Dezember 2010 abgelehnt hat. Hierauf hat der
Kläger nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X deshalb keinen Anspruch, weil der Bescheid weder auf einem fehlerhaften Sachverhalt noch auf einem falschen Rechtsverständnis
beruht.
Der vom Kläger verfolgte Anspruch auf Verletztenrente setzt nach §
56 Abs.
1 Sätze 1 bis 3
Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - insbesondere voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers infolge der bei ihm anerkannten BK 2301 um mindestens 10 vH gemindert
ist. Dies ist nicht der Fall. Der Senat hält weiterhin die Einschätzung von Dr. S. für überzeugend und stützt sich deshalb
auf diese. Zur weiteren Begründung nimmt er auf seine Darlegungen im Urteil vom 20. November 2013 Bezug. Dort hat er ausgeführt:
"Vorliegend sind für die Ermittlung des prozentualen Hörverlustes und der daraus vorzunehmenden Bemessung der MdE die Tonaudiogramme
ausschlaggebend, da die Sprachaudiogramme nicht verwertbar sind (vgl. hierzu Königsteiner Empfehlung Ziff. 4.1. und 4.3.2).
Insoweit ist bereits durch Dr. Sch. und Dr. R. darauf hingewiesen worden, dass die in den Sprachaudiogrammen vom 25. Februar
1999 verzeichneten Werte nicht mit den Ergebnissen der am selben Tag erstellten Tonaudiogramme zu vereinbaren und die aus
den Sprachaudiogrammen ersichtlichen Befunde - im Gegensatz zur denjenigen der Tonaudiogramme - für eine Lärmschwerhörigkeit
untypisch sind. Diese Einschätzung hat Dr. S. nochmals ausdrücklich bestätigt, so dass der Senat keine Veranlassung sieht,
der gleichlautenden fachärztlichen Beurteilung nicht zu folgen.
Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass die genannten Mediziner für die MdE-Bewertung übereinstimmend die Tonaudiogramme vom
25. Februar 1999 als maßgeblich herangezogen haben. Hintergrund hierfür ist die medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnis,
wonach sich eine Lärmschwerhörigkeit nach dem Ende der Lärmexposition (lärmbedingt) nicht weiter verschlimmern kann (vgl.
Feldmann/Brusis, a.a.O., 7. Aufl., S. 266 f., m.w.N.; Merkblatt zur BK 2301 in der Bekanntmachung des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales vom 1. Juli 2008, GMBl. 2008, 798 ff.), die Dr. S. unter Hinweis auf weitere aktuelle Literaturquellen
nochmals ausführlich dargestellt hat. Damit ist auf denjenigen Befund abzustellen, der dem Ende der Lärmarbeit zeitlich am
nächsten liegt (Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., Anm. 2, m.w.N.). Folglich sind die am 9. Juli 2004 durch Dr. P. erstellten -
sowie nachfolgende - (Ton-)Audiogramme, denen Dr. R. Hörverluste von 25 % rechts und 30 % links entnommen hatte, für die MdE-Bemessung
ohne Belang.
Aus den Tonaudiogrammen vom 25. Februar 1999 geht für das rechte Ohr bei 1 kHz ein Hörverlust von 20 dB sowie bei 2 und 3
kHz ein solcher von zusammen 40 dB hervor. Links zeigten sich Hörverluste bei 1 kHz von ebenfalls 10 dB und bei 2 und 3 kHz
von addiert 60 dB. Daraus sind nach der Drei-Frequenz-Tabelle nach Röser 1980 prozentuale Hörverluste von jeweils 0 für beide
Ohren zu entnehmen. Werden diese Hörverluste in die Tabelle nach Feldmann 1995 eingestellt, resultiert eine MdE um 0 vH, wie
die Dres. Sch. und R. zutreffend angegeben haben.
Die Richtigkeit dieser Audiogramme wird durch die zwei Monate später erstellten tonaudiometrischen Befunde bestätigt. In den
Audiogrammen vom 26. April 1999 ist für das rechte Ohr bei 1 kHz ein Hörverlust von 20 dB sowie bei 2 und 3 kHz ein solcher
von zusammen 80 dB verzeichnet. Links sind insoweit bei 1 kHz Hörverluste von wiederum 20 dB bzw. bei 2 und 3 kHz von addiert
90 dB dokumentiert. Unter Berücksichtigung der Tabelle nach Röser 1980 ergeben sich damit Hörverluste von jeweils 15 % und
damit nach Feldmann 1995 wiederum eine MdE um 0 vH. Auch wenn stattdessen die Tabellen von Brusis/Mehrtens 1981, 1995 zugrunde
gelegt wird, ist die MdE unter 10 vH zu veranschlagen. Es ist damit nicht zu beanstanden, wenn Dr. S. unter maßgeblicher Heranziehung
des dem Expositionsende zeitnächsten Befundes die Einzel-MdE für die berufsbedingte Hörminderung bei integrierender Würdigung
mit deutlich unter 10 vH bemisst.
Der Senat hält es mit Dr. S. nicht für wahrscheinlich, dass der Tinnitus Folge der beruflichen Lärmbelastung ist. Entgegen
der Annahme des Sachverständigen ist dieser nicht als Teil der BK anerkannt. Der Senat hat in seinem Urteil vom 26. August
2010 die Schwerhörigkeit als BK festgestellt, ohne dass der Tinnitus zur Entscheidung gestellt war. Die Beklagte hat den Tinnitus
im angefochtenen Bescheid als BK-Folge ausdrücklich abgelehnt. Dr. S. kommt hinsichtlich der tatsächlichen Zusammenhangswahrscheinlichkeit
zu einem Ergebnis, bei dem die Ursachenbeziehung nicht wahrscheinlich ist. Denn er teilt selbst mit, er könne nicht sicher
zwischen Sachverhalten abgrenzen, bei denen der Tinnitus allenfalls möglicherweise oder sogar überwiegend wahrscheinlich Folge
der erlittenen Schwerhörigkeit ist. Der Senat muss insoweit aber davon ausgehen, dass ein Sachverhalt nicht feststeht, bei
dem der Zusammenhang wahrscheinlich ist. Das geht zu Lasten des Klägers, der die Berücksichtigung zu seinen Gunsten erstrebt.
Dr. S. macht deutlich, dass die Unterschiede in der Würdigung davon abhängen, ob die Mitteilung des Klägers richtig ist, er
habe schon von Beginn der Lärmtätigkeit an einen Tinnitus bemerkt. Dieser Aussage stellt der Sachverständige die medizinisch-wissenschaftliche
Erkenntnis gegenüber, wonach ein Tinnitus typischerweise erst viele Jahre nach dem Beginn beruflicher Lärmbelastung auftritt.
Dass Dr. S. in der gegenteiligen Angabe des Klägers keine Grundlage für die Zusammenhangswahrscheinlichkeit mit beruflichem
Lärm sieht, zeigt sich daran, dass er seinen entsprechenden Zweifeln die Möglichkeit von Erinnerungslücken des Klägers gegenüber
stellt. Solche Spekulationen sind dem Senat aber verwehrt. Beweismittel über den Beginn des Tinnitus liegen nicht vor. Der
Kläger hat bereits in dem vorausgegangenen Verfahren L 6 U 154/04 zu Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. März 2009 erklärt, an Tinnitus leide er schon seit Beginn der Tätigkeiten,
in denen er Lärm ausgesetzt gewesen sei. Ohne überzeugende Belege für einen anderen Sachverhalt ist der Senat nicht berechtigt,
die Angabe des Klägers zu seinen Gunsten zu korrigieren. Für diesen Fall nimmt aber Dr. S. den Ursachenzusammenhang rechtlich
nicht ausreichend nur als möglich und nicht grundsätzlich ausgeschlossen an.
Die Überlegungen des Sachverständigen überzeugen auch, wenn sie an den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen gemessen
werden, wie sie in der Königsteiner Empfehlung niedergelegt sind. Schon die Lärmschwerhörigkeit selbst ist erst zu erwarten,
wenn der Betreffende "eine Reihe von Jahren" unter gehörgefährdenden Lärmbedingungen tätig war (a.a.O., Ziff. 2.2); erst dann
ist auch nur der Verdacht einer Lärmschwerhörigkeit gegeben. Für eine solche langsame Entwicklung beim Kläger spricht hier
zudem, dass seine Hörbeeinträchtigung selbst 1999 noch nahezu im Bereich der Normalhörigkeit lag. Es gibt aber keinen lärmbedingten
Tinnitus ohne lärmbedingten Hörverlust (Königsteiner Empfehlung Ziff.4.2). Dieser Zusammenhang ist im Übrigen bereits rechtlich
vorgegeben, weil der Tinnitus nur Krankheitsfolge der Schwerhörigkeit sein kann, die alleine die unmittelbare BK nach Nr.
2301 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung darstellt. Ist aber die sofortige Entwicklung der Schwerhörigkeit mit Beginn der Lärmarbeit nach der Königsteiner Empfehlung
unwahrscheinlich, kann der zu diesem Zeitpunkt schon bestehende Tinnitus nicht Teil oder Folge der BK sein.
Selbst wenn jedoch unabhängig hiervon und den weiteren Argumenten, die aus Sicht des Sachverständigen Zweifel an der Ursachenbeziehung
begründenden (diagnostizierte psychische Leiden sowie deutliches Fortschreiten der Innenohrschwerhörigkeit nach dem Ende der
Lärmexposition), zugunsten des Klägers unterstellt würde, dass der Tinnitus BK-Folge ist, lässt sich keine MdE um mindestens
10 vH begründen.
Zwar können bei der Bildung der Gesamt-MdE glaubhaft als sehr belastend geschilderte und durch audiometrische Verdeckungstests
objektivierte dauernde Hochtonohrgeräusche bis zu einer Einzel-MdE um 10 vH integrativ - nicht dagegen additiv - berücksichtigt
werden (Königsteiner Empfehlung, Ziff. 4.4.4). Dies verfängt vorliegend jedoch deshalb nicht, weil ein permanent relevanter
Leidensdruck beim Kläger insoweit nicht ausreichend nachgewiesen ist. Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob eine Tinnitusverdeckung
gegebenenfalls zu bestimmten Zeitpunkten audiometrisch zu belegen ist.
So hat Dr. S. zutreffend angemerkt, dass der Tinnitus außerhalb des HNO-ärztlichen Fachgebiets bei verschiedenen ärztlichen
Untersuchungen entweder gar keine bzw. nur eine stark untergeordnete Rolle spielte. In den Gutachten von Dr. F. sowie Dipl.-Med.
L. und dem Bericht Dr. W. finden sich keine Hinweise auf Tinnitusbeschwerden, obgleich diese Ärzte ansonsten auch fachübergreifend
Leidensangaben festhielten. Im Gegenteil gab der Kläger gegenüber Dr. F. sogar an, dass er gut schlafe und hinsichtlich des
Hörvermögens keine Kommunikationsprobleme habe. Bei einer ständigen Belastung durch andauernde Hörgeräusche hätte es nahe
gelegen, diese zumindest zu erwähnen. Aber auch wenn allein auf das HNO-ärztliche Fachgebiet abgestellt wird, drängt sich
keine MdE um 10 vH auf, wenngleich ein dekompensierter Tinnitus mit einer MdE über diesen Grad hinaus bemessen werden kann
(vgl. Feldmann/Brusis, a.a.O., 7. Aufl., S. 364). Dr. Sch. hatte für den 26. April 1999 sowie für Oktober 2002 zwar jeweils
einen dekompensierten Tinnitus vermerkt. Dabei handelte es sich aber um akute Erscheinungen, die bereits am 29. April 1999
bzw. am 5. November 2002 wieder abgeklungen waren. Am 29. April und 8. Juli 1999 sowie am 23. Oktober 2001 hatte der Kläger
gegenüber Dr. Sch. selbst angegeben und eingeschätzt, dass die Geräusche in ihrer Intensität wechselten, (nur) zeitweise sehr
störten und er mit dem Tinnitus umgehen könne. Demnach kann es der Senat nachvollziehen, wenn Dr. S. insgesamt einen kompensierten
Tinnitus angenommen und hierfür eine Bewertung mit einer MdE um unter 10 vH empfohlen hat.
Auch unter Berücksichtigung der für die Hörminderung und den Tinnitus jeweils zu veranschlagenden MdE ließe sich keine Gesamt-MdE
um mindestens 10 vH ableiten (vgl. hierzu Feldmann/Brusis, a.a.O., 7. Aufl., S. 372). Dies hat Dr. S. damit begründet, dass
die Hörminderung nur eine MdE von deutlich unter 10 vH rechtfertigt. Dem folgt der Senat, weil das für die Bemessung entscheidende
Tonaudiogramm vom 25. Februar 1999 Hörverluste von jeweils 0 % ausweist, lediglich aus dem Audiogramm vom 26. April 1999 Hörverluste
von je 15 % resultieren und die MdE für die Hörstörung damit als insgesamt nicht messbar einzuschätzen ist. Abgesehen davon
sind Einzel-MdE-Grade nicht schematisch zusammenzurechnen, sondern ist bei der Bildung der Gesamt-MdE eine integrierende Gesamtschau
anzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand März 2013, §
56 SGB VII, Anm. 10.4)."
Hieran hält der Senat nach nochmaliger Überprüfung fest. Neue entscheidungserhebliche Gesichtspunkte haben sich weder im Verwaltungsverfahren,
im Verfahren vor dem SG noch aus der Berufungsbegründung des Klägers gewinnen lassen. Zu einer weiteren Beweiserhebung durch nochmalige Einholung
eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen sah der Senat sich nicht gedrängt, nachdem er Dr. S. im vorangegangenen Berufungsverfahren
bereits entsprechend eingeschaltet hatte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger unter dem 25. Juli 2016 selbst erklärt hat,
er könne nicht erkennen, was "Neues vom Gutachter bewertet werden" sollte. Dem schließt der Senat sich an.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor, weil es sich um eine Entscheidung aufgrund tatsächlicher Würdigung auch rechtlich nicht umstrittener Grundlagen
handelt.