Eingliederungsverwaltungsakt
Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage
Inhaltlich identische Meldeverpflichtung
Unterschiedliche Sanktionen für Meldeversäumnisse
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutz über die Rechtmäßigkeit eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden
Verwaltungsaktes.
Die Antragstellerin steht beim Antragsgegner im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Grundsicherung
für Arbeitsuchende. Unter dem 9. März 2016 schlug der Antragsgegner der Antragstellerin eine Eingliederungsvereinbarung vor,
in der es zu den Bemühungen der Antragstellerin im zweiten Absatz hieß:
"Ich werde auf Einladungen des Jobcenter unverzüglich reagieren. Mir sind die Folgen eines Meldeversäumnisses eingehend erläutert
worden. Bei Arbeitsunfähigkeit erfolgt eine unverzügliche Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Nachweis. Während
einer Maßnahme erfolgt die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung direkt beim Träger."
Mit Schreiben vom 5. April 2016 unterbreitete die Antragstellerin dem Antragsgegner einen Gegenvorschlag zur Eingliederungsvereinbarung,
der neben der nur anonymisierten Aufnahme ihres Bewerberprofils in das Portal www.arbeitsagentur.de die Streichung des zweiten
Absatzes zu ihren Bemühungen bis auf den letzten Satz vorsah.
Mit Bescheid vom 19. April 2016 ersetzte der Antragsgegner die Eingliederungsvereinbarung durch einen entsprechenden Verwaltungsakt.
Dieser sah als Unterstützungsleistung die Aufnahme des Bewerberprofils der Antragstellerin im Portal www.arbeitsagentur.de
nicht mehr vor, enthielt aber den zweiten Absatz zu den Bemühungen der Antragstellerin unverändert. Der Text zu den Bemühungen
der Antragstellerin wurde durch eine schwarze Umrandung besonders hervorgehoben. Die Antragstellerin wurde in dem Bescheid
über die Rechtsfolgen dahingehend belehrt, dass bei Verstößen gegen die in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten
Leistungsminderungen eintreten. Bei einem erstmaligen Verstoß gegen die mit ihr vereinbarten Eingliederungsbemühungen werde
das ihr zustehende Arbeitslosengeld II um einen Betrag in Höhe von 30 Prozent des für sie maßgebenden Regelbedarfs gemindert.
Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. J10 der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 12. Mai 2016 Widerspruch ein, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid
vom 13. Juni 2016 als unbegründet zurückwies.
Am 13. Mai 2016 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Kiel die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs
gegen den Bescheid vom 19. April 2016 beantragt. Zur Begründung hat sie darauf hingewiesen, dass die Meldepflichten in §
309 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) abschließend geregelt seien. Wenn nunmehr Meldepflichten auch in der Eingliederungsvereinbarung geregelt würden, müsse sie
annehmen, dass damit die gesetzlichen Bestimmungen zu ihren Lasten redefiniert werden sollten. Bei Herausnahme der Meldepflicht
hätte sie die Eingliederungsvereinbarung unterschrieben.
Mit Beschluss vom 1. Juni 2016 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt
sei bei summarischer Prüfung rechtmäßig. Insbesondere führe die von der Antragstellerin beanstandete Verpflichtung auf Einladungen
des Antragsgegners unverzüglich zu reagieren, nicht zu seiner Rechtswidrigkeit. Die gesetzliche Meldepflicht werde durch die
Formulierung im Eingliederungsverwaltungsakt weder erweitert noch auf sonstige Weise verändert.
Gegen den ihr am 6. Juni 2016 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 6. Juli 2016 Beschwerde eingelegt. Sie macht
zusätzlich geltend, dass die ihr auferlegte Meldeverpflichtung zu unbestimmt sei. Daneben stelle aber auch die Beschränkung
der Bewerbungskosten eine unangemessene Benachteiligung dar, die zu einer Unwirksamkeit des Eingliederungsverwaltungsakts
führe.
Sie beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 1. Juni 2016 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 30. Juni 2016
gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 19. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2016 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält seinen Verwaltungsakt für rechtmäßig. Zum Beschwerdevorbringen sei anzumerken, dass in der Eingliederungsvereinbarung
keine Beschränkung der Bewerbungskosten enthalten sei. Zugesagt sei die Kostenerstattung für vier Bewerbungen monatlich. Über
die weitere Förderung könne jedoch nach den Bestimmungen der Eingliederungsvereinbarung individuell nach Rücksprache mit der
Integrationsfachkraft entschieden werden.
II.
Die Beschwerde hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§
173 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist auch statthaft. Die Beschwerde ist insbesondere nicht gemäß §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG ausgeschlossen, weil die Berufung in der Hauptsache der Zulassung nicht bedürfte. Die Wertgrenze von 750,00 EUR für Klagen,
die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betreffen, gilt für Eingliederungsverwaltungsakte
nach § 15 Abs. 1 Satz 6 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) nicht.
Die Beschwerde ist teilweise begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 19. April 2016 in vollem Umfang abgelehnt.
Der Antrag ist nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig gewesen. Nach §
86a Abs.
2 Nr.
4 SGG in Verbindung mit § 39 Nr. 1 SGB II entfällt von Gesetzes wegen zunächst die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,
der Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt. Für den Antrag besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.
Die Antragstellerin weist zutreffend darauf hin, dass bereits der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt
für sie Obliegenheiten statuiert und damit in ihre Rechtssphäre eingreift. Sie ist deshalb nicht verpflichtet, eine Sanktionierung
von Pflichtverletzungen abzuwarten und sich erst gegen diese im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zur Wehr zu setzen.
Die Antragstellerin hat ihren Antrag entsprechend §
99 Abs.
1 SGG im Beschwerdeverfahren auch in sachdienlicher und damit zulässiger Weise geändert, nach dem der Antragsgegner ihren Widerspruch
mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2016 zurückgewiesen hat und sie gegen diesen Widerspruchsbescheid am 30. Juni 2016 Klage
erhoben hat.
Der danach zulässige Antrag ist im tenorierten Umfang begründet. Über den Antrag nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheidet das Gericht aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung. Die aufschiebende
Wirkung wird angeordnet, wenn und soweit das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse
des Antragsgegners überwiegt. Dabei ist von einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses in der Regel auszugehen, wenn und soweit
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (vgl. §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG). Derartige Zweifel bestehen hier an der Rechtmäßigkeit des die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts jedenfalls
insoweit, als es um die im Tenor bezeichneten Pflichten der Antragstellerin geht.
Die Statuierung einer allgemeinen Meldepflicht kann nicht Gegenstand einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II und damit auch nicht Gegenstand eines die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II sein. Zwar soll die Eingliederungsvereinbarung insbesondere bestimmen, welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte
in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen
sind (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II). Für zulässig wird nach dieser Vorschrift u.a. die Vereinbarung der Pflicht erachtet, in bestimmten zeitlichen Abständen
beim persönlichen Ansprechpartner zu erscheinen (Müller, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 15 Rn. 50). Dies gelte insbesondere deshalb, weil die Regelung zum persönlichen Ansprechpartner in § 14 Satz 2 SGB II systematisch in das Steuerungsinstrument der Eingliederungsvereinbarung hineinwirke und als spezielle Regelung neben die
Erreichbarkeitsregeln des § 59 SGB II trete (Kador, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 15 Rn. 49).
Eine solche spezielle Regelung zur Meldefrequenz oder sonstigen Modalitäten der Meldung beim persönlichen Ansprechpartner
ist hier aber nicht getroffen worden. Vorliegend ist einzig die abstrakte Verpflichtung der Antragstellerin statuiert worden,
Einladungen des Jobcenters - und nicht speziell des persönlichen Ansprechpartners - unverzüglich Folge zu leisten. Diese Pflicht
unterscheidet sich tatbestandlich nicht von der allgemeinen Meldepflicht, die durch § 59 SGB II i.V.m. §
309 SGB III abschließend geregelt wird (Blüggel, in: Eicher, a.a.O., §
59 Rn. 3 m.w.N.). Gegen die nochmalige, inhaltlich identische Verpflichtung der Antragstellerin durch Eingliederungsvereinbarung
bzw. einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt spricht dabei ganz wesentlich der Umstand, dass die Verletzung
der allgemeinen Meldepflicht nach § 32 Abs. 1 SGB II lediglich mit einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs sanktioniert wird, während
eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, nämlich die Weigerung, in dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt festgelegte Pflichten zu erfüllen,
eine Minderung des Arbeitslosengeldes II in der 1. Stufe um 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zur Folge hat (§ 31 a Abs. 1 Satz 1 SGB II).
Das bedeutet nicht, dass der Leistungsträger in einer Eingliederungsvereinbarung oder in einem die Eingliederungsvereinbarung
ersetzenden Verwaltungsakt auf die allgemeine Meldepflicht nicht hinweisen dürfte. Dabei ist allerdings der Hinweischarakter
kenntlich zu machen und nach Möglichkeit auch auf die gesonderte Sanktionsfolge für Meldeversäumnisse hinzuweisen. Dies ist
hier nicht geschehen. Vielmehr hat der Antragsgegner die im Tenor genannten Textpassagen unter der Überschrift "Bemühungen
von Frau B." in einem durch schwarze Umrandung besonders abgesetzten Textfenster platziert, so dass für einen objektiven Betrachter
der Eindruck entstehen muss, dass insoweit eine gesonderte Pflicht statuiert werden soll. Im Übrigen hat der Antragsgegner
die Antragstellerin über die - weniger einschneidenden - Rechtsfolgen einer Meldepflichtverletzung auch nicht belehrt.
Ansonsten erweist sich der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom 19. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 13. Juni 2016 als wahrscheinlich rechtmäßig. Der Senat nimmt insoweit gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 auf die Gründe des erstinstanzlichen
Beschlusses Bezug und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Das Beschwerdevorbringen
der Antragstellerin rechtfertigt insoweit keine andere Entscheidung. Insbesondere die Begrenzung der generellen Kostenübernahme
für 4 Bewerbungen monatlich übervorteilt die Antragstellerin nicht, zumal die Eingliederungsvereinbarung ausdrücklich vorsieht,
dass über die weitere Förderung individuell nach Rücksprache mit der Integrationsfachkraft entschieden werde, so das eine
starre Deckelung der Bewerbungskostenübernahme in der Eingliederungsvereinbarung nicht angelegt ist.
Der Senat sieht sich nach umfassender Interessenabwägung nicht veranlasst, wegen des beanstandeten Teils der Eingliederungsvereinbarung
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II insgesamt anzuordnen. Bei den beanstandeten Verpflichtungen handelt es sich um rechtlich abtrennbare Teilregelungen, die
den Bestand der Eingliederungsvereinbarung insgesamt nicht infrage stellen. Dass die Beschränkung der aufschiebenden Wirkung
der Klage auf diese die Antragstellerin belastenden Teilregelungen interessengerecht ist, zeigt sich gerade daran, dass die
Antragstellerin in ihrer Antragsschrift vom 10. Mai 2016 erklärt hat, dass sie die Eingliederungsvereinbarung bei Herausnahme
der Regelungen zur Meldepflicht unterschrieben hätte.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).