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LSG Thüringen, Urteil vom 06.06.2013 - 9 AS 1301/11
Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Erhöhung der Unterkunftskosten nach nicht erforderlichem Umzug
Normenkette:
GG
,
SGB II § 22 Abs. 1 S. 2
Vorinstanzen:
SG Meiningen 21.06.2011 S 10 AS 1013/10
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 21. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung höherer Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum 1. April 2010 bis 30. September 2010. Die Klägerin steht seit 2005 im Leistungsbezug und bewohnte zunächst mit ihrer Tochter eine Wohnung in der Z.str. 8 in R ... Am 8. April 2008 zeigte die Klägerin den am 30. März 2008 erfolgten Umzug in die S.gasse 9 in R. an (Bl. 330 VA), der notwendig wurde, weil der Beklagte die Kosten für die ursprüngliche Wohnung von 439 Euro nicht mehr übernommen und nur noch 280 Euro bewilligt hatte. Im Mietvertrag vom 1. April 2008 (Bl. 331 VA) vereinbarte die Klägerin mit dem Vermieter G. eine Kaltmiete in Höhe von 184 Euro und Nebenkosten in Höhe von 80 Euro. Mit Änderungsbescheid vom 18. April 2008 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum April bis September 2008 KdU in Höhe von monatlich 260,75 Euro. Mit Bewilligungsbescheid vom 19. September 2008 erkannte der Beklagte KdU für Oktober 2008 bis März 2009 von monatlich 260,37 Euro an. Mit Schreiben vom 6. Januar 2009 (Bl. 362 VA) teilte die Klägerin dem Beklagten ihren erneuten Umzug am 1. Januar 2009 in eine Wohnung in der Sch. Chaussee 33 in R. mit. Laut Mietvertrag vom 1. Januar 2009 (Bl. 364 VA) zahlte die Klägerin für diese Wohnung eine Kaltmiete von 220 Euro und Nebenkosten von 85 Euro. Zusätzlich fielen Abfallgebühren (ZASO) in Höhe von 3 Euro monatlich an. Ihren ohne Zusicherung erfolgten Umzug begründete die Klägerin gegenüber dem Beklagten damit, dass die verlassene Wohnung nicht ausreichend isoliert und im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß sei. Warmes Wasser komme in der früheren Wohnung nicht an, wenn die anderen Mietparteien gleichzeitig Wasser entnähmen. Mit Bescheiden vom 8. Januar 2009 und 9. März 2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin für Januar bis März 2009 bzw. April bis September 2009 weiterhin nur KdU in Höhe von 260,37 Euro. Das Sozialgericht Meiningen wies die Klagen auf Erstattung höherer KdU mit rechtskräftigem Urteil vom 12. Januar 2010 für diese Zeiträume unter dem Aktenzeichen S 10 AS 501/09 ab. Für den Zeitraum Oktober 2009 bis März 2010 bewilligte der Beklagte monatliche KdU von 280 Euro (Bescheide vom 14. Oktober 2009 und 18. Dezember 2009). Für April 2010 bis September 2010 erfolgte jedoch mit Bescheid vom 22. März 2010 wiederum eine Bewilligung von KdU in Höhe von lediglich 260,37 Euro. Im Widerspruchsbescheid vom 8. April 2010 nahm der Beklagte Bezug auf das Urteil des SG Meiningen vom 12. Januar 2010 und führte aus, dass die Bewilligung von 280 Euro für Oktober 2009 bis März 2010 rechtsfehlerhaft erfolgt sei. Hiergegen hat die Klägerin das SG Meiningen erneut um Rechtsschutz ersucht. Wie im Verfahren S 10 AS 501/09 trägt die Klägerin vor, sie sei chronisch nierenkrank, weshalb sie eine warme Wohnung dringend benötige. In ihrer alten Wohnung sei die Heizung defekt gewesen und die Wohnung sei nicht ausreichend isoliert gewesen. Häufig habe sie kein warmes Wasser gehabt. Der Vermieter habe eigenmächtig das Wasser und auch den Strom abgestellt. Die angekündigte Entlüftung der Heizung habe der Vermieter nicht vorgenommen. Deshalb sei der Umzug erforderlich gewesen. Hinsichtlich der Unterbrechung der Wasserversorgung ist von der Klägerin ein Beschluss des Amtsgerichts Rudolstadt vom 14. August 2008 vorgelegt worden, mit dem der Vermieter zur Herstellung der Wasserversorgung verpflichtet worden ist. Mit Urteil vom 21. Juni 2011 hat das SG Meiningen die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Dabei hat es Bezug genommen auf eine in der mündlichen Verhandlung zum Verfahren S 10 AS 501/09 durchgeführte Zeugenvernehmung des Vermieters G. und die ebenfalls protokollierte Befragung der Klägerin. Der Zeuge G. hat ausgesagt, dass zum Mietvertrag eine mündliche Nebenabrede bestand, nach der die Klägerin 200 Euro Kaltmiete und 100 Euro Vorauszahlung für Nebenkosten zu zahlen gehabt habe. Zunächst habe die Klägerin diese Summe auch gezahlt. Als sie dann nur noch 264 Euro gezahlt habe, habe der Zeuge ihr gesagt, dass dies nicht für die Nebenkosten reiche. Deshalb habe er auch das Wasser abgestellt. Die niedrigere Summe habe er auf Wunsch der Klägerin in den Mietvertrag aufgenommen, weil diese befürchtet habe, ansonsten die Wohnung von dem Beklagten nicht genehmigt zu bekommen. Bezüglich der Stromabschlagszahlung habe die Vereinbarung bestanden, dass diese direkt an ihn in Höhe von 20 Euro monatlich zu zahlen sei. Er habe dies deshalb so gewollt, da er mit Vormietern schon Probleme gehabt hätte, die ihre Zahlungen nicht an den Energieversorger geleistet hätten. Die Wohnung sei ausreichend beheizbar. Von einer unzureichenden Dämmung der Wohnung sei ihm nichts bekannt. Von den Vormietern sei nichts derartiges beanstandet worden und er selbst habe auch schon einmal in dieser Wohnung gelebt und nichts bemerkt. Daneben ist in der mündlichen Verhandlung auch die Tochter der Klägerin als Zeugin befragt worden. Diese hat ausgesagt, dass sie aus eigener Anschauung wisse, dass die Wohnung der Klägerin sehr kalt gewesen sei, weil die Heizung nicht richtig funktioniert habe und es "reingezogen" habe. Die Klägerin hat angegeben, den Vermieter nur einmal und ohne Fristsetzung zur Heizungsreparatur aufgefordert zu haben. Weitere Mängel seien dem Vermieter nicht angezeigt worden, weil die Wohnung von vornherein nur als eine Übergangslösung gedacht gewesen sei. Das mit der Nebenabrede hinsichtlich der höheren Mietzahlungen stimme. Als sie die Stromkosten direkt bei den Stadtwerken bezahlt habe, habe der Vermieter den Strom abgestellt und den Stromkasten mit einem Vorhängeschloss gesperrt. Das Schloss sei von einem Bekannten dann aufgebrochen worden. Im Anschluss habe der Vermieter im August 2008 das Wasser abgesperrt. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren höherer KdU weiter. Sie meint, der Umzug sei notwendig gewesen. Außerdem könne die Klägerin nicht auf Dauer auf die Kosten der alten Wohnung beschränkt bleiben. Dies lasse die allgemeine Mietpreisentwicklung außer Acht und führe zu einer Art Dauersanktionierung. Als Sperrfrist sei lediglich ein Zeitraum von einem Jahr hinzunehmen. Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 21. Juni 2011 und den Bescheid vom 22. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. April 2010 bis zum 30. September 2010 weitere monatliche Kosten der Unterkunft in Höhe von 41,16 Euro zu bezahlen. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Im Übrigen sei eine zeitlich einschränkende Auslegung von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II unter Berufung auf Mieterhöhungen, die bei Verbleib in der bisherigen Wohnung ebenfalls stattgefunden hätten, rein fiktiv. Der Senat hat die Akten zum Verfahren vor dem SG Meiningen mit dem Aktenzeichen S 10 AS 501/09 beigezogen. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts und die Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin konnte Klage und Berufung wirksam auf die Überprüfung der KdU beschränken (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2009, B 14 AS 31/07 R). Für den streitbefangenen Zeitraum vom 1. April 2010 bis zum 30. September 2010 hat die Klägerin wegen § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II keinen Anspruch auf höhere KdU als die ursprünglich für die Wohnung in der Stiftsgasse 9 bewilligten 263,37 Euro. Eine Zusicherung zum Umzug hatte die Klägerin nicht. Der Umzug in die Sch.Chausee war auch nicht erforderlich. Hierzu wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen, §
153
Abs.
2
Sozialgerichtsgesetz
(
SGG
). Entscheidend ist für den Senat insbesondere, dass die Klägerin an der Beseitigung der vorgetragenen Mängel der Wohnung offenbar gar kein ernsthaftes Interesse hatte. Deren Anzeige beim Vermieter ist nach eigener Aussage der Klägerin entweder gar nicht oder - im Falle der Aufforderung zur Heizungsentlüftung - nur ein einziges Mal mündlich und ohne Fristsetzung erfolgt. Die Klägerin gab außerdem an, dass sie nie ernsthaft in der verlassenen Wohnung habe bleiben wollen. Vielmehr sei diese von vornherein nur als Übergangslösung gedacht gewesen. Auch bezüglich des abgestellten Stroms bzw. Wassers ist der Auffassung des Sozialgerichts zuzustimmen, dass dies nicht zur Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Mietverhältnisses geführt hat. Hier ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin mit dem Abweichen von den mündlich getroffenen Nebenabreden zum Mietvertrag (direkte Zahlung der Stromkosten an den Vermieter, höherer Mietzins und höhere Nebenkostenvorauszahlung) selbst nicht unerheblich zur Eskalation beigetragen hat. Außerdem waren die Streitpunkte durch den Beschluss des Amtsgerichts Rudolstadt und das Aufbrechen des Vorhängeschlosses am Stromkasten zum Zeitpunkt des Auszuges offenbar längst erledigt. Weitere derartige Maßnahmen des Vermieters sind jedenfalls nicht vorgetragen. Der Senat sieht keine Anhaltspunkte, § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II hinsichtlich seiner zeitlichen Dauer zu begrenzen. Nach dieser Vorschrift sollen - so die Gesetzesbegründung - die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt werden, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit zwar höheren, aber gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Motiv der gesetzlichen Neujustierung der Angemessenheitsgrenze in derartigen Fallkonstellationen war es, Kostensteigerungen entgegenzuwirken (Bundestagsdrucksache 16/1410, S. 23, Lang/Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II-Kommentar, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 47a). Der Hilfebedürftige soll die derart gestiegenen Kosten für die Unterkunft und Heizung dann nach dem Willen des Gesetzgebers aus der Regelleistung aufbringen (Lang/Link, aaO.). Aus dem Wortlaut der Norm lässt sich eine zeitliche Begrenzung nicht entnehmen. Die vom SG Berlin, Urteil vom 16. Juli 2010, S 82 AS 7352/09 angenommene Begrenzung auf zwei Jahre erscheint dem Senat ohne Anhalt im Gesetz völlig aus der Luft gegriffen. Auch eine Dynamisierung des Deckelungsbetrags anhand von Entwicklungsdaten des allgemeinen Wohnungsmarktes (so SG Berlin, Urteil vom 11. November 2011, S 37 AS 14345/11; im Ergebnis ebenso Berlit, in: Münder, SGB II, § 22 Rn. 69) ist vom Wortlaut der Norm nicht gedeckt. Wenn der Gesetzgeber eine zeitliche Begrenzung bzw. Dynamisierung im oben genannten Sinne gewollt hätte, hätte er dies ebenso wie im sogleich auf die auszulegende Vorschrift folgenden § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II mit einer in vergleichbarer Weise differenzierenden und abmildernden Regelung durch bloße Einführung einer Frist bestimmen können. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht. Zu berücksichtigen ist, dass § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nur eingreift, wenn der Leistungsempfänger gleichsam "ohne Not" höhere Kosten auslöst und somit seine Situation eigenverschuldet ist. Im Übrigen erscheint dem Senat die von Lauterbach (in: Gagel, SGB II/SGB III, § 22 Rn 46) aufgezeigte Lösung praktikabel und verfassungskonform. Danach soll ein weiterer Umzug die Deckelung beenden, wenn wegen der Deckelung die bezogene Wohnung wieder aufgegeben werden muss und zu den Ursprungsaufwendungen, also zum Deckelungsbetrag, keine angemessene Unterkunft angemietet werden kann. Artikel
11
Grundgesetz
ist schon dadurch nicht verletzt, dass der Leistungsempfänger in eine andere Gemeinde umziehen kann und dabei die Deckelung nicht "mitnimmt". Diese Auslegung von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II entspricht auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Dieses geht davon aus (Urteil vom 23. August 2012, B 4 AS 32/12 R), dass die Wirkung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II in den "weitreichenden Konsequenzen" einer "dauerhaften, nur gekürzten Übernahme der tatsächlich angemessenen KdU" besteht. Es ergebe sich "die gravierende Konsequenz einer auf unbegrenzte Zeit nur gedeckelten Kostenübernahme, also einer Leistungserbringung ggf unterhalb des Existenzminimums im Bereich des Wohnens". Die Kostenentscheidung beruht auf §
193
SGG
. Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160
Abs.
2
SGG
bestehen nicht.