Anspruch auf Arbeitslosengeld
Kein Eintritt einer weiteren Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme
Erforderlichkeit der Bescheiderteilung über eine vorausgegangene Sperrzeit
Gründe:
I
Im Streit ist nur noch die Aufhebung der Bewilligung von Alg wegen einer Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme,
soweit diese für mehr als drei Wochen erfolgt ist.
Der 1979 geborene Kläger war 2015 in einer Werbeagentur tätig. Zum 15.12.2015 meldete er sich arbeitslos und beantragte Alg,
das die Beklagte vom 15.12.2015 bis 6.12.2016 in Höhe von 62,10 Euro täglich bewilligte (Änderungsbescheid vom 8.2.2016).
Im Verlauf des Leistungsbezugs wies die Beklagte den Kläger unter Hinweis auf §
45 Abs
1 Satz 1
SGB III einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung "Langzeitarbeitslosigkeit vermeiden (LAV)" zu, die am 17.8.2016
beginnen und am 11.10.2016 enden sollte (Schreiben vom 15.7.2016). Das Schreiben enthielt die Rechtsfolgenbelehrung, dass
eine Sperrzeit eintrete, wenn die Teilnahme an der Maßnahme ohne wichtigen Grund abgelehnt werde, die Sperrzeit im Falle des
erstmaligen versicherungswidrigen Verhaltens drei Wochen sowie im Falle des zweiten versicherungswidrigen Verhaltens sechs
Wochen dauere, während der Sperrzeit der Anspruch auf Leistungen ruhe und die Anspruchsdauer sich um die Tage einer Sperrzeit
mindere. Der Kläger trat die Maßnahme nicht an, die Anhörung der Beklagten zum Eintritt einer dreiwöchigen Sperrzeit (Schreiben
vom 23.8.2016) blieb unbeantwortet.
Wiederum unter Hinweis auf §
45 Abs
1 Satz 1
SGB III wies die Beklagte den Kläger erneut der Maßnahme LAV zu (Schreiben vom 29.9.2016). Diese Maßnahme sollte zum 19.10.2016 beginnen
und am 6.12.2016 enden. Das Schreiben enthielt die gleiche Rechtsfolgenbelehrung wie die vorhergehende Zuweisung. Der Kläger
trat auch diese Maßnahme nicht an und wurde von der Beklagten zum Eintritt einer weiteren Sperrzeit angehört, die sechs Wochen
dauern sollte (Schreiben vom 20.10.2016). Hierauf teilte er mit, dass ihm die Maßnahme ungeeignet erschiene.
Die Beklagte hob die Entscheidung über die Bewilligung von Alg wegen der unterbliebenen Teilnahme des Klägers an der am 15.7.2016
angebotenen Maßnahme für den Zeitraum vom 18.8.2016 bis 7.9.2016 mit der Begründung ganz auf, der Anspruch ruhe wegen des
Eintritts einer Sperrzeit; die Sperrzeit dauere drei Wochen, weil es sich um das erste versicherungswidrige Verhalten gehandelt
habe, und mindere den Anspruch auf Alg um 21 Tage (Bescheid vom 28.11.2016). Mit Bescheid vom gleichen Tage hob sie zudem
die Bewilligung von Alg wegen der unterbliebenen Teilnahme des Klägers an der am 29.9.2016 angebotenen Maßnahme für den Zeitraum
vom 20.10.2016 bis 30.11.2016 ganz auf, ebenfalls mit der Begründung, der Anspruch ruhe wegen des Eintritts einer Sperrzeit
auch in dieser Zeit; die Sperrzeit dauere sechs Wochen, weil es sich um das zweite versicherungswidrige Verhalten gehandelt
habe und mindere den Anspruch auf Alg um 42 Tage.
Darüber hinaus erließ die Beklagte einen entsprechenden Änderungsbescheid zur Leistungsbewilligung und einen Erstattungsbescheid,
mit dem sie Alg für die Zeit vom 18.8.2016 bis 7.9.2016 in Höhe von 1242 Euro verlangte (weitere Bescheide vom 28.11.2016).
Die Widersprüche des Klägers gegen diese Bescheide wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 15.12.2016). Klage und
Berufung blieben erfolglos. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, beide Sperrzeiten seien zu Recht festgestellt
worden und auch die Aufhebung der Leistungsbewilligung sowie der geltend gemachte Erstattungsanspruch seien berechtigt. Insbesondere
sei die Dauer der zweiten Sperrzeit zutreffend mit sechs Wochen festgesetzt worden, denn nach dem Wortlaut des §
159 Abs
4 Satz 1
SGB III sei eine vorherige Feststellung einer Sperrzeit durch Bescheid nicht erforderlich. Es genüge ein erstmaliges und sodann ein
zweites versicherungswidriges Verhalten. Der Gegenauffassung, die sich an die Rechtsprechung des BSG zum SGB II anlehne, wonach es für eine weitere, erhöhte Absenkung des Alg II bei wiederholten Meldeversäumnissen einer vorangegangenen
entsprechenden Feststellung eines Meldeversäumnisses bedürfe (Hinweis auf BSG vom 9.11.2010 - B 4 AS 27/10 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 6), sei nicht zu folgen.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision, die sich nur noch gegen eine über drei Wochen hinausgehende Dauer der zweiten Sperrzeit
und die insoweit erfolgte Aufhebung der Leistungsbewilligung richtet, macht der Kläger eine Verletzung von §
159 Abs
4 Satz 1 Nr
2 SGB III geltend. Das LSG habe Sinn und Zweck der Norm verkannt, weil es sich mit der Entscheidung des BSG vom 9.11.2010 nicht in vollem Umfang auseinandergesetzt habe. Nach dieser Entscheidung solle die Sanktionierung durch Festlegung
eines erhöhten Absenkungsbetrags erst greifen, wenn dem Hilfebedürftigen durch den vorangegangenen Sanktionsbescheid in der
niedrigeren Stufe die Konsequenzen seines Verhaltens vor Augen geführt worden seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 29. August 2018 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom
30. August 2017 zu ändern und die Bescheide vom 28. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember
2016 insoweit aufzuheben, als die Bewilligung von Arbeitslosengeld auch für den Zeitraum vom 10. November 2016 bis 30. November
2016 aufgehoben wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend und verweist ergänzend darauf, dass § 31 SGB II nicht auf Sperrzeiten nach dem
SGB III analog anwendbar sei. Außerdem genügten schon Rechtsfolgenbelehrungen unter Berücksichtigung bereits früher ergangener Bescheide
den gesetzlichen Anforderungen, weil der Betroffene die Konsequenzen seines Handelns erkennen könne.
II
Die in statthafter Weise nur einen (rechtlich abtrennbaren) Teil des Urteils des LSG angreifende Revision des Klägers ist
zulässig und begründet (§
170 Abs
2 Satz 1
SGG). Entgegen der Auffassung von SG und LSG rechtfertigt die unterbliebene Teilnahme des Klägers an der angebotenen Maßnahme, die am 19.10.2016 beginnen sollte,
keine Aufhebung der Leistungsbewilligung für mehr als drei Wochen, denn es ist keine über drei Wochen hinausgehende Sperrzeit
eingetreten.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen die als einheitliche Regelung zu betrachtenden
Bescheide vom 28.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.12.2016, soweit durch diese die Bewilligung von Alg
wegen einer Sperrzeit über den 19.10.2016 hinaus auch für den Zeitraum vom 20.10.2016 bis 30.11.2016 aufgehoben und die Leistungsbewilligung
entsprechend geändert wurde. Der Kläger hat sein Begehren im Revisionsverfahren ausdrücklich auf diese zeitlich abtrennbare
Teilregelung beschränkt, sodass die genannten Bescheide und die vorinstanzlichen Urteile nur noch in diesem Umfang zu überprüfen
sind. Soweit ursprünglich auch Bescheide Gegenstand des Verfahrens waren, die sich auf die Zeit vom 18.8.2016 bis 7.9.2016
(Zeitraum der ersten Sperrzeit) und vom 20.10.2016 bis 9.11.2016 (Zeitraum der ersten drei Wochen der weiteren Sperrzeit)
bezogen haben, sind die Urteile von SG und LSG rechtskräftig und diese Bescheide (teilweise) bindend. Zutreffend verfolgt der Kläger sein Begehren mit einer (Teil-)
Anfechtungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1
SGG).
In der Sache ist die noch streitbefangene Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 10.11.2016 bis 30.11.2016 wegen
einer über den 19.10.2016 hinausgehenden Sperrzeit mit einer Dauer von mehr als drei Wochen rechtswidrig. Die auch insoweit
die Klage abweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen sind zu ändern und die noch angefochtenen Bescheide entsprechend teilweise
aufzuheben.
Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung ist § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X iVm §
330 Abs
3 Satz 1
SGB III, denn die Aufhebung ist - ausgehend von der Bekanntgabe der Bescheide vom 28.11.2016 (nach § 37 Abs 2 SGB X frühestens am 1.12.2016) - rückwirkend erfolgt. Nach diesen Vorschriften ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, um den
es sich bei der Bewilligung von Alg handelt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse unter den Voraussetzungen
des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche
Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die der Bewilligung von Alg
an den Kläger ab dem 15.12.2015 (Änderungsbescheid vom 8.2.2016) zugrunde gelegen haben, ist hier bezogen auf den nur noch
streitbefangenen Zeitraum vom 10.11.2016 bis 30.11.2016 nicht eingetreten. Die Nichtteilnahme des Klägers an der am 19.10.2016
beginnenden Maßnahme rechtfertigt schon deshalb keine sechswöchige (zweite) Sperrzeit ab dem 20.10.2016, die zum Ruhen des
Anspruchs auf Alg für mehr als drei Wochen führen würde, weil zuvor kein Bescheid über eine vorausgegangene Sperrzeit ergangen
ist.
§
159 SGB III (in der hier anwendbaren ab dem 1.4.2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt
vom 20.12.2011 - BGBl I 2854) bestimmt in Abs 1 Satz 1, dass der Anspruch auf Alg für die Dauer einer Sperrzeit ruht, wenn
sich ein Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges
Verhalten liegt nach §
159 Abs
1 Satz 2 Nr
4 SGB III vor - nur dieser Tatbestand kommt hier in Betracht -, wenn der Arbeitslose sich weigert, trotz Belehrung über die Rechtsfolgen
ua an einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (§
45 SGB III) teilzunehmen (Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme). Die Sperrzeit beginnt nach §
159 Abs
2 Satz 1
SGB III mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet. Die Dauer der Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme
ist in §
159 Abs
4 Satz 1
SGB III geregelt und beträgt im Fall des erstmaligen versicherungswidrigen Verhaltens drei Wochen (Nr 1), im Fall des zweiten versicherungswidrigen
Verhaltens sechs Wochen (Nr 2) und in den übrigen Fällen zwölf Wochen (Nr 3).
Eine Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme setzt, ebenso wie eine Sperrzeit bei Arbeitsablehnung
(dazu BSG vom 3.5.2018 - B 11 AL 2/17 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4300 § 159 Nr 6, RdNr 23 ff), zunächst ein hinreichend benanntes, zumutbares Maßnahmeangebot
voraus, versehen mit einer zutreffenden Rechtsfolgenbelehrung (zu den Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung im Einzelnen
BSG vom 27.6.2019 - B 11 AL 14/18 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann hier offenbleiben, denn
der Kläger wendet sich nicht gegen die Sperrzeit an sich, sondern nur gegen deren Dauer, soweit diese über drei Wochen hinausgeht.
Eine Sperrzeit von sechs Wochen kommt indes nur als zweite Sperrzeit (nach §
159 Abs
4 Satz 1 Nr
2 SGB III) in Betracht und setzt - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - voraus, dass eine erste Sperrzeit von drei Wochen nicht
nur eingetreten, sondern der Eintritt dieser Sperrzeit dem Betroffenen auch durch Bescheid mitgeteilt worden ist. An einem
solchen Bescheid fehlt es hier.
Eine ausdrückliche Regelung dazu, ob der Eintritt einer zweiten oder weiteren Sperrzeit mit längerer Sperrzeitdauer eine solche
Mitteilung der früheren Sperrzeit voraussetzt, fehlt zwar in §
159 Abs
4 SGB III. Doch folgt dies aus der systematischen Regelungsstruktur der Sperrzeitvorschriften und den zu deren verfahrensrechtlicher
Umsetzung entwickelten Grundsätzen.
Zwar tritt eine Sperrzeit kraft Gesetzes ein, setzt also keinen konstitutiven Bescheid voraus (vgl nur BSG vom 2.5.2012 - B 11 AL 18/11 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 24 RdNr 28, mwN). Aber es bedarf - schon aus Gründen der Rechtssicherheit und weil Gesetze sich in
der Regel nicht selbst vollziehen - immer dann einer Umsetzung durch Verwaltungsakt im konkreten Einzelfall, wenn besondere
Rechtsfolgen an den Eintritt der Sperrzeit geknüpft sind (vgl Coseriu in Eicher/Schlegel,
SGB III nF, §
159 RdNr 590, Stand September 2013; Valgolio in Hauck/Noftz,
SGB III, K §
159 RdNr 500, Stand Januar 2019; Karmanski in Brand,
SGB III, 8. Aufl 2018, §
159 RdNr 181). Insbesondere gilt dies, wenn - wie auch hier - eine bindende Leistungsbewilligung vorliegt, die bei Eintritt einer
Sperrzeit schon wegen § 39 Abs 2 SGB X unter Beachtung der verfahrensrechtlichen Gewährleistungen zurückgenommen oder aufgehoben werden muss. Es ist zwar anerkannt,
dass ein deklaratorischer Bescheid über den Eintritt einer Sperrzeit ergehen darf, wenn ein praktisches Bedürfnis hierfür
besteht (vgl BSG vom 6.5.2009 - B 11 AL 10/08 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 19 RdNr 20). Unabhängig hiervon kommt der "Feststellung" einer Sperrzeit zumeist jedoch keine eigenständige
Bedeutung zu. Denn immer, wenn auch Verfügungen zu den Rechtsfolgen einer Sperrzeit ergehen, geht die ständige Rechtsprechung
- selbst wenn diese Verfügungen durch gesonderte Bescheide erfolgen - von einheitlichen Regelungen aus (vgl etwa BSG vom 4.4.2017 - B 11 AL 19/16 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 25 RdNr 15, wo die Zulässigkeit einer isolierten Feststellung einer Sperrzeit in solchen Fällen ausdrücklich
offengelassen wird).
Eine mittelbare Sperrzeitfolge jedenfalls der Sperrzeiten bei Arbeitsablehnung, bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme
und bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme besteht auch darin, dass diese Sperrzeiten Grundlage für weitere,
längere Sperrzeiten sein können, wie es in §
159 Abs
4 SGB III vorgesehen ist. Denn eine Sperrzeit wegen eines erstmaligen versicherungswidrigen Verhaltens dieser Art führt nach §
159 Abs
4 Satz 1 Nr
1 SGB III - über das Ruhen und die Minderung des Leistungsanspruchs hinaus - dazu, dass bei einem weiteren versicherungswidrigen Verhalten
eine Sperrzeit eintreten kann, die sechs Wochen beträgt und bei einem weiteren versicherungswidrigen Verhalten wiederum Grundlage
für eine Sperrzeit von zwölf Wochen sein kann.
Ebenso wie die Sperrzeitfolgen des Ruhens oder der Minderung des Anspruchs erfordern auch diese möglichen Rechtsfolgen, um
im Einzelfall Wirksamkeit entfalten zu können, eine Umsetzung durch Verwaltungsakt. Denn warum bezogen auf die Rechtswirkungen
des §
159 Abs
4 Satz 1 Nr
2 oder Nr
3 SGB III anderes gelten soll, selbst wenn entsprechend §
159 Abs
2 SGB III der Sperrzeitbeginn in eine andere Sperrzeit fällt oder mehrere Sperrzeiten durch dasselbe Ereignis begründet werden, ist
nicht ersichtlich. Der Eintritt einer Sperrzeit von sechs oder zwölf Wochen im Falle eines zweiten oder dritten versicherungswidrigen
Verhaltens ist somit davon abhängig, dass das vorhergehende versicherungswidrige Verhalten nicht nur eingetreten, sondern
durch Verwaltungsakt umgesetzt worden ist. Wegen der vom Gesetz geforderten zeitlichen Abfolge von erstem, zweitem und weiterem
versicherungswidrigen Verhalten muss diese Umsetzung auch zeitlich gestaffelt stattfinden, darf also nicht - wie hier - gleichzeitig
erfolgen.
Diesem Ergebnis steht weder die Rechtsentwicklung noch die Entstehungsgeschichte von §
159 Abs
4 Satz 1
SGB III entgegen. Die Regelung geht zurück auf §
144 Abs
4 SGB III, der zum 1.1.2003 durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I 4607) eingefügt
wurde und erstmals Regelungen zur Sperrzeitdauer bei Arbeitsablehnung und der Ablehnung beruflicher Eingliederungsmaßnahmen
enthielt, die zwischen erster, zweiter und weiterer Ablehnung unterschieden. In Anlehnung an ein individualisiertes Vermittlungskonzept
sollte die Sperrzeitdauer flexibler und differenzierter gestaltet werden (vgl BT-Drucks 15/25 S 31; Voelzke in Spellbrink/Eicher,
Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 391 ff). Eingebettet war die Regelung in eines von mehreren
Gesetzgebungsverfahren, das der Umsetzung von Vorschlägen der sogenannten Hartz-Kommission "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt"
diente und insbesondere Qualität und Schnelligkeit der Arbeitsvermittlung verbessern, neue Beschäftigungsmöglichkeiten erschließen
und den Dienstleistungscharakter der BA stärken sollte (vgl BT-Drucks 15/25 S 22). Verfahrensregelungen waren nicht der zentrale
Gegenstand des Gesetzgebungsvorhabens. Deshalb ist nichts dafür ersichtlich, der Gesetzgeber habe im Bewusstsein, dass Sperrzeiten
grundsätzlich kraft Gesetzes eintreten, bewusst auf eine Verfahrensregelung mit Vorwarnfunktion verzichtet, wie sie etwa in
§
161 Abs
1 Nr
2 Satz 1
SGB III enthalten ist.
Auch aus der weiteren Rechtsentwicklung im Anschluss an das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ergibt
sich kein Anhaltspunkt hierfür. So diente insbesondere die Änderung von §
144 Abs
4 SGB III aF zum 1.1.2009 durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008 (BGBl I 2917)
mit dem Verzicht auf die Anknüpfung der Sperrzeitdauer auch an die Restdauer der Beschäftigung bzw Maßnahme in erster Linie
der Rechtsvereinfachung (vgl BT-Drucks 16/10810 S 38), was darauf hindeutet, dass dem Gesetzgeber an leicht handhabbaren,
den Anforderungen der Massenverwaltung gerecht werdenden Regelungen gelegen ist.
Die Vorschriften im SGB II zu den Sanktionen bei Fehlverhalten und deren Rechtsentwicklung sind für die Auslegung von §
159 Abs
4 Satz 1
SGB III nicht von durchgreifender Bedeutung (anders SG Kassel vom 7.11.2012 - S 7 AL 214/10 - juris; Sächsisches LSG vom 5.2.2016 - L 3 AL 199/15). Der bis zum 31.3.2011 geltende § 31 Abs 3 SGB II und seine ab dem 1.4.2011 geltende Nachfolgebestimmung § 31a SGB II sehen für eine Fülle unterschiedlichster Pflichtverletzungen von Beziehern von Alg II im Falle einer Wiederholung sich schematisch
steigernde Minderungen des Anspruchs auf Alg II und schließlich dessen Wegfall vor. Sind Sperrzeiten nach dem
SGB III festgestellt, die zum Ruhen oder Erlöschen des Anspruchs auf Alg führen, oder erfüllen die Leistungsberechtigten die Voraussetzungen
dafür, gilt dies nach § 31 Abs 2 Nr 3 und 4 SGB II als eigenständige Pflichtverletzung, die ebenfalls zu den Rechtsfolgen nach § 31a SGB II führen kann.
Dieses Normprogramm weicht sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgenseite so erheblich von den spezifischen
Sperrzeitregelungen, insbesondere bei Arbeitsablehnung und bei Ablehnung beruflicher Eingliederungsmaßnahmen nach dem
SGB III, ab, dass nur in zu begründenden Ausnahmefällen von Rechtskreis überschreitenden Wertungen auszugehen wäre. Zudem überschneiden
sich die mit diesen Sperrzeitregelungen nach dem
SGB III verfolgten Ziele, die sich gerade nicht auf eine Sanktionierung richten (vgl nur Winkler in Gagel, SGB II/SGB III, §
159 SGB III RdNr 40 ff, Stand März 2015), allenfalls teilweise mit denen der Sanktionsregelungen des SGB II (vgl Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, K § 31 RdNr 33, Stand März 2018). Daher ist auch nicht im Sinne eines Umkehrschlusses aus § 31a Abs 1 Satz 4 SGB II, der ausdrücklich vorsieht, dass eine wiederholte Pflichtverletzung nur vorliegt, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt
wurde, zu folgern, der Gesetzgeber habe eine entsprechende Regelung im
SGB III bewusst nicht treffen wollen. § 31a Abs 1 Satz 4 SGB II entspricht der Rechtsprechung des BSG zur Anwendung der Sanktionsnormen des SGB II (vgl BSG vom 9.11.2010 - B 4 AS 27/10 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 6) und ist ausdrücklich mit dem Ziel eingefügt worden, mehr Rechtsklarheit zu schaffen und unnötige
Gerichtsverfahren zu vermeiden (vgl BT-Drucks 17/3404 S 111 f). Allein dieses Ziel dürfte Geltung sowohl für das Sperrzeitrecht
des
SGB III als auch für das Sanktionsregime des SGB II beanspruchen können, es spricht aber eher für eine entsprechende Anwendung des § 31a Abs 1 Satz 4 SGB II im Regelungszusammenhang des
SGB III und gegen die Annahme, §
159 Abs
4 Satz 1
SGB III sei bewusst enger gefasst.
Diese Auslegung des §
159 Abs
4 SGB III steht in systematischer Hinsicht - entgegen der Auffassung des LSG - auch mit §
161 Abs
1 Nr
2 SGB III im Einklang. §
161 Abs
1 Nr
2 SGB III verlangt für die Rechtsfolge des Erlöschens eines Alg-Anspruchs wegen Sperrzeiten von einer bestimmten Gesamtdauer, dass
der Arbeitslose durch schriftlichen Bescheid auf die Rechtsfolgen des Eintritts vorhergehender Sperrzeiten hingewiesen wurde.
§
161 Abs
1 Nr
2 SGB III entspricht §
147 Abs
1 Nr
2 SGB III in der bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung und geht zurück auf § 119 Abs 3 AFG, wonach ebenfalls ein schriftlicher Bescheid über eine erste Sperrzeit erforderlich war, wenn der Anspruch auf Alg wegen
einer erneuten Sperrzeit erlöschen sollte (im Einzelnen zur Rechtsentwicklung Voelzke in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch
des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 12 RdNr 453; vgl auch BSG vom 13.5.1987 - 7 RAr 90/85 - BSGE 61, 289, 292 ff = SozR 4100 § 119 Nr 31 S 150 ff, juris RdNr 21 ff).
Ziel dieser Vorwarnfunktion ist es, dem Arbeitslosen eindringlich vor Augen zu führen, wie sein bisheriges Verhalten bewertet
wird und mit welchen besonderen Rechtsfolgen er im Falle der Wiederholung von versicherungswidrigem Verhalten zu rechnen hat
(vgl nur Valgolio in Hauck/Noftz,
SGB III, K §
161 RdNr 30 ff, Stand April 2016; Reichel in jurisPK-
SGB III, 2. Aufl 2019, §
161 RdNr 27). Dieses Erfordernis besteht in gleicher Weise im Rahmen der Anwendung von §
159 Abs
4 SGB III. Für eine solche Warnung reicht es gerade nicht aus, dass Arbeits- bzw Maßnahmeangebote ohnehin mit Rechtsfolgebelehrungen
versehen sein müssen (zu den Anforderungen vgl BSG vom 27.6.2019 - B 11 AL 14/18 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) und darüber hinaus die sich aus § 24 SGB X ergebende allgemeine Verpflichtung besteht, den Arbeitslosen anzuhören, wenn wegen des Eintritts einer Sperrzeit die Leistungsbewilligung
teilweise aufgehoben und die Erstattung von Leistungen verlangt werden soll. Weder eine Rechtsfolgenbelehrung noch eine Anhörung
enthalten nämlich konkret regelnde Verfügungen, sondern stellen allein die Rechtslage aus Sicht der Verwaltung dar, verbleiben
aber gleichwohl im allgemein-abstrakten, weil sie eine abschließende Entscheidung lediglich vorbereiten. Denn ob und welche
Entscheidung im Einzelfall letztlich konkret getroffen wird, bleibt noch offen.
Der Betroffene soll in dieser Phase regelmäßig immer noch sein Verhalten an den ihm erteilten Hinweisen ausrichten oder Umstände
geltend machen können, die aus seiner Sicht der Auffassung der Verwaltung, etwa zum Eintritt einer Sperrzeit und deren Umsetzung,
entgegenstehen. Dass dies auch sinnvoll und zeitlich möglich ist, zeigt der vorliegende Fall exemplarisch. Obwohl der Kläger
zum Eintritt einer Sperrzeit wegen des Nichtantritts der Maßnahme am 17.8.2016 bereits am 23.8.2016 angehört worden war, erfolgte
eine Entscheidung hierüber aber erst am 28.11.2016. Es ist nicht auszuschließen, dass eine Entscheidung vor der am 19.10.2016
beginnenden Maßnahme als nunmehr verbindliche Warnung den Kläger durchaus veranlasst hätte, diese Maßnahme anzutreten.
Rechtssystematisch stellt es zudem keinen Unterschied dar, ob das wiederholte versicherungswidrige Verhalten zum Erlöschen
des Anspruchs auf Alg führt (§
161 Abs
1 Nr
2 SGB III) oder (nur) zu einer Verdoppelung der Sperrzeitdauer und den damit verbundenen Auswirkungen auf den Leistungsanspruch, wie
es §
159 Abs
4 Satz 1 Nr
2 bzw Nr
3 SGB III vorsieht. Es besteht jeweils in gleicher Weise ein Bedarf, gegenüber dem Arbeitslosen nicht nur allgemein auf die Möglichkeit
hinzuweisen, sondern verbindlich zu verfügen, dass ein bestimmtes versicherungswidriges Verhalten weitergehende Rechtsfolgen
haben wird, als solche, die regelmäßig bei versicherungswidrigen Verhalten eintreten.
Vorliegend hat die Beklagte unter dem 28.11.2016 gleichzeitig sowohl wegen einer ersten (vom 18.8.2016 bis 7.9.2016) als auch
wegen einer zweiten Sperrzeit (vom 20.10.2016 bis 30.11.2016) die Leistungsbewilligung aufgehoben. Die Voraussetzungen für
eine zweite, längere Sperrzeit lagen danach bereits deshalb nicht vor, weil es an der vorhergehenden Feststellung einer ersten
Sperrzeit durch Bescheid fehlte. Soweit in dem Nichtantritt auch der am 19.10.2016 beginnenden Maßnahme ein versicherungswidriges
Verhalten des Klägers zu sehen ist, rechtfertigt dieses nur die Aufhebung vom 20.10.2016 bis 9.11.2016 wegen des Eintritts
einer Sperrzeit von drei Wochen nach §
159 Abs
4 Satz 1 Nr
1 SGB III, wogegen sich der Kläger aber ausdrücklich nicht (mehr) wendet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger in den Vorinstanzen, anders als im Revisionsverfahren, nur teilweise obsiegt hat.