Feststellung eines Sportunfalls als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung; Abgrenzung Leistungssport und Schulsport
in der ehemaligen DDR
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.
Die 1963 geborene Klägerin gehörte von 1974 bis 1981 als Turnerin dem Leistungskader des Sportclubs C. (SC C.) an. Ab September
1975 war sie Schülerin der Kinder- und Jugendsportschule "F. (KJS). Am 8. September 1981 stürzte die Klägerin in der Turnhalle
des SC C. während des in den Stundenplan der KJS integrierten Turntrainings bei einem Flick-Flack auf den Kopf. Dabei zog
sie sich eine Distorsion der Halswirbelsäule zu.
Am 6. September 1991 ging bei der Beigeladenen zu 2. eine ärztliche Unfallmeldung über einen "Wirbelsäulenschaden durch Leistungssport-Turnen
von 1973-1981" ein. Die Beigeladene zu 2. gab den Vorgang an die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung (BafU; Rechtsvorgängerin
der beklagten Unfallkasse des Bundes) ab. Auf Anfrage der BafU teilte die Klägerin mit Schreiben vom 30. November 1991 mit,
am 14. März 1984 begutachtet worden zu sein. Gleichzeitig legte sie ihren mit der Staatlichen Versicherung der DDR am 26.
Juni 1984 abgeschlossenen Rentenvertrag über die ab 1. März 1982 nach einem Körperschaden von 30 % zu zahlende Rente vor.
Mit Schreiben vom 28. Mai 1993 reichte die BafU den Vorgang zurück. Bei der Beigeladenen zu 2. gingen im Dezember 1993 der
eingeholte Befundbericht von Dr. F. vom 22. November 1993 und am 11. Juli 1994 das beigezogene sportmedizinische Vorgutachten
der Dr. H. vom 20. Dezember 1982 ein, in dem auf ein "HWS-Trauma durch Kopfsturz beim Flick-Flack (C 6-Syndrom)" vom 9. September
1981 hingewiesen wird. Erneut leitete die Beigeladene zu 2. den Vorgang an die BafU weiter.
Die BafU lehnte es ab, einen Arbeitsunfall festzustellen. Der Unfall vom 8. September 1981 sei erst nach dem 31. Dezember
1993 bekannt geworden und wäre nach der
Reichsversicherungsordnung (
RVO) nicht zu entschädigen gewesen, weil es sich nicht um Schul-, sondern Leistungssport gehandelt habe (Bescheid vom 11. April
2000, Widerspruchsbescheid vom 7. November 2000). Das Sozialgericht Halle hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil
vom 7. November 2003).
Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) hat der Berufung überwiegend stattgegeben. Es hat die Verwaltungsentscheidung
der Beklagten aufgehoben und gegenüber der Beigeladenen zu 2. festgestellt, dass der Unfall vom 8. September 1981 ein Arbeitsunfall
war. Das Feststellungsbegehren gegenüber der Beklagten sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da sie als unzuständiger
Versicherungsträger entschieden habe. Aufgrund der Geburtsdaten der Klägerin sei nach Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt
III Nr 1 Buchst c Abs 8 Ziff 2 Buchst ff des Einigungsvertrages (EinigVtr) iVm der Liste über die Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger
für Arbeitsunfälle/Berufskrankheiten bis zum 31. Dezember 1990 die Beigeladene zu 2. zuständig. Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet
I Abschnitt III Nr 1 Buchst c Abs 8 Ziff 2 Buchst ee EinigVtr begründe eine Zuständigkeit der Beklagten nur für Arbeitsunfälle
nach § 1 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller
oder sportlicher Tätigkeiten vom 11. April 1973 (VersSchutzErwVO - GBl DDR I S 199). Der Besuch der KJS als Spezialschule
iS des § 18 Abs 1 und 2 des Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem (ESBG) vom 25. Februar 1965 (GBl
DDR I S 83) sei indes nach § 2 Buchst e VersSchutzErwVO versichert gewesen. Das Feststellungsbegehren gegenüber der Beigeladenen
zu 2. sei nach §
75 Abs
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig und auch begründet. Von dem Unfall habe sie zwar erst am 11. Juli 1994 Kenntnis erlangt. Allerdings liege sowohl
nach dem Recht des Beitrittsgebiets als auch der
RVO ein Arbeitsunfall vor. Der Unfall als Schülerin der KJS habe nach § 220 Abs 3 Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB DDR) iVm § 2 Buchst e VersSchutzErwVO als Arbeitsunfall gegolten. Die Klägerin sei auch
nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b
RVO versichert gewesen. Die KJS gehöre zu den allgemeinbildenden Schulen iS dieser Vorschrift. Auch wenn bei den Schülern der
KJS der Sport im Vordergrund gestanden habe, seien sie nach den staatlichen Lehrplänen auf die einschlägigen Prüfungen mit
dem Ziel vorbereitet worden, einen mit dem Realschulabschluss oder der Reifeprüfung vergleichbaren Abschluss zu erlangen.
Der Sturz auf den Kopf-Nacken-Bereich habe zudem in sachlichem Zusammenhang mit dem Schulbesuch gestanden. Das in den Lehrplan
eingebundene Sporttraining sei dem organisatorischen Verantwortungsbereich der KJS zuzuordnen. Zwar habe die sportliche Ausbildung
dem Deutschen Turn- und Sportbund der DDR (DTSB) als quasi halbstaatliche Organisation sowie seinen Untergliederungen oblegen
und sei der allgemeine Schulsport durch ein sportspezifisches Training ersetzt worden. Die Anordnung und Verteilung des Unterrichts
und des Trainings im Tages- und Wochenablauf habe sich aber in Abstimmung mit dem DTSB nach den Stundentafeln und zentralen
Lehrplänen des Ministeriums für Volksbildung (MfV) gerichtet. Gerade die räumliche, personelle und administrative Verflechtung
der Leitungsgremien der Sportorganisationen und der KJSen schließe eine komplette Ausgliederung der sportlichen Ausbildung
aus dem organisatorischen Verantwortungsbereich der KJS aus.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beigeladene zu 2. eine Verletzung der Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt
III Nr 1 Buchst c Abs 8 Ziff 2 Buchst ee und ff EinigVtr, des § 548 Abs 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b
RVO und des §
75 Abs
5 SGG. Nicht sie, sondern die Beklagte sei im Hinblick auf die hier maßgebende Vorschrift des § 1 VersSchutzErwVO zuständig. Die
Klägerin habe den Unfall während des Trainings für den SC C. und damit einer organisierten sportlichen Tätigkeit erlitten.
Der SC C. sei für die inhaltliche Durchführung des Trainings, die KJS hingegen lediglich für eine optimale Koordination von
Schulunterricht und Training verantwortlich gewesen. § 2 Buchst e VersSchutzErwVO beziehe sich nicht auf den Leistungssport,
sondern allein auf den an Schulen allgemein üblichen Sportunterricht. Der Tatbestand des § 539 Abs 1 Nr 14 b
RVO sei nicht erfüllt. Der Unfall habe sich nicht während des Schulbesuchs, sondern beim Training in der Sporthalle und im Verantwortungsbereich
des SC C. ereignet. Nach dem Beschluss des Sekretariats des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands
(SED) vom 24. Juni 1970 seien die Leitungen der Sportclubs im Prozess von Training, Unterricht und Erziehung für die Erfüllung
der sportlichen Leistungsaufträge im Zusammenwirken mit den Direktoren der KJSen verantwortlich gewesen. Die Ausübung des
über den allgemeinen Schulsport weit hinausgehenden Leistungssports werde vom Schutzziel der Schülerunfallversicherung nicht
erfasst. Bei der organisatorischen Verflechtung von KJSen und Sportclubs habe weniger die Förderung der schulischen Leistungen
als vielmehr die Vervollkommnung des Leistungssports im Vordergrund gestanden. Auch der Abschluss des privaten Rentenvertrags
spreche gegen den Unfallversicherungsschutz. Schließlich sei die Feststellung des Versicherungsfalls ohne zuvor durchgeführtes
Verwaltungsverfahren unzulässig. §
75 Abs
5 SGG sei in Fällen einer streitigen Versicherungs- und Beitragspflicht, nicht aber generell auf Feststellungsklagen anzuwenden.
Die Beigeladene zu 2. beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 17. April 2008 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil
des Sozialgerichts Halle vom 7. November 2003 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das Training sei dem Verantwortungsbereich der KJS zuzuordnen, obwohl es in der Turnhalle des SC C. stattgefunden habe. Es
habe sich um nach dem Lehrplan ausgewiesenen Schulsport gehandelt.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene zu 1. hat keinen Antrag gestellt.
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht gegenüber der Beigeladenen zu 2. einen Arbeitsunfall festgestellt.
Die auf Aufhebung der Ablehnungsentscheidung der Beklagten und Feststellung eines Arbeitsunfalls gerichtete kombinierte Anfechtungs-
und Feststellungsklage ist zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann ein Versicherter, dem gegenüber ein
Träger der gesetzlichen Unfallversicherung durch Verwaltungsakt entschieden hat, dass ein Arbeitsunfall nicht gegeben ist,
dessen Vorliegen als Grundlage in Frage kommender Leistungsansprüche vorab im Wege einer Kombination von Anfechtungs- und
Feststellungsklage gemäß §
54 Abs
1 Satz 1, §
55 Abs
1 Nr
1 SGG klären lassen (BSG vom 2. Dezember 2008 - B 2 U 26/06 R - mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Das besondere Feststellungsinteresse liegt vor. Diesem steht nicht entgegen, dass ein unzuständiger Versicherungsträger den
angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat. Unter dem berechtigten Interesse an der baldigen Feststellung iS des §
55 Abs
1 SGG ist jedes nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigte Interesse gemeint, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller
Art sein kann. Das rechtliche und wirtschaftliche Interesse besteht, wenn das Vorliegen eines Arbeitsunfalls - wie hier -
durch Verwaltungsakt verneint wird und damit mögliche Rechtsansprüche nur durch Klage gewahrt werden können (BSG vom 2. April
2009 - B 2 U 30/07 R - mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Dass die Beigeladene zu 2. den angefochtenen Bescheid nicht erlassen hat, führt nicht zur Unzulässigkeit der gegen sie gerichteten
Feststellungsklage. Deren Statthaftigkeit ergibt sich aus §
75 Abs
5 SGG, wonach ein Versicherungsträger nach Beiladung verurteilt werden kann. Die Vorschrift erlaubt es aus prozessökonomischen
Gründen, statt des Beklagten den tatsächlich leistungspflichtigen Versicherungsträger zu verurteilen. Ihr Anwendungsbereich
beschränkt sich aber nicht auf Leistungs- und Verpflichtungsklagen, sondern erfasst auch Feststellungsklagen (BSG vom 2. Dezember
2008, aaO, mwN).
Die kombinierte Anfechtungs- und gegenüber der Beigeladenen zu 2. erhobene Feststellungsklage ist auch begründet. Die Verwaltungsentscheidung
der Beklagten vom 11. April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2000 ist rechtswidrig und verletzt
die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat am 8. September 1981 einen Arbeitsunfall erlitten.
Der hier streitige Unfall hat sich in der ehemaligen DDR ereignet. Seine Feststellung als Arbeitsunfall richtet sich daher
aufgrund der Übergangsregelungen der §§
212 und
215 Abs
1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) nach § 1150 Abs 2
RVO in der am 31. Dezember 1996 geltenden Fassung des Renten-Überleitungsgesetzes vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606, 1688). Gemäß § 1150 Abs 2 Satz 1
RVO gelten Unfälle, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle
waren, als Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buches der
RVO. Das gilt nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1
RVO aber nicht für Unfälle, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst
nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der
RVO nicht zu entschädigen wären. Dieser Ausschlusstatbestand greift hier nicht. Der Unfall vom 8. September 1981 ist einem Träger
der Unfallversicherung zwar erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden (dazu 1.). Allerdings liegen die Voraussetzungen
für die Feststellung eines Arbeitsunfalls sowohl nach dem Dritten Buch der
RVO (dazu 2.) als auch dem Recht des Beitrittsgebiets (dazu 3.) vor. Zuständig für das Unfallgeschehen ist die Beigeladene zu
2. (dazu 4.).
1. Der Unfall vom 8. September 1981 ist der Beigeladenen zu 2. als einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen
Unfallversicherungsträger erst im Juli 1994 durch das sportmedizinische Vorgutachten der Dr. H. vom 20. Dezember 1982 bekannt
geworden. Ein vor dem 1. Januar 1994 liegendes Bekanntwerden iS des § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1
RVO kann nicht darin gesehen werden, dass an die Beigeladene zu 2. oder einen anderen Träger der Unfallversicherung die ärztliche
Unfallmeldung vom 29. August 1991, der Rentenvertrag vom 26. Juni 1984 und der Befundbericht von Dr. F. vom 22. November 1993
gelangt sind. Nach den bindenden Feststellungen des LSG lassen sich diesen Unterlagen keine Hinweise auf den Sturz während
des Turntrainings entnehmen.
2. Der Unfall der Klägerin ist ein Arbeitsunfall nach dem Dritten Buch der
RVO und ggf danach zu entschädigen.
Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1
RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Seine Feststellung erfordert im Regelfall, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit
des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten,
von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis
einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von
länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des erlittenen Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung
des Arbeitsunfalls (BSG vom 2. Dezember 2008 aaO, mwN).
Durch den Sturz auf den Kopf hat die Klägerin einen Unfall erlitten. Das von außen auf den Körper einwirkende Ereignis liegt
nicht nur bei einem besonders ungewöhnlichen Geschehen, sondern auch bei einem alltäglichen Vorgang, wie das Stolpern über
die eigenen Füße oder das Aufschlagen auf den Boden vor, weil hierdurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (BSG
vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R - mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Infolge des Sturzes hat die Klägerin eine Distorsion der Halswirbelsäule
und damit einen Gesundheitsschaden erlitten. Der Unfall war durch die sportliche Verrichtung - das Trainieren des Flick-Flack
- bedingt. Diese Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses gehörte zur versicherten Tätigkeit nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b
RVO und stand daher mit dieser in einem sachlichen Zusammenhang. Die Klägerin war Schülerin der allgemeinbildenden KJS (dazu
2.1). In deren organisatorischen Verantwortungsbereich hat sich der Unfall ereignet (dazu 2.2).
2.1 Nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b
RVO sind in der Unfallversicherung Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen versichert. Zu den allgemeinbildenden
Schulen iS dieser Vorschrift zählen Schulen, die nach ihrem Schulziel den Schülern eine auf den Haupt- oder Realschulabschluss
oder die Reifeprüfung vorbereitende Bildung vermitteln. Entscheidend ist nicht allein der erzielbare Schulabschluss, sondern
die Vermittlung allgemeiner Bildungsinhalte, die mit den genannten Schulabschlüssen verbunden sind (BSG vom 30. Oktober 1991
- 2 RU 73/90 - Juris RdNr 13 und 17; BSG vom 26. Januar 1988 - 2 RU 2/87 - BSGE 63, 14, 16 = SozR 2200 § 539 Nr 125 S 361). Ein solches Schulziel hat nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG auch die
KJS verfolgt. Deren Schüler wurden nach den staatlichen Lehrplänen auf Prüfungen mit dem Ziel vorbereitet, einen mit dem Realschulabschluss
oder der Reifeprüfung vergleichbaren Abschluss zu erlangen.
2.2 Versicherte Tätigkeit nach § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b
RVO ist nur der Schulbesuch. Er erstreckt sich auf Betätigungen während des Unterrichts, in den dazwischen liegenden Pausen und
solche im Rahmen sog Schulveranstaltungen. Die unfallbringende Verrichtung muss im organisatorischen Verantwortungsbereich
der Schule geschehen. Außerhalb dieses Verantwortungsbereichs besteht auch bei Verrichtungen kein Versicherungsschutz, die
durch den Schulbesuch bedingt sind (BSG vom 26. Oktober 2004 - B 2 U 41/03 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 7 RdNr 7 mwN).
Dieser organisatorische Verantwortungsbereich erfordert einen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Schule.
Daran fehlt es, wenn wirksame schulische Aufsichtsmaßnahmen nicht mehr gewährleistet sind (BSG vom 18. April 2000 - B 2 U 5/99 R - SozR 3-2200 § 539 Nr 49 S 214). Er liegt indes vor, wenn der Schüler an einer in den Lehrplan aufgenommenen Veranstaltung
teilnimmt (BSG vom 4. Dezember 1991 - 2 RU 79/90 - NJW 1992, 1525) und erfasst damit jedenfalls Verrichtungen während des Schulunterrichts (BSG vom 23. April 1975 - 2 RU 227/74 - BSGE 39, 252, 253 = SozR 2200 § 550 Nr 4 S 8). Danach steht die zum Unfall führende Turnübung im inneren Zusammenhang mit dem Schulbesuch.
Das am Unfalltag während des Schulunterrichts durchgeführte Sporttraining fällt in den organisatorischen Verantwortungsbereich
der KJS.
Das mit der Zugehörigkeit zum Leistungskader des SC C. verbundene Training war in den Stundenplan der KJS integriert. Darüber
hinaus richtete sich die Anordnung sowie Verteilung des Schulunterrichts nach den Stundentafeln und zentralen Lehrplänen des
MfV. Zudem wurde das Training durch die Sportlehrer der KJS geleitet. Infolge dessen fiel die Zeiteinteilung hinsichtlich
des Turntrainings in die Zuständigkeit der KJS. Ferner waren wegen der Trainingsleitung sowie Überwachung durch den Sportlehrer
wirksame schulische Aufsichtsmaßnahmen nicht ausgeschlossen. Die KJS hat damit das Training mitgetragen und war für dessen
Durchführung zumindest mitverantwortlich.
Es trifft zwar zu, dass der übliche Schulsport durch das Training für den Leistungskader ersetzt worden ist. Ob ein Schulbesuch
vorliegt, wird aber nicht durch die inhaltliche Ausrichtung einer Veranstaltung oder die Art der zum Unfallzeitpunkt verrichteten
Tätigkeit bestimmt. Maßgebend ist vielmehr, ob eine Verrichtung, die ggfls wegen ihres privaten Zwecks an sich nicht unter
dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, in den organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule fällt. Das
ist der Fall, wenn - wie hier - es sich um eine Veranstaltung handelt, hinsichtlich derer die Schule sich nicht jeder Einwirkungsmöglichkeit
sowie ordnungsgemäßen Aufsicht begeben hat und daher (Mit-) Verantwortung trägt und das Verhalten des Schülers zum Unfallzeitpunkt
als Teilnahme an einer solchen anzusehen ist.
Dass die Klägerin als Angehörige des SC C. trainiert und es sich bei dem DTSB mit seinen Unterorganisationen um eine eigenständige,
vom Schulwesen der DDR unabhängige Organisation gehandelt hat, führt auch im Hinblick auf den von der Beigeladenen zu 2. zitierten
Beschluss des Sekretariats des Zentralkomitees der SED vom 24. Juni 1970 zu keinem anderen Ergebnis. Ihr Einwand, danach wären
"die Leitungen der Sportclubs im Prozess von Training, Unterricht und Erziehung für die Erfüllung der sportlichen Leistungsaufträge
im Zusammenwirken mit den Direktoren der KJS verantwortlich" gewesen, bestätigt vielmehr die Einwirkungsmöglichkeit der KJS.
Die Sportorganisationen hatten sich nach diesem Beschluss hinsichtlich der "Maßnahmen zur Sicherung von Training, Unterricht
und Erziehung" mit dem jeweiligen Direktor der KJS abzustimmen (vgl Prof Dr Horst Röder, Nachwuchsleistungssport, Zum Aufbau
der 1. und 2. Förderstufe in ihren organisatorischen Strukturen - Die Sportclubs und ihre Aufgaben im Nachwuchssport, unter:
http://www.sport-ddr-roeder.de/nachwuchsleistungssport_1.html [Stand: 30. Juni 2009]). Die enge personelle und organisatorische
Verflechtung zwischen den KJSen und den Sportclubs (vgl hierzu Nils Hoffmann, Der Ausbau der Kinder- Jugendsportschulen (KJS)
der DDR unter besonderer Betrachtung des Konflikts um einen ´humaneren Kinderhochleistungssport´ zwischen dem Ministerium
für Volksbildung und dem DTSB, S 73f, unter: http://www.sport.unimainz.de/mueller/Texte/HOFFMANNExArbeit03.pdf [Stand: 30.
Juni 2009]) macht deutlich, dass das Sporttraining der Klägerin nicht allein in den Verantwortungsbereich des SC C., sondern
auch in den der KJS fiel. Auch wenn der DTSB durch die ihm unterstellten Vertreter der Sportclubs in den KJSen eine dominierende
Rolle einnahm (vgl Nils Hoffmann aaO S 74), war der KJS in Bezug auf das in den Stundenplan integrierte Training der Klägerin
nicht jede Einflussnahme und Einwirkungsmöglichkeit unter schulischen Aspekten entzogen. Damit hat sich die Klägerin auch
nicht rein persönlichen, von der versicherten Tätigkeit nicht mehr beeinflussten Belangen gewidmet (vgl hierzu BSG vom 5.
Oktober 1995 - 2 RU 44/94 - SozR 3-2200 § 539 Nr 34 S 128 mwN) und kann dahin gestellt bleiben, ob auch das Training für den Leistungskader zugleich
den mit dem üblichen allgemeinen Schulsport regelmäßig verfolgten pädagogischen Zwecken diente, zumal in das Training Elemente
der allgemeinen athletischen Grundausbildung zu integrieren waren (vgl Nils Hoffmann aaO S 80).
Die organisatorische Mitverantwortung der KJS war ferner nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Training in der Sporthalle
des SC C. absolviert wurde. Der Besuch der Schule ist auch dann versichert, wenn der Unterricht oder eine andere Schulveranstaltung
außerhalb des Schulgebäudes stattfindet (BSG vom 1. Februar 1979 - 2 RU 107/77 - SozR 2200 § 539 Nr 54 S 157 f; BSG vom 23. April 1975 - 2 RU 227/74 - BSGE 39, 252, 253 = SozR 2200 § 550 Nr 4 S 8). Der Schulbesuch ist nicht auf das Schulgelände beschränkt.
3. Der Unfall vom 8. September 1981 war auch nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht ein Arbeitsunfall.
Gemäß § 220 AGB DDR ist ein Arbeitsunfall die Verletzung eines Werktätigen im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess, die durch
ein plötzliches, von außen einwirkendes Ereignis hervorgerufen worden sein muss (Abs 1). Solchen Arbeitsunfällen sind Unfälle
bei organisierten gesellschaftlichen, kulturellen oder sportlichen Tätigkeiten gleichgestellt, wobei die Einzelheiten in Rechtsvorschriften
festgelegt werden (Abs 3). Als Rechtsvorschrift in diesem Sinne bestimmt § 1 Abs 1 VersSchutzErwVO, dass Bürger, die bei organisierten
gesellschaftlichen, kulturellen oder sportlichen Tätigkeiten einen Unfall erleiden, Leistungen der Sozialversicherung und
betriebliche Lohnausgleichszahlungen wie bei einem Arbeitsunfall erhalten. Diesen organisierten Tätigkeiten ist gemäß § 2
Buchst e VersSchutzErwVO ua der Besuch von Spezialschulen gleichgestellt.
Danach liegen die Voraussetzungen eines nach dem Recht des Beitrittsgebiets anzuerkennenden Arbeitsunfalls vor. Die Klägerin
hat aus den oben zu § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b
RVO dargelegten Gründen, die auf die Regelung des § 2 Buchst e VersSchutzErwVO wegen ihres vergleichbaren Wortlauts und Inhalts zu übertragen sind, nicht infolge einer sportlichen
Betätigung, sondern während des Besuchs der KJS als Spezialschule iS des § 18 Abs 1 und 2 ESB einen Unfall und als Folge des
Sturzes eine Distorsion der Halswirbelsäule erlitten. Das ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
4. Für den Arbeitsunfall der Klägerin ist die Beigeladene zu 2. zuständig. Das ergibt sich aus Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet
I Abschnitt III Nr 1 Buchst c Abs 8 Ziff 2 Buchst ff EinigVtr. Danach gelten Arbeitsunfälle, bei denen der Zeitpunkt des Versicherungsfalls
vor dem 1. Januar 1991 liegt, die aber erst nach diesem Stichtag, jedoch spätestens bis zum 31. Dezember 1994 angezeigt werden,
als Fälle, die entsprechend Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr 1 Buchst c Abs 8 Ziff 2 Buchst aa EinigVtr
zu verteilen sind. Satz 2 der zuletzt genannten Regelung sieht vor, dass die Arbeitsunfälle numerisch nach Geburtstag und
-monat des Leistungsempfängers, innerhalb eines Geburtstages alphabetisch nach dem Familiennamen verteilt werden. Die insoweit
vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften erstellte Liste über die Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger
für im Beitrittsgebiet bis zum 31. Dezember 1990 eingetretene Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten weist die vom 25. Mai bis
zum 8. Juni geborenen Versicherten der Beigeladenen zu 2. zu. Von dieser Zuweisung wird die Klägerin erfasst.
Zu Unrecht beruft sich die Beigeladene zu 2. auf Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr 1 Buchst c Abs 8 Ziff
2 Buchst ee EinigVtr. Danach gehen auf die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der BafU (§ 218b Abs 1
SGB VII) Arbeitsunfälle über, die aufgrund von §
1 VersSchutzErwVO "entschädigt" werden. Diese Sonderzuweisung ist schon deshalb nicht einschlägig, weil der Arbeitsunfall der
Klägerin vom 8. September 1981 nicht "entschädigt" wurde. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob sie sich über ihren Wortlaut
hinaus zudem auf Arbeitsunfälle nach § 2 VersSchutzErwVO erstreckt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.